Urteil des LSG Bayern vom 17.07.2008

LSG Bayern: gesetzliche vermutung, wohnwagen, hauptsache, rechtsgrundlage, zustellung, campingplatz, obsiegen, ankauf, unterliegen, zivilprozessordnung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 15 AS 548/08 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 587/08 AS ER
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 03.07.2008 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Kostenübernahme für die Anschaffung eines Wohnwagens sowie die Zahlung von Verletztengeld.
Der Antragsteller (ASt) bezog seit 01.01.2005 – zeitweise – Leistungen nach dem SGB II von der Antragsgegnerin
(Ag).
Seit der Zwangsräumung seiner Wohnung im April 2006 wohnt der ASt zusammen mit Frau R.K. (K.) in einem
Wohnwagen auf einem Campingplatz in K ...
Nachdem der ASt nach seinem Fortzahlungsantrag vom 16.06.2006 Einladungen zur Klärung seiner
Leistungsangelegenheit nicht nachgekommen war, versagte die Ag die Bewilligung von Leistungen wegen fehlender
Mitwirkung (Bescheid vom 10.07.2006).
Mit der gegen diese Entscheidung zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage (S 7 AS 304/06) machte der
ASt u.a. auch geltend, er habe Anspruch auf eine darlehensweise Kostenübernahme für einen Wohnwagen in Höhe
von 3.000.- bis 4.000.- EUR. Darüber hinaus sei die Ag zu verpflichten, Verletztengeld an ihn zu erbringen.
Gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 24.05.2007 legte der ASt Berufung (L 11 AS 170/07 fortgeführt
unter L 11 AS 386/07) zum Bayerischen Landessozialgericht ein. Mit Urteil des Senates vom 08.05.2008 wurde die
Ag u.a. verpflichtet, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Urteils über die bis dahin noch offen gewesenen
Anträge des ASt auf darlehensweise Kostenübernahme von 3000.- bis 4000.- EUR für einen Wohnwagen sowie über
die Bewilligung von Verletztengeld zu entscheiden. Das Urteil wurde der Ag am 26.05.2008 zugestellt.
Am 20.06.2008 hat der Ast beim SG beantragt, die Ag im Wege eines Eilverfahrens zu verurteilen, ihm 9.000.- EUR
für die Anschaffung eines Wohnwagens zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus sei die Ag zu verpflichten, ihm für
die Zeit seit dem 13.12.2005 bis zu einer Wiedereingliederung oder dem Bezug einer Vollrente Verletztengeld zu
bewilligen. Die Kosten für die Anschaffung eines Wohnwagens hätten sich erheblich erhöht und die Bewilligung von
Verletztengeld sei erforderlich, weil er seit dem 13.12.2005 arbeitsunfähig sei.
Das SG hat diese Anträge mit Beschluss vom 03.07.2008 zurückgewiesen. Hinsichtlich des Begehrens
Verletztengeld zu erhalten, sei weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Für
bereits abgelaufene Leistungszeiträume seien Leistungen – im Rahmen eines Eilverfahrens – in der Regel nicht
nachzuzahlen, und auch für laufende Leistungen sei ein Anordnungsgrund nicht erkennbar, nachdem der Ag mit Urteil
des BayLSG lediglich aufgegeben wurde, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Urteils zu entscheiden. Diese
Frist laufe erst am 26.08.2008 ab. Zudem sei ein Anordnungsanspruch nicht zu erkennen, denn für die Bewilligung
von Verletztengeld seien grundsätzlich die Berufsgenossenschaften zuständig. Es bestehe auch keine Eilbedürftigkeit
in Bezug auf eine Kostenübernahme für die Anschaffung eines Wohnwagens, denn auch hier habe die Ag Zeit bis
26.08.2008 über den Antrag des ASt zu entscheiden. Darüber hinaus erscheine ein Anordnungsanspruch zweifelhaft,
nachdem der ASt mit K. in einer Bedarfsgemeinschaft lebe und nicht als bedürftig angesehen werden könne.
Gegen diesen Beschluss hat der ASt am 08.07.2008 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt
und geltend gemacht, dass er mittlerweile im Rollstuhl sitzen würde oder tot wäre, wenn K. ihn nicht aufgenommen
hätte. Seine Angelegenheit sei korrekt zu bearbeiten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug
genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Ag ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ein
Abhilfeverfahren war – nach Eingang der Beschwerde am 10.07.2008 – nicht mehr erforderlich, nachdem § 174 SGG
mit Wirkung ab 01.04.2008 ohne Übergangsvorschrift ersatzlos entfallen ist (Art 1 Nr.30; Art 5 des Gesetzes zur
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 – BGBl. I S 444). Das
Rechtsmittel erweist sich als unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Bezug auf die vom ASt geltend gemachten
Begehren (Kostenübernahme für einen Wohnwagen; Bewilligung von Verletztengeld) zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes stellt vorliegend § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW
2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr. 643)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein
Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm §
920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927,
NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache
erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Vorliegend ist in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch, Verletztengeld auszuzahlen, ein Anordnungsanspruch
nicht glaubhaft gemacht, denn es ist bereits keine materielle Rechtsgrundlage für das Begehren des ASt ersichtlich.
Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den
Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter
Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt
2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom
15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).
In Bezug auf die geltend gemachte Kostenübernahme für die Anschaffung eines Wohnwagens erscheint zwar noch
immer fraglich, ob § 23 Abs 1 SGB II eine materielle Anspruchsgrundlage für dieses Begehren darstellen kann.
Darüber hinaus bestehen inzwischen auch Zweifel ob der ASt bedürftig ist, denn er hat bisher die gesetzliche
Vermutung des § 7 Abs 3a SGB II nicht entkräften können, dass er mit seiner Lebenspartnerin K. eine
Einstandsgemeinschaft bildet. Gleichwohl können Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht völlig
ausgeschlossen werden, denn es ist noch immer offen, ob der ASt - auch unter Berücksichtigung des
Partnereinkommens - bedürftig ist, und die Ag hat selbst vorgeschlagen - bei Vorlage eines entsprechenden
Angebotes – zumindest eine darlehensweise Kostenübernahme für einen Wohnwagen in Betracht zu ziehen.
Für eine derartige Kostenübernahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes besteht jedoch nach wie vor kein
Anordnungsgrund, weil der ASt noch immer kein konkretes Angebot über den Ankauf eines Wohnwagens vorgelegt
hat.
Darüber hinaus ergeben sich auch heute noch keine Anhaltspunkte, dass die Unterkunft des ASt nicht gesichert wäre.
Nach eigenen Angaben hat der ASt bisher zusammen mit K. auf dem Campingplatz in K. in einem Wohnwagen
gelebt. Hieran hat sich seit der letzten Entscheidung des Senates (Beschluss vom 14.03.2008 – L 11 B 41/08 AS ER)
nichts geändert, so dass ein dringender, sofort zu befriedigender Bedarf für die Anschaffung eines Wohnwagens und
damit die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit noch immer nicht ersichtlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen
des ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.