Urteil des LSG Bayern vom 11.11.2008
LSG Bayern: verrichten der notdurft, geistig behinderter, behinderung, bayern, form, familie, körperverletzung, anzeige, stadt, vergleich
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.11.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 5 SB 521/06
Bayerisches Landessozialgericht L 15 SB 171/07
Bundessozialgericht B 9 SB 77/08 B
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 20. November 2007 und der
Bescheid vom 11. Januar 2006 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30. Juni 2006 und des
Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 insoweit abgeändert, als mit Wirkung ab 3. Juli 2008 ein GdB von 50
festgestellt wird.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Der Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu 03/10.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1953 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69
Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) mit einem Grad der
Behinderung (GdB) von mindestens 70, außerdem die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "RF" sowie "H".
Der Kläger hat mit Erstantrag vom 21.12.2005 eine Funktionsstörung seiner Hand- und Schultergelenke vorgetragen.
Nach Auswertung der Unterlagen der Radiologischen Gemeinschaftspraxis C., des C.-Krankenhauses St.J., der
Orthopädischen Universitätsklinik R., des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) und des
Orthopäden Dr. W. hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und
Soziales Region Oberpfalz vom 11.01.2006 ausgesprochen, dass kein GdB von wenigstens 20 vorliege.
Der Kläger hat mit Widerspruch vom 10.02.2006 hervorgehoben, dass beide Handgelenke in höchstem Grade
betroffen seien, was einer vollständigen Unbrauchbarkeit gleichkomme. Weiterhin seien auch seine Schultergelenke
betroffen. Er leide unter Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule und an Kniebeschwerden. Seine
Funktionsstörungen beträfen ausschließlich das orthopädische Fachgebiet. Mit Schriftsatz vom 10.05.2006 hat der
Kläger hervorgehoben, dass ihm weder ein normaler Tagesablauf noch eine normale Teilhabe am Leben möglich sei.
Er habe deswegen eine Pflegestufe beantragt. In fast allen Bereichen sei er auf Hilfe angewiesen. Seit April 2005 sei
er als Abteilungsleiter und Cheftechniker (im Bereich computergesteuerte Robotersysteme in Apotheken)
arbeitsunfähig.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Allgemeinarztes und Sozialmediziners Dr. H. vom
27.06.2006 hat der Beklagte mit Teilabhilfe-Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberpfalz
vom 30.06.2006 den GdB für die Zeit ab 23.12.2005 mit 30 festgestellt. Berücksichtigt worden sind hierbei folgende
Gesundheitsstörungen: 1. Funktionsbehinderung beider Handgelenke, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke
(Einzel-GdB 30); 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 10).
Im Übrigen ist der Widerspruch vom 15.01.2006 gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales
Region Oberpfalz vom 11.01.2006 mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom
11.07.2006 zurückgewiesen worden.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen zur Verfügung
gestellt. Das Sozialgericht R. hat mit Beweisanordnung vom 07.09.2006 den Chefarzt (oder Vertreter) der
Orthopädischen Klinik L. gem. § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen
bestellt. Prof. Dr. G. ist mit fachorthopädischem Gutachten vom 31.01.2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass der
Gesamt-GdB 50 betrage. Die Funktionsbehinderung beider Handgelenke bedinge einen Einzel-GdB von 30; die
Funktionsbehinderung beider Schultergelenke sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen; im Bereich der
Wirbelsäule bestehe ein Einzel-GdB von 20.
Dr. N. hat mit chirurgischer Stellungnahme vom 05.03.2007 darauf hingewiesen, dass die Ermittlung des Gesamt-GdB
nicht den Vorgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach
dem Schwerbehindertenrecht" entspräche. Der Gesamt-GdB betrage zutreffend 40. Das entsprechende
Vergleichsangebot des Beklagten vom 06.03.2007 ist nicht angenommen worden.
Im folgenden hat das Sozialgericht R. den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20.11.2007 verurteilt, bei dem Kläger
mit Wirkung ab 23.12.2005 einen GdB von 40 festzustellen. Dem Gutachten von Prof. Dr. G. vom 31.01.2007 könne
im Wesentlichen gefolgt werden, sehe man von der Bildung des Gesamt-GdB von 50 ab. Ausgehend von den
festgestellten Funktionsbehinderungen im Bereich beider Handgelenke, beider Schultergelenke und im Bereich der
Wirbelsäule, sei ein Gesamt-GdB von 40 zutreffend.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 09.12.2007 ging am selben Tag beim Bayerischen Landessozialgericht
(BayLSG) ein. Mit Berufungsbegründung vom 15.03.2008 beschränkte der Kläger sein Begehren dahingehend, dass
ein GdB von 70 sowie die Merkzeichen "G", "RF" und "H" festzustellen seien. Er habe sich hochgearbeitet und habe
einen absoluten Traumjob gehabt. Diesen habe er ebenso wie viele seiner Hobbys gesundheitsbedingt aufgeben
müssen. Durch die genannten gesundheitlichen Schäden sei er auf die ständige Hilfe und Pflege seitens seiner
Tochter angewiesen. Dies beginne bei der Morgentoilette übers Anziehen bis zum Essen. Er könne noch nicht einmal
schreiben, da die Fein- und Grobmotorik beider Hände gestört sei.
Von Seiten des BayLSG wurden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die Akten des Sozialgerichts R.
einschließlich der dortigen Rentenstreitakten beigezogen. Im Folgenden bestellte das BayLSG mit Beweisanordnung
vom 15.05.2008 Priv. Doz. Dr. C. gem. § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam mit
orthopädischem Fachgutachten vom 07.07.2008 zu dem Ergebnis, dass aufgrund einer zwischenzeitlichen
Leidensverschlimmerung der GdB ab dem 03.07.2008 50 betrage. Im Bereich der Halswirbelsäule bestehe nunmehr
eine schmerzhafte Teileinsteifung mit Muskel- und Nervenreizerscheinungen.
Der Kläger rügte mit Schriftsatz vom 22.07.2008 vor allem, dass das Gutachten nicht von Priv. Doz. Dr. C. gefertigt
worden sei, sondern von seinem Vater Dr. R. C ... Dieser habe ihn völlig unzutreffend beurteilt und außerdem die
bestehende Seh-Hirnnervlähmung unberücksichtigt gelassen (vgl. Augenärzte Dres. G. und Kollegen).
Um Stellungnahme gebeten räumte Priv. Doz. Dr. C. mit Nachricht vom 07.08.2008 ein, dass der Kläger durch seinen
Vater Dr. R. C. voruntersucht worden sei, der auch die Anamnese vorerhoben habe, wobei wichtige Teile der
Anamnese in seinem Beisein erhoben worden seien. Der Kläger stelle in seinem Schreiben die falsche Behauptung
auf, dass er weder die Untersuchung noch das Gutachten durchgeführt habe. Richtig sei, dass der Kläger von ihm
gründlich nachuntersucht worden sei. Die Beurteilung sei basierend auf den von ihm erhobenen Befunden, der
Anamnese und nach eigenem Aktenstudium durch ihn alleine durchgeführt worden. Entsprechend dem weiteren
Schreiben des Klägers vom 04.08.2008 beantrage dieser offensichtlich die Zuerkennung eines GdB nicht unter 60.
Ergänzend machte Priv. Doz. Dr. C. mit Schreiben vom 03.09.2008 darauf aufmerksam, dass zwischenzeitlich bei der
Polizeidirektion C-Stadt eine Anzeige des Klägers gegen seinen Vater wegen angeblicher Körperverletzung
eingegangen sei.
Das BayLSG wies den Kläger mit Schreiben vom 12.09.2008 darauf hin, dass unabhängig von seinen Einwendungen
gegenüber Dr. bzw. Dr. R. C. die Berufung insoweit begründet erscheine, als ab Juli 2008 die
Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen sei (vgl. die versorgungsärztlichen Ausführungen von Dr. N. vom
18.08.2008).
Der Kläger erwiderte mit Schriftsatz vom 22.09.2008, dass er nicht bereit sei, einen GdB von 50 vergleichsweise
anzunehmen. Er biete im Gegenzug zum Vergleich 65 % an, obwohl er aufgrund seiner absoluten Einschränkungen in
allen Lebensbereichen zu 100 % behindert sei. Betreffend der Untersuchung durch Dr. R. C. verweise er auf seine
eidesstattliche Versicherung in dieser Angelegenheit.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2008 ist der Kläger nicht erschienen. Er hat mit Schreiben vom 29.10.2008
mitgeteilt, dass er aus Gesundheitsgründen den Termin nicht wahrnehmen könne. Auf das beigefügte Gutachten von
Dr. W. vom 28.10.2008, das das Sozialgericht R. in dem Verfahren S 6 R 599/06 eingeholt habe, werde hingewiesen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts R. vom 20.11.2007 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gem. § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie
entsprechend § 136 Abs. 2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) zulässig und teilweise begründet. In Berücksichtigung einer zwischenzeitlichen Leidensverschlimmerung ist
der Grad der Behinderung (GdB) mit Wirkung ab 03.07.2008 mit 50 festzustellen.
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht,
wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von
wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem
Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG)
zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend
anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG
festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20
vorliegt (§ 69 Abs. 1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004, 2005 und 2008" ausgefüllt.
Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das
Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle
Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl.
Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1991, S. 227 ff. zu
"Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994
S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983"keine Normqualität zukommt; es handelt
sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch
normähnlich aus. Ihre Überprüfungdurch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. Die
"Anhaltspunkte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von
sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der
erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung
hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. Hinsichtlich der
richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der
"Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch
Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte- sind insoweit prinzipiell auf
eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber
begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S. 621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in
der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen
Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S. 3049,
3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte
Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz
gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung
der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch
für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der
medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG,
zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen
"Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw.
nunmehr die "Anhaltspunkte 2004, 2005 und 2008".
Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den
tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das BayLSG befugt, das im Wesentlichen von Priv. Doz. Dr. C. gefertigte
Gutachten vom 07.07.2008 zumindest als Urkundsbeweis zu verwerten. Zwar sind gerichtlich bestellte
Sachverständige grundsätzlich verpflichtet, das Gutachten persönlich zu erstatten (§ 118 SGG i.V.m. § 407a ZPO).
Diese können jedoch "Hilfskräfte" hinzuziehen. Dann muss der Sachverständige das Gutachten persönlich
verantworten und verantwortlich zeichnen. Die Grenzen der erlaubten Mitarbeit (hier von Dr. R. C.) sind nur dann
überschritten, wenn aus der Art und dem Umfang der Mitarbeit gefolgert werden kann, dass der beauftragte
Sachverständige seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu
erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst übernommen, sondern delegiert hat (Meyer-Ladewig, 9. Auflage, Anm.11 g
und 11 h zu § 118 SGG m.w.N.).
Hier hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Priv. Doz. Dr. C. mit Stellungnahme vom 03.09.2008 ausgeführt:
"Ich wurde sofort zur Begrüßung hinzugezogen und habe Herrn A. persönlich begrüßt. Mein Vater und ich erklärten
Herrn A. den weiteren Ablauf: Die Erhebung der medizinischen Vorgeschichte und beruflichen Vorgeschichte sowie
die Erhebung der Befunde durch Untersuchung wird zunächst durch meinen Vater, Herrn Dr. R. C., durchgeführt. Ich
selbst werde nach der durchgeführten Untersuchung die auffallenden Befunde nachprüfen. Nach erfolgter
Untersuchung durch meinen Vater habe ich den Kläger selbst nochmals nachuntersucht. Die Dokumentation der
Befunde war bereits durch Diktat meines Vaters erfolgt. Ich selbst habe mich eingehend mit dem Kläger unterhalten.
Es trifft somit nicht zu, dass der Kläger keine Gelegenheit gehabt habe, sich mit mir zu unterhalten. Ich habe mir
selbst ein Bild gemacht von den Funktionseinschränkungen, die der Kläger angegeben hat. Ich darf noch bemerken,
dass zwischenzeitlich bei der Polizeidirektion C-Stadt von Herrn A. eine Anzeige gegen meinen Vater wegen
angeblicher Körperverletzung eingegangen ist." Damit steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass der
gerichtlich bestellte Sachverständige Priv. Doz. Dr. C. die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbracht hat
bzw. sein Vater Dr. R. C. als "Hilfskraft" die zulässigen Grenzen einer Mitwirkung nicht überschritten hat. Dies gilt
auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger die Ausführungen von Priv. Doz. Dr. C. vom 07.08.2008
eidesstattlich mit Telefax vom 23.08.2008 als wahrheitswidrig bezeichnet hat.
Unabhängig davon hat der Beklagte mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme von Dr. N. vom 18.08.2008
bestätigt, dass entsprechend den von Priv. Doz. Dr. C. mit Fachgutachten vom 07.07.2008 erhobenen Befunden im
Vergleich zum Vorgutachten von Prof. Dr. G. sich eine Zunahme der Funktionsstörungen an der Halswirbelsäule und
den oberen Extremitäten ergeben hat. Insofern könne dem Gesamt-GdB von 50 ab dem Untersuchungszeitpunkt
(03.07.2008) gefolgt werden. Die Funktionssysteme seien allerdings zusammenzufassen und mit einem gemeinsamen
Einzel-GdB zu bewerten: 1. Funktionsbehinderung beider Handgelenke, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke
(Einzel-GdB 40); 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen,
Nervenwurzelreizerscheinungen, Verformung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30). Gesamt-GdB 50; keine Merkzeichen;
Nachprüfung nicht erforderlich.
Vorstehende Ausführungen von Dr. N. mit versorgungsärztlich-chirurgischer Stellungnahme vom 18.08.2008, auf die
sich der erkennende Senat stützt, stehen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in Rz. 26.18. Denn
ausweislich des Messblattes "vergleichende Bewegungsmaße der Gelenke der oberen Gliedmaßen" bestehen bei
dem Kläger folgende Funktionseinschränkungen:
Schultergelenk: rechts links Abspreizen/Anspreizen 90/0/20 70/0/20 Rückwärtsführen/Vorwärtsführen 30/0/60 15/0/50
Außendrehen/Innendrehen (Oberarm am Körper angelegt) 60/0/70 25/0/70 Außdrehen/Innendrehen (Oberarm
rechtwinklig gespreizt)
Ellenbogengelenk: Strecken/Beugen 5/0/140 10/0/145 Handrückenwärtsdrehen/Hand- flächenwärtsdrehen 40/0/60
70/0/45
Handgelenk: Handrückenwärtsführen/Hand- flächenwärtsführen 5/0/10 5/0/15 Ellenwärtsführen/Speichenwärts- führen
0/0/5 10/0/10
Bei isolierter Betrachtung bedingt die bestehende Funktionsbehinderung beider Handgelenke bei
Aufbrauchveränderungen einen Einzel-GdB von 30. Die schmerzhafte Schulterteilsteife bei Aufbrauchveränderungen
der Schultereckgelenke mit Einquetschsymptomatik ist ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu berücksichtigen.
Die diesbezüglichen Ausführungen von Priv. Doz. Dr. C. mit Gutachten vom 07.07.2008 werden zutreffend von Dr. N.
mit chirurgisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 18.08.2008 zu einem entsprechenden Einzel-GdB von 40
zusammengefasst (Rz. 18 und 26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht").
Im Bereich der Halswirbelsäule ist zwischenzeitlich eine erhebliche Leidensverschlimmerung eingetreten, die sich in
Form einer schmerzhaften Teileinsteifung mit Muskelreizerscheinungen und Nervenreizerscheinungen manifestiert,
nachgewiesen aufgrund der Untersuchung bei Priv. Doz. Dr. C. vom 03.07.2008. In Beachtung von Rz. 26.18 der
"Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht" ist es daher schlüssig und überzeugend, wenn Prof. Dr. G. mit Gutachten vom 31.01.2007
diesbezüglich noch einen Einzel-GdB von 20 und Priv. Doz. Dr. C. sowie vor allem Dr. N. einen Einzel-GdB von 30
festgestellt haben. Denn Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem
Wirbelsäulenabschnitt sind mit einem Einzel-GdB von 20 zu berücksichtigen. Bestehen Wirbelsäulenschäden mit
mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, ist ein Einzel-GdB von 30
bis 40 vorgesehen. Nachdem bei dem Kläger im Bereich der Halswirbelsäule eine schwerere funktionelle Störung
vorliegt, im Bereich der Lendenwirbelsäule jedoch nur geringfügige Veränderungen bestehen, ist der ab 03.07.2008
festgestellte Einzel-GdB von 30 zutreffend.
In Berücksichtigung von Rz. 19 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" hat das Sozialgericht R. den Beklagten zutreffend
verurteilt, mit Wirkung ab 23.12.2005 einen GdB von 40 festzustellen. Ab dem 03.07.2008 ist das Vorliegen der
Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 nachgewiesen. Denn bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in
der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick
auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigung dem ersten GdB-Grad 10, 20 oder mehr Punkte
hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Entgegen den Ausführungen des Klägers ist die Feststellung eines höheren GdB als 40 bzw. als 50 beginnend ab
03.07.2008 nicht möglich. Denn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) hat bereits mit
Stellungnahme vom 15.02.2008 dargelegt, dass bei dem Kläger hinsichtlich der Leistungsminderung im Vordergrund
Beschwerden von Seiten der beidseitigen Handgelenksarthrosen bestehen. Eine operative Behandlung mit Ziel einer
Beschwerdeminderung sei prinzipiell möglich, werde aber derzeit vom Versicherten nicht angestrebt. Auch einer
medikamentösen analgetischen Therapie stehe er skeptisch gegenüber. Es mute widersprüchlich an, dass er bei den
als invalidisierend erlebten Einschränkungen bis hin zur befürchteten Pflegebedürftigkeit durch die Erkrankung
therapeutische Optionen wenig verfolge und sogar auf eine analgetisch-antiphlogistische Medikation verzichte. Der
Unschlüssigkeit und Skepsis in Bezug auf therapeutische Optionen stehe die zielstrebige Verfolgung einer Berentung
mit Einschaltung vom VdK bzw. Rechtsanwalt gegenüber. Der Versicherte sei insgesamt auf die Berentung als einzig
für ihn vorstellbare Option weitgehend festgelegt. Vor diesem Hintergrund sei die als sehr ausgeprägt imponierende
Tendenz zur Betonung der vielfältigen Einschränkungen und Verdeutlichung der Symptomatik zu verstehen, welche
der Proband unbeschadet zweifellos bestehender erheblicher Funktionsbeeinträchtigungen zeige.
Auch aus dem aktuellen Gutachten von Dr. W. vom 28.10.2008, das das Sozialgericht R. in dem
Rentenstreitverfahren S 6 R 599/06 eingeholt hat, geht hervor, dass dieser auf orthopädischem Fachgebiet die
nämlichen Funktionsstörungen berücksichtigt hat wie Dr. N. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom
18.08.2008.
Ein höherer GdB als 40 beginnend ab 23.12.2005 bzw. als 50 beginnend ab 03.07.2008 ist auch nicht unter dem
Gesichtspunkt feststellbar, dass der Kläger seit dem 18.04.2005 arbeitsunfähig erkrankt ist und sein Arbeitsverhältnis
zum 31.01.2006 geendet hat. Denn eine besondere berufliche Betroffenheit wird nach dem Willen des Gesetzgebers
im Schwerbehindertenrecht ausdrücklich nicht berücksichtigt (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX).
Soweit der Kläger auf das bei ihm bestehende Augenleiden hingewiesen hat, hat Dr. Dr. D. G. mit Arztbrief vom
26.07.2006 das Vorliegen einer Trochlearisparese des linken Auges bestätigt. Diese steht einer vollständigen
Erblindung des linken Auges jedoch nicht gleich, weil der Visus ohne Korrektur des linken Auges 0,9 und des rechten
Auges 1,0 beträgt. Es liegt somit kein vollständiger Sehkraftverlust des linken Auges vor. Vielmehr hat der
Prismentrageversuch ergeben, dass wegen des Schielwinkels eine Verlaufskontrolle mit Sehschule sachdienlich ist.
Ausweislich des Gutachtens von Dr. W. vom 28.10.2008 ist der Visus zum Ausgleich der Sehstörung in Form von
Doppelbildern zwischenzeitlich mit einer Lese- sowie einer Prismenbrille korrigiert. Entsprechend Rz. 19 und 26.4 wirkt
sich die bei dem Kläger bestehende "Sehschwäche des linken Auges" nicht GdB-erhöhend aus.
Trotz der bereits erkennbaren aktenkundigen Beeinträchtigungen im Bereich der unteren Extremitäten ist der Kläger
zweifelsfrei nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX. Prof. Dr. G. hat mit fachorthopädischem
Gutachten vom 31.01.2007 darauf hingewiesen, dass der Kläger die Untersuchungsräume der Orthopädischen Klinik
L. in einem raumgreifenden nicht hinkenden Gangbild betreten hat. Das Gangbild ist als flüssig, nicht hinkend
beschrieben worden. Insoweit hat Priv. Doz. Dr. C. mit Gutachten vom 07.07.2008 eine gewisse
Leidensverschlimmerung festgestellt. Der Barfußgang auf dem ebenen Boden des Untersuchungszimmers wird
linksseitig hinkend demonstriert. Der Fersengang wird linksseitig hinkend ausgeführt, ebenso der Zehengang. Der
Einbeinstand wird rechts unsicher ausgeführt, links sicher ausgeführt. Der Beckengeradstand ergibt einen annähernd
geraden Aufbau der Wirbelsäule. Ein Befund vergleichbar dem Teilverlust eines Busis im Unterschenkel liegt
zweifelsfrei nicht vor (vgl. Rz. 30 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht"). Nachdem bei dem Kläger vorwiegend die
Halswirbelsäule in ihrer Funktion eingeschränkt ist, wirkt sich die im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehende
Funktionsstörung auch nicht erheblich auf die Fortbewegungsfähigkeit aus.
Dem Kläger steht auch das begehrte Merkzeichen "RF" nicht zu. Der 8. Staatsvertrag zur Änderung
rundfunkrechtlicher Staatsverträge (8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag), in Kraft getreten zum 01.04.2005, regelt in
Art. 5 § 6 die Gebührenbefreiung natürlicher Personen. Gleichzeitig sind die Rundfunkbefreiungsverordnungen der
Länder außer Kraft getreten. Dies beinhaltet jedoch nicht, dass sich die zugrunde liegenden medizinischen
Voraussetzungen geändert haben. Nachdem der Kläger weder blind ist noch an einer wesentlichen Sehbehinderung
mit einem GdB von 60 leidet, steht ihm aus ophthalmologischer Sicht das Merkzeichen "RF" zweifelsfrei nicht zu.
Eine schwere Hörschädigung ist ebenfalls nicht vorgetragen worden oder aktenkundig. Im Übrigen besteht bei dem
Kläger kein GdB von wenigstens 80, wegen dessen er außerdem ständig an der Teilnahme öffentlicher Veranstaltung
ausgeschlossen wäre (z.B. nicht nur vorübergehende ansteckungsfähige Lungentuberkulose). Auch wenn der Kläger
glaubhaft vorgetragen hat, behinderungsbedingt vielen seiner Hobbys nicht mehr nachgehen zu können, ist er
dennoch nicht an das Haus gebunden.
Wenn der Kläger aktenkundig befürchtet pflegebedürftig zu werden und zahlreiche Hilfen von seiner Tochter in
Anspruch nimmt, ist er dennoch nicht hilflos im Sinne von § 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) bzw. Rz. 21
der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach den
Schwerbehindertenrecht". Danach ist als hilflos derjenige anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur
vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zu Sicherung seiner
persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch
erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den gemeinsamen Verrichtungen erforderlich
ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung
erforderlich ist. Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im
Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der
Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregungen und Möglichkeiten zur
Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter
Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens keiner Handreichungen bedarf, er diese
Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornimmt. Der Umfang der
notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist dann
der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird.
Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt
vorgenommen werden, genügen wie im Falle des Klägers nicht (z.B. Hilfe beim Anziehen einzelner
Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr o.ä.).
Nach alledem ist der Berufung des Klägers nur in dem beschriebenen Umfange stattzugeben. Die Anwesenheit des
Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2008 ist nicht erforderlich gewesen (§ 110 Abs.1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).