Urteil des LSG Bayern vom 07.07.2009
LSG Bayern: aufschiebende wirkung, überwiegendes interesse, besondere härte, aussetzung, ausnahmefall, erlass, akte, zwangsvollstreckung, heirat, härtefall
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 07.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 3 R 4412/08
Bayerisches Landessozialgericht L 19 R 518/09 ER
Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.04.2009 - S 3 R
4412/08 - auszusetzen, wird abgelehnt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I. Das Sozialgericht Nürnberg hat die Beklagte am 29.04.2009 verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides
vom 23.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2008 eine Witwenrente zu gewähren.
Dagegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Voraussetzungen des § 46 Abs 2a
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) lägen vor. Die Vermutung, dass bei kurzer Ehedauer die Heirat der
Versorgung des überlebenden Ehegatten diene, sei vom Kläger nicht widerlegt worden. Zudem hat die Beklagte
beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des SG auszusetzen. Es bestehe die Gefahr, dass aufgrund der
vorläufigen Urteilsausführung zu Unrecht gezahlte Leistungen nicht zurückgefordert werden könnten. Zwar enthalte der
Ausführungsbescheid einen Rückforderungsvorbehalt, dadurch sei jedoch nicht sichergestellt, dass die vorläufigen
Leistungen auch tatsächlich zurückerstattet würden, wenn das Rechtsmittel der Beklagten Erfolg hätte.
Gegebenenfalls stünde auch eine besondere Härte einer Rückforderung entgegen. Zur Ergänzung des Tatbestandes
wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akte S 3 R
4412/08 Bezug genommen.
II. Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig. Gemäß § 199 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn
ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu
entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des §
199 Abs 1 SGG liegt vor.
Die Berufung der Beklagten hat hinsichtlich der Beträge, die für die Zeit nach Erlass des angefochtenen Urteils
bezahlt werden sollen, keine aufschiebende Wirkung (§ 154 Abs 2 SGG). Die Beklagte ist daher verpflichtet, die
sogenannte Urteilsrente anzuweisen, die aber wieder zu erstatten ist, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die
Berufung hin oder in einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.
Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen (BSG, Beschluss
vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Auflage § 199 Rdnr 8), wobei
der in § 154 Abs 2 SGG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Berufungen in der
Regel keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der für die Zeit nach Erlass des Urteils zu zahlenden Beträge haben
sollen. Eine Aussetzung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (Leitherer aaO Rdnr 8a; BSG, Beschluss
vom 28.10.2008 - B 2 U 189/08 B -).
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist im Rahmen einer Interessen- und Folgenabwägung zu prüfen. Dabei können
die Erfolgsaussichten der Berufung ausnahmsweise dann eine Rolle spielen, wenn diese offensichtlich fehlen (vgl
auch BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -) oder offensichtlich bestehen (BSGE 12, 138). Sind die
Erfolgsaussichten jedoch nicht in dieser Weise eindeutig abschätzbar, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung
insbesondere zu berücksichtigen, ob der Beklagten - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als
solcher verbunden ist - ein im nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde (BSG, Beschluss vom
05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -). Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, die vom
Vollstreckungsschuldner glaubhaft vorzutragen sind (BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Der Hinweis auf Sonderfälle,
unter denen eine im Ergebnis rechtswidrig gezahlte Urteilsrente vom Begünstigten nicht zurückgefordert werden dürfe,
genügt hierzu nicht, wenn nicht Anhaltspunkte dafür benannt werden, beim Begünstigten könne ein solcher "Härtefall"
bestehen (vgl BSG, Beschluss vom 28.08.2007 - B 4 R 25/07 R -). Zudem darf ein überwiegendes Interesse des
Vollstreckungsgläubigers nicht entgegenstehen (BSG, Beschluss vom 28.08.2007 - B 4 R 25/07 R -; vgl hierzu auch
die § 86b SGG zu entnehmenden Rechtsgedanken). Vorliegend sind die Aussichten des Hauptsacheverfahrens
zugunsten der Beklagten allenfalls als offen anzusehen. Es ist daher zu prüfen, ob ein Nachteil im oben genannten
Sinn von der Beklagten glaubhaft dargelegt worden ist. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat lediglich auf eine
eventuell entfallende Rückforderungsmöglichkeit bei Vorliegen eines Härtefalls hingewiesen. Sie hat jedoch keinerlei
Angaben dazu gemacht, weshalb eine Erstattungsmöglichkeit des Klägers ausgeschlossen sein solle. Hierzu sind
u.a. die gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers glaubhaft darzutun. Daran fehlt es bereits.
Mangels Darlegung und Glaubhaftmachung eines Nachteils im oben genannten Sinn ist das Vorliegen eines
überwiegenden Interesses des Vollstreckungsgläubigers nicht zu überprüfen. Von einem Ausnahmefall ist nicht
auszugehen, der Antrag ist abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG), er kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3
SGG).