Urteil des LSG Bayern vom 07.11.2006
LSG Bayern: Az: S 2 U 225/05, aufschiebende wirkung, ohne aussicht auf erfolg, ablehnung des rentenanspruchs, besondere härte, aussetzung, gefahr, rückzahlung
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 07.11.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 2 U 225/05
Bayerisches Landessozialgericht L 18 U 272/06 ER
I. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.07.2006 - Az: S 2 U 225/05 - wird bis zur
Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt (§ 199 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG-). II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 19.07.2006 u.a. verpflichtet, dem Kläger Rente nach
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH über den 01.04.2005 hinaus zu gewähren. Das SG hatte sein
zusprechendes Urteil damit begründet, dass die Beklagte zu Unrecht im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens den
Bescheid vom 01.03.2005, mit dem sie die vorläufige Rente entzogen hatte, mit Bescheid vom 01.06.2006
dahingehend abgeändert habe, dass die Rente auf unbestimmte Zeit entzogen werde. Gegen dieses Urteil hat die
Beklagte Berufung eingelegt und u.a. vorgetragen, dass auch bei einer sofortigen Feststellung einer Rente auf
unbestimmte Zeit die Rentenzahlung eingestellt worden wäre. Zugleich hat sie die Aussetzung der Vollstreckung aus
dem angefochtenen Urteil beantragt.
Der Kläger hält eine Aussetzung der Vollstreckung nicht für geboten. Er hält das Urteil des SG für zutreffend.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist zulässig und begründet.
Soweit das SG Leistungen zugesprochen hat, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt
werden sollen, hat die Berufung des Versicherungsträgers aufschiebende Wirkung (§ 154 Abs 2 SGG).
Soweit das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das
Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen (vgl § 199 Abs 2 Satz 1
SGG). Die Entscheidung gemäß § 199 Abs 2 ergeht nach freiem Ermessen. Dabei sind die schutz- würdigen
Sicherungs- und Erhaltungsinteressen beider Beteiligten sorgfältig abzuwägen, insbesondere auf den
voraussichtlichen Erfolg der Berufung Rücksicht zu nehmen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG
8.Aufl, § 199 RdNr 8). Eine derartige Abwägung hat auch im Falle der Berufung stattzufinden, so dass die Aussetzung
der Vollstreckung nicht nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Die Regelung des § 154 Abs 2 SGG, wonach die
aufschiebende Wirkung von Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde für bestimmte Fälle (zwingend) angeordnet ist,
zwingt nicht zu der Schlussfolgerung, dass sonst im Einzelfall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur
ausnahmsweise in Betracht kommt. Ein Regel-/Ausnahmeverhältnis kann dem Gesetz nicht entnommen werden (vgl
Zeihe in SGb 94, S 505; a.A. Meyer-Ladewig aaO RdNr 8 a unter Verweisung auf BSG Beschluss vom 06.05.1960 -
BSGE 123, 138). Der Richter muss unerwünschte Folgen einer etwaigen Überzahlung verhindern, soweit ihm das
Gesetz dies erlaubt. Das ist durch die klare Ermessensregelung in § 199 Abs 2 SGG der Fall (Zeihe aaO S 506).
Vorliegend überwiegt das Interesse der Beklagte, dass nicht vor endgültiger Klarstellung der Sach- und Rechtslage
Leistungen erbracht werden müssen, die dann nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen im Falle des Erfolgs der
Berufung zurückgefordert werden können, das Interesse des Klägers an der Vollziehung des Urteils. Bei der im
einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint die Berufung der
Beklagten nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Durch die Ablehnung des Rentenanspruchs mangels einer MdE in
rentenberechtigendem Grad ist nicht nur die vorläufige, sondern auch die Dauerrente abgelehnt worden (so BSGE 37,
178 mwN und BSGE 55, 33, 34).
Es besteht für den Leistungsträger vielfach die Gefahr, dass die Rückerstattung faktisch nicht realisierbar ist. So
kann der Leistungsträger keine Erstattung wegen Beträgen verlangen, die er in Ausführung eines später aufgehobenen
Urteils erbracht hat (sog. Urteilsleistungen), wenn die Rückzahlung für den Leistungsempfänger eine besondere Härte
bedeuten würde (BSG SozR 1300 § 50 Nr 6 und SozR 3-1300 § 45 Nr 10). Der Kläger hingegen erleidet durch die
Aussetzung der Vollstreckung keinen dauerhaften Nachteil, da er im Falle der Bestätigigung des Ersturteils
Leistungen rückwirkend erhält.
Diese Anordnung ist unanfechtbar, sie kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG in entsprechender Anwendung (vgl Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer aaO, RdNr 7 c).