Urteil des LSG Bayern vom 10.02.2010

LSG Bayern: altersrente, witwerrente, hinterbliebenenrente, rechtswidrigkeit, grobe fahrlässigkeit, verwaltungsakt, subjektive unmöglichkeit, eigenes verschulden, bekanntgabe, behörde

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.02.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 13 R 692/05
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 536/08
Bundessozialgericht B 5 R 176/10 B
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob und inwieweit Versichertenrenten nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch (SGB VI) auf eine Witwerrente nach dem SGB VI anzurechnen sind.
Der 70-jährige Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und Witwer der am 26.03.1990 verstorbenen Versicherten R.
A. (Eheschließung im Jahr 1960). Die Versicherte legte keine Beitragszeiten im Rahmen einer Erwerbstätigkeit
zurück. Sie erzog fünf Kinder, von denen zwei (geboren 1965 und 1968) auch Kinder des Klägers sind.
Mit Rentenbescheid vom 21.08.1997 gewährte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 27.09.1993 hin eine
große Witwerrente ab 01.09.1992. Die Entgeltpunkte aus Beitragszeiten resultierten allein aus Kindererziehungszeiten.
Der Bescheid enthielt eine Belehrung über die Mitteilungspflichten beim Hinzutreten von Erwerbs- oder
Erwerbsersatzeinkommen; wegen des relevanten Wortlauts dieses Hinweises wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Augsburg verwiesen. Die für die Hinterbliebenenrente zuständige Abteilung
der Beklagten erstattete der für die Versichertenrente zuständigen Abteilung eine Mitteilung über die
Witwerrentengewährung. Die monatlichen Zahlungen wurden von Oktober 1997 an geleistet; sie beliefen sich zunächst
auf 132,04 DM. Gleichzeitig wurde für die Zeit von Rentenbeginn bis September 1997 eine Nachzahlung von 7.707,78
DM gezahlt. Mit Bescheid vom 21.06.1998 wurde die monatliche Leistung mit Wirkung vom 01.07.1998 auf 146,87
DM erhöht.
Im Oktober 1998 führte die Beklagte bei dem Kläger eine Einkommensprüfung durch, in deren Rahmen der Kläger
angab, er würde kein relevantes Einkommen beziehen. Von da an führte die Beklagte keine weiteren Überprüfungen
mehr durch.
In der Folgezeit kam es beim Kläger zu verschiedenen Einkommenszuflüssen: Zunächst sprach das Bayerische
Landessozialgericht dem Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente ab 01.07.1994 zu (laufende Zahlung ab 01.12.2003
748,64 EUR monatlich); mit Bescheid vom 20.10.2003 führte die Beklagte den Richterspruch aus. Davon erhielt die
Stelle, die für die Hinterbliebenenrente zuständig ist, keine Kenntnis; eine interne Information unterblieb, und auch der
Kläger erstattete keine Meldung. Dann bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 05.03.2003 (Änderungsbescheid vom
26.03.2003) dem Kläger ab September 2002 eine Altersrente für langjährig Versicherte (Höhe zunächst 938,20 EUR
monatlich). Auch davon erhielt die für die Hinterbliebenenrente zuständige Organisationseinheit innerhalb der
Beklagten keine Kenntnis. Schließlich bewilligte die Beklagte - nach Durchführung eines Klageverfahrens - dem
Kläger mit Bescheid vom 18.03.2004 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab Dezember 1999 anstatt der
bisherigen Altersrente (monatliche Zahlung 1.122,90 EUR ab Mai 2005; Nachzahlungsbetrag 19.283,04 EUR für
Zeitraum 01.12.1999 bis 30.04.2004). Erst von dieser letzten Bewilligung erfuhr die Stelle für Hinterbliebenenrente
(internes Schreiben vom 18.03.2004).
Zusammenfassend bezog der Kläger folgende Nettobeträge an Versichertenrenten: - Juli 1994 bis Juni 1995: 1.229,62
DM - Juli 1995 bis Juni 1996: 1.230,47 DM - Juli 1996 bis Juni 1997: 1.236,18 DM - Juli 1997 bis Juni 1998: 1.257,25
DM - Juli 1998 bis Juni 1999: 1.260,77 DM - Juli 1999 bis Juni 2000: 1.278,38 DM - Juli 2000 bis Juni 2001: 1.929,01
DM - Juli 2001 bis Dezember 2001: 1.965,93 DM - Januar 2002 bis Juni 2002: 1.005,17 EUR - Juli 2002 bis Juni 2003:
1.024,07 EUR - ab Juli 2003: 1.033,08 EUR.
Mit Bescheid vom 31.03.2004 regelte die Beklagte bezüglich der Witwerrente, für die Zeit ab 01.05.2004 würden
laufend monatlich 92,29 EUR gezahlt. Für die Zeit von Juli 1994 bis April 2004 sei eine Überzahlung in Höhe von
1.161,25 EUR angefallen. Die entstandene Überzahlung sei zu erstatten. In einer Anlage 1 zum Bescheid wies die
Beklagte die Rentenbeträge vor der Anrechnung nach § 97 SGB VI sowie nach Abzug des Anrechnungsbetrags aus.
Die Berechnung des Anrechnungsbetrags selbst stellte sie in Anlage 8 dar. Als "einzusetzendes"
Erwerbsersatzeinkommen wurde ab 01.07.1994 die Rente aus eigener Versicherung berücksichtigt. Für die Zeit ab
Juli 2001 setzte die Beklagte wieder den monatlichen Auszahlungsbetrag der Berufsunfähigkeitsrente an, obwohl
tatsächlich die höhere Altersrente bezogen worden war. So ermittelte die Beklagte folgende (ab Juli 2001
unzutreffenden) Anrechnungsbeträge: - Juli 1994 bis Juni 1995: 6,09 DM - Juli 1995 bis Juni 1996: 4,00 DM - Juli
1996 bis Juni 1997: 1,64 DM - Juli 1997 bis Juni 1998: 1,93 DM - Juli 1998 bis Juni 1999: 1,12 DM - Juli 1999 bis Juni
2000: 1,41 DM - Juli 2000 bis Juni 2001: 258,60 DM - Juli 2001 bis Dezember 2001: 1,45 DM - Januar 2002 bis Juni
2002: 0,74 EUR - Juli 2002 bis Juni 2003: 0,02 EUR - ab Juli 2003: 0,00 EUR.
Am 26.04.2004 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 31.03.2004 Widerspruch ein.
Nachdem die Beklagte bemerkt hatte, dass sie im Bescheid vom 31.03.2004 teilweise zu Unrecht nur die
Berufsunfähigkeitsrente angerechnet hatte, erließ sie einen weiteren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (Bescheid
vom 01.02.2005). Dort teilte sie mit, die Berechnungsgrundlagen hätten sich geändert. Für die Zeit vom 01.07.1994
bis 28.02.2005 ergebe sich eine Überzahlung von 4.005,67 EUR, die zu erstatten sei. Der Bescheid enthielt keine
explizite Rücknahme des Bescheids vom 31.03.2004 und auch keine Ermessenserwägungen. Die Anlage 8 zu dem
Bescheid deckte sich mit der zum Bescheid vom 31.03.2004 insofern, als der Zeitraum bis einschließlich Juni 2001
betroffen war. Für die Zeit danach wies der Bescheid folgende Anrechnungsbeträge aus: - Juli 2001 bis Dezember
2001: 263,55 DM - Januar 2002 bis Juni 2002: 134,77 EUR - Juli 2002 bis Juni 2003: 136,55 EUR - ab Juli 2003:
137,30 EUR.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 04.03.2005 wiederum Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 wies die Beklagte beide Widersprüche als unbegründet zurück. Den
Bescheid vom 31.03.2004 stützte sie u.a. auf § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch
(SGB X). Sie ging von einem atypischen Sonderfall aus, der eine Ermessensausübung erforderlich machte. Die
Beklagte begründete dies damit, nach der Erteilung der Rentenbescheide zur Altersrente für langjährig Versicherte sei
die Anrechnung gemäß § 97 SGB VI nicht zeitnah erfolgt. Bei der Ermessensabwägung berücksichtigte sie, das
Versäumnis habe nur einen vergleichsweise untergeordneten Zeitraum betroffen, nämlich den ab September 2002.
Angesichts seiner Streitsachen bezüglich der Versichertenrenten habe dem Kläger bewusst sein müssen, dass dies
nicht ohne Auswirkung auf die Hinterbliebenenrente bleiben könnte. Zudem habe er Nachzahlungen von ca. 85.000
EUR erhalten, weswegen ihn die nur vergleichsweise geringe Rückforderung keineswegs unzumutbar belaste. Die
unterbliebene Anhörung und Begründung seien durch das Widerspruchsverfahren geheilt. Der Bescheid vom
01.02.2005 habe auf Grund von § 45 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden dürfen. Der Bescheid vom 31.03.2004
sei insoweit rechtswidrig und begünstigend gewesen, als ab Juli 2001 nur die geringere Berufsunfähigkeitsrente statt
der Altersrente für schwerbehinderte Menschen angerechnet worden sei. Vertrauensschutz scheide gemäß § 45 Abs.
2 Satz 3 Nr. 3 SGB X aus. Denn der Fehler sei eindeutig gewesen und habe insbesondere dem Bevollmächtigten des
Klägers als sachkundiger Person auffallen müssen; dies begründe eine grob fahrlässige Unkenntnis. Das
Erkenntnisvermögen seines Bevollmächtigten müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Nach § 45 Abs. 4 Satz 1
SGB X habe der Bescheid vom 31.03.2004 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können. Im
Rahmen des Ermessens seien einerseits das Verschulden der Beklagten, andererseits das größere des Klägers
sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass dieser wegen der Nachzahlungen voll abgesichert sei.
Am 10.10.2005 hat der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Mit Urteil vom 04.07.2008 hat das
Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die durch Bescheid vom 31.03.2004 ausgesprochene Leistungsaufhebung sei
durch § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X gedeckt. Eine nachträgliche Änderung im Sinn dieser Regelung liege in der
nachträglichen Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente ab 01.07.1994. Das habe dazu geführt, dass sich die
Hinterbliebenenrente gemäß § 97 SGB VI in Verbindung mit §§ 18a ff. des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch (SGB IV)
vermindere. Zum Ausmaß der Minderung hat das Sozialgericht die Berechnung der Beklagten als richtig beurteilt, weil
deren Richtigkeit nicht bestritten worden sei. Auf diese Veränderung habe die Beklagte mit einer Aufhebung für die
Vergangenheit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X reagieren dürfen. Das Sozialgericht hat sich der
Begründung im Widerspruchsbescheid angeschlossen, bezüglich eines Teilzeitraums liege ein atypischer Fall vor. Bei
ordnungsgemäßer Bearbeitung wäre der Aufhebungsbescheid im Gefolge der Bewilligung einer Altersrente für
langjährig Versicherte bereits im März 2003 ergangen. In der weiteren Begründung hat das Sozialgericht im Detail die
Ermessenserwägungen der Beklagten bestätigt. Die unterbliebene Anhörung und Begründung seien durch die
Durchführung des Widerspruchsverfahrens und den Widerspruchsbescheid geheilt worden. Die Aufhebung verletze
kein Verfassungsrecht. Der Bescheid vom 01.02.2005 finde in § 45 SGB X eine Rechtsgrundlage. Auch diesbezüglich
ist es in seiner Begründung nicht von der des Widerspruchsbescheids abgewichen.
Am 15.07.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hält die Entscheidungen der Beklagten und des Sozialgerichts
für verfassungswidrig. Es verstoße gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG), Anrechnungen auf die Hinterbliebenenrente
vorzunehmen, die aus der gemeinsamen Erziehung von fünf Kindern resultiere. Zudem habe die Beklagte lediglich
Rückforderungen geregelt, es aber versäumt, vorherige Leistungsfeststellungen aufzuheben.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Juni 2008 sowie die Bescheide vom 31. März
2004 und vom 1. Februar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2005,
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere der dem Kläger erteilten Bewilligungs- und
Aufhebungsbescheide, wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichts und des
Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Regelungen der
Beklagten zur teilweisen Aufhebung der ursprünglichen Witwerrentenbewilligung sowie zur Erstattung von
Rentenleistungen rechtmäßig sind.
Streitgegenstand ist der geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung sowohl des Bescheids vom 31.03.2004 als auch
des Bescheids vom 01.02.2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2005. Das ergibt sich
aus dem Klageantrag. Dieser darf nicht dahin ausgelegt werden, nur die Aufhebung des Bescheids vom 01.02.2005
sei Gegenstand des Berufungsverfahrens. Denn dieser hat den ersten Bescheid vom 31.03.2004 nicht ersetzt - und
damit dessen Beschwer beseitigt -, sondern zu der bereits bestehenden und bis heute fortwirkenden Beschwer eine
weitere addiert.
A. Bescheid vom 31.03.2004
Der Bescheid vom 31.03.2004 hält einer gerichtlichen Prüfung stand, weil der Kläger durch ihn nicht in subjektiven
Rechten verletzt ist. Zwar ist der Bescheid vom 31.03.2004 insoweit nicht rechtmäßig, als er die Aufhebung in zu
geringem Ausmaß ausgesprochen hat. Diese Rechtswidrigkeit verletzt den Kläger aber nicht in subjektiven Rechten.
Im Übrigen steht der Bescheid mit dem Recht in Einklang. Er enthält zwei Regelungen. Zum Einen hat die Beklagte
die bis dato bestehende Leistungsfeststellung zum Teil zum Nachteil des Klägers geändert. Zum Anderen hat sie die
Erstattung einer Überzahlung angeordnet. Soweit dadurch für den Kläger eine Beschwer begründet wird, sind die
Regelungen rechtmäßig.
Der Bescheid vom 31.03.2004 ist nicht formell rechtswidrig, obwohl im Verwaltungsverfahren eine Anhörung
unterblieben ist. Dahin stehen kann, ob die Ansicht des Klägers zutrifft, der Bescheid weise eine Begründung auf, die
nicht den Erfordernissen von § 35 Abs. 1 SGB X gerecht werde. Denn der Fehler der fehlenden Anhörung und der
unterstellte Fehler bei der Begründung ist bzw. wäre gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB X geheilt. Zur weiteren
Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
1. Im Hinblick auf die Aufhebung der Leistungsfeststellung findet der Bescheid seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1
Satz 1, Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass
eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Abs. 1 Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des
Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs
geführt haben würde (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3). Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen
Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses
Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (Abs. 1 Satz 3).
a) Die teilweise Aufhebung ist als Regelung auch hinreichend zum Ausdruck gebracht worden. Der Bescheid ist
insofern hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die Ansicht des Klägers, eine Aufhebung der
Leistungsbewilligung liege überhaupt nicht vor, trifft nicht zu.
Die Frage der Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes kohäriert mit der Entscheidung, ob überhaupt eine Regelung
gegeben ist. Hoheitliche Regelungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Ausübung von Staatsgewalt einen
Befolgungsanspruch in sich tragen; darin äußert sich das Gewaltmonopol des Staates. Der Befolgungsanspruch kann
aber nur dann und insoweit entstehen, als erkennbar ist, was der Bürger tun oder unterlassen soll; für gestaltende oder
feststellende Regelungen gilt Entsprechendes. Lässt eine Regelung unter dem Blickwinkel des Empfängerhorizontes
nicht erkennen, welche Rechtsfolgen eintreten sollen, dann stellt sie gerade keine Regelung im eigentlichen Sinn dar,
weil sie wegen ihrer Unklarheit keinen Befolgungsanspruch zu entfalten vermag. Mangelnde Bestimmtheit verkörpert
nicht lediglich einen qualitativen Mangel einer existenten Regelung, sondern steht dem Regelungscharakter a priori
entgegen. Noch weniger ist das Bestimmtheitsgebot eine bloße Verfahrensregelung; demzufolge sind Fehler nicht
nach § 41 Abs. 1 SGB X heilbar (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2007 - L 7 B
258/07 AS ER).
Allein diese drastischen rechtlichen Konsequenzen einer unbestimmten "Regelung" belegen, dass das Verdikt der
Unbestimmtheit nur in krassen Fällen eines Defizits an Klarheit ausgesprochen werden darf. Zunächst ist bei der
Ermittlung des Regelungsgehalts entsprechend §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf den objektiven
Empfängerhorizont abzustellen. Dem Bürger muss es unter zumutbarer Anstrengung seiner geistigen Kräfte möglich
sein, eindeutig den jeweiligen Regelungsgehalt zu entnehmen; ist das der Fall, genügt die Regelung dem
Bestimmtheitserfordernis, auch wenn Auslegungsbedürftigkeit besteht. Unbestimmt wäre eine Regelung dann, wenn
gemessen am Empfängerhorizont überhaupt keine Regelung herauslesbar wäre oder verschiedene
Interpretationsmöglichkeiten bestünden. Anders als im Zivilrecht wird der objektive Empfängerhorizont bei der
Auslegung hoheitlicher Regelungen jedoch relativiert: Zum Einen tritt an die Stelle einer rein objektiven eine gemischt
objektiv-subjektive Betrachtungsweise. Das bedeutet, dass die Behörde den Anordnungssatz auch am zu
erwartenden Horizont des konkreten Adressaten ausrichten muss. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass nicht
nur die subjektive Unmöglichkeit, den Regelungsgehalt herauszulesen, regelungsschädlich ist, sondern auch eine
subjektive Unzumutbarkeit. Daher wäre der Bestimmtheitsgrundsatz auch dann verletzt, wenn die dem Adressaten
abverlangte geistige Leistung das zumutbare Maß überschreiten würde. Nur insoweit spielt der Gesichtspunkt des
"Adressatenkomforts" der auf eine Regelung abzielenden Willenserklärung eine Rolle. Der Bürger braucht indes nicht
vor jeglichem Nachdenken bewahrt zu werden. Dabei dürfen an den Bürger je nach intellektueller Ausstattung mitunter
auch höhere Anforderungen gestellt werden; es kommt auf den jeweiligen Einzelfall an.
Konkretisiert auf den vorliegenden Fall folgt daraus, dass der Kläger bei zumutbarer Anstrengung seiner geistigen
Kräfte in der Lage gewesen sein muss zu erkennen, dass und in welchem Umfang die bisherige Leistungsfeststellung
aufgehoben werden sollte. Das erfordert im Prinzip, dass die Behörde die Aufhebung nach einzelnen Monaten
differenziert ausspricht. Eine Pauschalaufhebung in einer bestimmten, summenmäßig bezifferten Höhe für einen
bestimmten, längeren Zeitraum würde nur dann genügen, wenn es sich um eine Vollaufhebung handeln würde. Bei
partieller Aufhebung - wie hier - muss spezifiziert geregelt werden, inwieweit vorher ausgesprochene
Leistungsbewilligungen revidiert werden sollen. Die Notwendigkeit einer nach Monaten differenzierten Aufhebung
drängt sich schon deswegen auf, weil sich der jeweilige monatliche Rentenanspruch unmittelbar auf eventuelle andere
Sozialleistungen auswirken kann.
Dem wird die von der Beklagten getroffene Regelung gerecht, und zwar schon in der Form, wie sie der Bescheid vom
31.03.2004 aufweist: In der Anlage 1 werden für jeden Monat die nach Ansicht der Beklagten zutreffenden
Rentenbeträge ausgewiesen und dann - ebenfalls noch in Anlage 1 - die Zuvielzahlungen genannt und schließlich
aufaddiert. Trotz seines zugegebenermaßen geringen Lesekomforts bringt der Bescheid vom 31.03.2004 mit Hilfe der
Anlage 1 zum Ausdruck, was geregelt werden sollte. Dabei spielt letztlich keine Rolle, dass die Aufhebung der
bisherigen Rentenfeststellung nicht explizit ausgesprochen worden ist (auch wenn ein solcher Ausspruch
wünschenswert wäre). Jede Änderung bei einem in eine offene Zukunft gerichteten Dauerverwaltungsakt impliziert
logisch notwendig die Änderung der bestehenden Dauerregelung. Das erscheint im vorliegenden Fall evident, weil eine
Neuberechnung auch für die Vergangenheit erfolgt ist. Dass also in die Bestandskraft der bis dato bestehenden
Rentenfeststellung eingegriffen werden sollte, war offensichtlich. Welche Monate in welcher Höhe von der Aufhebung
betroffen waren, ergibt sich - wenn auch mit "Holprigkeiten" - aus der Anlage 1. Dass der Kläger, um die Regelung
verstehen zu können, in gewissem Umfang seine geistigen Kräfte hat aktivieren müssen, schadet nicht; dieser
intellektuelle Aufwand war (noch) zumutbar.
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB X sind erfüllt. In den
tatsächlichen Verhältnissen des Klägers ist eine wesentliche Änderung im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X
eingetreten. Denn mit Wirkung vom 01.07.1994 hat der Kläger Erwerbsersatzeinkommen bezogen, das auf die
Witwerrente anzurechnen gewesen ist und die monatlichen Ansprüche reduziert hat. Das ergibt sich aus § 97 SGB VI
i.V.m. §§ 18a ff. SGB IV.
Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wird Einkommen von Berechtigten, das mit einer Witwerrente zusammentrifft,
hierauf angerechnet; das gilt lediglich während der kurzen Phase nicht, in welcher der Rentenartfaktor mindestens 1,0
beträgt (Satz 2; vgl. § 67 Nr. 6 SGB VI). Die Anrechnung erfasst nur einen bestimmten Anteil dieses Einkommens:
Anrechenbar ist nur dasjenige Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt (§ 97
Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Von der sich daraus ergebenden Differenz werden wiederum nur 40 % angerechnet (§ 97 Abs.
2 Satz 3 SGB VI).
Was als Einkommen in diese Berechnung einfließt, ergibt sich aus §§ 18a ff. SGB IV. Nach § 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SGB IV sind Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen),
Einkommen im Sinn von § 97 SGB VI; dazu zählen sowohl Berufsunfähigkeits- als auch Altersrenten (§ 18a Abs. 3
Satz 1 Nr. 3 bzw. 2 SGB IV). Maßgebend ist das für denselben Zeitraum erzielte monatliche Einkommen (§ 18b Abs.
1 Satz 1 SGB IV). Die Renten aus eigener Versicherung sind mit dem jeweils zeitgleich zur Hinterbliebenenrente
tatsächlich geleisteten Betrag anzusetzen (vgl. § 18b Abs. 4 SGB IV). Die Rentenleistungen müssen um den Anteil
der vom Rentenberechtigten zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesagentur für Arbeit gekürzt
werden (§ 18b Abs. 5 Satz 2 SGB IV).
Im Rahmen der Anrechnung hat die Beklagte keine Fehler begangen, die sich zu Ungunsten des Klägers ausgewirkt
hätten. Von 01.07.1994 bis 30.11.1999 war die Berufsunfähigkeitsrente anzurechnen. Ab 01.12.1999 hat auf sie
gemäß § 34 Abs. 4 SGB VI in der bis zum 31.07.2004 geltenden Fassung kein Anspruch mehr bestanden. Im
Verhältnis der beiden Altersrenten ist aufgrund der Rangfolge nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ab 01.12.1999 die
höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu berücksichtigen. Bei der "technischen" Berechnung des
Anrechnungsbetrags hat die Beklagte zwar für bestimmte Phasen falsche Beträge der jeweiligen Rente aus eigener
Versicherung herangezogen; das hat sich jedoch zu Gunsten des Klägers ausgewirkt. Im Übrigen vermag man bei der
Berechnung, die sich vor allem in Anlage 8 findet, keine Fehler festzustellen. In Übereinstimmung mit § 97 Abs. 2
SGB VI hat die Beklagte, nachdem sie die Netto-Versichertenrente (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 18b Abs. 5 Satz 2
SGB IV) dargestellt hat, zunächst die Grenze des 26,4fachen des aktuellen Rentenwerts berechnet. Die aktuellen
Rentenwerte, welche die Beklagte herangezogen hat, sind korrekt. Eine Erhöhung dieser Grenze gemäß § 97 Abs. 2
Satz 2 SGB VI kommt nicht in Betracht, weil keines der Kinder des Klägers Anspruch auf eine Waisenrente hat oder
nur deshalb nicht hat, weil es nicht Kind des Verstorbenen ist. Richtiger Weise hat die Beklagte sodann ermittelt,
inwieweit die Netto-Versichertenrente den Freibetrag übersteigt und davon wiederum gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 SGB
VI 40 % berechnet. Diese für jeden Monat ermittelten Beträge hat sie dann von der Witwerrente abgezogen. Ebenfalls
zutreffend hat sie Einkommenssteigerungen gemäß § 18d Abs. 1 SGB IV immer erst zum nächsten 1. Juli
berücksichtigt. Einkommensminderungen im Sinn von § 18d Abs. 2 SGB IV haben nicht vorgelegen.
Die Rechtsfolge des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die zwingende Aufhebung für die Zukunft. Es liegen aber auch die
Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X für eine Aufhebung für die Vergangenheit vor. Denn dem
Kläger ist in Form der Leistungen aus den Versichertenrenten nachträglich Einkommen zugeflossen, das zu einer
Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Die Rechtsfolge besteht in der prinzipiell zwingenden rückwirkenden
Aufhebung, und zwar gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X zum Beginn des Anrechnungszeitraums, also zum
01.07.1994. Das Gesetz knüpft diese Rechtsfolge an ein "soll". Dieses ist grundsätzlich als "muss" zu lesen; nur in
atypischen Fällen darf und muss die Behörde Ermessen ausüben. Im vorliegenden Fall haben sowohl die Beklagte als
auch das Sozialgericht einen atypischen Fall bezüglich derjenigen Aufhebung angenommen, die aus der Anrechnung
der Altersrente für besonders langjährig Versicherte resultieren würde. Damit haben sie das Erfordernis einer
Ermessensausübung nur für einen Teilzeitraum (ab 2002) und innerhalb dieses Teilzeitraums auch nur für einen
Teilbetrag (der Teil der Versichertenrente, der der Höhe nach der Altersrente für langjährig Versicherte entspricht)
gesehen. Begründet haben die Beklagte und das Sozialgericht die Notwendigkeit einer partiellen Ermessensausübung
damit, es sei nicht zeitnah nach der Bewilligung der Altersrente für langjährig Versicherte (März 2003) über die
Anrechnung entschieden worden.
Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Für eine Ermessensausübung der Beklagten hat kein Raum bestanden.
Angelehnt an die Entscheidung BSG SozR 4-1300 § 48 Nr. 8 (RdNr. 18) sowie an das Urteil des BSG vom 31.01.2008
- B 13 R 23/07 R vermag der Senat keinen Ansatzpunkt für einen atypischen Fall zu erkennen. Die recht geringfügige
zeitliche Verzögerung hat für den Kläger weder eine Härte (vgl. dazu die Ermessenserwägungen der Beklagten im
Widerspruchsbescheid) bedeutet noch hat sich dieser gegenüber dem Normalfall in einer signifikant schlechteren
Position befunden. Hinzu kommt, dass für die vom Sozialgericht und der Beklagten angestellten Erwägungen, die mit
dem Zeitpunkt der Aufhebung zusammenhängen, § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit seinem Verweis auf die Fristen des §
45 SGB X eine spezielle Regelung trifft, welche Verzögerung noch angemessen ist. Darüber hinaus ist den
Fristenregelungen die Wertung zu entnehmen, dass nach einer Änderung der Verhältnisse dies grundsätzlich noch
zehn Jahre nach Erlass des "unrichtig gewordenen" Verwaltungsaktes mit Rückwirkung korrigiert werden kann (vgl.
zur Zehn-Jahres-Frist im Rahmen von § 48 SGB X Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 48 RdNr. 34).
Im Vergleich dazu mutet die seit September 2002 verstrichene Zeit eher kurz an. Auch fällt ins Gewicht, dass selbst
dann, wenn im vorliegenden Fall die für die Versichertenrente zuständige Abteilung die für die Witwerrente zuständige
umgehend von der Bewilligung der Altersrente für langjährig Versicherte informiert hätte, die Jahresfrist des § 48 Abs.
4 Satz 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zum 31.03.2004 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht
abgelaufen gewesen wäre.
Dass danach im Rahmen der Aufhebungsentscheidung ein Ermessen ausgeschlossen ist, verstößt nicht gegen die
Verfassung. Vergleicht man § 45 mit § 48 SGB X, wird deutlich, dass den Betroffenen gerade bei
Dauerverwaltungsakten bezüglich Änderungen nach deren Erlass kein starker Vertrauensschutz zugebilligt wird.
Diesen ist die Veränderbarkeit quasi inhärent. Leistungsrechtliche Dauerverwaltungsakte stehen von vornherein
gleichsam unter einer Art "Vorbehalt der gleichbleibenden Verhältnisse". Die getroffene Regelung soll nicht "ein für
allemal" Bestand haben; sie erhebt nicht den Anspruch, alle möglichen in der Zukunft liegenden Änderungen
antizipieren zu wollen. Anders liegt es bei einem Dauerverwaltungsakt, der zum Zeitpunkt seines Erlasses bereits
rechtswidrig ist. Hier kann sich der Bürger grundsätzlich darauf verlassen, dass die Behörde die gegenwärtige Sach-
und Rechtslage vollständig und richtig geprüft hat. Es geht hier darum, ihn vor den Folgen einer Fehlbeurteilung der
gegenwärtigen Verhältnisse zu schützen. Bezüglich dieser gegenwärtigen Verhältnisse erscheint das Vertrauen
ungleich schützenswerter als bezüglich des Nichteintritts künftiger Veränderungen.
c) Die über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Bezug genommenen Fristen sind gewahrt. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4
Satz 2 SGB X ist jedenfalls deshalb eingehalten, weil es für den Fristanlauf auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung
(auch wenn bloße "Aktenkundigkeit" bei der zuständigen Einheit genügt) durch die zuständige Einheit ankommt (vgl.
Steinwedel in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X RdNr. 30 ). Diese hat erst nach der
Feststellung der Rente für schwerbehinderte Menschen vorgelegen, weil die für die Witwerrente zuständige Stelle erst
im Anschluss daran von der Gewährung der Versichertenrenten erfahren hat.
Bezüglich der Zehn-Jahres-Frist darf die Verweisung auf § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht dahin verstanden werden,
die Zehn-Jahres-Frist gelte nur unter den darin genannten Voraussetzungen der Nummer 1 oder 2. Die Verweisung
bedeutet lediglich, dass zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die
Vergangenheit ausgeschlossen ist (Steinwedel, a.a.O., § 45 SGB X RdNr. 77 ). Die Zehn-Jahres-Frist ist eingehalten;
diese läuft erst mit der Bekanntgabe des Rentenbescheids vom 21.08.1997 an und orientiert sich nicht am Beginn des
Leistungszeitraums im Juli 1994. Auf den ersten Blick spricht gegen diese Auffassung, dass die Zehn-Jahres-Frist im
Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht schon, wie es § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB
X wörtlich vorsieht, mit der Bekanntgabe des zu ändernden Verwaltungsaktes, sondern erst mit dem Eintritt der
wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu laufen beginnt. Der Senat lässt außer Betracht, dass die wesentliche
Änderung der Verhältnisse ihrerseits mit Rückwirkung eingetreten ist (was an sich die Frage aufwirft, ob die Zehn-
Jahres-Frist nicht erst mit dem Erlass des Bescheids vom 20.10.2003 zu laufen begonnen hat) und unterstellt, dass
maßgebender Zeitpunkt für die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der 01.07.1994 ist. Gleichwohl darf die
Zehn-Jahres-Frist nicht daran anknüpfen. Denn die Modifikation gegenüber dem Wortlaut des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB
X, dass es für den Fristanlauf im Rahmen von § 48 SGB X auf den Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der
Verhältnisse ankommt, beruht darauf, dass erst ab diesem Zeitpunkt eine Rechtswidrigkeit entstanden ist und damit
Anlass für eine Korrektur besteht. Maßgebend ist also sowohl bei § 45 als auch bei § 48 SGB X der Zeitpunkt, zu
dem die Rechtswidrigkeit "ins Werk gesetzt" worden ist. Das kann aber frühestens mit dem ersten
Bewilligungsbescheid geschehen. Somit muss im vorliegenden Fall die Zehn-Jahres-Frist frühestens an die
Bekanntgabe des Witwenrentenbescheids vom 21.08.1997 anknüpfen; dass die Witwerrente ihrerseits rückwirkend
zum 01.09.1992 bewilligt worden ist, ändert daran nichts. Damit kann unerörtert bleiben, ob nicht sogar ein Fall des §
45 Abs. 3 Satz 4 SGB X vorliegt, bei dem die Zehn-Jahres-Frist aufgehoben ist.
d) Die verfassungsrechtlichen Einwendungen des Klägers werden nicht geteilt. Zwar sind Kindererziehungszeiten in
der Tat verfassungsrechtlich verstrickt. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 87, 1 zum Ausdruck
gebracht, dass aus der allgemeinen Pflicht des Staates, die Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern, sich
aufgrund der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers keine konkreten Ansprüche auf bestimmte Leistungen herleiten
lassen. Für den vorliegenden Fall zeigt dies, dass Art. 6 Abs. 1 GG - Gleiches gilt für Absatz 2 - nicht überspannt
werden darf.
Allerdings verweist der Kläger auf eine spezielle Konstellation. Er sieht es als Verstoß gegen Art. 6 GG an, dass
seine ausschließlich auf Kindererziehungszeiten beruhende Witwerrente gekürzt wird. Dieser Umstand ist nicht
relevant. Die Kürzung der auf Kindererziehungszeiten beruhenden Witwerrente ist von vornherein nicht geeignet,
irgendein Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 oder 2 GG zu berühren. Denn eine wie auch immer zu konstruierende
familienbeeinträchtigende Wirkung besteht nicht. Dass der Kläger nach dem Tod seiner Ehefrau, welche die
Kindererziehungszeiten auf Grund ihrer Erziehungsleistung erworben hat, nun die Anrechnung von anderweitigem
Einkommen auf die aus Kindererziehungszeiten "gebildete" Rente hinnehmen muss, kann sich auf die Familie -
insbesondere die Entscheidung zu deren Gründung - in keiner Weise auswirken; eine wie auch immer geartete
diesbezüglich abschreckende Wirkung ist nicht denkbar. Auch das Elternrecht des Abs. 2 ist in keiner Weise berührt.
Hinzu kommt, dass eine mittelbare Entwertung der Erziehungszeiten nur die Erziehungsperson selbst beträfe. Die
Versicherte ist aber schon lange tot. Der Kläger selbst hat keine Kinder erzogen, sondern ist nur höchst mittelbarer
Nutznießer der Kindererziehung durch seine Frau. Genau aus diesem Grund könnte sich der Kläger auch nicht auf Art.
3 Abs. 2 GG berufen - die durch die Kindererziehung potentiell Benachteiligte ist die Frau, nicht der Mann.
Eine - auch nur mittelbare - Benachteiligung gegenüber Ehepaaren ohne Kinder oder Singles vermag der Senat nicht
zu erkennen: Jeder, der eine Hinterbliebenenrente bezieht, muss Abschläge auf diese hinnehmen, wenn anderes
Einkommen hinzutritt. Es macht keinen Unterschied, ob die Hinterbliebenenrente auf tatsächlicher Beschäftigung oder
auf Kindererziehung beruht.
2. Auch die Erstattungsanordnung ist rechtens. Rechtsgrundlage dafür ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dessen
tatbestandliche Voraussetzungen sind erfüllt. Ein Ermessen steht der Behörde nicht zu.
B. Bescheid vom 01.02.2005
Der Bescheid vom 01.02.2005 ist ebenfalls rechtmäßig. Auch er beinhaltet einerseits die Aufhebung der bisherigen
Leistungsbewilligung, andererseits eine Erstattungsanordnung. Die formelle Rechtmäßigkeit ist zu bejahen; insoweit
wird auf die entsprechenden Ausführungen zum Bescheid vom 31.03.2004 verwiesen.
1. Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der bis dato wirksamen Witwenrentenbewilligung ist § 45 SGB X.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat
(begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den
Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit
zurückgenommen werden (Abs. 1). Die Rücknehmbarkeit für die Vergangenheit wird allerdings durch Abs. 4 Satz 1
SGB X erheblich eingeschränkt. Nach Abs. 2 Satz 1 darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht
zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein
Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann
sich gemäß Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
a) Der Bescheid vom 01.02.2005 hat mit hinreichender Bestimmtheit zum Ausdruck gebracht, dass und inwieweit die
bis dahin bestehende Leistungsbewilligung zurückgenommen werden sollte. Diesbezüglich gilt die zur Bestimmtheit
des Bescheids vom 31.03.2004 gegebene Begründung entsprechend.
b) Die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X liegen vor. Die getroffene Regelung hat eine
Rechtsposition des Klägers verschlechtert und ist daher als Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes
einzustufen. Zudem handelt es sich um die Teilaufhebung einer im Sinn von § 45 Abs. 1 SGB X rechtswidrigen
Regelung. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 01.02.2005 hat der aktuelle Regelungsstand auf dem
Bescheid vom 31.03.2004 und nicht mehr auf den Rentenbescheiden aus 1997 und 1998 beruht. Dieser ist damit
Anknüpfungspunkt der Modifikation gewesen. Die Beklagte hat, nachdem der Kläger im Lauf etwa eines Jahres drei
verschiedene Versichertenrenten zugesprochen erhalten hatte, mit dem Bescheid vom 31.03.2004 die Anrechnung
aller Versichertenrenten regeln wollen. Die darin getroffene Regelung beansprucht für sich, umfassend zu sein, und
hat keinen weiteren Regelungsbedarf mehr zurückgelassen. Aufgrund dessen hat die Beklagte mit dem Bescheid vom
31.03.2004 implizit - jedoch zu Unrecht - mitentschieden, dass über die ausgesprochene Aufhebung und
Rückforderung hinaus keine weitere erfolge. Die Nichtberücksichtigung der Altersrente für schwerbehinderte
Menschen ab Juli 2001 hat den Bescheid vom 31.03.2004 partiell rechtswidrig gemacht. Gerade das hat die Beklagte
mit dem Bescheid vom 01.02.2005 korrigiert. Für eine Anwendung von § 48 SGB X bleibt daher kein Raum.
Vertrauensschutz für den Kläger ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen. Diesem ist zumindest in
Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, dass der Bescheid vom 31.03.2004 rechtwidrig ist. Auch bei dem
anzulegenden subjektiven Sorgfaltsmaßstab (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 45 RdNr. 52
mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des BSG) hätte dem Kläger deutlich werden müssen, dass etwas
nicht in Ordnung sein kann. Dahin stehen kann, ob, wie die Beklagte und das Sozialgericht meinen, dabei auf den
Verständnishorizont des Prozessbevollmächtigten des Klägers abzustellen ist. Auch wenn man auf den
Verständnishorizont des Klägers selbst rekurriert, so muss sich dieser zurechnen lassen, dass er, nachdem der
Bescheid vom 31.03.2004 ergangen war, seinen Prozessbevollmächtigten mandatiert hat. Dieser hat den Bescheid
geprüft und dagegen Widerspruch eingelegt. Unter diesen Umständen muss bei einem Rentenberater davon
ausgegangen werden, dass dieser den Fehler von Anfang an erkannt hat. Auch wenn man unterstellt, der Kläger
müsste sich dessen Wissen nicht rechtlich unmittelbar zurechnen lassen, so käme es doch zu einer Zurechnung "auf
dem Umweg": Es wäre realitätsfremd anzunehmen, der Kläger hätte sich in der Folgezeit mit seinem Vertreter
überhaupt nicht über die Rechtslage ausgetauscht. So spricht außerordentlich viel dafür, dass auch der Kläger selbst
die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit erworben hat. Wenn der Prozessbevollmächtigte den Kläger jedoch tatsächlich
nicht informiert haben sollte - was der Senat für lebensfremd hält -, so müsste sich der Kläger jedenfalls diese
gröblichste Sorgfaltspflichtverletzung seines Vertreters zurechnen lassen. Aber auch auf diesen Zurechnungsstrang
kommt es letztlich nicht an. Denn auch ohne jede Unterstützung durch seinen Vertreter hätte der Kläger unbedingt
erkennen müssen, dass der Bescheid vom 31.03.2004 von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Denn
für den Kläger ins Auge fallend hat Anlage 8 des Bescheids vom 31.03.2004 für die Zeit ab Juli 2001 falsche, nämlich
viel zu niedrige Versichertenrentenbeträge ausgewiesen. Zumindest das hätte dem Kläger auf den ersten Blick und
ohne intellektuelle Anstrengung auffallen und ihn zu einer Rückfrage bei der Beklagten drängen müssen.
Dass somit ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorliegt, führt dazu, dass gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X
auch die Rücknahme für die Vergangenheit zulässig ist.
Die Beklagte hat ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Der Umstand, dass ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X
gegeben ist, bewirkt nicht automatisch, dass kein Ermessen besteht. Nach herrschender Meinung, der sich der Senat
anschließt, ordnet § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht eine gebundene Entscheidung an (vgl. Schütze, a.a.O., § 45
RdNr. 50 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann dahin stehen, ob aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls eine
Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (vgl. BSG SozR 3-1500 § 50 Nr. 16, S. 42 ff.). Dafür spricht, dass einerseits
schon im Rahmen der auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützten Aufhebung vom 31.03.2004 kein Ermessen
bestanden hat, und dass andererseits davon auszugehen ist, dass der Kläger sich über den Irrtum im Bescheid vom
31.03.2004 zu seinen Gunsten wohl im Klaren war (vgl. dazu die eben gemachten Ausführungen zur "Bösgläubigkeit"
des Klägers); die Ungeschicklichkeit der Beklagten, im Rahmen des Bescheids vom 31.03.2004 zum Teil falsche
Zahlen heranzuziehen, erscheint im Vergleich dazu nicht wirklich geeignet, eine Ermessensausübung für angezeigt zu
erachten.
Jedenfalls hat die Beklagte eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung nachträglich getroffen. Zwar enthält der
Bescheid vom 01.02.2005 keinerlei Ermessenserwägungen, so dass von einem Ermessensnichtgebrauch
auszugehen ist (vgl. dazu näher BSG, Urteil vom 30.10.1997 - 4 RA 71/96, RdNr. 23 ff.). Diese hat die Beklagte
jedoch im Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 nachgeholt. Dabei hat sie einerseits ihr eigenes Verschulden,
andererseits das größere des Klägers sowie den Umstand berücksichtigt, dass dieser wegen der Nachzahlungen voll
abgesichert sei. Das ist im Rahmen der beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit nicht zu beanstanden. Den
Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit steht eine Prüfungskompetenz nur im Hinblick auf Ermessensfehler zu. Dagegen
haben die Gerichte nicht zu fragen, ob die Entscheidung der Behörde die gerechteste oder zweckmäßigste ist, oder
sind gar befugt, ihr eigenes an die Stelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Der mithin bestehende
Prüfungsrahmen ist im vorliegenden Fall nicht verletzt.
c) Die Beklagte hat auch die gesetzlichen Ausschlussfristen eingehalten. Weil ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3
SGB X vorliegt, findet zumindest die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X Anwendung. Diese ist bei
einem Fristbeginn mit der Bekanntgabe des Rentenbescheids vom 21.08.1997 auf jeden Fall eingehalten. Es bedarf
damit keiner Erörterung, ob gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X im vorliegenden Fall sogar nach Ablauf der Zehn-
Jahres-Frist die Bewilligung zurückgenommen werden könnte. Da der Senat ohnehin auf den frühest möglichen
Fristanlauf im August 1997 abstellt, kommt es auch nicht darauf an, ob der Bescheid vom 31.03.2004 eine
"konstitutive Fehlerwiederholung" aufweist (vgl. dazu Steinwedel, a.a.O., § 45 SGB X RdNr. 35), die nicht im Stande
wäre, eine neue Frist zu eröffnen.
Auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt. Für den Fristanlauf darf nach Ansicht des Senats
nicht an den Zeitpunkt der Erkenntnis angeknüpft werden, dass der Bescheid vom 31.03.2004 rechtswidrig und
rücknehmbar gewesen ist. Vielmehr ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem eine hinreichende Erkenntnis bestanden
hat, dass die ursprüngliche Witwerrentenbewilligung durch Zufluss von Versichertenrentenleistung nachträglich
rechtswidrig und damit aufhebbar geworden war. Denn bereits damals haben bei der Beklagten alle notwendigen
Informationen vorgelegen, um den Regelungsstatus herzustellen, der letztendlich erst durch den Bescheid vom
01.02.2005 erreicht worden ist. Auch hinsichtlich der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erscheint eine
"konstitutive Fehlerwiederholung" nicht geeignet, eine neue Jahresfrist auszulösen (in diesem Sinn wohl auch BSG
SozR § 45 Nr. 45, S. 142). Das gilt jedenfalls dann, wenn gerade der im ersten Aufhebungsbescheid enthaltene
(wiederholte) Fehler bereits mit diesem ausgemerzt werden sollte und dies nicht gelungen ist; das ist hier der Fall.
Gleichwohl ist die Jahresfrist eingehalten. Denn erst am 18.03.2004 hat die für die Witwerrentengewährung zuständige
Stelle überhaupt von der Bewilligung einer Versichertenrente Kenntnis erhalten.
Daher erübrigt es sich, die Frage zu beantworten, ob nicht die Phase seit Erlass des Bescheides vom 31.03.2004 bis
zur Erkenntnis, dass dieser seinerseits rechtswidrig gewesen ist, bei der Anrechnung auf die Frist unberücksichtigt zu
bleiben hat. Dafür spricht, dass die Jahresfrist eine Entscheidungsfrist verkörpert, für deren Anlauf nach zutreffender
Meinung auch die Erkenntnis bzw. das Bewusstsein von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erforderlich ist.
Während des genannten Zeitraums ist die Beklagte jedoch davon ausgegangen, es bestehe gerade kein
Handlungsbedarf, weil - so ihr Irrtum - die nachträglich eingetretene Rechtswidrigkeit mit dem Bescheid vom
31.03.2004 vollständig beseitigt worden sei.
Es schadet nicht, dass nur der Rücknahmebescheid vom 01.02.2005, der keine Ermessungserwägungen enthalten
hat, innerhalb der Jahresfrist erlassen worden ist, während der Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005, der diese
nachgeholt hat, außerhalb derselben liegt. Denn bereits der Bescheid vom 01.02.2005 wirkt trotz seiner Mängel
fristwahrend. Zweifel daran könnten aufkommen, weil nach herrschender Ansicht im Rahmen des so genannten
Nachschiebens von Gründen in gerichtlichen Verfahren ein im behördlichen Ermessen stehender Verwaltungsakt von
einem gebundenen wesensverschieden sei. Daran hat auch die Einführung von Satz 2 in § 114 der
Verwaltungsgerichtsordnung nichts geändert (vgl. nur BVerwG DVBl 2007, S. 260). Diese Betrachtungsweise hat zur
Folge, dass das Nachschieben bislang nicht berücksichtigter Ermessenserwägungen im Gerichtsprozess als
Klageänderung zu betrachten ist.
Dabei handelt es sich indes um ein prozessuales Spezifikum, das keine Rückschlüsse für die vorliegende
Problemlage zulässt. Aus ihm ergibt sich keineswegs denknotwendig, dass der ermessensfehlerhafte Verwaltungsakt
vom 01.02.2005 im Rahmen der hier vorliegenden Fristenproblematik zu ignorieren wäre. Das Gegenteil ist der Fall:
Zwar ist der Bescheid vom 01.02.2005 durch den Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 materiell-rechtlich geheilt
worden, gleichwohl hat er den rechtlichen Status des Klägers bereits mit seiner Bekanntgabe gestaltet (vgl. § 39 Abs.
1 SGB X); die Rücknahme war wirksam, wenn auch (zunächst) gerichtlich aufhebbar verfügt. Denn der Bescheid ist
nicht gemäß § 40 SGB X nichtig gewesen mit der Folge, dass erst die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids eine
Rechtsgestaltung bewirkt hätte. Seine Wirksamkeit hat trotz der Rechtswidrigkeit fortbestanden (vgl. § 39 Abs. 2 SGB
X); insbesondere hat der Erlass des heilenden Widerspruchsbescheids nicht dazu geführt, dass der
Ausgangsbescheid für eine "juristische Sekunde" quasi aufgehoben gewesen ist.
Es existiert kein Rechtsgrundsatz, dass nur in allen Facetten rechtmäßige Verwaltungsakte geeignet sind, für die
Behörden bestehende Ausschlussfristen zu wahren. Zwar ist für den Fall, dass ein erster Aufhebungsbescheid
aufgehoben wird, anerkannt, dass der an dessen Stelle tretende Bescheid innerhalb derselben Einjahresfrist ergehen
müsse, um rechtzeitig zu sein (BSG SozR § 45 Nr. 45 S. 142 f.); das BSG geht von dem Grundsatz aus, ein wegen
Rechtswidrigkeit aufgehobener Verwaltungsakt dürfe auch mittelbar keine nachteiligen Folgen haben. Im vorliegenden
Fall ist der Frist wahrende Bescheid vom 01.02.2005 jedoch nicht aufgehoben worden, er hat lediglich durch den
Widerspruchsbescheid seine endgültige Fassung erhalten.
2. Die Erstattungsanordnung ist wiederum rechtens. Diesbezüglich gilt die zum Bescheid vom 31.03.2004 gegebene
Begründung entsprechend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und berücksichtigt, dass der Kläger
auch vor dem Bayerischen Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Kläger
sieht zu Unrecht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin, dass mit der Anrechnung
Kindererziehungszeiten, welche die Versicherte zurückgelegt habe, entwertet würden; das verstößt nach seiner
Ansicht gegen Art. 6 GG. Dieser Argumentation kann, wie oben gezeigt, bereits im Ansatz nicht gefolgt werden.