Urteil des LSG Bayern vom 07.09.2006

LSG Bayern: wiedereinsetzung in den vorigen stand, in verkehr bringen, die post, verschulden, berufungsfrist, klagefrist, berufungsschrift, absendung, heimat, rechtsmittelbelehrung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 12 R 309/04 A
Bayerisches Landessozialgericht L 14 R 262/06
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juli 2005 wird als unzulässig verworfen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1947 geborene und in Bosnien-Herzegowina lebende Kläger war in Deutschland zwischen 1970 und 1983
versicherungspflichtig beschäftigt (150 Kalendermonate). In seiner Heimat hat er bis 1991 und erneut von Mai 1999
bis Mai 2000 weitere Versicherungszeiten zurückgelegt (insgesamt 10 Jahre, 2 Monate, 16 Tage). Seitdem bezieht er
dort eine Rente.
Seinen am 31.07.2000 bei der Beklagten gestellten Rentenantrag lehnte diese mit Bescheid vom 25.07.2001 unter
Bezugnahme auf § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab mit der Begründung, für einen im Zeitpunkt der
Antragstellung eingetretenen Leistungsfall der Erwerbsminderung fehle es an den besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Der Kläger habe nicht im maßgeblichen Zeitraum vom 31.07.1995 bis
30.07.2000 mindestens 36 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen, bei Berücksichtigung der Versicherungszeiten in
seiner Heimat seien lediglich 13 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen nachgewiesen; auch sei nicht alternativ eine
lückenlose Belegung des Versicherungsverlaufs ab 01.01.1984 bis zum Monat vor Eintritt des Leistungsfalles mit
rentenrechtlich relevanten Zeiten belegt.
Der am 16.10.2001 fristgerecht eingegangene Widerspruch des Klägers wurde nach einer Untersuchung in der
Gutachterstelle der Beklagten in Regensburg am 17.11.2003 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger sei nicht
teilweise oder voll erwerbsgemindert im Sinne von §§ 43 Abs.1 und 2, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
VI), da er noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten ohne häufiges Bücken, einseitige Körperhaltungen
und ohne Zeitdruck verrichten könne. (Widerspruchsbescheid vom 12.12.2003, abgesandt per einfachem Brief am
12.12.2003). Das Zugangsdatum ist nicht bekannt.
Mit einem am 22.03.2004 eingegangenen Schreiben seines Bevollmächtigten vom 10.03.2004 erhob der Kläger Klage
zum Sozialgericht (SG). Er berief sich auf Rückfragen des SG zur Einhaltung der Klagefrist darauf, die Klage
rechtzeitig innerhalb der Frist durch Einlieferung zur Post am 10.03.2004 erhoben zu haben, und legte den
Einlieferungsbeleg bei. Er beantragte, für den Fall, dass dies nicht ausreiche, die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.
Das SG ließ die Frage der fristgemäßen Klageerhebung dahingestellt und wies die Klage mit Urteil vom 26.07.2005
als unbegründet ab. Ein Rentenanspruch nach §§ 43 und 44 SGB VI a.F. i.V.m. 300 Abs.2 SGB VI sowie Art.25
Abs.1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens bestehe nur dann, wenn Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.02.1994 vorliege. Dies sei nicht anzunehmen, da der
Kläger noch 1999/2000 versicherungspflichtig tätig gewesen sei und auch die Ärzte der Invalidenkommission in
Sarajevo erst für die Zeit ab der dortigen Untersuchung (08.05.2000) quantitative Einschränkungen des
Leistungsvermögens hätten feststellen können. Das Urteil wurde dem Kläger am 15.12.2005 zugestellt.
Mit der am 23.03.2006 beim SG eingegangenen Berufung (Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 13.03.2006,
abgesandt am 15.03.2006) macht der Kläger geltend, sein Anspruch auf Rente sei ausreichend dargetan, er sei bereit,
weitere Nachweise dazu vorzulegen.
Der Senat hat mit Schreiben vom 26.05.2006 auf die am 15.03.2006 abgelaufene Berufungsfrist und auf die
Notwendigkeit der Glaubhaftmachung von Tatsachen bezüglich einer unverschuldeten Verhinderung der rechtzeitigen
Berufungseinlegung hingewiesen. Mit weiterem Schreiben vom 13.06.2006 hat er den Kläger - nach Eingang der
Beklagtenakten und Überprüfung des bisherigen Verfahrensverlaufs - darauf hingewiesen, dass das angefochtene
Urteil in der Sache nicht zu beanstanden sei und die Berufung auch aus diesem Grund keine Aussicht auf Erfolg
habe.
Der Kläger hat dazu mitgeteilt, der geltend gemachte Rentenanspruch sei nach seiner Auffassung begründet; die
Berufung sei auch innerhalb der bis 15.03.2006 laufenden Berufungsfrist erhoben worden, nämlich am 15.03.2006
abgesandt, wie sich aus dem Poststempel ergebe; auf den Zugang des Schriftstückes könne es nicht entscheidend
ankommen, denn als Kläger habe er keinen Einfluss auf die Postbeförderungszeiten. Er beruft sich dazu pauschal auf
Vorschriften der "Europäischen Konvention" und der bosnisch-herzegowinschen Konföderation.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 26.07.2005 sowie
des Bescheides vom 25.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2003 zu verpflichten, ihm
eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die
beigezogene Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und formgerecht eingelegte Berufung ist verspätet
eingegangen und daher unzulässig.
Gemäß § 151 Abs.1 i.V.m. 153 Abs.1, 87 Abs.2 Satz 1 SGG ist die Berufung innerhalb von drei Monaten nach
Zustellung des angefochtenen Urteils einzulegen, d.h. sie muss innerhalb dieser Frist zur Niederschrift gegeben oder
bei Gericht eingegangen sein. Darüber wurde der Kläger im angefochtenen Urteil ausdrücklich belehrt. In der
beigefügten Rechtsmittelbelehrung heißt es insoweit, dass die Berufung innerhalb eines Monats (bei Zustellung
außerhalb des Geltungsbereiches des SGG: drei Monate) nach Zustellung des Urteils beim Bayer.
Landessozialgericht einzulegen ist, ferner, dass die Berufungsfrist auch gewahrt ist, wenn die Berufung innerhalb der
Frist beim Sozialgericht schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.
Da die Zustellung des Urteils laut Rückschein am 15.12.2005 erfolgte, begann die Frist für die Einlegung der Berufung
am 16.12.2005 und endete mit Ablauf des 15.03.2006. Tatsächlich ging die Berufung jedoch erst am 23.03.2006 beim
Sozialgericht Landshut ein.
Ausreichende Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs.1 SGG hat der Kläger nicht
vorgetragen. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand
ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger
ohne Verschulden verhindert war, die hier maßgebliche Frist einzuhalten. Seine Auffassung, es müsse allein auf die
rechtzeitige Absendung der Berufungsschrift innerhalb der Frist ankommen, ist unzutreffend. Erforderlich ist vielmehr,
dass das Schriftstück ordnungsgemäß adressiert und frankiert so rechtzeitig zur Post gegeben wird, dass es nach
den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger
fristgerecht erreicht hätte (BVerfG NJW 1995, 1210). Insoweit kann ein Beteiligter die vorgegebene Frist bis zu ihrem
Ende ausschöpfen, jedoch erhöht sich kurz vor Fristablauf die diesbezügliche Sorgfaltspflicht. Es trifft zwar zu, dass
Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post dem Absender nicht als Verschulden angerechnet werden können.
Dies betrifft jedoch allein über den regelmäßigen Betriebsablauf hinaus verlängerte Postlaufzeiten (Meyer- Ladewig,
SGG, § 67 Anm.6 ff.).
Vorliegend kann von einem rechtzeitigen in-Verkehr-Bringen der Berufungsschrift des Klägers und auch von einer
verzögerten Postzustellung keine Rede sein. Laut Poststempel wurde das vom 13.03.2006 datierte
Berufungsschreiben des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten am 15.03.2006, also am letzten Tag der
dreimonatigen Frist, zur Post gegeben und damit zu spät für die Einhaltung der am 15.03.2006 ablaufenden
Berufungsfrist bei normalen Postlaufzeiten. Diese betragen zwischen Bosnien-Herzegowina und Deutschland - wie
auch dem Kläger und seinem Bevollmächtigten nach längerem Schriftverkehr mit deutschen Behörden und Gerichten
bekannt sein müsste - deutlich mehr als zwei Tage (regelmäßig mindestens fünf bis sieben Tage oder mehr). Ein
Rechtsirrtum des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten, dessen Verschulden ihm zuzurechnen ist, über den Ablauf
der Berufungsfrist kann eine Wiedereinsetzung nicht begründen. Ein solcher Irrtum war vermeidbar, er schließt
Verschulden an der Fristversäumnis nicht aus: ein Kläger muss sich an die Angaben in der Rechtsmittelbelehrung
halten und sich ggf. sachkundig beraten lassen, ein Bevollmächtigter muss das Verfahrensrecht (hier das deutsche)
kennen und im Zweifel den sichersten Weg wählen (BGH NJW-RR 00, 1665; Meyer-Ladewig, SGG, § 67 Anm.8a).
Mangelndes Verschulden des Klägers folgt vorliegend auch nicht daraus, dass dieser sich bereits im Klageverfahren
auf eine rechtzeitige Absendung der Klageschrift innerhalb der Klagefrist berief, wozu das Erstgericht nicht Stellung
nahm. Das SG hat im angefochtenen Urteil die Frage der fristgerechten Klageerhebung offen gelassen und sich zu
einer Wiedereinsetzung nicht geäußert, sondern in der Sache entschieden. Dies war fehlerhaft. Fragen der
Zulässigkeit des Klageverfahrens dürfen nicht dahingestellt bleiben, eine Entscheidung zur Sache setzt die
Zulässigkeit der Klage voraus. Der Kläger kann sich auf Grund dieser fehlerhaften Handhabung aber vorliegend nicht
auf einen "guten Glauben" im Berufungsverfahren berufen und hat dies im Übrigen auch nicht vorgebracht. Abgesehen
davon, dass das Erstgericht sich überhaupt nicht geäußert hat, lag der Sachverhalt im Klageverfahren anders als im
Berufungsverfahren: der am 12.12.2005 abgesandte Widerspruchsbescheid war nach den üblichen Postlaufzeiten
frühestens fünf bis sieben Tage später zugegangen, die Klagefrist endete damit keinesfalls vor dem 17.03.2005, eher
noch einige Tage später. Die nach eigenem Bekunden des Klägers am 10.03.2005 abgesandte Klageschrift konnte
damit durchaus rechtzeitig innerhalb der dreimonatigen Klagefrist bei Gericht eingegangen sein, mit der Folge, dass
die Klage zulässig war. Dagegen hat der Kläger die Berufungsschrift am letzten Tage der Frist, dem 15.03.2006,
abgesandt, womit in jedem Fall die Einhaltung der Berufungsfrist ausgeschlossen war.
Bei dieser Sachlage war die verfristete Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.