Urteil des LSG Bayern vom 16.10.2006
LSG Bayern: hauptsache, erlass, deckung, prozessstandschaft, obsiegen, zivilprozessordnung, form, rechtsgrundlage, wohnung
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 16.10.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 7 AS 100/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 364/06 AS ER
I. Die Beschwerde gegen Nrn. I. und III. des Beschlusses des Sozialgerichts Würzburg vom 28.03.2006 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 01.02.2006 bis 31.05.2006.
Die Antragsgegnerin (Ag) bewilligte der Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers (ASt) Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes im hier streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 1.190,00 EUR monatlich, sowie für Juni
1.077,78 EUR und für Juli 2006 853,34 EUR. Den Widerspruch des ASt wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom
09.02.2006 zurück. Hiergegen hat der ASt Klage erhoben.
Am 13.03.2006 beantragte er zudem beim Sozialgericht Würzburg (SG), die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung
unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2006 zu verpflichten,
wie im früheren Bescheid vom 29.07.2005 und in dem Änderungsbescheid vom 27.11.2005 bereits bewilligt, für die
Zeit vom 01.02.2006 bis 31.05.2006 monatlich Leistungen in Höhe von 2.044,50 EUR zu bewilligen.
Das SG lehnte den Antrag ab und versagte dem ASt zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes.
Gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat der ASt hier Beschwerde zum Bayer.
Landessozialgericht erhoben, mit der er monatliche Leistungen in Höhe von 2.044,50 EUR für den Zeitraum vom
01.02.2006 bis 31.05.2006 weiterhin begehrt. Es sei nicht möglich gewesen, eine andere Wohnung zu finden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die
vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat
ihr nicht abgeholfen.
Die Bescherde ist jedoch unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003,
1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein
Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm
§ 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927,
NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache
erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die
Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist
ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu
entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Vorliegend fehlt es dem ASt bereits an einem Anordnungsgrund, denn streitig sind allein Leistungen für den Zeitraum
vom 01.02.2006 bis 31.05.2006, also für einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum. Eine Entscheidung für einen
vergangenen Zeitraum ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht eilbedürftig, denn sie dient
nicht der Deckung des gegenwärtigen Bedarfs. Dem ASt ist es deshalb zuzumuten, für den hier
streitgegenständlichen Zeitraum sein Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Anderes
hat er selbst auch nicht dargetan.
Der Senat weist zudem darauf hin, dass im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein der ASt
Leistungen begehrt, er deshalb nur Leistungen an sich - und eben nicht an die anderen Mitglieder seiner
Bedarfsgemeinschaft - geltend machen kann. Der ASt kann die anderen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft zwar
vertreten, er hat vorliegend aber weder eine gesetzliche noch eine gewillkürte Prozessstandschaft inne.
Seine Beschwerde hat mithin insgesamt keinen Erfolg, wobei der Senat die Kosentragungsregelung in Nr.III des
angefochtenen Beschlusses des SG dahin versteht, dass der ASt seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen
hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).