Urteil des LSG Bayern vom 08.05.2001
LSG Bayern: grobe fahrlässigkeit, firma, arbeitslosigkeit, merkblatt, anspruchsvoraussetzung, rückforderung, unterlassen, rechtspflicht, unterbrechung, datum
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.05.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 8 AL 536/98
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 166/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21. April 1999 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit einer Arbeitslosenhilfe (Alhi)-Bewilligung an den Kläger in der
Zeit vom 01.03.1996 bis 04.06.1996 und die Rückforderung von Alhi in Höhe von 3.722,80 DM sowie von Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 890,62 DM.
Der am ...1968 geborene Kläger ist slowenischer Staatsangehöriger. Auf seinen Antrag vom 07.07.1995, in dem er
versichert hatte, das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis
genommen zu haben, gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.08.1995 ab dem 02.08.1995 Alhi.
Durch eine Mitteilung ihres Zentralamtes erfuhr die Beklagte am 02.08.1996, dass der Kläger vom 01.03. bis
31.03.1996 bei der Firma B ... GmbH, Glaserei, N ..., versicherungspflichtig beschäftigt war und ein
Bruttoarbeitsentgelt von 3.774,86 DM auf der Grundlage von 21 Arbeitstagen und 173 Arbeitsstunden bezogen hatte.
Im Rahmen der Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 08.08.1996 gab dieser ua an, dass er erst im Juli 1996 die
Arbeitsbescheinigung der Firma B ... GmbH erhalten und dies der Dienststelle Erlangen der Beklagten umgehend
übermittelt habe.
Nach den Beratungsvermerken der Beklagten hatte der Kläger anlässlich eines Beratungsgespräches am 21.03.1996
einen Nebenverdienst angegeben. Dabei war ihm eine entsprechende Bescheinigung ausgehändigt worden war. Erst
am 05.06.1996 sprach der Kläger wieder bei der Beklagten vor.
Mit Bescheid vom 03.07.1997 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi an den Kläger vom 01.03.1996 bis
04.06.1996 auf und forderte ihn zur Erstattung von 3.722,80 DM sowie von Beiträgen zur Kranken- und
Pflegeversicherung in Höhe von 890,62 DM auf. Der Kläger sei seiner Verpflichtung zur Mitteilung der
Arbeitsaufnahme bei der B ... GmbH nicht nachgekommen und habe sich nach Ende dieser Beschäftigung am
31.03.1996 erst wieder am 05.06.1996 bei der Beklagten gemeldet.
Der hiergegen am 15.07.1997 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 04.06.1998).
Dagegen hat der Kläger am 12.06.1998 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.04.1999 abgewiesen. Der Kläger habe unter grob fahrlässiger Verletzung
seiner gesetzlichen Mitwirkungspflichten der Beklagten weder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung bei der B ... GmbH zum 01.03.1996 noch deren Beendigung zum 31.03.1996 angezeigt. Nach Ende der
Beschäftigung hätte sich der Kläger nicht erneut bei der Beklagten arbeitslos gemeldet, obwohl er im Merkblatt für
Arbeitslose (Stand April 1995) auf S 29 Nr 2 ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, dass sich die
vorausgegangene Arbeitslosmeldung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) durch die
Arbeitsaufnahme erledigt habe. Auf Grund dieser eindeutigen Hinweise in den Merkblättern sei auch für ausländische
Arbeitslose dieses Handlungsgebot nachvollziehbar gewesen, zumal keine Hinweise für eine intellektuelle
Überforderung des Klägers vorlägen.
Gegen das ihm am 07.05.1999 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 01.06.1999 beim
Bayer.Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.
Er trägt vor, ursprünglich sei mit ihm ab 01.03.1996 eine kurzzeitige (Neben)Beschäftigung vereinbart worden, die sich
über mehr als einen Monat erstrecken sollte. Der Arbeitgeber habe ihn dann aber früher als vereinbart wieder
ausgestellt und die geleisteten Arbeitsstunden für den Monat März 1996 bestätigt statt für mehrere Monate. In
Unkenntnis dieser Verfahrensweise habe er, der Kläger, bei der Beklagten auch nur die Aufnahme einer Nebentätigkeit
angezeigt, sich aber danach im Zeitraum vom 22.03.1996 bis 04.06.1996 mehrmals bei der Beklagten arbeitslos
gemeldet. Wahrscheinlich habe der Sachbearbeiter vergessen, diese Vorsprachen zu vermerken. Sein Bruder und
seine Ehefrau hätten ihn zur Dienststelle Erlangen der Beklagten begleitet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 21.04.1999 aufzuheben und von der Rückforderung der Alhi sowie der Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.04.1996 bis 04.06.1996 abzusehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 21.04.1999 als unbegründet zurückzuweisen.
Das Vorbringen des Klägers, er habe sich im Zeitraum vom 22.03.1996 bis 04.06.1996 mehrmals bei der Beklagten
arbeitslos gemeldet, sei unglaubwürdig. Es lägen keine entsprechenden Vermerke in den Verwaltungsakten vor.
Darüberhinaus werde bei einer Arbeitslosmeldung nach einer Zwischenbeschäftigung auch ein
Wiederbewilligungsantrag an den Arbeitslosen ausgehändigt. Einen solchen Antrag habe der Kläger aber nie
zurückgereicht.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2001 konnten weder der Kläger noch seine Ehefrau Angaben dazu machen,
an welchem Tag sie die Dienststelle Erlangen der Beklagten im fraglichen Zeitraum aufgesucht hatten.
Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und des SG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) ist auch im Übrigen
zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als unbegründet, denn das SG hat im angefochtenen Urteil vom 21.04.1999 zu
Recht die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 03.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 04.06.1998 zurückgewiesen, weil der Kläger im Zeitraum vom 01.04.1996 bis 04.06.1996 keinen Anspruch auf
Alhi hat.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
- wie dem Alhi-Bewilligungsbescheid vom 17.08.1995 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der
Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer
durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der
Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 2
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch = SGB X iVm § 152 Abs 3 des Arbeitsförderungsgesetzes [AFG]).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hätte der Beklagten die Arbeitsaufnahme bei der Firma B ... GmbH
am 01.03.1996 gem § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) mitteilen müssen, sobald für
ihn erkennbar wurde, dass der Umfang seines Arbeitseinsatzes den ursprünglichen Vereinbarungen mit dem
Arbeitgeber nicht entsprach. Er war im Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme von seinem Inhalt
der Kläger beim Alhi-Antrag vom 07.05.1995 unterschriftlich bestätigt hatte, auf S 20 Nr 2 ausdrücklich über seine
Pflichten belehrt worden. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, stellen diese Hinweise ein auch für ausländische
Arbeitslose nachvollziehbares und konkretes Handlungsgebot dar, zumal der Kläger durch sein Auftreten vor dem
Senat gezeigt hat, dass er in Deutschland voll integriert ist und die deutsche Sprache bestens beherrscht. Er kann
sich nicht darauf berufen, dass ihm der Arbeitgeber eine den Tatsachen nicht entsprechende Arbeitsbescheinigung
habe ausstellen wollen. Maßgeblich war allein der volle Arbeitseinsatz von ca 40 Stunden pro Woche bereits ab
01.03.1996. Den Inhalt des übergebenen Merkblattes nicht zur Kenntnis zu nehmen, stellt eine grobe Fahrlässigkeit
dar (vgl Schroeder-Printzen-Wiesner, Komm zum SGB X, § 45 RdNr 29; BSG in SozR 3-4100, § 103 AFG Nr 9). Der
Kläger hat es unterlassen, dieser Rechtspflicht nachzukommen. Aus den Beratungsunterlagen der Beklagten ergeben
sich für eine schriftliche oder mündliche Mitteilung über die Arbeitsaufnahme keinerlei Hinweise.
Vom 01.04.1996 bis 04.06.1996 hatte der Kläger mangels einer erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 134
Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG keinen Anspruch auf Alhi.
Alhi erhält nach § 134 Abs 1 Satz 1 AFG ua nur, wer sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt hat.
Die der Leistungsbewilligung zugrundeliegende Arbeitslosmeldung des Klägers vom 07.05.1995 wirkte nicht über die
Unterbrechung seiner Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme der Beschäftigung vom 03.03.1996 bis 31.03.1996 hinaus.
Aus dem Zusammenhang der Regelungen der §§ 100 Abs 1, 105 Satz 1 AFG ergibt sich, dass die persönliche
Arbeitslosmeldung des Versicherten materielle Anspruchsvoraussetzung ist. Die Arbeitslosmeldung ist konstitutive
Voraussetzung des Leistungsanspruches und Tatsachenerklärung über den Eintritt der Arbeitslosigkeit. Die
Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung des Klägers vom 07.05.1995 war auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit bis Ende
Februar 1996 beschränkt. Für den Bezug von Alhi nach der die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung (bei
der Firma B ... GmbH vom 01.03. bis 31.03.1996) bedurfte er einer erneuten Arbeitslosmeldung, um die materielle
Anspruchsvoraussetzung "arbeitslos gemeldet" nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG zu begründen (vgl zuletzt BSG
vom 21.03.1996 - 11 RAr 93/95 BSG vom 07.09.2000 - B 7 AL 2/00 R mit Hinweisen aus der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes).
An einer solchen erneuten Arbeitslosmeldung mangelte es jedoch vom 01.04. bis 04.06.1996. Aus den beigezogenen
Beratungsunterlagen der Beklagten ergeben sich keine Hinweise für eine Meldung des Klägers in diesem Zeitraum
oder einen Antrag auf Wiederbewilligung der Alhi. Sein Vorbringen, er habe die Dienststelle Erlangen der Beklagten
bereits vor dem 05.06.1996 aufgesucht, konnten weder der Kläger noch seine Ehefrau in der mündlichen Verhandlung
vor dem BayLSG am 08.05.2001 näher präzisieren, insbesondere Angaben über das Datum dieser Vorsprache
machen. Erst seine Vorsprache vom 05.06.1996 hat die Beklagte wohlwollend als Arbeitslosmeldung gedeutet.
Der sachlich und rechnerisch richtig festgestellte Rückforderungsbetrag der dem Kläger vom 01.03.1996 bis
04.06.1996 gewährten Alhi sowie der für ihn abgeführten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ist rechtlich
nicht zu beanstanden.
Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).