Urteil des LSG Bayern vom 23.01.2007

LSG Bayern: betroffene person, baustelle, soziale sicherheit, entsendung, ausführung, firma, zusammenarbeit, verordnung, beitragspflicht, abkommen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.01.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 10 KR 70/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 124/05
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Februar 2005 sowie der
Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2000
aufgehoben. II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. III. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Beitragsforderungen aus einer Betriebsprüfung.
1.
Die Klägerin ist ein Bauunternehmen mit Sitz in N ... Im Sommer 1997 erhielt sie den Auftrag der Erweiterung und
Sanierung eines Seniorenheimes in W. im Gesamtvolumen von rund 2,5 Mio DM. Hieraus übertrug sie dem
Nachunternehmen Firma O. und G. , H. , mit Vertrag vom 14.08.1997 das Gewerk "Beton- und Mauerarbeiten" im
Volumen von rund 675.000 DM unter Bezugnahme auf Leistungsverzeichnissse, Pläne und detaillierte
Baubeschreibungen. Vereinbart war unter anderem, dass die Klägerin ohne Berechnung alle Baumaterialien, Gerüste,
Baugeräte und Werkzeuge stellte sowie Fahrzeuge für Personalfahrten bis zu 100 km täglich.
Die Nachunternehmerin wiederum übertrug diese Beton- und Mauerarbeiten der Subunternehmerin Firma K. mit Sitz in
O./O. , Polen. Diese setzte dabei in Polen wohnende Arbeitnehmer mit deutschem Reisepass ein, für welche die
polnische Verbindungsstelle in Ausführung des deutsch-polnischen Entsendeabkommens Entsendebescheinigungen
ausstellte.
2.
Die Sonderprüfgruppe Außendienst-Bau des Arbeitsamtes N. hielt als Ergebnis einer Baustellenkontrolle vom
13.10.1997 sowie von Zeugeneinvernahmen der beschäftigten Arbeitnehmer vom 05.11.1997 fest, dass auf der
Baustelle in W. die Arbeitnehmer der Klägerin sowie der Sub-/Nachunternehmer in gemischten Gruppen tätig waren
und dass deren Stundenaufzeichnungen von denen der Klägerin erheblich abwichen. Es sei davon auszugehen, dass
die Klägerin auf der Baustelle 35 polnische Arbeitnehmer wie eigene einsetze. In Ausführung hierzu erließ die
Beigeladene zu 3) einen Bußgeld-/Verfallbescheid vom 05.08.1998, welcher dem vor Ort tätigen Bauleiter, dem
Zeugen L. eine Geldbuße in Höhe von DM 20.000 sowie der Klägerin einen Verfallsbetrag von DM 46.000 auferlegte.
Bei dem Bauvorhaben hätten die eingesetzten polnischen Arbeitnehmer fachliche Weisungen und Arbeitsvorgaben
ausschließlich durch die Beschäftigten der Klägerin erhalten. Diese hätten die Verrichtung der Arbeiten auch laufend
kontrolliert und überwacht und die Klägerin habe sämtliches Werkzeug, Kleinwerkzeug und Arbeitsmaterial gestellt.
Die zur Vergütung berechneten Maße seien nur zum Scheine angegeben worden, tatsächlich bestehe eine deutliche
Differenz zwischen den beauftragten und den abgerechneten Arbeiten. Dieser Bescheid wurde nach Tätigwerden des
Klägerbevollmächtigten im Einverständnis der Beteiligten aufgehoben und absprachegemäß allein ein
Verfallsbescheid gegenüber der Klägerin in Höhe von DM 40.000 bei Rechtsmittelverzicht erlassen.
3.
In Auswertung der Ermittlungsunterlagen machte die Beklagte nach Anhörung mit Bescheid vom 06.10.1999
Gesamtsozialversicherungsbeiträge von DM 168.694,20 zuzüglich Säumniszuschläge von DM 30.592,00 geltend.
Nach den Ermittlungen der Beigeladenen zu 3) im Bußgeldverfahren habe die Klägerin auf der Baustelle in W. die
Arbeitnehmer der polnischen Firma K. wie eigene eingesetzt unter Vermischung der eigenen Beschäftigten mit denen
der Sub-/Nachunternehmerin. Diese hätten dem Weisungsrecht der Klägerin unterstanden und seien somit faktisch als
eigene Arbeitnehmer eingesetzt worden. Vom 25.08.1997 bis 31.01.1998 sei der Tatbestand der faktischen
Arbeitnehmerüberlassung erfüllt. Weil die dafür erforderliche Erlaubnis nicht bestanden habe, seien die Verträge
zwischen Verleiher und Entleiher sowie zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksam mit der Folge, dass
Arbeitsverhältnisse zwischen der Klägerin und den Bauarbeitern aus Polen zustande gekommen seien. Hierfür müsse
die Klägerin die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach-entrichten.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, tatsächlich habe weder eine unerlaubte
Arbeitnehmerüberlassung noch die Weisungstätigkeit des örtlichen Bauleiters der Klägerin nachgewiesen werden
können, wie sich aus der Aufhebung des Bußgeldbescheides gegenüber dem Verantwortlichen, dem Zeugen L.
ergebe. Die Klägerin habe den Verfallbescheid nur akzeptiert, um einen Eintrag ins Gewerberegister mit der Folge des
Ausschlusses von weiteren öffentlichen Aufträgen zu vermeiden. Der Verfallbescheid vom 10.11.1998 könne deshalb
keine Rechtswirkung entfalten. Im Übrigen könne die Klägerin nicht für das Vorgehen ihrer Nachunternehmerin haften,
die Abwicklung der vertraglichen Leistungen sei durch den Zeugen L. ausschließlich gegenüber dem Vorarbeiter der
Arbeitnehmer aus Polen, Herrn G. , erfolgt, welcher die Weisungen weitergegeben habe. Hierin sei keine Ausübung
des Direktionsrechts gegenüber den Bauarbeitern der Nach-/Subunternehmer zu sehen. Es sei nicht in vermischten
Gruppen gearbeitet worden, vielmehr seien die Gruppen je nach Gewerk getrennt gewesen. Die Aussagen der
einvernommenen Beschäftigten ergäben kein einheitliches Bild, vielmehr hätten die Beschäftigten Gegensätzliches
angegeben. Dem folgte die Beklagte nicht und wies mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2000 den Widerspruch als
unbegründet zurück.
4.
Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Regensburg erließ die zuständige
Finanzbehörde einen Haftungsbescheid vom 17.05.2001 hinsichtlich der abzuführenden Lohnsteuer für die
Arbeitnehmer aus Polen. Dieser wurde nach Einspruch der Klägerin mit Bescheid vom 24.02.2003 aufgehoben, weil
die polnische Arbeitgeberin den gesamten Betrag beglichen hatte.
Mit Urteil vom 10.02.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und der Klägerin Kosten in Höhe von DM 3.000
auferlegt im Wesentlichen mit der Begründung, die Arbeitnehmer aus Polen seien von der Klägerin vor Ort tatsächlich
wie eigene Arbeitnehmer beschäftigt gewesen bei Unterwerfung unter deren Direktionsrecht und Vermischung mit
deren Arbeitnehmer. Es habe deshalb Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen, für welche keine Erlaubnis bestanden
habe, sodass die Klägerin als Arbeitgeberin zu behandeln sei und die Gesamtsozialversicherungsbeiträge abzuführen
habe. Gerichtsbekannt verlagere die Bauindustrie Ar-beitsplätze in Billigländer, wie auch im vorliegenden Fall. Die
Kostentragungspflicht der Klägerin ergebe sich daraus, dass Sozialgerichte nicht dafür eingespannt werden dürften,
durch ein solches Vorgehen widerrechtlich erzielte Gewinne zu behalten.
5.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, sich gegen die Unterstellungen des Urteils verwahrt und wiederholend
vorgetragen, dass die Arbeitnehmer aus Polen vor Ort in W. nicht wie eigene eingesetzt gewesen seien und somit
keine Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe.
Das Gericht hat mehrere Beschäftigte der Klägerin als Zeugen einvernommen, welche im Wesentlichen angegeben
haben, die Übertragung des Gewerkes Beton- und Mauerarbeiten an die Firma O. und G. sei ordnungsgemäß nach
Durchführung von Geschäftsverhandlungen erfolgt. Vor Ort seien die polnischen und eigenen Arbeitnehmer nicht
vermischt eingesetzt worden, vielmehr hätten diese ihre Weisungen von dem eigenen Vorarbeiter erhalten. Mit
Ausnahme von Notfällen oder aus Sicherheitsgründen unaufschiebbarer Arbeiten hätten die polnischen Arbeitnehmer
keinerlei Weisungen erhalten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Niederschriften der Zeugeneinvernahmen
Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 sowie den Bescheid der Beklagten
vom 06.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Ermittlungsakten der Beigeladenen zu 3), des
Finanzamtes O. sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge
wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch
begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 06.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
31.01.2000 ist rechtswidrig und verletzt mit der Auferlegung von Zahlungspflichten ohne Rechtsgrundlage die Rechte
der Klägerin. Diese Entscheidung ist deshalb aufzuheben ebenso wie das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts
Regensburg. Dies ergibt sich aus zwei Gründen.
I.
Voraussetzung der Beitragspflicht der Klägerin nach § 28e Abs.2 Abs.4 SGB IV wäre ein
Beschäftigungsverhältnisses zwischen ihr und den gemäß § 75 Abs.2a SGG beigeladenen Arbeitnehmern aus Polen;
die Zuständigkeit der Beklagten für einen entsprechenden Beitragsbescheid resultierte aus § 28p Abs 1 Satz 5 SGB
IV. Weil die Arbeitnehmer aus Polen keinen Arbeitsvertrag mit der Klägerin sondern mit der Firma K./Polen hatten,
kann sich ein Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs.1 SGB IV nur über die Vorschriften des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ergeben. Hierzu hat die Beklagte geltend gemacht, es habe tatsächlich
Arbeitnehmerüberlassung bestanden, die aber gemäß § 1 AÜG ohne Erlaubnis gewesen sei, sodass gemäß § 10
Abs.1 ein Arbeitsverhältnis zwischen den Arbeitnehmern aus Polen und der Klägerin zustande gekommen sei. In der
Folge ergebe sich die Beitragspflicht der Klägerin aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs.1 SGB IV i.V.m. § 5 Abs.1
Nr.1 SGB V, § 20 Abs.1 Nr.1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI und § 25 Abs.1 SGB III (bis 31.12.1997: § 168 Abs.1
AFG). Die Anwendung dieser Normen deutschen Rechts ist allerdings vorliegend durch höherrangiges
zwischenstaatliches Recht ausgeschlossen.
1.
Nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die
Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden
("Entsendeabkommen" vom 25.04.1973 - BGBl. 1974 II S.926), welches auf den streitigen Zeitraum bis 31.01.1998
noch Anwendung findet, unterstehen entsandte Arbeitnehmer ausschließlich den Rechtsvorschriften des
Entsendestaates, so als wären sie dort beschäftigt. Die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates hingegen sind
nicht anzuwenden (Art.3, Art 4 Abs.1, 2 Entsendeabkommen). Gemäß Art.11 und 12 Entsendeabkommen vereinbaren
die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen, verkehren unmittelbar miteinander und vereinbaren das
Verwaltungsvorgehen zur Anwendung des Abkommens. Gestützt auf Art.12 dieses Abkommens haben die deutsch-
polnischen Verbindungsstellen bei Anwendung ab 01.10.1991 am 24.10.1996 vereinbart (Anlage zum Rundschreiben
Nr.94/196 der deutschen Verbindungsstelle vom 30.12.1996), dass bei Entsendungstatbeständen die Bescheinigung
PL/D101 bzw. D/PL 101 zu verwenden ist. Diesen Vordruck stellt in Entsendungsfällen der Träger des
Entsendestaates aus und bescheinigt damit verbindlich, dass auf die betroffene Person die Rechtsvorschriften
ausschließlich des Entsendestaates anzuwenden sind.
Die auf der Baustelle in W. tätigen Arbeitnehmer aus Polen verfügten alle über eine solche von der zuständigen
polnischen Behörde ausgestellte Entsendebescheinigung. Dies ergibt sich in Auswertung der Ermittlungsakten und
der Verwaltungsakten der Beklagten zur Überzeugung des Senats daraus, dass die Bescheinigungen nicht nur für die
von der Klägerin in der Anlage zum Bescheid vom 06.10.1999 gelisteten Arbeitnehmer vorliegen, sondern auch für
eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer, für welche - nicht nur, aber insbesondere - eine solche Bescheinigung für die Zeit
ab 01.01.1998 ausgestellt war.
2.
In Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 26.01.2006, Rechtssache C-2/05)
und des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 24.10.2006 - 1 StR 44/06) ist dieser Bescheinigung die gleiche Sperrwirkung
gegenüber dem deutschen Recht zuzumessen wie der in der Europäischen Union anzuwendenden Bescheinigung E
101.
Ebenso wie die Entsenderegelung aufgrund Art.81 der EWG-Verordnung Nr.1408/71 i.V.m. der EWG-Verordnung
574/72 bezweckt das deutsch-polnische Entsendeabkommen von 1973 eine Annäherung der Vertragsstaaten. Um
deren gegenseitige Durchdringung auf arbeitsmäßigem und technischem Gebiet zu erreichen ist wirksam
zwischenstaatlich vereinbart, dass entsandte Arbeitnehmer nur einem einzigen System der Sozialversicherung
unterliegen, also nur nach einem Sicherungssystem Beiträge zu zahlen haben und auch nur nach diesem
Leistungsanspruch erwerben. Diese Ausnahme vom Territorialprinzip bietet den bei der Entsendung Beteiligten
Sicherheit auch auf beitragsrechtlichem Gebiet und vereinfacht das Verfahren sowie die Abwicklung der Entsendung.
Gleichzeitig ist zur Anwendung dieses Abkommens der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der
jeweiligen Behörden bestimmt.
Diese Grundsätze hatte der Europäische Gerichtshof der Entsenderegelung E 101 zugeordnet und verfestigt (Urteile
vom 26.01.2006, C-2/205; vom 10.02.2000 C-202/97 sowie 30.03.2000 C-178/97). Danach verbieten Sinn und Zweck
der europäischen Regelung, eine vom Entsendestaat ausgestellte Bescheinigung der Überprüfung des
Beschäftigungsstaates zu unterwerfen. Vielmehr müssen sich die Behörden des Beschäftigungsstaates im Falle von
Zweifeln an der Richtigkeit der Bescheinigung wegen des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit an die
Ausstellungsbehörde wenden und von dort die Korrektur oder Beseitigung der Bescheinigung verlangen. Geschieht
dies nicht, sind die Behörden des Beschäftigungsstaates an die Bescheinigung gebunden mit der Folge, dass
ausschließlich das Sozialversicherungsrecht des Entsendestaates Anwendung findet.
Diese Grundsätze sind auf das deutsch-polnische Entsendeabkommen zu übertragen. Es verfolgt die gleichen Ziele
wie die Regelungen auf europäischer Ebene, nämlich - gegenseitige Durchdringung auf arbeitsmäßigem und techni
schem Gebiet, - entsandte Arbeitnehmer nur einem einzigen System der Sozialversicherung zu unterwerfen, also nur
nach einem Sicherungssystem Beiträge zu zahlen und auch nur nach diesem Leis-tungsanspruch zu erwerben, um
den bei der Entsendung Beteiligten Sicherheit auch auf beitragsrechtlichem Gebiet zu bieten und das Verfahren sowie
die Abwicklung der Entsendung zu vereinfachen sowie - eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der jeweiligen Behör-
den. Somit ist die Beklagte an die von der Verbindungsstelle in Polen ausgestellten Entsendebescheinigungen
gebunden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich nichts Gegenteiliges aus den Vereinbarungen, die das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung für die Bundesrepublik Deutschland sowie das Ministerium für Arbeit
und Sozialpolitik für die Republik Polen im Rahmen der Gespräche vom 21. bis 24.11.2000 in Bonn verabredet haben.
Die dortigen Absprachen entsprechen in Zielsetzung und Inhalt im Wesentlichen dem Beschluss Nr.162 vom 31. Mai
1996 zur Auslegung der EWG-Verordnung Nr.1408/71 (Amtsblatt L 241 vom 21.09.1996 S. 28 bis 30) und dem
Beschluss Nr.128 der Verwaltungskommission der EG für soziale Sicherheit der Arbeitnehmer vom 17. Oktober 1985
(welcher den Beschluss Nr. 113 vom 28.02.1980 abgelöst hat). Auf europäischer ebenso wie auf deutsch-polnischer
Ebene waren die Vertragsstaaten davon ausgegangen, dass in Entsendefällen eine arbeitsrechtliche Verbindung
zwischen dem Unternehmen des Entsendestaates und den Ar-beitnehmern fortzubestehen hat, um insbesondere Fälle
der Arbeitnehmerüberlassung sachgerecht zu regeln. In gleicher Weise war auf europäischer ebenso wie auf deutsch-
polnischer Ebene das Vorgehen der Behörden der jeweiligen Vertragsstaaten für die Fälle der Entsendung
abzusprechen gewesen. Die auf europäischer Ebene geltenden Regelungen sind damit auf das deutsch-polnische
Entsendeabkommen ohne Bedenken übertragbar.
Zudem ist zu beachten, was das deutsche und das polnische Ministerium vom 21. bis 24.11.2000 in Ausführung von
Art.11 und 12 des Entsendeabkommens zur Arbeitnehmerüberlassung im Detail - unter rückwirkender Anwendbarkeit -
vereinbart haben. Danach ist unter bestimmten Umständen eine Entsendung nicht anzunehmen, insbesondere im
Falle der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung nach dem Recht des anderen Vertragsstaates (Ziffer 2.3 der
Vereinbarung). In Ausführung hierzu haben die Staaten gemäß Ziffer 3 vereinbart, dass der zuständige Träger im
Entsende-staat vor Ausstellung einer Entsendebescheinigung den Sachverhalt unter Berücksichtigung insbesondere
dieses Kriteriums zu prüfen und zu beurteilen hat. Dies bedeutet die Anwendung fremden Rechts des
Beschäftigungsstaates im Entsendestaat, vorliegend also dass die polnische Verbindungsstelle das deutsche
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vor Ausstellung der Entsendebescheinigung zu überprüfen und zu berücksichtigen
hat. In der Konsequenz hieraus stellt die Bescheinigung 101 ein Prüfungsergebnis mit dem Inhalt dar, dass der
Tatbestand der Arbeitnehmerentsendung geprüft und verneint worden ist. Für den Fall, dass Zweifel an der Richtigkeit
dieser Entsendebescheinigung bestehen, wurde in Ziffer 3 der Absprache bestimmt, dass die ausstellende Stelle des
Entsendestaates das Dokument zu überprüfen hat. In Anwendung von Ziffer 2.3 ist bei dieser Überprüfung nicht nur
das Recht des Entsendestaates anzuwenden, sondern auch deutsches Recht in Gestalt des
Arbeitnehmerüberlassungs-Gesetzes. Die Überprüfung, ob ein solcher Tatbestand erfüllt ist, ist dabei nicht dem
deutschen Versicherungsträger zugewiesen, sondern ausschließlich demjenigen des Entsendestaates, hier also der
polnischen Stelle. Dieses Verfahren ist im vorliegenden Falle nicht eingehalten worden. Eine Aufhebung der
Entsendebescheinigungen für die Arbeitnehmer aus Polen wurde zu keinem Zeitpunkt verlangt, zur
Ausstellungsbehörde wurde kein Kontakt aufgenommen.
Damit bleibt die Rechtswirkung der Entsendebescheinigungen bestehen. Eine Berechtigung der Beklagten, diese
Rechtswirkungen zu negieren mit der Behauptung, nach ihrer Auffassung liege unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung
nach deutschem Recht vor, ist also durch höherrangiges, zwischenstaatliches Recht ausgeschlossen.
3.
Insoweit steht der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Bindungswirkung
einer Entsendebescheinigung nach dem deutsch-jugoslawischem Abkommen (Urteil vom 16.12.1999 - B 14 KG 1/99
R). Danach sind die deutschen Behörden an eine Entsendebescheinigung des Vertragsstaates gebunden, falls diese
nicht offensichtlich unzutreffend ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Entsendebescheinigungen im vorliegenden Fall
offensichtlich unzutreffend gewesen sein sollten, sind nicht ersichtlich. Von einer von Anfang an bestehenden
Unrichtigkeit kann nicht ausgegangen werden, insbesondere weil der Einsatz der Nachunternehmerin für einen genau
und durch mehrere Dokumente unter Bezugnahme auf das Leistungsverzeichnis und auf die Leistungspläne exakt
bezeichneten Teil des Bauvorhabens bestimmt war. Anhaltspunkte dafür, dass ein Dienst- oder
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag durch einen fingierten Werkvertrag verschleiert werden sollte, sind somit nicht
ersichtlich. Die Entsendebescheinigungen waren weder inhaltlich unzutreffend noch von einer unzuständigen Behörde
ausgestellt. Sie waren somit nicht offensichtlich unzutreffend.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass in Anwendung des deutsch-polnischen Entsendeabkommens die Geltung
des Sozialgesetzbuches für die Tätigkeit der Arbeitnehmer aus Polen auf der Baustelle in W. ausgeschlossen ist.
II.
Darüber hinaus ergibt sich in Würdigung der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten der zuständigen
Finanzbehörden, der Ermittlungsakten der Beigeladenen zu 3), des Vorbringens der Beteiligten im gesamten
gerichtlichen Verfahren und der Aussagen der als Zeugen einvernommenen Arbeitnehmer der Beklagten, dass ein Fall
echter Arbeitnehmerüberlassung nicht nachgewiesen ist.
1.
Die Beklagte hat mit ihrem Nachunternehmer wie dargelegt einen echten Werkvertrag abgeschlossen. Es war das
Gewerk auf einer Vielzahl von Blättern gegenständlich und planmäßig differenziert bezeichnet und in Auftrag gegeben.
Es handelt sich dabei nicht um einen als Dienstvertrag zu wertenden "Bauausführungsvertrag", bei welchem im Kern
nur die Überlassung von einer Anzahl von Arbeitnehmern gegen Stundenlohn verabredet wird.
2.
Den Einvernahmen der Beschäftigten durch die Ermittlungsbehörden der Beigeladenen zu 3) bei der
Baustellenkontrolle vom 13.10.1997 und bei der Zeugeneinvernahme am 05.11.1997 lässt sich kein einheitliches Bild
der Weisungsgebundenheit der polnischen Arbeitnehmer gegenüber der Klägerin entnehmen. Der Zeuge J. hat
angegeben, dass die Weisungen der Klägerin im Wege einer täglichen Absprache der beiden Poliere erfolgen. Dies hat
der Zeuge - und Polier der Arbeitnehmer aus Polen - G. insoweit bestätigt, als er angegeben hat, nach Absprache
seine Kollegen für die bestimmten Bauabschnitte selbst einzuteilen, die ihm erteilten Anweisungen gebe er täglich an
seine Kollegen weiter. Demgegenüber hat der Zeuge M. angegeben, der Arbeitnehmer K. der Klägerin habe auf der
Baustelle das Weisungsrecht, im Nachhinein könne nicht mehr unterschieden werden, wer welche Arbeiten ausgeführt
habe. Demgegenüber hat der Beschäftigte U. am 13.10.1997 angegeben, Stundenzettel stelle nur der polnische
Vorarbeiter auf, welcher die Arbeit auch zuteile und überwache. Dies hat so am gleichen Tag der Beschäftigte S.
bestätigt ebenso wie die Zeugen U. , K. , L., D., D., K. und D ... Dem widersprechend wurde aber gleichzeitig
angegeben, dass auch der deutsche Polier zeitweise die Arbeit kontrolliere, der Zeuge V. hat angegeben, die
deutschen und polnischen Arbeitnehmer arbeiteten nicht gemeinsam, helfen sich aber gegenseitig aus. Der Zeuge S.
hat angegeben, Kontrollinstanz sei der polnische Vorarbeiter, Letztkontrolle führe jedoch die Klägerin aus. Während
der Beschäftigte der Klägerin K. angegeben hat, er, sein Kollege F. sowie der Bauleiter L. wiesen nur dem polnischen
Vorarbeiter G. die Arbeit zu, welcher dann auch gegenüber seinen Untergebenen die Arbeitszeit bestimme, hat der
Arbeitnehmer M. angegeben, Beginn und Ende der Arbeitszeit bestimme der deutsche Polier, der die Arbeitsleistung
feststelle und an welchen man sich auch wende, wenn auch selten. Gleichzeitig hat dieser Zeuge angegeben, die
deutschen Arbeitnehmer würden dieselben Tätigkeiten verrichten wie die polnischen. Der Beschäftigte N. hat am
05.11.1997 wiederum angegeben, lediglich vier bis sechs Mann der Klägerin seien auf dem hinteren Bauabschnitt
tätig, die einzelnen Arbeiten wie Mauern, Schal- und Bewehrungsarbeiten würden an die polnischen Arbeitnehmer
weitergegeben. Eine Zusammenarbeit finde nur bei Helfertätigkeiten statt.
Bei der Einvernahme der Zeugen durch den Senat haben sich diese bemüht gezeigt, eine ordnungsgemäße
Handhabung des Werkvertrages mit der polnischen Nachunternehmerin darzustellen. Die Zeugen haben eine Trennung
der polnischen und deutschen Arbeitnehmer beschrieben, nur in unaufschiebbaren Sicherheitsfällen sei eine direkte
Weisung gegenüber den polnischen Arbeitnehmern erfolgt. Dabei zeichnete sich insbesondere auch im Falle des
Zeugen L. ab, dass dieser unter dem Eindruck des Ordnungswidrigkeitenverfahrens, aber gerade auch in Anbetracht
der verstrichenen Zeit die Erinnerungen unbewusst mit den Vorstellungen von einer ordnungsgemäßen
Baustellenabwicklung vermischte. Den entsprechenden Aussagen, die den Darstellungen der Beklagten inhaltlich
widersprechen, kann deshalb kein wesentlicher Beweiswert zuerkannt werden.
Der Senat ist deshalb im Rahmen einer Gesamtwürdigung davon überzeugt, dass der Klägerin auf der Baustelle eine
gewisse Vermischung der Arbeitnehmer aus Deutschland und Polen zeitweise unterlaufen war und dass den
Beschäftigten der Klägerin insbesondere in Anbetracht der Gestellung der Werkzeuge und des Materials sowie der
Fahrtmöglichkeiten eine gewisse übergeordnete Funktion zugekommen war. Dies allein jedoch reicht nicht aus, ein
Beschäftigungsverhältnis anzunehmen, für welches eine weisungsgebundene Tätigkeit hinsichtlich Ort, Zeit, Art und
Gegenstand der Ausführung erforderlich wäre. Vielmehr nahm diese Position des Weisungsgebers in weitesten Teilen
der polnische Vorarbeiter G. wahr, welcher aber der Klägerin als Beschäftigter nicht zuzurechnen ist.
Der Senat übersieht dabei nicht, dass auch objektive Indizien für die Arbeitgeberposition der Klägerin sprechen.
Hierzu zählen die Gestellung von Werkzeug und Materialien sowie von Transportmitteln ebenso wie die Tatsache,
dass die Klägerin den gegen sie ergangenen Verfallsbescheid über die DM 40.000 akzeptiert hat. Diese Anhaltspunkte
führen jedoch auch in Zusammenwirkung mit den Ermittlungsergebnissen und Zeugenaussagen der betroffenen
Personen nicht dazu, dass eine faktische Arbeitgeberposition der Klägerin gegenüber den Arbeitnehmern aus Polen
und damit der Tatbestand der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung auf der Baustelle in W. als erwiesen angesehen
werden kann.
Die Beklagte war somit auch aus diesem Grunde nicht berechtigt, die streitgegenständliche Entscheidung zu
erlassen. Der Berufung der Klägerin war deshalb in vollem Umfange stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, weil Rechtshängigkeit seit 2. März 2000 besteht. Die Verhängung von
Kosten gemäß § 192 SGG durch das Sozialgericht war nicht veranlasst; die entsprechende Entscheidung wird mit
dem erstinstanzlichen Urteil aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.