Urteil des LSG Bayern vom 15.02.2001
LSG Bayern: arbeitsunfall, anerkennung, bandscheibenvorfall, ausstrahlung, bedingung, form, berufskrankheit, gewissheit, anschluss, bandscheibenschaden
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.02.2001 (rechtskräftig)
S 2 U 152/97
Bayerisches Landessozialgericht L 17 U 344/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 22.06.1999 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger ein Bandscheibenschaden im Bereich L 5/S 1 der
Lendenwirbelsäule (LWS) als Folge des Ereignisses vom 23.01.1991 anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Der am ...1953 geborene Kläger, von Beruf Erzieher, war seit September 1980 beim Verein zur Förderung und
Betreuung spastisch Gelähmter (Würzburg) für Pflegetätigkeiten eingesetzt. Bei der Grundpflege eines schwer
spastischen Erwachsenen verspürte er am 23.01.1991 plötzlich starke Schmerzen im LWS-Bereich (Anzeige des
Unternehmers vom 25.01.1991). Computertomographisch wurde am 31.01.1991 ein Bandscheibenvorfall im Segment
L 5/S 1 links festgestellt (Berichte des Orthopäden Dr.H.-U.R ... [Würzburg] vom 04.07.1991/10.04.1991 und des
Radiologen Dr.F.F ... [Würzburg] vom 07.02.1991). Die pathologisch-anatomische Begutachtung des operativ
entfernten Bandscheibengewebes ergab eine fortgeschrittene degenerative Chondropathie (Bericht des Pathologen
Dr.H.R ... [Würzburg] vom 15.03.1991). Vom 17.04.1991 bis 15.05.1991 befand sich der Kläger in der Klinik B ... zur
Anschlussheilbehandlung. Dort wurde er für die Pflege von schwerst körperlich behinderten Patienten als nicht mehr
einsetzbar beurteilt (Berichte des Chefarztes Dr.G ... vom 21.05.1991/28.07.1992/ 28.05.1991).
Am 04.01.1996 beantragte der Kläger, das Ereignis vom 23.01.1991 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beklagte zog
Befundberichte des Dr.H.-U.R ... vom 16.08.1991/15.02.1991, des Radiologen Dr.R.R ... (Heidelberg) vom 24.02.1992,
des Dr.V.K ... (Würzburg) vom 02.10.1995, des Neurologen Dr.J.S ... (Heidelberg) vom 26.06.1992/17.02.1992, der
Allgemeinärzte Dr.G.I ... (Würzburg) vom 08.07.1992 und Dr.W.H ... (Würzburg) vom 29.09.1992, des Orthopäden
Dr.G.W ... (Würzburg) vom 18.09.1987, eine Auskunft der Hamburg-Münchner Ersatzkasse (Würzburg) vom
13.12.1991, ein Gutachten des Dr.Z ... (MDK Würzburg) vom 08.07.1991 sowie im Verwaltungsverfahren bzw
Klageverfahren über die Anerkennung einer Berufskrankheit erstattete Gutachten des Orthopäden Dr.R.C ...
(Würzburg) vom 16.06.1993/ 28.10.1993, des Orthopäden Dr.K.H ... (Würzburg) vom 22.05.1995/15.09.1995, des
Medizinaldirektors Dr.M.Sch ..., Bayer.Landesinstitut für Arbeitsmedizin (Würzburg) vom 01.12.1993 sowie des
Neurochirurgen Dr.H.P ... (Würzburg) vom 13.01.1997 bei. Mit Bescheid vom 23.07.1996 - bestätigt durch
Widerspruchsbescheid vom 14.04.1997 - lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 23.01.1991 als
Arbeitsunfall mit der Begründung ab, es habe keine gewaltsam von außen auf den Körper einwirkende Schädigung
vorgelegen. Der Vorgang stelle lediglich eine rechtsunerhebliche Gelegenheitsursache dar.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben mit dem Antrag, die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 23.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.04.1997 zu
verurteilen, das Ereignis vom 23.01.1991 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE um
20 vH zu gewähren.
Das SG hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen sowie Befundberichte des Dr.G.I ... vom 08.01.1998, des
Orthopäden Dr.B.W ... vom 12.01.1998 und des Dr.V.K ... vom 02.10.1995 beigezogen. Anschließend hat es gem §
109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Prof.Dr.A.B ... (Direktor der Neurochirurgischen Uniklinik
Regensburg) vom 21.12.1998 eingeholt. Die Beklagte hat Stellungnahmen des Dr.R.C ... vom 15.03.1999/ 11.06.1999
vorgelegt. Prof.Dr.A.B ... hat trotz degenerativer Wirbelsäulenveränderungen im Verhebeereignis vom 23.01.1991 den
auslösenden Faktor für den Bandscheibenvorfall gesehen und die MdE mit 20 vH bewertet. Dr.R.C ... hat ein
geeignetes Unfallereignis verneint, auf Vorerkrankungen im Wirbelsäulenbereich und auf das Ergebnis der
pathologischen Untersuchung vom 15.03.1991 verwiesen. Im Fall der Anerkennung eines traumatischen
Bandscheibenvorfalls hat er die MdE für das erste Jahr mit 20 vH, anschließend mit 10 vH bewertet und auf den
günstigen Heilverlauf hingewiesen. Der Kläger hat eine schriftliche Erklärung der früheren Kollegin A.O ... sowie einen
Bescheid der BfA vom 06.07.1988 über die Ablehnung einer Rehamaßnahme vorgelegt.
Mit Urteil vom 22.06.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat einen Arbeitsunfall dem Grunde nach
angenommen, diesem im Hinblick auf erhebliche anlagebedingte Vorschäden aber keine wesentliche Mitursache für
den Bandscheibenvorfall beigemessen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen: Da das Erstgericht dem Grunde nach das
Vorliegen eines versicherten Arbeitsunfalls festgestellt habe, hätte es die Klage bereits aus diesem Grunde nicht
abweisen dürfen. Äußerungen des Dr.R.C ... hätte das Erstgericht nicht verwerten dürfen, da dieser Arzt beratender
Arzt der Beklagten sei. Wenn Vorschäden vorgelegen hätten, seien diese, da der Beruf des Krankenpflegers zu den
gefährdeten Berufen gehöre, dem Bereich der Berufserkrankung nach Nr 2108 der Anl 1 zur
Berufskrankheitenverordnung zuzuordnen. Im Übrigen handele es sich bei der Vorbedingung des Fehlens wesentlicher
degenerativer Vorschädigungen um ein gesetzwidriges Kriterium zur Einschränkung des Versicherungsschutzes.
Dr.R.C ... gehe selbst davon aus, dass durch die spastischen Bewegungen des Patienten eine vorgeschädigte
Bandscheibe zerreißen könne. Die Histologie vom 15.03.1991 sei nicht von Bedeutung, da sie keine vor dem Unfall
entstandenen Schäden beschreibe.
Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen, Befundberichte des Dr.V.K ... vom 02.10.1995, des
Dr.H.R ... vom 07.02.1996, des Radiologen N.J ... (Würzburg) vom 16.04.1996, des Orthopäden Dr.Th.W ...,
Rehazentrum Klinik B ... (Würzburg) vom 13.09.1995 beigezogen und ein Gutachten des Orthopäden Dr.V.F ... vom
20.12.1999/07.02.2000 eingeholt. Dr.V.F ... hat dem Ereignis vom 23.01.1991 vor allem angesichts der Vorschäden
keine wenigstens gleichwertige Bedeutung für die Gesundheitsstörungen des Klägers beigemessen.
Der Kläger hält die bei ihm festgestellten Vorschäden ebenfalls für beruflich bedingt mit der Folge einer erleichterten
Rissbildung der Bandscheibe.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 22.06.1999 sowie des
Bescheides vom 23.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.04.1997 zu verurteilen, das
Ereignis vom 23.01.1991 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren,
hilfsweise ein Gutachten gem § 109 SGG von einem noch zu benennenden Arzt einzuholen sowie die Revision
zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 22.06.1999
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten, der Archivakten des
SG Würzburg Aktenzeichen S 2 U 268/94 und S 2 U 349/94 sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber nicht begründet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und
Entschädigung des Ereignisses vom 23.01.1991 als Arbeitsunfall.
Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich das zu
beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 35 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212
Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).
Ein Arbeitsunfall (§ 548 Abs 1 RVO) ist ein von außen her auf den Menschen einwirkendes, körperlich schädigendes,
plötzliches, dh zeitlich begrenztes Ereignis, welches mit einer der in den §§ 539, 540, 543 - 545 RVO genannten
versicherten Tätigkeiten in einem inneren Zusammenhang steht (vgl Lauterbach-Watermann, Ges.Unfallvers., 3.Aufl.,
Anm 3 zu § 548 RVO). Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls voraus, dass
die maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten (Ort, Art, Zeitpunkt und Zweckbestimmung der zum Unfall führenden
Verrichtung) der versicherten Tätigkeit, das Unfallereignis und die Erkrankung mit Gewissheit bewiesen sind, dh, dass
kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch Zweifel hat (BSGE 32, 203, 207; 53, 255;
Bereiter-Hahn/Mehrtens, Ges.Unfallvers., § 8 SGB VII S A 361, RdNr 10). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so
hohem Grad wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses
des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom
Vorliegen der Tatsache zu begründen (BSGE 58, 80, 83; Bereiter-Hahn/Mehrtens aaO).
Im vorliegenden Fall ist bereits ein Unfallereignis nicht erwiesen. Nach der Unfallanzeige des Unternehmers vom
25.01.1991 verspürte der Kläger bei der Grundpflege eines schwer spastischen Erwachsenen plötzlich starke
Schmerzen im LWS-Bereich. Dem Allgemeinarzt Dr.G.I ... berichtete der Kläger am 28.01.1991 dagegen, beim
Waschen eines spastisch-gelähmten Kindes habe er sich über das Bett gebeugt und dabei sei es zu einem Riss im
Kreuz und Ausstrahlung in das linke Bein gekommen. Beim Neurologen Dr.H.-U.R ... gab der Kläger am 31.01.1991
davon abweichend an, vor einer Woche beim Vornüberneigen plötzlich eine Verstärkung der seit einem
Verhebetrauma vor Jahren bestehenden Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung zum linken Fuß verspürt zu haben. Damit
hat der Kläger kein von außen auf ihn einwirkendes Unfallereignis geschildert. Zwar hat der Kläger mit Schreiben vom
03.01.1996 nachträglich geltend gemacht, er habe gegen plötzlich auftretende unkontrollierte, sehr heftige spastische
Bewegungen des Patienten reagieren müssen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei habe er plötzlich einen
starken Druckschmerz in der LWS mit nachfolgender Ausstrahlung in das linke Bein verspürt. Auch diese
ergänzenden Einlassungen führen nicht dazu, ein geeignetes Unfallereignis als mit Gewissheit bewiesen anzusehen.
Der Senat misst nämlich den zuerst niedergelegten Angaben des Klägers zum Unfallhergang wegen des unmittelbaren
zeitlichen Zusammenhangs mit dem Unfallgeschehen einen höheren Beweiswert zu, als der fünf Jahre später
erfolgten Darstellung (vgl hierzu LSG Saarland vom 25.05.1993, HV-Info 28/1993; Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl. S 128). Da sich auch die vom Kläger benannte Zeugin O ... in ihrer
Erklärung vom 28.06.1997 zum Ereignis vom 23.01.1991 nicht konkret äußert - dies war ihr schon deswegen nicht
möglich, weil sie sich 1990 eine andere Arbeitsstelle gesucht hatte -, kann der Beweis eines Unfallereignisses mit
dieser Zeugin - auch nicht durch die angeregte gerichtliche Einvernahme - nicht geführt werden. Der fehlende
Nachweis geht zu Lasten des Klägers.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger am 23.01.1991 einen Unfall erlitten hat, fehlt es am
ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden des Klägers.
Ein ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der Ges.Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff dann vor,
wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder die Verschlimmerung eines
Gesundheitsschadens bewirkt hat. Erforderlich ist somit zwar nicht, dass das Unfallereignis alleinige Ursache für den
Gesundheitsschaden war. Es ist aber auch nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass
der Erfolg entfiele, als ursächlich anzusehen, sondern nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu anderen
einzelnen Bedingungen nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg
zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (Theorie von der im Unfallversicherungsrecht geltenden wesentlichen
Bedingung). Wenn mehrere Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig zu dem Erfolg beigetragen haben,
so ist jede von ihnen Ursache im Rechtssinn. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine
überragende Bedeutung zu, so ist er allein wesentliche Ursache im Rechtssinn. Dabei ist zu beachten, dass der
Begriff der "wesentlichen Ursache" ein Wertbegriff ist. Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist,
beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (Lauterbach-Watermann, aaO, Anm 8
zu § 548 RVO).
Im vorliegenden Fall führt diese Wertung dazu, dass das vom Kläger angegebene Ereignis keine überragende
Bedeutung für sein Bandscheibenleiden hätte.
Für die Anerkennung einer Bandscheibenverletzung als Folge eines Arbeitsunfalls müssen nach derzeit herrschender
wissenschaftlicher Lehrmeinung bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Das Unfallereignis muss schwer genug
gewesen sein und in seiner Mechanik so abgelaufen sein, dass es die Entstehung von Rissbildungen der
Bandscheibe erklärt. Im unmittelbaren Anschluss an den Unfall sind schmerzhafte Funktionsstörungen an der LWS
(Lumbago, Lumbalgie, LWS-Syndrom) aufgetreten, die zur Niederlegung der Arbeit geführt haben. Vor dem Unfall
muss Beschwerdefreiheit, zumindest jedoch Beschwerdearmut vorgelegen haben (Lehrmeinung nach Lob, zitiert in
Schönberger aaO S 491/492).
Nach der vom Kläger zuletzt vorgebrachten Unfallschilderung hatte er begonnen, einen im Bett liegenden Patienten
nach dem Waschen wieder anzuziehen, als er auf plötzliche, unkontrollierte und sehr heftige spastische Bewegungen
des Patienten reagieren musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der zur Beibehaltung des Gleichgewichts
erforderliche Mechanismus ist nicht geeignet, einen Bandscheibenvorfall ursächlich hervorzurufen.
Bandscheibenverletzungen entstehen unfallmäßig nämlich meist zusammen mit Wirbelkörperfrakturen. Die isolierte
Bandscheibenverletzung - wie sie hier vom Kläger geltend gemacht wird - ist selten und erfordert eine massive
Gewalteinwirkung wie zB Verdrehen des Rumpfes und gleichzeitiges Heben und Bewegen schwerer Lasten oder eine
ungewöhnliche, überraschende, daher unkoordinierte Kraftanstrengung, zB beim Ausrutschen oder Beinahesturz mit
schwerer Last, so dass das Überraschungsmoment im Vordergrund steht (Schönberger aaO S 492).
Der Senat ist der Auffassung, dass sich die vom Kläger bei der Grundpflege des Patienten aufzuwendende Kraft im
Rahmen des Üblichen bewegte und der Kraftaufwand nicht überraschend war, weil der Kläger bei dem schwer
spastischen Patienten ständig mit unkontrollierten Bewegungen rechnen musste. So konnte er sich von vornherein
darauf einstellen. Wenn zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts eine Drehung des Rumpfes notwendig geworden
sein sollte, war diese nicht verbunden mit gleichzeitigem Heben und Bewegen einer schweren Last. Der Patient lag
nämlich während der Grundpflege im Bett. Das dabei erforderliche Anheben oder Bewegen einzelner Körperteile oder
das Drehen des Patienten erfüllt auch nicht die gewichtsmäßigen Anforderungen (Beispiele in Schönberger aaO S
493). Im Übrigen stellt schweres Heben für sich allein kein geeignetes Unfallereignis dar (BayLSG vom 19.11.1981 - L
2 U 327/80 -. Darüberhinaus hat den Angaben des Arbeitgebers in der Unfallanzeige vom 25.01.1991 zufolge der
Kläger nach dem Ereignis die Arbeit nicht eingestellt, sondern weitergearbeitet. Auch begab er sich erst am
28.01.1991, fünf Tage nach dem Ereignis, in hausärztliche und am 31.01.1991 in orthopädische Behandlung. Damit ist
der Nachweis nicht geführt, dass sich in umittelbarem Anschluss an das Ereignis schmerzhafte Funktionsstörungen
eingestellt haben.
Auch bestand vor dem Ereignis keine Beschwerdefreiheit bzw Beschwerdearmut. Dies entnimmt der Senat den
Ausführungen der Sachverständigen Dr.V.F ... (Gutachten vom 20.12.1999/ 07.02.2000), Dr.H ... (Gutachten vom
22.05.1995/ 15.09.1995) und Dr.M.Sch ... (Gutachten vom 01.12.1993), dessen Gutachten im anhängigen
Rechtsstreit berücksichtigt werden konnte (BSG Sozialrecht Nr 66 zu § 128 SGG). Es ist nachgewiesen, dass schon
vor dem 23.01.1991 eine Krankheitsanlage vorlag, die LWS also bereits degenerativ vorgeschädigt war. So ist seit
1985 eine Wirbelsäulensymptomatik belegt. Der Kläger selbst hat beim Orthopäden Dr.W ... am 17.09.1987 und beim
Neurologen J.S ... am 17.02.1992 entsprechende Angaben gemacht. Die Auskünfte der Hamburg-Münchner-
Ersatzkasse vom 13.12.1991 belegen rezidivierende Lumbalgien seit 30.09.1988. Auch zeigen Röntgenaufnahmen
vom 17.09.1987 bereits eine ausgeprägte Verschmälerung der Bandscheibe zwischen dem letzten Lendenwirbelkörper
und Übergangswirbel. Bei der histologischen Untersuchung des Operationspräparates anlässlich der
Bandscheibenoperation vom 15.03.1991 fanden sich degenerierte Chondrocyten, Brutkapseln und älteres
Granulationsgewebe in gefäßreicher Form. Der Pathologe Dr.H.R ... diagnostizierte eine fortgeschrittene degenerative
Chondropathie des Gelenkknorpels L 5/S 1 links. Die Degeneration der geschädigten Bandscheibe war zum Zeitpunkt
des Ereignisses schon soweit fortgeschritten, dass es für die Auslösung des Bandscheibenvorfalls nur einer geringen,
auch im Alltagsleben ständig vorkommenden Belastung bedurfte. Bei vorgeschädigter Wirbelsäule genügt ein geringer
Zusatzimpuls, um das aktuelle klinische Syndrom auszulösen (Schönberger aaO S 493). Auf Grund der eindeutigen
Vorschädigung, der Prädisposition des Klägers zu Bandscheibenerkrankungen sowie des nicht adäquaten Traumas
kommt dem Ereignis vom 23.01.1991 nicht einmal die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache zu. Der
nachgewiesenen degenerativen Vorschädigung gebührt vielmehr die überwiegende Bedeutung. Demnach lässt sich -
bei Annahme eines geeigneten Umfallereignisses - unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenschaden des Klägers im Bereich L 5/S 1 und dem Ereignis vom
23.01.1991 nicht wahrscheinlich machen.
Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des Prof.Dr.A.B ... im Gutachten vom 21.12.1998. Dieser behauptet
lediglich das Vorliegen eines geeigneten Unfallereignisses, ohne sich mit der derzeitigen Lehrmeinung
auseinanderzusetzen. Er spricht von einem Verhebetrauma, obwohl diese Wortverbindung unfallmedizinisch ein
Widerspruch ist. Prof.Dr.A.B ... geht auch davon aus, dass vor dem Ereignis weder sensible Störungen noch
ischialgieforme Beschwerden bestanden hätten, gleich darauf zitiert er aus den Unfallakten jedoch die genannten
Beschwerden, ohne den Widerspruch aufzulösen.
Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers auf Anhörung eines weiteren Arztes im Rahmen des § 109 SGG hat der
Senat nicht entsprochen. In der Berufungsinstanz muss nicht erneut ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt
werden, wenn dies bereits in der ersten Instanz geschehen ist, es sei denn, es liegen besondere Gründe vor (Meyer-
Ladewig, Sozialgerichtsgesetz 6.Aufl., § 109 RdNr 11). Besondere Gründe hat der Kläger für seinen Antrag nicht
vorgetragen. Diese sind auch nicht ersichtlich, da der gem § 109 SGG vom SG gehörte Prof.Dr.A.B ... bereits ein für
den Kläger positives Gutachten erstattet hat und medizinische Gesichtspunkte, die für eine weitere Begutachtung
sprechen könnten, nicht vorliegen. So hat sich auch der Kläger zur Fachrichtung des in Aussicht genommenen
Sachverständigen nicht geäußert.
Da kein Arbeitsunfall vorliegt, hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung. Die Berufung des
Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 22.06.1999 muss somit erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.