Urteil des LSG Bayern vom 15.07.2009

LSG Bayern: telefonist, schlosser, innere medizin, berufliche tätigkeit, rente, berufsunfähigkeit, ausbildung, persönlichkeitsstörung, auskunft, facharzt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 14 R 4173/07
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 767/08
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 25. August 2008 und unter
Abänderung des Bescheides vom 16. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2007
verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab 1. Juli 2006 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zuletzt noch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der 1960 in Indien geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. 1979 fuhr er zur See. Von 1. September
1983 bis 31. August 1986 absolvierte er eine Ausbildung zum Schlosser. Bis 30. April 2005 arbeitete er als
Metallbauschlosser bei der Fa. U. GmbH & Co Stahl- und Metallbau KG in C-Stadt. Aufgrund eines Arbeitsunfalls aus
dem Jahre 2001 (Fahrradunfall als Wegeunfall) bezieht er eine Verletztenrente der Süddeutschen Metall-
Berufsgenossenschaft (jetzt BG Metall Nord-Süd) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v.H ... Der
Kläger nahm an einer Integrationsmaßnahme durch die Beklagte in einer Überwachungsfirma teil.
Vom 11. November bis 2. Dezember 2004 und zuletzt von 22. Juni bis 13. Juli 2005 führte die Beklagte medizinische
Rehabilitationsmaßnahmen durch, aus denen der Kläger 2004 arbeitsunfähig und 2005 arbeitsfähig entlassen wurde.
Aber auch in dem Entlassungsbericht vom 23. Juli 2005 wurde ausgeführt, dass die Tätigkeit als Schlosser nur mehr
unter drei Stunden täglich ausgeübt werden könne. Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten noch
vollschichtig verrichtet werden.
Am 22. Juni 2006 stellte er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit. Der von der
Beklagten beauftragte Facharzt für Innere Medizin Dr. S. gelangte in seinem Gutachten vom 28. November 2006 zu
dem Ergebnis, dass der Kläger als Schlosser nur mehr unter drei Stunden, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch
noch sechs Stunden und mehr tätig sein könne. Dies werde bedingt durch eine posttraumatische
Funktionsbehinderung des linken Handgelenks nach distaler Radiusfraktur, eine Schädigung des Radius superficialis
des linken Nervus radialis mit Gefühlsminderung im Bereich des ersten bis dritten Fingers, eine Gefühlsminderung
des dritten bis fünften Fingers rechts bei Zustand nach Neurolyse und Vetralverlagerung des Nervus ulnaris im
Bereich des Ellenbogengelenks wegen posttraumatischem Sulcus ulnaris-Syndrom (jeweils Folgen des Arbeitsunfalls
vom 18. Oktober 2001), ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulen-(LWS-)Syndrom, einen essentiellen Bluthochdruck,
eine linksventrikuläre Hypertrophie und ein rezidivierendes Halswirbelsäulen-(HWS-)Syndrom. Die Wirbelsäule sei
jedoch funktionell kompensiert. Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten schloss sich am 6. Dezember 2006
dieser Einschätzung an.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 16. Januar 2007 ab. Der Kläger könne noch eine
Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
ausüben. Auch läge keine Berufsunfähigkeit vor. Zwar sei ihm die Tätigkeit als Schlosser nicht mehr zumutbar, er
könne jedoch noch mindestens sechs Stunden als Pförtner, Bürokraft oder Telefonist tätig sein. Den Widerspruch
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg brachte der Kläger vor, das
Leistungsvermögen auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt betrage "eher unter drei Stunden". Das Sozialgericht holte
eine Auskunft der letzten Arbeitgeberin, der Fa. U. GmbH & Co Stahl- und MetallbauKG vom 20. August 2007 ein. Die
vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Metallbauschlosser stufte diese als Facharbeitertätigkeit ein. Ferner zog das
Sozialgericht das für die Versicherungskammer Bayern erstellte Gutachten des Prof. Dr. H. (Universitätsklinikum E.)
auf dem Gebiet der plastischen und Handchirurgie vom 20. Februar 2007 bei und holte einen Befundbericht des
Allgemeinarztes Dr. A. vom 11. Oktober 2007 sowie des Chirurgen Dr. H. vom 14. August 2007 ein.
Der vom Sozialgericht ferner beauftragte Orthopäde Dr. W. R. diagnostizierte in dem Gutachten vom 26. Januar 2008
eine persistierende Funktionsbehinderung des linken Handgelenks bei Zustand nach distaler Radiusfraktur vom 8.
Oktober 2001, einen Zustand nach viermaliger Operation, Radiocarpalarthrose links, einen Zustand nach Operation
eines posttraumatischen Sulcus-ulnaris-Syndroms rechts nach Radiusköpfchenfraktur rechts vom 8. Oktober 2001,
ein degeneratives LWS-Leiden, ein HWS-Syndrom, eine depressive Episode, eine instabile Persönlichkeitsstörung
sowie eine Somatisierungsstörung, ferner einen Hypertonus und eine linksventrikuläre Hypertrophie, eine erektile
Dysfunktion, eine hormonelle Insuffizienz und eine Hypercholesterinämie. Das Leistungsvermögen werde zu einem
Großteil durch die Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2001 bestimmt, die insbesondere das linke Handgelenk
beträfen. Die psychischen Beeinträchtigungen hätten wohl schon vor dem Unfall im Jahre 2001 bestanden. Die
Funktionsstörungen an der LWS seien als eher mäßige degenerative Veränderungen einzustufen. Leichte körperliche
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien noch mindestens sechsstündig möglich, ebenso Tätigkeiten als
Pförtner oder Telefonist. Hebetätigkeiten seien jedoch zu vermeiden. Auch dürften keine gehobenen Ansprüche an die
Feinmotorik der Hände gestellt werden, so dass die Tätigkeit als Bürokraft regelmäßig ausscheide.
Ergänzend holte das Sozialgericht ein Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. D. vom 10. April 2008 ein. Diese
stellte vor allem die Unfallfolgen im Bereich der oberen Extremitäten beidseits fest: einen Zustand nach
Radiusköpfchenfraktur rechts mit posttraumatischem Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts, elektrophysiologisch aktuell
unauffällig, einen Zustand nach Volarverlagerung des Nervus ulnaris rechts 2002, einen Zustand nach distaler
Radiusfraktur links mit Abriss des Processus styloideus ulnae, eine Läsion des Radius superficialis des N. radialis
links, einen Zustand nach Knochenspahnentnahme aus dem rechten Beckenkamm zur Radiuskorrektur-Osteotomie,
seitdem mit Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus cuteaus femoris lateralis an der Außenseite des rechten
Oberschenkels, eine chronische Lumboischialgie sowie einen Hypertonus bei hypertropher Myopathie. Die
Untersuchung habe sich durch die abweisende und gereizte Art des Klägers mit zum Teil erheblich reduzierter
Mitarbeit schwierig erwiesen. Seit Januar 2008 stehe der Kläger auch in nervenärztlicher Behandlung und nehme ein
Antidepressivum. Seitdem gehe es ihm besser. Die Tätigkeit als Schlosser könne nur mehr unter drei Stunden täglich
ausgeübt werden. Leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien noch
mindestens sechs Stunden täglich möglich. Auch die Tätigkeiten als Pförtner, Bürokraft und Telefonist könnten noch
mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 25. August 2008 ab. Nach den vom Sozialgericht eingeholten
Gutachten sei der Kläger noch für leichte bis mittelschwere Arbeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden
täglich einsetzbar. Auch sei er verweisbar auf angelernte Tätigkeiten wie auf die Tätigkeiten als
Hochregallagerarbeiter, Telefonist oder Pförtner. Dies gelte vor allem für die Tätigkeit als Hochregallagerarbeiter.
Zur Begründung der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat der Kläger ausgeführt, er sei aufgrund der
orthopädischen und nervenärztlichen Erkrankungen nicht mehr in der Lage, mindestens sechs Stunden leichte
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Vor allem das Gutachten der Frau Dr. D. sei nicht
zutreffend. Die Befunde des behandelnden Arztes Dr. C. hätten dieser offensichtlich nicht vorgelegen. Dem Gutachten
fehle es an einer nervenärztlichen Diagnose. Es bestehe eine instabile Persönlichkeit sowie eine
Borderlinesymptomatik. Er sei auch nicht in der Lage, die benannten Verweisungstätigkeiten zu verrichten. Der
Hochregallagerarbeiter könne nicht durchgehend leichte körperliche Tätigkeiten verrichten, da es jeweils auf die
unterschiedliche Ausgestaltung des Hochregallagers ankomme. Auch ein reiner PC-Arbeitsplatz komme nicht in
Betracht.
Der Senat hat die Akte des Zentrums Familie und Soziales sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts Würzburg (Az.:
) beigezogen und einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. vom 4. November 2008
eingeholt. Dieser hat bescheinigt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung, Angst und depressive Störung
gemischt bestanden habe, sich der Gesundheitszustand jedoch im Jahre 2008 gebessert habe.
Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten hat am 15. Dezember 2008 ausgeführt, nach den Berichten des Dr. C.
ergebe sich kein schlüssiges Bild über die psychische Verfassung des Klägers.
Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Facharzt für Psychiatrie Prof. Dr. V./Dr. D. (Bezirk
Unterfranken) hat in seinem Gutachten vom 23. April 2009 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional
instabilen, narzistischen und histrionischen Zügen beschrieben. Es bestehe ein erhöhter Selbstanspruch, so dass der
Kläger eine qualitativ hochwertige Arbeit verrichten möchte. Da ihm eine Rückkehr in seine, möglicherweise im
Nachhinein auch glorifizierte, letzte berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich scheine und eine vergleichbare oder
eventuell bessere berufliche Alternative nicht zur Verfügung stehe, sehe er den Wegfall einer für ihn minderwertigen
Arbeit und die Berentung zur Umgehung einer Auseinandersetzung mit seiner Störung und Vermeidung der
Konfrontation. Ein mittlerweile langjähriger Prozess werde vom Kläger aufrecht erhalten. Bereits 2005 sei ein
sekundärer Krankheitsgewinn festgestellt worden. Psychodynamisch bestehe auch ein primärer Krankheitsgewinn.
Der Kläger könne die eingetretene Situation für sich nicht akzeptieren und reagiere mit einer milden depressiven
Symptomatik, damit verbunden mit einer leichten Einbuße an Konzentration und Antrieb. Eine Beeinträchtigung seiner
Leistungsfähigkeit aufgrund vorhandener psychischer Defizite sei hierdurch aber nicht abzuleiten. Eine - falls
orthopädisch mögliche - Arbeit würde die vorhandenen psychopathologischen Symptome bessern. Aus
nervenärztlicher Sicht könne der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, sogar aber auch die Tätigkeit als
Maschinenbauschlosser, als Pförtner, Telefonist oder Hochregallagerarbeiter mindestens sechs Stunden täglich
verrichten.
Der Senat hat den Beteiligten zur fraglichen Verweisung auf die Tätigkeit eines Telefonisten das rechtskräftige Urteil
des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 2000 (Az.: L 13 RJ 411/98) übersandt. Der Kläger hat darauf
hingewiesen, dass er unstreitig als Facharbeiter einzustufen sei. Er hat unter Bezugnahme auf ein vergleichbares
Verfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (Az.: L 6 R 831/05) die Ansicht vertreten, dass ein geeigneter
Verweisungsberuf nicht benannt worden sei. Dies gelte sowohl für die Tätigkeit als Hochregallagerarbeiter als auch als
Telefonist. Branchen- oder betriebsspezifische Kenntnisse seien für die Tätigkeit als Telefonist unabdingbar und bei
ihm nicht vorhanden. Er sei stets als Handwerker tätig gewesen.
Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2009 nur mehr,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des
Bescheides vom 16. Januar 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2007 zu verurteilen, dem
Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. Juli 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akten der Beklagten,
der Akte des Zentrums Familie und Soziales, der Gerichtsakte des Sozialgerichts Würzburg sowie der Klage- und
Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet, weil diesem ein Anspruch auf eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB
VI) zusteht. Aufgrund der Beschränkung des klägerischen Antrags in der mündlichen Verhandlung ist nur mehr über
diesen Anspruch zu entscheiden.
§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes als Sondervorschrift zu der Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf
vor dem 2. Januar 1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus. Da der Kläger 1960 geboren wurde,
fällt er somit unter diese Vertrauensschutzregelung.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung
im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher
Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Für die
Entscheidung der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von dem "bisherigen Beruf" auszugehen. Der Kläger
hat unstreitig den Beruf des Schlossers erlernt und genießt insofern Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne des
Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. BSG SozR 2200 Nr. 140 und SozR 3-2200 Nr. 27 je zu §
1246 RVO; für Angestellte: BSGE 55, 45; 57, 291). Dies ergibt sich auch aus der Auskunft der letzten Arbeitgeberin
vom 20. August 2007. Die Tätigkeit als Schlosser kann der Kläger aus orthopädischen Gründen nur mehr unter drei
Stunden täglich ausüben.
Dies ergibt sich zum einen aus den vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des Dr. R. auf orthopädischem
Fachgebiet und der Dr. D. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Der Kläger wird vor allem durch die Folgen
des 2001 erlittenen Wegeunfalls beeinträchtigt. Betroffen sind hierbei beide oberen Extremitäten. Es schlossen sich
mehrere operative Eingriffe an, die zu nicht unerheblichen Nervenschädigungen führten. Dr. D. beschreibt hierzu
eingehend einen Zustand nach Radiusköpfchenfraktur rechts mit posttraumatischem Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts,
einen Zustand nach Volarverlagerung des N. ulnaris rechts 2002, einen Zustand nach distaler Radiusfraktur links mit
Abriss des Processus styloideus ulnae, eine Läsion des R. superficialis des N. radialis links, einen Zustand nach
Knochenspahnentnahme aus dem rechten Beckenkamm zur Radiuskorrektur-Osteotomie sowie daraus resultierend
Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. cuteaus femoris lateralis, an der Außenseite des rechten Oberschenkels.
Dies deckt sich im Wesentlichen mit den Feststellungen des Dr. R. sowie des Dr. S. im Verwaltungsverfahren.
Funktionell beeinträchtigt ist vor allem das linke Handgelenk mit einer Funktions- und Belastungsminderung und
sensiblen Ausfällen. Sensible Ausfälle finden sich aber auch am rechten Arm, jedoch ohne weitere
Beeinträchtigungen. Dr. R. sieht keine wesentliche Verschlechterung gegenüber dem Rentengutachten des Dr. S., der
aber zu der Auffassung gelangt war, dass für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit keine nennenswerte Leistungsfähigkeit
mehr besteht.
Der Kläger stützt seine Berufung vor allem auf die Nichtberücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen. Diese sind
- fachfremd - von Dr. R. in Form einer depressiven Episode, einer instabilen Persönlichkeitsstörung sowie einer
Somatisierungsstörung festgestellt worden. Zutreffend ist, dass Frau Dr. D. sich bei ihrer Begutachtung vor allem auf
neurologische Gesichtspunkte, die durch den Arbeitsunfall bedingt sind, und weniger auf das psychische
Krankheitsbild bezieht. Letzteres wird für den vom Senat aus den eingeholten Befundberichten des Dr. C., der eine
posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Angst und depressive Störung gemischt diagnostizierte und seit 2008
behandelte, deutlich. Allerdings gelangte auch Frau Dr. D. zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit als Schlosser nur
mehr unter drei Stunden täglich ausgeübt werden kann.
Auch der nach § 109 SGG gehörte Facharzt für Psychiatrie Dr. D. bestätigte überzeugend, dass bei dem Kläger zwar
eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, narzisstischen und histrionischen Zügen vorliegt;
dabei handelt es sich um einen zumindest seit 2005 bestehenden Entwicklungsprozess, aus dem der Kläger einen
sekundären und primären Krankheitsgewinn zieht. Von besonderer Bedeutung ist dabei der erhöhte Selbstanspruch
des Klägers, der sich insbesondere auch auf den Anspruch an die eigene Arbeit auswirkt. Er strebt eine qualitativ
hochwertige Arbeit an, trauert seiner langjährigen Tätigkeit als Montagebauschlosser nach und zieht eine Berentung
einer geringerwertigen Arbeit vor. Die sich entwickelte Depression ist als gering bzw. als "milde" einzustufen. Nach
Ansicht dieses Sachverständigen sind aus rein psychiatrischer Sicht dem Kläger nicht nur die benannten
Verweisungstätigkeiten (Pförtner, Telefonist, Hochregallagerarbeiter), sondern auch die bisherige, vom Kläger sehr
geschätzte Tätigkeit als Schlosser mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Dies äußerte der Gutachter vor dem
Hintergrund, dass durch Aufnahme der Tätigkeiten eine Besserung der vorhandenen psychopathologischen
Symptome zu erwarten ist.
Allerdings sind die psychiatrischen Beeinträchtigungen in Zusammenschau mit den orthopädischen und
neurologischen zu sehen, so dass, wie das Sozialgericht zutreffend ausführte, die Tätigkeit als Schlosser nicht mehr
ausgeübt werden kann.
Die Berufsgruppen werden durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch
qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von
mehr als zwei Jahren), des ange-lernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters qualifiziert. Für den Bereich der
Angelernten ist zu unterscheiden zwischen einer Ausbildung von über 12 bis zu 24 Monaten (oberer Bereich) und
einem sonstigen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu 12 Monaten (unterer Bereich).
Sozial zumutbar kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nur auf Berufe der nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden
(ständige Rechtsprechung des BSG, siehe etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 15 und
SozR 3-2600 § 43 Nr. 17).
Ausgehend von der Facharbeitertätigkeit eines Metallbauschlossers muss sich der Kläger nach den vom
Bundessozialgericht entwickelten Grundsätzen zur Verwertung seines Restleistungsvermögens sozial zumutbar
verweisen lassen auf all diejenigen Tätigkeiten, die zu den Facharbeiterberufen und den staatlich anerkannten
Ausbildungsberufen gehören oder die eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten Dauer
erfordern, wenn er dazu gesundheitlich im Stande und beruflich fähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR
2200 § 1246 Nr. 37 und Nr. 152, jeweils m.w.N.). Auf eine Tätigkeit darf aber nur verwiesen werden, wenn die für sie
notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung
erworben werden können (BSGE 44, 288, 290 f; KassKomm-Niesel, § 240 Rdnr. 92).
Es besteht beim Kläger in Zusammenschau der vorliegenden Gutachten noch ein positives Leistungsvermögen für
leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen oder Sitzen, in geschlossenen Räumen. Aus
psychiatrischer Sicht besteht lediglich eine verminderte Arbeitsgeschwindigkeit, so dass Arbeiten unter Zeitdruck
anfänglich vermieden werden sollten. Auf orthopädischem Fachgebiet ist ein Wechsel aus Sitzen, Stehen und Gehen
notwendig, wobei ein Stehen über längere Zeiträume vermieden werden sollte. Längeres Sitzen ist auch nach eigenen
Angaben des Klägers möglich. Die Tätigkeiten sollten überwiegend in geschlossenen Räumen verrichtet werden. Zu
vermeiden sind Arbeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, schwere Hebetätigkeiten, die 10 kg übersteigen,
Arbeiten in Vorbeuge, in größerem Umfang knieend und in Hocke, in Zwangshaltungen, häufiges Bücken oder
Überkopfarbeit. Qualitative Einschränkungen ergeben sich durch die verbliebenen sensiblen Störungen an den
Händen, so dass hohe Anforderungen an die Feinmotorik der Hände nicht gestellt werden dürfen. Außergewöhnliche
Pausen sind nicht erforderlich.
Ein diesen rechtlichen und medizinischen Voraussetzungen entsprechend geeigneter Verweisungsberuf ist nicht
benannt. Dies gilt zunächst für eine Pförtnertätigkeit, die als ungelernte und nicht als angelernte Tätigkeit einzustufen
ist (so z.B. auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. August 2006, Az.: L 2 KN 17/05). Auch eine Tätigkeit
als Hochregallagerarbeiter scheidet aus. Zwar handelt es sich hierbei um eine höher qualifizierte Anlerntätigkeit,
jedoch ist diese Tätigkeit nicht als körperlich leicht, sondern als leicht bis zeitweise mittelschwer, teilweise auch
schwer in überwiegend stehender und gehender, nur zum Teil sitzender Arbeitshaltung einzustufen. Zwangshaltungen
können nicht ausgeschlossen werden. Ferner beträgt die Einarbeitungszeit in der Regel über drei Monate
(Regionaldirektion Bayern, Gutachten vom 1. Juli 2007).
Aufgrund der Beeinträchtigung der Feinmotorik der Hände scheiden reine PC-Tätigkeiten, wie sie bei Büroarbeit
anfallen, aus.
Auch eine Tätigkeit als Telefonist ist dem Kläger nicht zumutbar. Grundsätzlich kommt die Tätigkeit als Telefonist für
einen Facharbeiter als zumutbare Verweisungstätigkeit in Betracht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Die Tätigkeit
des Telefonisten umfasst die Bedienung von Telefon- und Fernsprechzentralen, die Erteilung von Auskünften, die
Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen und ähnlichem
sowie die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Die
Tätigkeit kann mit der Verrichtung einfacher Büroarbeiten oder/und dem Empfangen und Anmelden von Besuchern
gekoppelt sein. Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit in geschlossenen Räumen, bei der ein Wechsel
zwischen Sitzen, Gehen und Stehen möglich ist, wobei der Kläger angegeben hat, lange sitzen zu können. Diese
Tätigkeit wird in Abhängigkeit von der Art der Arbeitsaufgabe sowohl von gelernten oder angelernten Arbeitskräften als
auch von ungelernten Arbeitskräften ausgeübt (so z.B. auch Hessisches Landessozialgericht vom 26. Mai 2000, Az.:
L 13 RJ 411/98, unter Bezugnahme auf die Auskunft des Landesarbeitsamts Hessen vom 27. Oktober 1995). Nach
den einschlägigen Tarifverträgen ist für die angelernte Tätigkeit als Telefonist als Eingangsgruppe die eines
qualifizierten Angelernten maßgebend. Angestelltentätigkeiten in Büro und Registratur erfordern regelmäßig eine über
drei Monate hinausgehende Anlernzeit (vgl. z.B. Vergütungsgruppen VIII bis X des Tarifvertrags der kommunalen
Arbeitgeberverbände, Anlage I a zum BAT - VKA). In drei Monaten erlernbar sind damit nur Telefonistentätigkeiten wie
in den Vergütungsgruppen IX und X beschrieben. Da Eingangsgruppe für den Telefonisten die Vergütungsgruppe IX
des o.g. Tarifvertrages ist, wird deutlich, dass diese Tätigkeit im Eingangsberuf keine Anlerntätigkeit darstellt (so
auch z.B. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 7. April 2004, Az.: L 19 RJ 604/00). Der Kläger, der stets als
Schlosser bzw. Handwerker tätig war, hat keinerlei branchen- und betriebsspezifische Erfahrungen und Kenntnisse in
diesem Bereich. Zu den berufsspezifischen Fertigkeiten und Kenntnissen eines angelernten Telefonisten gehört die
Bedienung moderner EDV-gesteuerter Telekommunikationsanlagen einschließlich der dazugehörigen
Computerprogramme, die beim Kläger nicht vorhanden sind. Nach einer dreimonatigen Einarbeitungszeit könnte er
lediglich an einfach zu bedienende Telefonanlagen Vermittlungsarbeiten übernehmen. Dies stellt jedoch eine
ungelernte und keine angelernte Tätigkeit dar. Eine dreimonatige Einarbeitungszeit für höher qualifizierte Tätigkeiten
eines Telefonisten im Sinne einer angelernten Tätigkeit ist bei dem bestehenden Ausbildungsniveau und Berufsbild
des Klägers nicht ausreichend. Zutreffend verweist der Kläger insoweit auch auf das vom Bayer. Landessozialgericht
eingeholten betriebsärztliche Gutachten des Zentrums für berufliche Rehabilitation vom 23. Oktober 2007 (Bayer.
Landessozialgericht, Az.: L 6 R 767/08). In einem vergleichbaren Fall wird dort ausgeführt, dass es dem Kläger in
diesem Zeitraum nicht möglich sein wird, neben einem Kommunikationstraining ausreichende berufsspezifische
Kenntnisse, notwendige EDV-Fertigkeiten, eventuelle Grundkenntnisse in Büro- und Verwaltungsarbeit sowie
ausreichende branchen- und betriebsspezifische Kenntnisse zu erlangen.
Weitere Verweisungstätigkeiten sind von der Beklagten nicht benannt.
Eine geeignete Verweisungstätigkeit ist somit nicht benannt und im Übrigen für den Senat nicht erkennbar, so dass
dem Kläger ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB
VI zusteht. Dem klägerischen Antrag entsprechend stehen dem Kläger Leistungen gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI
ab 1. Juli 2006 zu. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war deshalb teilweise aufzuheben und die
streitgegenständlichen Bescheide abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung, bezogen auf den
ursprünglichen Berufungsantrag, teilweise erfolgreich war.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.