Urteil des LSG Bayern vom 29.10.2002

LSG Bayern: körperliche schwerarbeit, schreiner, berufsunfähigkeit, firma, qualifikation, baugewerbe, erwerbstätigkeit, baustelle, wechsel, berufsausbildung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.10.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 RJ 130/99
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 306/01
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. April 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der am 1944 geborene Kläger hat zunächst eine Ausbildung als Schreiner absolviert und war bis 1965 in diesem Beruf
tätig. Anschließend nahm er eine Tätigkeit als Fassadenmonteur auf und war in diesem Beruf bis zum Eintreten von
Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 12.05.1993 beschäftigt.
Am 12.05.1998 beantragte der Kläger, nachdem er von der Beklagten gewährte berufsfördernde Maßnahmen aus
gesundheitlichen Gründen hatte abbrechen müssen, erneut Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte
holte ein orthopädisches Gutachten von Dr.M. vom 28. Juli 1998 und ein internistisches Gutachten von Dr.S. vom
19.08.1998 zum berufichen Leistungsvermögen des Klägers ein. Diese beurteilten den Kläger aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr in der Lage, seine Tätigkeit als Fassadenbauer oder Schreiner zu verrichten. Leichte bis
mittelschwere Arbeiten seien dem Kläger jedoch zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes vollschichtig
möglich.
Mit Bescheid vom 28.08.1998 lehnte die Beklagte den Rentenantrag daraufhin ab.
Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.01. 1999 zurück. Angesichts des verbliebenen
Leistungsvermögens sei der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig im Sinne der §§ 43, 44 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) und habe keinen Rentenanspruch. Nach der Qualifikation seiner Tätigkeit als
Fassadenbauer sei er lediglich als einfach angelernter Arbeitnehmer anzusehen.
Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat Arbeitgeberauskünfte eingeholt sowie den Zeugen H. aus dem Büro des letzten Arbeitgebers
vernommen. Danach war der Kläger von 1971 bis 1994 bei der F. GmbH mit dem Montieren von
Fassadenverkleidungen beschäftigt und wurde zuletzt im Akkordlohn nach Berufsgruppe IV des Manteltarifvertrages
für das Baugewerbe entlohnt. Nach der Aussage des vom Sozialgericht in der Sitzung vom 29.09.1999 vernommenen
Zeugen wurden in dieser Lohngruppe die im Betrieb tätigen Facharbeiter entlohnt. Nach den Angaben des Zeugen, der
bei der Firma F. für die Abwicklung im Büro - Lohnpersonal Buchhaltung und Einkauf - zuständig war, sei der Kläger
zuletzt als mitarbeitender Bautruppführer und verantwortlich für zwei bis fünf weitere Mitarbeiter auf der Baustelle tätig
gewesen. Angelernte Fassadenarbeiter seien nach Lohngruppe V des Bautarifvertrages entlohnt worden. Ausgebildete
Handwerker und für die Baustelle Verantwortliche seien in Lohngruppe IV nach dem Rahmentarifvertrag für das
Baugewerbe entlohnt worden. Seinerzeit sei der Fassademonteur noch kein eigenständiger Ausbildungsberuf
gewesen. Vielmehr hätten neben Arbeitern ohne Vorbildung ausgebildete Handwerker wie Zimmerer, Schreiner oder
Spengler diese Tätigkeiten ausgeführt.
Neben den Ermittlungen zur beruflichen Qualifikation der versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers hat das
Sozialgericht einen fachärztlich chirurgischen Bericht aus der Berusgenossenschaftlichen Unfallklinik in M. vom
22.09.1999 beigezogen und ein fachorthopädisches Gutachten zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers von
Dr.S. vom 26.05.1999 mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 06.12.1999 eingeholt. Der ärztliche Sachverständige
hat darin eine unfallbedingte Versteifung des linken Sprunggelenks, eine Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden bei
degenerativen Veränderungen, beginnende Verschleißerscheinungen des linken Hüftgelenks und des linken Knies
festgestellt. Es sei dem Kläger mit Rücksicht darauf noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit mit körperlich leichter
Arbeit überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Stellungswechsels zumutbar, wie sie beispielsweise eine
Tätigkeit aus dem Berufsfeld des Pförtners darstelle. Körperliche Schwerarbeit und ständig mittelschwere Arbeiten
seien ebenso unzumutbar wie Arbeiten unter Zeitdruck in Akkord am Fließband, in Wechsel- oder Nachtschicht oder
mit Zwangshaltungen, mit Heben und Tragen schwerer Lasten, auf Leitern und Gerüsten oder unter ungeschützten
Witterungseinflüssen. Die Wegstrecke zum Arbeitsplatz sei auf höchstens 600 m einfach auf befestigten Wegen
begrenzt.
Die Beklagte sah in der Tätigkeit des Klägers keine den Berufsschutz eines Facharbeiters hervorrufende Qualifikation.
Zudem sei der Kläger auch nicht wie ein Facharbeiter - in Lohngruppe III -, sondern in Lohngruppe IV des
Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe entlohnt worden. Dies entspreche lediglich der Eingangsgruppe für
Facharbeiter. Der Kläger wies dagegen darauf hin, dass die Berufsausbildung zum Fassadenmonteur erst im Mai 1999
die Anerkennung eines Ausbildungsberufes mit dreijähriger Ausbildungsdauer erfahren habe. Vorher hätten derartige
Tätigkeiten Facharbeiter anderer anerkannter Berufsgruppen wie beispielsweise Zimmerer, Spengler oder Schreiner
verrichtet.
Mit Urteil vom 24. April 2001 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit
ab 1. Mai 1998 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Entscheidung hat es damit begründet,
dass der Kläger angesichts seines verbliebenen Leistungsvermögens noch zu den üblichen Bedingungen des
Arbeitsmarktes einer vollschichtigen Arbeit mit dafür nicht wesentlichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen
verrichten könnte und er deshalb nicht erwerbsunfähig sei. Andererseits genieße er in Anbetracht der von ihm
ausgeübten Tätigkeit den Berufsschutz eines Facharbeiters mit einer regelmäßigen Ausbildungsdauer von drei
Jahren, da er diese Tätigkeit zuletzt vollwertig und nachhaltig verrichtet habe. Die von der Beklagten in diesem
Zusammenhang genannten Verweisungstätigkeiten, wie leichte Montier-, Sortier-, Verpack- oder Maschinenarbeiten
seien jedoch dem Kläger als ungelernte Tätigkeiten angesichts seines Berufsschutzes nicht zumutbar. Der Kläger
habe daher Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Der Kläger genieße angesichts der beruflichen Qualifikation
seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nicht den Berufsschutz eines Facharbeiters. Auf ihre Anfrage habe die Firma
F. am 30.07.1996 die Auskunft erteilt, dass der Kläger zu seiner Tätigkeit als Fassadenmonteur angelernt worden sei
und dazu eine betriebliche Einarbeitung von 12 Monaten erforderlich gewesen wäre, eine Qualifiaktion, die auch von
vollkommen fachfremden Versicherten in diesem Zeitraum erreicht hätte werden können. Seinerzeit habe die Firma F.
zwar auch mitgeteilt, dass der Kläger sämtliche üblichen Arbeiten eines Facharbeiters mit mehr als zweijähriger
Berufsausbildung verrichtet habe, als Vorarbeiter gegenüber drei Personen weisungsberechtigt gewesen sei und er als
Facharbeiter nach dem Tarifvertrag des Baugewerbes entlohnt worden sei. Dies sei jedoch in sich widersprüchlich.
Die Tätigkeit des Klägers sei daher nicht der eines Facharbeiters mit dreijähriger Ausbildung gleichzusetzen und
könne auch nicht aus der Aussage des vom Sozialgericht vernommenen Zeugen abgeleitet werden. Zudem sei der
Kläger lediglich im Wege des Bewährungsaufstieges in Lohngruppe IV des Manteltarifvertrages für das Baugewerbe
entlohnt worden, auch wenn dies nach den späteren Aussagen der Firma F. im sozialgerichtlichen Verfahren und der
Zeugenvernehmung auf die höhere Verantwortung des Klägers und die Vorarbeiterfunktion zurückzuführen gewesen
sei. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der Senat hat Gutachten auf innerem, orthopädischem und nervenärztichem Fachgebiet zum beruflichen
Leistungsvermögen des Klägers eingeholt.
In seinem internistischen Gutachten vom 26.04.2002 stellt Dr.E. als Gesundheitsstörungen einen arteriellen
Bluthochdruck, eine arterielle Verschlusskrankheit Grad I bis II, eine chronische Bronchitis mit beginnender
Obstruktion, eine Hepatomegalie und Fettleber sowie eine Hypercholesterinämie fest. Mit Rücksicht darauf sei der
Kläger noch zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit mit leichten bis kurzzeitig mittelschweren Tätigkeiten in der
Lage. Eine Tätigkeit als Schreiner sei damit nicht mehr möglich. Zu vermeiden seien Tätigkeiten, die dauerhaft im
Freien und unter ungeschütztem Einfluss von Kälte, Nässe oder Hitze zu verrichten seien, ebenso Heben und Tragen
schwerer Lasten oder Tätigkeiten an Arbeitsplätzen, die mit vermehrtem Staubanfall oder in reizenden Gasen oder
Dämpfen auszuführen seien.
Dr.K. stellt in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 16.04.2002 von Seiten seines Fachgebietes einen weitgehend
unauffälligen psychiatrischen Untersuchungsbefund fest. Es bestünden lediglich Beschwerden im Sinne eines
chronischen Lendenwirbelsäulen-Syndroms; eine eigenständige neurologische oder psychiatrische Erkrankung läge
beim Kläger jedoch nicht vor. Dementsprechend seien dem Kläger leichte bis teilweise mittelschwere körperliche
Tätigkeiten vollschichtig möglich. Lediglich schwere körperliche oder ausschließlich mittelschwere körperliche
Tätigkeiten in Zwangshaltungen seien dem Kläger nicht mehr zumutbar. Dementsprechend sei eine Tätigkeit als im
erlernten Beruf des Schreiners nicht mehr möglich.
In seinem orthopädischen Gutachten vom 19.04.2002 stellt Dr.F. Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule,
geringe Verschleißerscheinungen an den Hüftgelenken beidseits, deutlichen Verschleiß des linken Kniegelenks und
minimaler Verschleiß des rechten fest sowie eine Ankylose des linken oberen Sprunggelenkes nach Verletzung und
operativer Versteifung nach Arbeitsunfall im Jahre 1993. Mit Rücksicht darauf sei dem Kläger eine Tätigkeit als
Schreiner oder Fassadenbauer nicht mehr zumutbar; es seien ihm jedoch noch körperlich leichte Arbeiten
vollschichtig möglich. Pausenloses Stehen oder ununterbrochenes Sitzen ohne die Möglichkeit zum Wechsel der
Körperposition sollte ebenso vermieden werden wie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, in kniender oder
hockender Stellung, unter ungeschützten Einflüssen von Kälte, Nässe oder Zugluft, oder Tätigkeiten auf unwegsamen
Gelände oder mit Heben und Tragen von Lasten.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Beigezogen waren die Akten der Beklagten und die des Sozialgerichts Augsburg, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt
der Berufungsakte zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sachlich ist sie jedoch nicht begründet, da
das Sozialgericht zu Recht dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen hat.
Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs.2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Entscheidungsgründen der
angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts an und sieht deshalb insoweit von einer erneuten Darstellung der
Entscheidungsgründe ab. Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit entsprechend dem Ergebnis der Beweisaufnahme
und der geltenden Rechtslage entschieden.
Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers hat das vom
Sozialgericht Augsburg seiner Entscheidung zugrunde gelegte Beweisergebnis bestätigt. Die Sach- und Rechtslage
besteht daher unverändert fort.
Entgegen der Ansicht der Berufungsklägerin rechtfertigt das Ergebnis der vom Sozialgericht durchgeführten
Beweisaufnahme den vom Sozialgericht dem Kläger zugestandenen Berufsschutz eines Facharbeiters und entspricht
darin auch den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen. Der Senat sieht die vom
Sozialgericht Augsburg vorgenommenen Beweiswürdigung als schlüssig an und kann den dagegen vorgebrachten
Einwendungen der Beklagten nicht folgen. Insbesondere hat das Sozialgericht der Aussage des von ihm
vernommenen Zeugen besondere Bedeutung beigemessen und dadurch die in den vorherigen schriftlichen Auskünften
der Firma F. in ihrer verkürzten Darstellung ungenauen und daher verschiedene Auslegungen zulassenden Auskünfte
durch die Aussage des Zeugen als nunmehr eindeutig im Sinne des Klägers geklärt angesehen.
Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg ist daher nicht zu beanstanden. Die Berufung der Beklagten war
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.