Urteil des LSG Bayern vom 14.12.2005

LSG Bayern: eigene mittel, sozialhilfe, stadt, fliegen, auflage, hauptsache, zivilprozessordnung, ausnahme, härtefall, notlage

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 14.12.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 9 SO 179/05 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 510/05 SO ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 01.08.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
(SGB XII) für den Zeitraum ab dem 01.07.2005.
Mit zwei gleich lautenden Schreiben vom 26.06.2005 an das Verwaltungsgericht A. und vom 05.07.2005 an das
Sozialgericht Nürnberg beantragte der Antragsteller (ASt) Leistungen der Sozialhilfe ab dem 01.07.2005. Er besitze
zwar ein Guthaben von 8.000,00 EUR, das er sich von Sozialhilfeleistungen gespart habe, weil er ins Ausland fliegen
müsse. Außerdem wolle er in eine Großstadt ziehen, dafür brauche er die gesparten Sozialhilfeleistungen. Deshalb
müsse der Antragsgegner (Ag) verpflichtet werden, ihm sofort Hilfe für den Lebensunterhalt und Beiträge zur
Krankenversicherung zu bewilligen.
Das Verwaltungsgericht A. verwies mit Beschluss vom 04.07.2005 den Rechtsstreit an das Sozialgericht Nürnberg,
das die beiden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter dem Az: S 9 SO 179/05 verband.
Der Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.
Der ASt habe seit Jahren Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nach dem Gesetz über eine
bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) und in der Zeit vom 01.01.2005 bis
einschließlich 30.06.2005 nach dem SGB XII bezogen. Bei einer Prüfung der Leistungsvoraussetzungen habe der Ag
am 22.06.2005 festgestellt, dass der ASt ein Sparbuch mit einem Guthaben in Höhe von 8.078,55 EUR zu eigen
habe. Hierüber habe der ASt in seinem Leistungsantrag vom 02.12.2004 keinerlei Angaben gemacht. Abzüglich des
Freibetrages nach § 90 SGB XII in Höhe von 2.600,00 EUR verbliebe dem Kläger Vermögen, aus dem er seinen
Lebensunterhalt bestreiten könne. Zur Sicherung seines weiteren Krankenversicherungsschutzes sei ihm im Rahmen
der Anhörung angeboten worden, bei "Rückzahlung" des den Freibetrag übersteigenden Betrages sowohl die
Leistungen für den Lebensunterhalt als auch die Krankenversicherungsleistungen weiter zu erbringen. Damit sei der
ASt aber nicht einverstanden gewesen.
Das SG lehnte mit Beschluss vom 01.08.2005 die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz vom 20.07.2005 und vom
28.06.2005 ab. Der ASt besitze eigenes Vermögen, das er zur Bedarfsdeckung einsetzen müsse.
Hiergegen wendet sich der ASt mit seiner beim Sozialgericht Nürnberg am 30.08.2005 eingegangenen Beschwerde.
Ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen, führt er aus, man müsse das Recht haben, Sozialhilfe zu sparen, wenn
man sie in einer Großstadt oder im Ausland brauche.
Der Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen Bezug
genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das SG
hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Ag im Wege der einstweiligen
Anordnung zur Leistungserbringung ab dem 01.07.2005 zu verpflichten. Es kann dabei dahinstehen, ob die
Verbindung der beiden sozialgerichtlichen Verfahren - beide hatten ein und denselben Streitgegenstand - erforderlich
war (§ 202 SGG iVm § 17 Abs 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz).
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
(Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(§ 86 b Abs 2 Satz 2 SGG). Dass ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder
unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74 und vom 19.10.1977
BVerfGE 46, 166/179; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Auflage 2005, RdNr 643).
Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass der ASt Angaben zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes
- das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-
rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - glaubhaft machen kann (§ 86 b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm §
920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNr 41).
Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl dazu im Einzelnen BVerfG vom 12.05.2005
NDV-RD 2005, 59) zeigt sich, dass das Begehren des ASt auf Leistungen der Sozialhilfe ab dem 01.07.2005 keinen
Erfolg haben kann.
Dem ASt steht schon kein Anordnungsgrund zur Seite. Soweit er Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis zur
Entscheidung des Beschwerdegerichtes begehrt, entfällt die Eilbedürftigkeit der Rechtssache bereits deshalb, weil er
hier Leistungen der Sozialhilfe im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für abgelaufene Bewilligungszeiträume
begehrt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommen Leistungen der Sozialhilfe nur zur Abwendung
einer gegenwärtigen Notlage in Betracht, so dass sie - jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes -
nicht für die Vergangenheit beansprucht werden können. Der ASt hat nicht dargetan, dass in seinem Fall eine
Ausnahme von diesem Grundsatz gegeben wäre.
Aber auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde des ASt kann von einer Eilbedürftigkeit der
Rechtssache keine Rede sein. Der ASt besitzt unstreitig ein Vermögen von über 8.000,00 EUR, das ihn ohne weiteres
in die Lage versetzt, seinen Lebensunterhalt hinreichend zu bestreiten. Er hat deswegen weder schwere noch
unzumutbare Nachteile hinzunehmen, wenn er - wie hier - auf eine etwaige Entscheidung in der Hauptsache verwiesen
wird.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dem ASt offensichtlich auch kein Anordnungsanspruch zur Seite steht.
Dem ASt verbleiben aus seinem Sparguthaben auch abzüglich des kleineren Barbetrages nach § 90 Abs 2 Nr 9 SGB
XII so viel eigene Mittel übrig, dass er hiervon seinen Lebensunterhalt einschließlich Krankenversicherungsschutz
ohne weiteres bestreiten kann. Seine Einlassungen, er brauche das Geld, um ins Ausland zu fliegen und in einer
Großstadt zu wohnen, liegen neben der Sache. Leistungen der Sozialhilfe werden nicht dazu erbracht, Vermögen
anzusparen. Es liegt mithin auch kein Härtefall iSd § 90 Abs 3 Satz 1 SGB XII vor.
Die Beschwerde des ASt hat deshalb insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).