Urteil des LSG Bayern vom 01.02.2006

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 01.02.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 23 U 497/02
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 233/04
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.02.2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund eines Arbeitsunfalls Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat.
Der 1965 geborene Kläger erlitt am 31.03.2000 einen polizeilich nicht aufgenommenen Verkehrsunfall, als ihm auf
dem Heimweg von der Arbeit ein Kraftfahrzeug auf seinen in einer Autoschlange stehenden Personenkraftwagen
auffuhr, so dass sich dieser auf das vor ihm stehende Kraftfahrzeug schob. Dabei verletzte sich der Kläger im
Bereich der Halswirbelsäule. Der Durchgangsarzt Prof.Dr.H. stellte eine Distorsion nach Erdmann Grad II fest. Der
Kläger erhält bereits wegen einer Frakturverletzung der Halswirbelsäule aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25.06.1991
von der Gartenbau-Berufsgenossenschaft Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80
v.H.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte Befundberichte des Krankenhauses M. , in dem der Kläger bis
04.05.2000 stationär behandelt wurde, vom 03.04.2000, 12.04.2000, 14.04.2000 und 20.04.2000 bei sowie des
Neurologischen Rehabilitationszentrums G. vom 30.05.2000 und 20.06.2000, in dem sich der Kläger im Anschluss an
den Krankenhausaufenthalt bis 15.06.2000 befand. Weiter holte sie das Gutachten des Dr.N. vom 05.12.2000 mit
radiologischem Zusatzgutachten vom 08.12.2000 ein, der auf nervenärztlichem Gebiet Unfallfolgen ausschloss, sowie
das Gutachten des Prof.Dr.B. vom 10.02.2001, der auf chirurgischem Fachgebiet unfallbedingt eine sechswöchige
Arbeitsunfähigkeit annahm, eine MdE aber nicht feststellen konnte.
Mit Bescheid vom 16.03.2001 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rentenleistungen mit der Begründung ab, der
Kläger habe eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der vorgeschädigten Halswirbelsäule erlitten. Die noch bestehenden
Funktionseinschränkungen seien ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 25.06.1991 zurückzuführen. Unfallbedingte
Arbeitsunfähigkeit habe bis 04.07.2000 bestanden. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch begehrte der Kläger die
Bewilligung zumindest einer Stützrente und wies dabei auf ein blutendes Ulcus ventriculi sowie auf
Oberbauchbeschwerden hin, die er auf die Behandlung mit Cortison im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall
zurückführte. Hingewiesen wurde auf ein ärztliches Attest der Dr.M. vom 26.07.2001. Die Beklagte beauftragte Dr.E. ,
das Gutachten vom 13.03.2002 zu erstellen, der auch auf internistischem Gebiet keine MdE feststellen konnte. Die
durch die Medikation hervorgerufene Ulcusblutung habe eine Arbeitsunfähigkeit von maximal drei Wochen zur Folge
gehabt. Die eingetretenen Veränderungen seien nach dem Gastroskopiebefund vom Dezember 2000 ausgeheilt. Die
funktionellen Oberbauchbeschwerden seien möglicherweise psychisch bedingt. Die Abdomensonographie habe sich
unauffällig dargestellt. Weitere Untersuchungen wie eine Endoskopie seien wegen der eingehenden
Voruntersuchungen, insbesondere im Krankenhaus M. , entbehrlich gewesen. Daraufhin stellte die Beklagte mit
Bescheid vom 10.04.2002 weiter fest, dass auch auf internistischem Gebiet keine MdE-relevanten Unfallfolgen
vorliegen würden. Nach Eingang weiterer Befundberichte der Dres. H. und M. vom 03.06.2002 und 18.06.2002 wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2002 den Widerspruch zurück.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Dieses hat Gutachten
eingeholt des Orthopäden Dr.G. vom 21.11.2002 und auf Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des
Orthopäden Dr.O. vom 07.05.2003. Dr.G. hat darauf hingewiesen, bei dem Unfallereignis vom 31.03.2000 habe der
Kläger ein erneutes Distorsionstrauma nach Erdmann Grad II mit Zerrungen der Halsweichteile, eine muskuläre
Überlastung und chronisch rezidivierende Muskelreizerscheinungen, aber ohne eine nachweisbare knöcherne oder
diskoligamentäre Verletzung, erlitten. Neu aufgetretene neurologische Störungen hätten nicht nachgewiesen werden
können. Eine MdE messbaren Grades über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus habe nicht bestanden. Dr.O. hat
ausgeführt, unfallabhängig bestünde eine chronifizierte Schmerzkrankheit. Die anhaltend deutlich eingeschränkten
Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie der vorbestehenden und der neu eingetretenen Schmerzen nach dem
blutenden Magenulcus durch die Unfallheilbehandlung führe zu einer MdE von 10 v.H. Das SG hat mit Urteil vom
20.02.2004 die Klage abgewiesen und sich auf die Beurteilungen des Dr.G. , des Prof.Dr.B. und des Dr.N. gestützt.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, er leide unter urologischen Störungen, die sich
durch den Unfall verstärkt hätten. Die Darmfunktionsstörungen seien erst nach dem Unfall aufgetreten. Die von Dr.M.
in seinem Bericht vom 18.06.2002 angeführte C8-Wurzelläsion sei durch den Unfall verursacht worden. Weiter nimmt
der Kläger Bezug auf einen CT-Befund von Dr.B. vom 17.05.2001 sowie ein internistisches Gutachten von W.M. vom
17.12.2001, das im Rahmen des Rechtsstreits L 15 SB 143/97 erstellt wurde.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 20.02.2004 und
unter Abänderung der Bescheide vom 16.03.2001 und 10.04.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
16.07.2002 zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 10 v.H. zu gewähren, hilfsweise ein
weiteres Gutachten von Amts wegen auf gastroenterologischem Fachgebiet einzuholen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialge- richts München vom 20.02.2004
zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gartenbau-Berufsgenossenschaft zum Unfall vom 25.06.1991 und
des Sozialgerichts München, der Akten des Bayer. Landessozialgerichts L 3 B 621/04 U, L 15 SB 143/97, L 15 SB
153/97 und auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.02.2004 ist nicht zu
beanstanden. Der Kläger hat gegen die Beklagte aufgrund des Arbeitsunfalls vom 31.03.2000 keinen Anspruch auf
Zahlung von Verletztenrente. Nach Ablauf der von der Beklagten anerkannten unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bis
04.07.2000 sind keine Unfallfolgen festzustellen, die eine messbare MdE begründen könnten. Der Senat folgt
diesbezüglich in vollem Umfang den Gründen des angefochtenen Urteils und sieht insoweit gemäß § 153 Abs.2 SGG
von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass die Bewertung der MdE aufgrund eines Arbeitsunfalls stets mit besonderen
Schwierigkeiten behaftet ist, wenn Verletzungen von Funktionsbereichen betroffen sind, die bereits vor dem Unfall
hochgradig eingeschränkt waren und wie hier mit einer MdE von 80 v.H. bewertet sind. In solchen Fallkonstellationen
kommt den medizinischen Sachverständigen eine besondere Verantwortung zu, weil hier die auftretenden
Abgrenzungsfragen ein hohes Maß an Sorgfalt und Erfahrung voraussetzen. Nach Auffassung des Senats genügen
die im Feststellungsverfahren von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten des Dr.N. , des Prof.Dr.B. und des
Dr.E. sowie das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten des Dr.G. diesen Anforderungen und stellen überzeugende
Beurteilungsgrundlagen dar. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten werden nicht dadurch, weil sie von
der Beklagten eingeholt worden sind, zu Parteigutachten. Solche Gutachten können im Wege des Urkundenbeweises
verwertet werden und Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 118 SGG Nr.3; § 128 SGG Nr.66).
Dagegen war den Bewertungen des Dr.O. nicht zu folgen. Zwar hat auch Dr.O. wie die Vorgutachter keine auf den
Arbeitsunfall zurückzuführenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet beschrieben. Soweit der
Sachverständige aber eine unfallabhängige chronifizierte Schmerzkrankheit mit Beschwerdeangabe im Sinne eines
zervikozephalen Syndroms und verminderter Medikamentenverträglichkeit anführte und wegen einer Einschränkung
der medikamentösen Therapiemöglichkeiten nach dem blutenden Magenulcus durch die Unfallheilbehandlung eine
MdE von 10 v.H. ansetzte, war seiner Beurteilung nicht zu folgen.
Der Kläger erlitt bei dem Arbeitsunfall vom 31.03.2000 eine Zerrung bzw. Verstauchung der Halswirbelsäule, die
folgenlos ausgeheilt ist. Eine weitere auf diesen Unfall zurückzuführende, insbesondere eine knöcherne oder
diskoligamentäre Verletzung der Halswirbelsäule oder weitere neurologische Störungen konnten nicht nachgewiesen
werden. Im Vordergrund der zeitnah zum Unfall erhobenen Befunde standen die Gesundheitsstörungen, die sich der
Kläger bereits bei dem Arbeitsunfall vom 25.06.1991 zugezogen hatte. Zerrungen der Halsweichteile sowie die
muskuläre Überlastung mit chronisch rezidivierenden Muskelreizerscheinungen, wie sie Dr. G. beschrieben hat, heilen
innerhalb von drei bis vier Monaten aus. Ein Hinweis auf eine rückläufige Symptomatik ergibt sich dementsprechend
aus dem Befundbericht des Krankenhauses M. vom 20.04.2000, in dem eine Besserung der Schmerzsymptomatik
beschrieben wurde. Aufgrund des deutlichen Vorschadens im Bereich der Halswirbelsäule ist es ohne nachgewiesener
neuer, durch den Unfall vom 31.03.2000 hervorgerufener Strukturverletzungen nicht zu begründen, auch nur einen Teil
der bestehenden Funktionseinschränkung ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Entgegen den
Ausführungen des Dr.O. kann deshalb auch eine von ihm festgestellte chronifizierte Schmerzkrankheit nicht auf den
Arbeitsunfall vom 31.03.2000 zurückgeführt werden. Seine Einschätzung der MdE mit 10 v.H. ist nicht
nachvollziehbar, weil er offenbar nicht die von ihm als unfallabhängig chronifizierte Schmerzkrankheit, sondern eine
eingeschränkte Möglichkeit medikamentöser Therapie von vorbestehenden und neu eingetretenen Schmerzen
bewertet. Er vermengt also zum einen die von ihm festgestellten Folgen beider Unfälle, zum anderen verlässt er mit
dieser internistischen Einschätzung sein Fachgebiet.
Dem neurologische Befundbericht des Dr.M. vom 18.06.2002 ist eine weitere Folge des Arbeitsunfalls vom
31.03.2000 nicht zu entnehmen. Dr.M. führte in der Diagnose eine chronische C8-Wurzelaffektion ausdrücklich nicht
auf den Arbeitsunfall vom 31.03.2000, sondern auf den vom 25.06.1991 zurück. Auch das ärztliche Attest der Dr.M.
vom 26.07.2001 führt zu keiner abweichenden Bewertung, denn ihren Ausführungen kann nicht entnommen werden,
dass gerade der Unfall vom 31.03.2000 für das diagnostizierte Schmerzsyndrom wesentlich ursächlich sein soll.
Dr.M. spricht lediglich von der Möglichkeit eines Zusammenhangs des Unfalls mit den vom Kläger vorgetragenen
Oberbauchbeschwerden, wenn sie ausführt, diese könnten als Folge der spinalen Kontusion mit einer Schädigung von
Anteilen des Nervus vagus zu sehen sein oder es könnten diese im Rahmen einer reaktiven depressiven Entwicklung
als Ausdruck einer Schmerzstörung verstärkt werden. Allein die Möglichkeit genügt für die Annahme eines
kausalrechtlichen Zusammenhangs nicht.
Der Senat sah sich wegen der vom Kläger vorgetragenen Beschwerden auf internistischem Gebiet nicht veranlasst,
weitere Ermittlungen durchzuführen und ein Gutachten auf gastroenterologischem Gebiet einzuholen. Die vorliegenden
Befundberichte und das internistische Gutachten des Dr.E. bieten eine ausreichende Beurteilungsgrundlage zur Frage
eines Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und den vom Kläger geäußerten Beschwerden. Danach sind die
funktionellen Oberbauchbeschwerden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Allein eine Möglichkeit, dass der Unfall eine psychische Situation hervorgerufen hat, die sich ungünstig ausgewirkt
hat, reicht auch hier nicht aus, um den im Unfallversicherungsrecht erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen
dem Erstschaden und den genannten Beschwerden herzustellen. Ein solcher Zusammenhang besteht zwar für die
Ulcusblutung unter NSAR, weil therapeutische Maßnahmen im Zuge der unfallbedingten Behandlung zu dieser Blutung
führten. Allerdings heilen Magenschleimhautschädigungen ohne Narbenbildung regelmäßig spätestens nach zwei
Wochen unter entsprechender Therapie ohne funktionelle Störungen ab. Eine solche Abheilung wurde auch bei dem
Kläger durch die Gastroskopie im Zuge des stationären Aufenthalts vom 07.12.2000 bis 19.12.2000 bestätigt. Bei
dieser Untersuchung wurde ein Ulcusrezidiv ausgeschlossen. Außerdem stellte sich der obere Gastrointestinaltrakt
unauffällig dar. Die CT-Aufnahme des Abdomens vom 17.05.2001 ergab keinen pathologischen Befund, sondern nur
einen möglichen Hinweis auf eine verzögerte Passage. Ein weiteres Gutachten auf gastroenterologischem Fachgebiet
würde deshalb nach Auffassung des Senats zu keinen neuen für die Entscheidung wesentlichen Erkenntnissen
führen. Bei im Wesentlichen unauffälligem Untersuchungsbefund bezüglich der Schleimhautulzerationen können auch
später eingetretene Beschwerden, wie sie im Zuge der Begutachtung durch W.M. (Gutachten vom 17.12.2001)
geäußert wurden, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden. Dieses Gutachten,
welches im Rahmen eines Schwerbehindertenrechtsstreits erstattet wurde, enthält im Übrigen keine kausalrechtlichen
Antworten und ist deshalb im Unfallversicherungsrecht nicht verwertbar. Dessen ungeachtet konnte W.M. nur eine
geringfügige Veränderung der Magenschleimhaut diagnostizieren, wobei er sich im Grunde auf die Angaben des
Klägers stützte. Bei unauffälliger klinischer Untersuchung und unauffälligen Laborwerten diagnostizierte er lediglich
eine rezidivierende Gastritis ohne größere Aktivität. Auch die vom Kläger angegebenen Beschwerden auf
urologischem Gebiet können nicht ursächlich auf den Unfall vom 31.03.2000 zurückgeführt werden. Es ergibt sich aus
dem Gutachten von Prof.Dr.B. vom 05.08.2000, das im Zuge des oben genannten Schwerbehindertenrechtsstreits
eingeholt wurde, dass neurogene Blasenentleerungsstörungen schon vor dem zweiten Unfall festgestellt wurden. Die
Versorgungsverwaltung bot bereits mit Vergleichsangebot vom 01.12.1999 an, u.a. funktionelle Störungen von
sexuellen Funktionen und der Blasenentleerung als Behinderung anzuerkennen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.02.2004 war somit zurückzuweisen.
Dem Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf gastroenterologischem Gebiet war nicht zu
entsprechen, weil nach Auffassung des Senats der Sachverhalt aufgeklärt ist, weitere entscheidungserhebliche
Erkenntnisse also nicht zu erwarten sind.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.