Urteil des LSG Bayern vom 14.04.2010

LSG Bayern: verbot der diskriminierung, europäisches recht, sicherstellung, akte, existenzminimum, abgrenzung, computer, verwaltung, passiven, strafrecht

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 51 AS 310/10 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 172/10 B ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 2. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag der Beschwerdeführer, für das Beschwerdeverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht
Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführer machen einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) zur Deckung eines besonderen Bedarfs nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
geltend.
Der Beschwerdeführer war vor Jahren Inhaber eines Verlages, der insolvent wurde. In diesem Zusammenhang macht
er auch in zivilrechtlichen Verfahren urheberrechtliche Ansprüche und Ansprüche auf Schadensersatz geltend. Die
miteinander verheirateten Beschwerdeführer beziehen seit längerem Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt wurden mit
Bescheid vom 03.11.2010 laufende Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 bewilligt. Am
Sozialgericht München sind zahlreiche Klageverfahren der Beschwerdeführer gegen die Beschwerdegegnerin
anhängig.
Am 09.02.2010 entschied das Bundesverfassungsgericht (1 BvL 1/09), dass bis zur Neuregelung durch den
Gesetzgeber ein Anspruch auf Leistungen zu Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen,
besonderen Bedarfs, der zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken ist, nach
Maßgabe dieses Urteils unmittelbar aus dem Grundgesetz geltend gemacht werden könne.
Ebenfalls am 09.02.2010 um 18:25 Uhr stellten die Beschwerdeführer beim Sozialgericht München einen Antrag auf
einstweilige Anordnung. Es gehe um die Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen,
besonderen Bedarfs. Es sei ein allumfassender und unmittelbarer "Gesamtbedarf des Schadensersatzes und der
Schmerzensgelder" zu den "nicht anzutastenden Urheberrechten" der Beschwerdeführer zu leisten. Hinzu kämen
"unmittelbar nötige Leistungen zur Wohnungsgröße und entsprechende Energie-, Kommunikations-, Mobilitäts- und
Geräte/Produktionsstätten Bedarfe sowie Mobilitätsfreiheiten auch zu Presserechten". Ferner wurde verwiesen auf die
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere auf die aktive und passive Wahlfreiheit, eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Handel mit Treibhausgas-Emissionszertifikaten (Beschluss vom
10.12.2009, 1 BvR 3151/07), eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Verbot der Diskriminierung
wegen Alters zwischen Privatpersonen (C 555/07 vom 19.01.2010) und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu
einer Verurteilung wegen Geldwäsche (1 StR 95/09 vom 04.02.2010).
Auf die Frage des Sozialgerichts, welcher atypische Sonderbedarf geltend gemacht werde, teilten die
Beschwerdeführer mit, das die Frage darauf hindeute, dass das Sozialgericht möglicherweise die Verfassung der
Bundesrepublik Deutschland, die Menschenrechte und die Grundrechte der Europäischen Union sowie das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 noch nicht ganz verstanden habe. Benötigt würden Werkzeuge ("Profi-
Computernetzwerke, Profi-Monitore, Profi-Fotoapparate, Profi-Zeichentische, Profi-Malmaterial, Profi-Zeichenmaterial,
Profi-Fachliteratur, Profi-Computerprogramme usw.") zu "Kreativitätsausübungen und Berufsweiterbildungen". In
Anlehnung an eine Entscheidung eines französischen Gerichts würden die Ansprüche wegen
Urheberrechtsverletzungen auf mindestens 30.000,- bis 50.000,- Euro täglich geschätzt werden.
Mit Beschluss vom 22.02.2010 wies das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es
bereite Mühe, einen laufenden Sonderbedarf zu erkennen. Eine Einschränkung des Existenzminimums sei ebenfalls
nicht erkennbar. Der vom Bundesverfassungsgericht bezeichnete Sonderbedarf betreffe das soziokulturelle
Existenzminimum. Dieses bemesse sich nicht nach den individuellen gehobenen Vorstellungen der
Beschwerdeführer. Außerdem fehle es an einem Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der
gerichtlichen Entscheidung.
Am 08.03.2010 haben die Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Es sei
allumfassend das soziokulturelle Existenzminimum zu gewähren inklusive Weiterbildungsmöglichkeiten und
Werkzeuge in angemessenem Wohnraum dazu. Dies habe die Beschwerdegegnerin zu ermitteln, festzustellen und zu
gewähren.
Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 22.02.2010
aufzuheben und die Beschwerdegegnerin vorläufig zu verpflichten, Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden,
nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf, insbesondere für Weiterbildungsmöglichkeiten und Profi-Ausstattungen
(Werkzeuge) zu gewähren.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Sozialgerichts und die Akte
des Landessozialgerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die
Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist
die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ein existenznotwendiger atypischer
Bedarf ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
Das Gericht weist ergänzend auf Folgendes hin:
Die Beschwerdeführer berufen sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010, weitere
Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte und europäisches Recht. Die Ausführungen belegen durchwegs, dass die
Beschwerdeführer weder das Rechtssystem, die gesetzlichen Grundlagen des Sozialrechts noch die zitierten
einzelnen Gerichtsentscheidungen zutreffend erfasst haben. Vor diesem Hintergrund ist die von den
Beschwerdeführern versuchte Belehrung des Sozialgerichts nicht nachvollziehbar.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden zur Sicherstellung des Existenzminimums erbracht. Damit
haben vermeintliche oder tatsächliche Ansprüche auf Verletzung von Urheberrechten überhaupt nichts zu tun. Die
begehrten Computer-, Zeichen- und Grafikausstattungen hängen eventuell mit der früheren beruflichen Tätigkeit der
Beschwerdeführer zusammen, diese haben aber mit einem Bedarf, der zur Gewährung eines menschenwürdigen
Existenzminimums zwingen zu decken ist, nichts zu tun. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum
Emissionshandel (1 BvR 3151/07) betrifft die Abgrenzung der Entscheidungshoheit der Gerichte zu einem
Prognosespielraum der Verwaltung - ein Bezug zum vorliegenden Fall besteht nicht. Ein Zusammenhang zwischen
der begehrten Leistung und einem aktiven und passiven Wahlrecht, einem Diskriminierungsverbot wegen Alters oder
dem Strafrecht ist nicht im Ansatz zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Beschwerde keinerlei Erfolgsaussicht im
Sinn von § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung hatte. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG
unanfechtbar.