Urteil des LSG Bayern vom 05.02.2003
LSG Bayern: tod, ärztliche behandlung, klinikum, wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, gewaltanwendung, bluthochdruck, hirnblutung, einfluss, kollege
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 05.02.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 2 U 282/00
Bayerisches Landessozialgericht L 17 U 326/01
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin am 12.04.1999 Folge eines
Arbeitsunfalles ist und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.
Der am 1955 geborene Versicherte und Ehemann der Klägerin, P. H. , arbeitete als Werkschutzfachkraft bei der Fa.
S. Industrie Holding GmbH & Co, H ... Am 11.04.1999 unternahm er ab 10.03 Uhr einen routinemäßigen Rundgang
über das Firmengelände, der üblicherweise 60 Minuten dauerte. Um 10.11 Uhr meldete er sich beim Kontrollpunkt 35.
Zwei Minuten später hätte er den nächsten Kontrollpunkt einlesen müssen, meldete sich aber nicht. Als er nach
Ablauf der üblichen Rundenzeit nicht in die Alarmzentrale zurückgekommen war, machte sich sein Kollege H.K. auf
die Suche nach ihm. Er fand ihn gegen 11.50 Uhr bewusstlos auf einer Betonladerampe vor dem Eingang zum
Gebäude Technikum liegen. Nach Behandlung durch den Notarzt (um 12.00 Uhr alarmiert) und Einlieferung in das
Klinikum N. (gegen 13.30 Uhr) verstarb der Versicherte am 12.04.1999 gegen 17.55 Uhr.
Durch eine im Klinikum der Stadt N. - Institut für Pathologie - am 15.04.1999 durchgeführte Gehirnsektion konnte eine
ausgedehnte Gehirnmassenblutung links mit Ventrikeleinbruch nachgewiesen werden. Hinweise auf eine Fraktur oder
typische Zeichen einer massiven Gewalteinwirkung auf den Schädel ließen sich pathologisch-anatomisch nicht
sichern.
Mit Bescheid vom 24.05.2000 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der am
12.04.1999 eingetretene Tod des Versicherten nicht Folge eines Arbeitsunfalles gewesen sei. Es fehle an einem sog.
äußeren Ereignis. Der Versicherte sei aufgrund innerer Ursache eines natürlichen Todes gestorben. Hinweise auf ein
Fremdverschulden hätten sich nicht ergeben.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei ihrem Mann hätten klare Anzeichen für eine äußere
Gewaltanwendung im Schläfenbereich vorgelegen. Auch habe er mehr als zwei Stunden im Betriebsgelände ohne
ärztliche Hilfe mit angeblich defektem Alarmgerät gelegen. Nach Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft N. wies
die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 18.08.2000 zurück. Sie führte aus, Verletzungszeichen im
Schläfenbereich seien weder vom Notarzt noch von den weiterbehandelden Ärzten im Klinikum der Stadt N. registriert
worden. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Tod durch ein äußeres Ereignis verursacht worden sei. Ein
Arbeitsunfall liege demnach nicht vor.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Tod ihres
Ehemannes als Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechende Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Sie äußerte
Zweifel an einer natürlichen Ursache der zum Tode führenden Gehirnblutung. Ergänzend brachte sie u.a. die auffällige
Durchnässung der Kleidung vor, sowie dass die Schuhe trocken gewesen seien, die Uhr Schleifspuren aufgewiesen
habe, der Gürtel der Hose nicht sein Eigentum gewesen sei und viel zu groß und nachträglich gelocht gewesen sei.
Der weiße Betriebsmantel sei stark verschmutzt gewesen, obwohl ihr Mann auf einer betonierten Rampe gelegen
habe. Ihr Mann habe eine Beule über der rechten Schläfe und Verletzungen an der linken Hand gehabt, was zahlreiche
Zeugen bestätigen könnten.
Das SG hat die Akten der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht (OLG) N. beigezogen und mit Urteil vom
19.09.2001 die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Tod des Versicherten durch betriebliche Einwirkung oder
Gewalteinwirkung von außen sei nicht nachgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und auf massive Merkmale von Gewalteinwirkung am Kopf ihres
Ehemannes hingewiesen. Sein etwas erhöhter Blutdruck - ohne Beschwerden - habe nicht zu der Hirnblutung führen
können. Auch sei er erst ca dreieinhalb Stunden nach dem Unfallereignis in das Klinikum eingeliefert worden.
Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts N. und der Staatsanwaltschaft N. , die Krankenakte des Klinikums N. -
Med. Klinik 8 -, eine Krankheitenauskunft der BEK Augsburg, eine Auskunft der S. Industrie Holding vom 14.10.2002
sowie Befundberichte des Chirurgen Dr.G. vom 27.02.2002 und des Allgemeinarztes Dr.H. vom 26.03.2002
beigezogen. Er hat E. G. (G) als Zeuge uneidlich einvernommen und ein Gutachten des Prof. Dr.W.E. (Vorstand des
Instituts für Rechtsmedizin der Universität M.) vom 15.05.2002/08.01.2003/29.01.2003 eingeholt. Dieser ist zu dem
Ergebnis gekommen, dass der Versicherte ohne vernünftigen Zweifel an einem zentralen Regulationsversagen bei
Massenblutung in die linke Großhirnhälfte mit nachfolgender Hirnschwellung und Einklemmung des Stammhirnes
verstorben ist. Der Tod sei nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge eines Arbeitsunfalles gewesen. Infolge der großen
Massenblutung sei der Tod auch bei früherem Auffinden des Versicherten gegen 10.12 Uhr und unverzüglicher
Behandlung nicht vermeidbar gewesen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 19.09.2001
sowie des Bescheides vom 24.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2000 zu verurteilen,
den Tod des Versicherten als Folge eines Arbeitsunfalles vom 11.04.1999 anzuerkennen und
Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 19.09.2001
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie der Akte der Staatsanwaltschaft N. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Todes ihres Ehemannes als Folge eines
Arbeitsunfalles, weil dessen Tod am 12.04.1999 nicht auf einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII
zurückzuführen ist (§§ 63 Abs 1, 7 Abs 1, 8 Abs 1 SGB VII).
Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld,
Überführungskosten, Hinterbliebenenrenten), wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalles eingetreten ist. Zu den
Versicherungsfällen zählen nach § 7 Abs 1 SGB VII die Arbeitsunfälle. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 SGB VII
Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit
(versicherte Tätigkeit).
Der Versicherte befand sich im Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Betriebsweg. Den auf diesem Weg erlittenen
Unfall (Sturz auf den Boden) hat er auch bei der versicherten Tätigkeit (Rundgang in seiner Funktion als Wachmann)
erlitten. Es fehlt jedoch an dem haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen der geschützten
(versicherten) Tätigkeit und dem Unfall. Beruht nämlich ein Unfall nicht auf dem betriebsbezogenen Verhalten eines
Versicherten, sondern vielmehr auf körpereigener Ursache, ist ein Arbeitsunfall nicht gegeben (BSG SozR 3-2200 §
548 RVO Nrn 75, 81; BSG, Urteil vom 27.11.1986 - 2 RU 10/86 HV-Info 1987 334). Entscheidend ist, ob die
Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die innere Ursache die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist
(BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr 14).
Im vorliegenden Fall ist der Tod des Versicherten P. H. aus innerer Ursache eingetreten. Dies steht zur Überzeugung
des Senats fest aufgrund der Ausführungen des Prof. Dr.W.E. im Gutachten vom 15.05.2002. Danach ist der
Versicherte ohne vernünftigen Zweifel an einem zentralen Regulationsversagen bei Massenblutung in die linke
Großhirnhälfte mit nachfolgender Hirnschwellung und Einklemmung des Stammhirnes im großen Hinterhauptloch
verstorben. Die zum Tode führende Massenblutung ist mit größter Wahrscheinlichkeit natürlich entstanden und nicht
durch eine Gewaltanwendung Dritter. Die beim Versicherten von dem Zeugen G beschriebenen und auf den
Lichtbildtafeln der Polizei E. fotografisch erfassten Verletzungen am Kopf des Versicherten führen zu keiner anderen
Beurteilung. Die Verschorfung nach oberflächlicher Hautläsion im Bereich der rechten Augenbraue kann durch den
Kontakt mit dem Belag der Rampe, auf der der Versicherte gefunden wurde, entstanden sein. Bei einem Schlag auf
den Kopf des Versicherten wären nach den Feststellungen des Prof. Dr.E. Rissplatzwunden entstanden. Zwar könnte
der Versicherte die oberflächlichen Hauteinblutungen am Auslauf des rechten knöchernen Augenbrauenbogens und
über dem seitlichen Jochbeinbogen auch bei einem Schlag erlitten haben. Die Ausdehnung dieser Hauteinblutung
zeigt aber, dass es sich um eine geringe Gewalteinwirkung gehandelt haben muss, die am ehesten von dem Sturz
herrührt. Gegen eine traumatisch verursachte Massenblutung des Gehirns spricht das Verhältnis der geringen äußeren
Verletzungsbefunde zur Schwere der Blutungen innerhalb der Hirnsubstanz. Bei massiven Blutungen in die
Hirnsubstanz infolge eines Traumas sind erhebliche äußere Verletzungsbefunde zu erwarten, in der Mehrzahl der Fälle
mit Skelettverletzungen am Schädel. Zwar können tödliche Blutungen aus vorgeschädigten Gefäßen iS einer
Aneurysmabildung auch bei Gewalteinwirkungen minderen Grades entstehen, deren Prädilektionsstelle liegt dann
allerdings an den Gefäßen des Schädelgrundes und nicht in der Stammganglienregion. Natürliche Blutungen sind
gehäuft und typischerweise in der Stammganglienregion anzutreffen. Ursache der Prädilektionsstelle im
Stammganglienbereich ist der Verlauf der Arteria lenticulos ratia, die innerhalb des Gehirns zunächst fast senkrecht
ansteigend verläuft, um dann in fast rechtem Winkel in die Stammganglienregion umzubiegen. An dieser Biegung
kommt es, speziell bei bestehendem Bluthochdruck, bevorzugt zu Gefäßrupturen. Beim Versicherten fanden sich bei
der feingeweblichen Untersuchung einzelne kleine Blutgefäße, welche nach Art sog. Charcot scher Mikroaneurysmen
erweitert erschienen. Auch fanden sich in der Nähe der Massenblutung im Bereich der Basalganglien leicht erweiterte
perivaskuläre Räume, gelegentlich mit Siderin-Depots. Dabei handelt es sich um Abbausubstanzen des
Blutfarbstoffes, die frühestens ca vier Tage nach einer Blutung in das Gehirn aufzutreten beginnen und dann
ortsständig gespeichert bleiben. Nachdem sich die Blutlache auf der Rampe und die Blutflecken an der Kleidung des
Versicherten durch das Anlegen einer Infusion bei dem stark krampfenden Versicherten erklären lassen, hält der
Senat die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr.E. für schlüssig und überzeugend, dass die Lokalisation und
das Fehlen anderer traumatischer Befunde am knöchernen Schädel, dem Gehirn und seinen Häuten, sowie das
Vorliegen von natürlichen krankhaften Gefäßveränderungen bei bestehendem Bluthochdruck und der Nachweis bereits
erfolgter Blutaustritte aus Gefäßen im von der Hirnblutung betroffenen Gebiet mit allergrößter Wahrscheinlichkeit für
eine natürliche Entstehung der zum Tode führenden Massenblutung sprechen.
Geschehensabläufe, die dafür sprechen, dass der Tod des Versicherten durch Dritte gewaltsam verursacht wurde,
konnte der Senat nicht finden. Die Staatsanwaltschaft N. ist mit Verfügung vom 11.10.1999 davon ausgegangen,
dass der Versicherte nachweislich eines natürlichen Todes gestorben ist. Eine Beschwerde der Klägerin gegen diese
Entscheidung hat der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht N. mit Schreiben vom 30.10.2000
zurückgewiesen und ausgeführt, es gebe keinen stichhaltigen Anhalt dafür, dass der Tod des Versicherten auf
Gewalteinwirkung durch einen Dritten zurückzuführen ist. Gesichtspunkte, die Anlass geben würden, das
Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft anzuzweifeln, sind nicht ersichtlich.
Die späte Einleitung von Rettungsmaßnahmen führt nicht zur Annahme eines Arbeitsunfalles. Wenn als Ursache für
den Tod eines Versicherten neben der nicht betrieblich bedingten Erkrankung auch betriebliche Umstände als Ursache
im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn in Betracht kommen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles die Wertentscheidung zu treffen, ob beide Ursachen etwa in gleichem Maße wesentlich für den Tod
ursächlich waren oder ob die Erkrankung gegenüber den betriebsbedingten Umständen von so überragender
Bedeutung war, dass sie allein als wesentliche Ursache im Rechtssinne für den Tod anzusehen ist (Bereiter-
Hahn/Mehrtens § 8 SGB VI 9.6.3). Vorliegend hat der betriebliche Umstand, dass Rettungsmaßnahmen spät
eingeleitet wurden, auf Art und Schwere des Körperschadens mit dem nachfolgenden Tod keinen Einfluss genommen.
Zwar haben betriebliche Umstände eine frühere ärztliche Behandlung des Versicherten verhindert, da das Funkgerät
mit Totmannschaltung nicht funktioniert hat und deshalb der Leitzentrale des Arbeitgebers nach 10.11 Uhr nichts
ungewöhnliches aufgefallen war. Auch hätte der Kollege H.K. - wie sich aus der Arbeitgeberauskunft vom 14.10.2002
ergibt - spätestens ab 11.30 Uhr den Versicherten suchen und finden müssen. Tatsächlich hat er ihn aber erst um
11.50 Uhr gefunden. Aber selbst wenn der Versicherte ab 10.11 Uhr gesucht und gefunden worden wäre und
Rettungsmaßnahmen sofort eingeleitet worden wären, ist es wegen des Ausmaßes der Hirnblutungen nicht
wahrscheinlich, dass sein Tod vermeidbar gewesen wäre. Dies ergibt sich in überzeugender Weise aus den
Stellungnahmen des Prof. Dr.W.E. vom 08.01.2003 und 29.01.2003. Danach hatten die verspätet eingeleiteten
Rettungsmaßnahmen keinen wesentlichen Einfluss auf Art und Schwere des Körperschadens mit dem folgenden Tod.
Die Hirnmassenblutung war somit gegenüber den betriebsbedingten Umständen von überragender Bedeutung und
daher allein wesentliche Ursache für den Tod des Versicherten.
Der Tod des Versicherten ist daher nicht Folge eines Arbeitsunfalles. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.