Urteil des LSG Bayern vom 14.01.2003

LSG Bayern: treu und glauben, klagerücknahme, anfechtung, erwerbsunfähigkeit, rente, ausnahmefall, zivilprozessordnung, rechtssicherheit, auflage, widerruf

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.01.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 15 RJ 49/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 105/02
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19. Februar 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Wirksamkeit einer Klagerücknahme.
Der am 1948 geborene Kläger beantragte am 22.04.1999 bei der Beklagten die Bewilligung einer Versichertenrente
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Mit Bescheid vom 12.10.1999 (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom
26.04.2000) lehnte die Beklagte dieses Begehren ab, weil der Kläger trotz der im Verwaltungsverfahren festgestellten
gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihm zumutbare Tätigkeiten unter nur qualitativen Einschränkungen noch
vollschichtig ausüben könne und somit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit nicht vorlägen. Im anschließenden Klageverfahren zog das Sozialgericht München (SG) die
einschlägigen ärztlichen Unterlagen bei und holte Sachverständigengutachten des Dr.L. (chirurgisch/orthopädisch),
des Dr.K. (neurologisch/psychiatrisch) sowie des Dr.D. (internistisch) ein. Alle drei Sachverständige hielten den Kläger
trotz gesundheitlich bedingter Leistungsminderungen für vollschichtig einsetzbar bei nur qualitativen Einschränkungen.
Das SG führte daraufhin den Verhandlungstermin vom 18.12.2001 durch. Dort erklärte der Kläger, er stehe noch in
einem vollen Arbeitsverhältnis. Nach gerichtlichem Hinweis auf die Gutachtenslage und die rechtliche Situation
erklärte der Bevollmächtigte des Klägers mit dessen Zustimmung, die Klage werde zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 19.12.2001 hat der Kläger vorgetragen, nach Beratung und nochmaliger Überlegung erkläre er, er
nehme die Klage nicht zurück. Das SG hat die Klage als Feststellungsklage fortgeführt. Auf gerichtlichen Hinweis zur
beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat der Kläger auf seine gesundheitlichen Einschränkungen
hingewiesen und ausgeführt, er könne nach seiner Ansicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Tätigkeiten mehr
ausüben, allenfalls zu Lasten der Restgesundheit.
Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 19.02.2002 festgestellt, dass die Klage durch die Rücknahmeerklärung vom
18.12.2001 zurückgenommen und der Rechtsstreit erledigt sei. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger
habe in der mündlichen Verhandlung eindeutig und rechtswirksam die Klagerücknahme erklärt. Ein Widerruf oder eine
Anfechtung dieser Erklärung seien nicht möglich, Wiederaufnahmegründe nicht ersichtlich.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem sinngemäßen Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
26.04.2000 zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 22.04.1999 Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit
zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19.02.2002 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des SG
München Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG festgestellt, dass die Klage gegen den Bescheid
vom 12.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2000 durch die Rücknahmeerklärung vom
18.12.2001 erledigt ist.
Streitig ist die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung im Verhandlungstermin 18.12.2001 vor dem SG München.
Zutreffend hat das SG diesen Streit als Fortsetzungsfeststellungsverfahren angesehen mit dem inhaltlichen Begehren
der gerichtlichen Feststellung, dass das Ausgangsverfahren durch diese Erklärung nicht beendet sei (vgl. BSG SozR
1500 § 102 Nr.2; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage, § 102 Rdnrn.12, 9a).
Wie die Niederschrift vom 18.12.2001 beweist, hat der Bevollmächtigte des Klägers mit dessen Zustimmung erklärt,
die Klage zurückzunehmen. Diese Erklärung wurde unbedingt, unzweideutig und ohne Vorbehalt abgegeben, nachdem
die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert worden war. In ihrem objektiven Inhalt stellt diese
Erklärung die Zurückziehung des eingelegten Rechtsmittels gegen die Verwaltungsentscheidung der Beklagten dar,
wie dies aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben zu verstehen ist. Vernünftige
Zweifel an der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung sind nicht ersichtlich.
Die Rücknahme einer Klage kann nachträglich nicht mehr beliebig beseitigt werden, denn sie ist eine
Prozesserklärung (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 31.10.1990, L 10 V 69/87; Meyer-Ladewig, a.a.O.,
Rdnr.7c). Mithin ist die Erklärung weder wegen Irrtums oder wegen Willensmängeln anfechtbar noch widerrufbar
(ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR § 102 SGG Nr.6), weil die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die
Anfechtung von Willenserklärungen auf Prozesshandlungen nicht anwendbar sind. Das öffentliche Interesse an einem
geordneten Prozessgang verbietet ebenso wie der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass eine Prozesserklärung wie
die vorliegende auf unbestimmte Zeit in der Schwebe bleiben kann.
Nur im Ausnahmefall kann eine Klagerücknahme nachträglich beseitigt werden, falls Wiederaufnahmegründe gemäß
§§ 179, 180 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 578 ff. Zivilprozessordnung erfüllt wären. Hierfür bietet der
vorliegende Rechtsstreit aber keinerlei Anhaltspunkte.
Die Berufung des Klägers bleibt damit ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).