Urteil des LSG Bayern vom 20.01.2004
LSG Bayern: erwerbsfähigkeit, rente, berufsunfähigkeit, erwerbsunfähigkeit, heimat, arbeitsmarkt, ausbildung, krankheit, waldarbeiter, entschädigung
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.01.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 RJ 1191/01 A
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 140/03
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 26. November 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung.
Der 1953 geborene Kläger, ein in seiner Heimat lebender Staatsangehöriger von Bonsien und Herzegowina, hat keinen
Beruf erlernt. In der Bundesrepublik Deutschland war er zwischen dem 03.05.1990 und dem 02.05.1993 als
Waldarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt, anschließend war er arbeitslos bis 30.09.1994. In seiner Heimat hat er
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.04.1971 bis 04.03.1990 entrichtet. Während seiner Tätigkeit in
Deutschland hat er am 10.12. 1992 einen Arbeitsunfall erlitten (Prellung des rechten Fußes), für den eine
Entschädigung nicht gewährt wird, nachdem der Arbeitsunfall eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20
v.H. nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit nicht hinterlassen habe. Die seinerzeit zum Sozialgericht Dortmund
gegen die Ablehnung einer Entschädigung erhobene Klage war erfolglos, die Berufung zum Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen wurde mit Beschluss vom 14.01.2000 zurückgewiesen (L 17 U 177/99). Als Ergebnis der
Beweisaufnahme wurde festgestellt, dass wesentliche Funktionseinschränkungen am rechten Fuß nicht bestünden.
Am 01.08.2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Im Gutachten der Invalidenkommission S. vom 17.08.2000 wurde der Kläger noch für fähig erachtet, Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten, wobei längeres Stehen und Gehen und das Heben und Tragen
schwerer Lasten nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 12.01.2001 und Widerspruchsbescheid vom 20.06. 2001 hat die Beklagte den Antrag abgelehnt.
Zum einen habe der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Rentengewährung nicht erfüllt, nachdem im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vom 01.08.1995 bis 31.07.2000 keine
Pflichtbeiträge vorhanden seien und nicht jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis 31.07.2000 mit
Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei. Zum anderen sei er noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten zu
verrichten, weshalb Berufsunfähigkeit nach den bis 31.12.2000 maßgeblichen Vorschriften nicht gegeben sei.
Gleiches gelte für das ab 01.01. 2001 geltende Recht.
Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das
Sozialgericht das von dem Internisten und Radiologen Dr. R. am 17.03.2002 nach Aktenlage erstattete Gutachten
eingeholt. Dieser hielt den Kläger noch für fähig, eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben. Unzumutbar seien längere
Gehbelastungen, ganztägiges Stehen, das Heben und Tragen schwerer Lasten, Zwangshaltungen und gebückte
Arbeitsweise. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne ständiges Gehen in temperierten Räumen und
nicht auf Leitern und Gerüsten seien dem Kläger noch möglich.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2002 abgewiesen. Der
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger sei nach den Feststellungen des gerichtlichen
Sachverständigen Dr.R. noch in der Lage, vollschichtig bzw. wenigstens sechs Stunden täglich zu arbeiten, weshalb
ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht bestehe.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht. Er trägt vor, er sei mit einer
Entscheidung ohne ärztliche Begutachtung nicht einverstanden.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat Auskünfte der Allgemeinen Ortskrankenkasse Westfalen-Lippe sowie
der Firma F. GmbH vom 06.05.2003 über die vom Kläger in Deutschland verrichtete Tätigkeit eingeholt. Nach
Angaben des Arbeitgebers habe es sich um eine ungelernte Tätigkeit bei Entlohnung nach freier Vereinbarung
gehandelt. Nach Beiziehung der Unfallakten der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Nordrhein-Westfalen
sowie der Klageakten des Sozialgerichts Dortmund (S 21 U 71/95) hat der Senat den Orthopäden Dr. F. zum
gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Im Gutachten vom 15.10.2003 nach persönlicher Untersuchung des Klägers
hat der Sachverständige ausgeführt, seit September 1996 könne der Kläger acht Stunden täglich ohne qualitative
Einschränkungen alle üblichen Männer-arbeiten aus jeder Körperposition verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht
eingeschränkt. Hierzu hat sich der Kläger trotz Aufforderung nicht geäußert.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut
vom 26.11.2002 sowie des Bescheides vom 12.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2001
zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 01.08.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen
Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen Erwerbsminderung zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen verwiesen auf den Inhalt der beigezogenen
Rentenakten der Beklagten sowie der Klageakten des Sozialgerichts Landshut, der Unfallakten der
Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Nordrhein-Westfalen und des Sozialgerichts Dortmund, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. In der Sache erweist sie sich jedoch als
unbegründet.
Der Kläger ist seit Antragstellung nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB VI) - gültig bis 31.12.2000 und vorliegend im Hinblick auf die im Jahre 2000 erfolgte Antragstellung noch
anwendbar -, weil er nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist bzw war, eine
Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das
monatlich 630,00 DM überstiegen hat. Er war und ist aber auch nicht wenigstens berufsunfähig, weil seine
Erwerbsfähigkeit noch nicht infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder
geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit
ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war (§ 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI in
der bis 31.12.2000 gültigen Fassung). Der Kläger ist seit 01.01.2001 auch nicht erwerbsgemindert bzw. berufsunfähig
gemäß den §§ 43 Abs.2, 240 Abs.2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl.I S.1827, gültig ab 01.01.2001.
Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und deren Auswirkung auf das körperliche Leistungsvermögen
ergeben sich aus dem vom Senat eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. F ... Der deutlich übergewichtige Kläger
(173cm/95kg) zeigte ein rechts-hinkendes Gangbild, wobei er über den rechten Fuß nicht abrollte. Zehen- und
Fersengang wurden rechts-hinkend, der Einbeinstand links besser als rechts ausgeführt. Dr. F. betont, dass sich
diese Funktionsdefizite nicht durch Gehstörungen des orthopädischen Gebietes erklären ließen. Die Muskulatur sei
gut entwickelt und die Körperhaltung fast aufrecht.
Bei der Funktionsprüfung der Gelenke zeigte der Kläger eine nicht immer ausreichende Kooperation. An beiden
Schultergelenken, bei deren Beweglichkeitsuntersuchung der Kläger stark gegenspannte, waren radiologisch keine
eindeutigen degenerativen Veränderungen feststellbar, aus denen sich die demonstrierten Funktionsverluste erklären
hätten lassen. Dr. F. stellte eine freie Beweglichkeit der Ellbogengelenke, der Unterarme sowie der Hand- und
Fingergelenke bis auf ein leichtes Streckdefizit im Endgelenk des rechten fünften Fingers fest.
Bei freier Beweglichkeit der Halswirbelsäule waren auch hier keine wesentlichen degenerativen Veränderungen
nachweisbar. Die Röntgenuntersuchung der Brustwirbelsäule zeigte Verschleißerscheinungen von Rippen-
Wirbelgelenken, an der Lendenwirbelsäule waren Übergangsstörungen erkennbar.
Wegen der Gegenspannung war die Beweglichkeit der Hüftgelenke nicht untersuchbar. Hier konnte der
Sachverständige auf dem Röntgenbild so gut wie keine Verschleißerscheinungen erkennen. Dr.F. weist daraufhin,
dass der anamnestisch geschilderte Kahnbeinbruch des rechten Fußes keine radiologisch erkennbaren Folgen
hinterlassen hat.
Der Kläger demonstrierte im neurologischen Befund einen positiven Nervendehnschmerz rechts bei 40° und links bei
60°, wogegen er den Langsitz unter Abstützen nahezu vollständig ausführte.
Insgesamt ist das berufliche Leistungsvermögen des Klägers durch die vorliegenden Gesundheitsstörungen so gut
wie nicht eingeschränkt. Nach den abschließenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen ist der Kläger
ohne weiteres noch in der Lage, alle üblichen Männerarbeiten ohne Einschränkungen aus jeder Körperposition zu
verrichten. Auch ist er in der Lage, vor Arbeitsbeginn mehr als 500 Meter zu einem öffentlichen Verkehrsmittel und
dann von diesem mehr als 500 Meter zum Arbeitsplatz in angemessener Geschwindigkeit zu Fuß zurückzulegen,
weshalb auch hier keine relevanten Einschränkungen vorliegen (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 Nr.23).
Damit kann beim Kläger angesichts des festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögens von Erwerbsunfähigkeit
nicht ausgegangen werden (vgl. § 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI a.F.), weshalb ihm auch die in Deutschland
ausgeübte Tätigkeit als Waldarbeiter noch möglich sein müsste. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, müsste der
Kläger bei der Prüfung der Frage, ob Erwerbsunfähigkeit vorliegt, auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
verwiesen werden. Dabei wäre die Benennung einer bestimmten Tätigkeit nur dann erforderlich, wenn eine
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung
vorliegen würde, weil unter diesen Umständen nicht ohne weiteres gesagt werden könnte, dass der Arbeitsmarkt noch
offene Stellen für den Versicherten bietet. Diese Überlegungen sind jedoch im Hinblick auf die Beurteilung durch den
gerichtlichen Sachverständigen nicht erforderlich.
Der Kläger ist aber auch nicht wenigstens berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs.2 SGB VI a.F. (ab 01.01. 2001: § 240
Abs.2 SGB VI), weil er noch in der Lage ist, vollschichtig zu arbeiten. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob er die
während seines Arbeitslebens in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Tätigkeit noch zu verrichten in der Lage
wäre. Ob Berufsunfähigkeit vorliegt, beurteilt sich nämlich danach, welche seinen Kräften und Fähigkeiten
entsprechenden Tätigkeiten ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines
bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden könnten. Im
Rahmen des von der höchstrichterlichen Rechtssprechung entwickelten Mehrstufenschemas (vgl. z.B. BSG, SozR 3-
2200 § 1246 Nr.17) ist der Kläger lediglich der unteren Stufe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen. Er hat nach seinen
Angaben in seiner Heimat keinen Beruf erlernt; in der Bundesrepublik Deutschland war er sodann als ungelernter
Arbeiter in der Forstwirtschaft ohne Tarifbindung tätig. Bei der hieraus folgenden Verweisbarkeit auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt und dem gegebenen vollschichtigen Arbeitsleistungsvermögen kann von Berufsunfähigkeit beim Kläger
nicht ausgegangen werden.
Damit stellt sich auch nicht die Frage des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, da der
Leistungsfall der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit bisher nicht eingetreten ist.
Nachdem der Kläger mit dem gegebenen Leistungsvermögen auch für die Zeit ab 01.01.2001 keinen Anspruch auf
Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI n.F. hat, weil er jedenfalls noch mehr als sechs Stunden täglich
zu arbeiten in der Lage ist, war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut als
unbegründet zurückzuweisen.
Die gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass der Kläger in
vollem Umfang unterlegen ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.