Urteil des LSG Bayern vom 19.02.2010

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Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 19.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 11 R 4305/09 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 1 R 1/10 B ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 21. Dezember 2009 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten wegen der Auszahlung von Rentenleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch für
den Monat Oktober 2009.
Am 08.09.2009 beantragte der 64-jährige Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) bei der Antragsgegnerin und
Beschwerdegegnerin (Bg.) eine Altersrente für langjährig Versicherte. Bis einschließlich Oktober 2009 hatte er von der
ARGE A. (im Folgenden: ARGE) Arbeitslosengeld II bezogen. Im Rahmen eines Telefonats mit der Bg. brachte der
Bf. in Erfahrung, die Rentenzahlung für den Monat Oktober 2009 würde nicht an ihn, sondern an die ARGE
ausbezahlt.
Daraufhin beantragte der Bf. am 20.10.2009 beim Sozialgericht Regensburg eine Eilentscheidung mit dem Antrag, die
Oktoberrente zeitnah an ihn selbst auszuzahlen.
Mit Bescheid vom 04.11.2009 stellte die Bg. für den Bf. einen Anspruch auf eine Altersrente für langjährig Versicherte
ab 01.10.2009 fest. Die laufenden monatlichen Zahlungen, die seit Januar 2010 erfolgen, belaufen sich auf 981,75
EUR. Für den Zeitraum 01.10. bis 31.12.2009 stellte die Bg. eine Nachzahlung von 2.945,25 EUR fest. Sie teilte mit,
die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausbezahlt, weil zunächst Ansprüche anderer Stellen zu klären seien; sobald
die Höhe dieser Ansprüche bekannt sei, erfolge eine Schlussabrechnung. Diese nahm die Bg. mit einem weiteren
Schreiben vom 04.11.2009 vor. Darin teilte sie dem Bf. mit, die Oktoberrente in Höhe von 981,75 EUR werde für die
ARGE einbehalten. Der Rentennachzahlungsbetrag belaufe sich somit auf 1.963,50 EUR.
Ab 11.11.2009 konnte der Bf. über diesen Betrag tatsächlich verfügen. Daher nahm er mit Schriftsatz vom 12.11.2009
seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück und beantragte die Umwandlung des Eil- in ein
Hauptsachverfahren.
Unter dem Datum 16.12.2009 erließ die Beklagte in der Sache einen für den Bf. negativen Widerspruchsbescheid. Auf
Grund dessen hat dieser am 21.12.2009 erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt mit dem Ziel,
dass ihm die nach seiner Ansicht zu Unrecht einbehaltenen 981,75 EUR zum 31.12.2009 ausbezahlt würden. Als
Grund für die von ihm bewirkte Beschleunigung des Verfahrens hat er mitgeteilt, sollte die Rente nicht bis 31.12.2009
ausbezahlt worden sein, könnte er seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten.
Das Sozialgericht hat das Begehren als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung interpretiert und diesen mit
Beschluss vom 21.12.2009 abgelehnt. Der Antrag, so das Sozialgericht zur Begründung, sei bereits unzulässig. Denn
den vorher bereits gestellten Eilantrag habe der Bf. wieder zurückgenommen. Für den neuen Antrag fehle ein
Rechtsschutzbedürfnis.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts richtet sich die am 04.01.2010 eingelegte Beschwerde. Der Bf. hält die
Entscheidung des Sozialgerichts für unzutreffend, weil der erste Eilantrag auf Auszahlung der Rente zu einem
früheren Zeitpunkt gezielt habe. Jetzt aber gehe es um einen anderen Zahlungszeitpunkt. Er hält an seinem vor dem
Sozialgericht gestellten Antrag fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Bg. sowie die Akten des Sozialgerichts und
des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu
Recht abgelehnt. Dabei kann dahinstehen, ob der Antrag des Bf. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits
unzulässig ist, wie es das Sozialgericht meint. Jedenfalls ist er unbegründet.
1. Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das
Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
2. Der statthafte Rechtsbehelf im einstweiligen Rechtsschutz ist, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG. In der Hauptsache liegt keine isolierte
Anfechtungsklage vor, weswegen im Hinblick auf einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nicht § 86b Abs. 1 SGG
einschlägig sein kann. Eine isolierte Anfechtung des Einbehalts scheidet deswegen aus, weil sich die Feststellungen,
welche die Bg. im Zusammenhang mit der Rentengewährung getroffen hat, nicht in zwei isolierte, zeitlich
nacheinander gelagerte Regelungen in der Weise aufspalten lassen, dass die Entscheidung zum endgültigen
Einbehalt der Oktoberrente eine vorher ausgesprochene Leistungsbewilligung für diesen Monat wieder aufgehoben
hätte. Vielmehr hat die Bg. dem Bf. die Oktoberrente nicht zunächst ohne Einschränkung zuerkannt; im
Rentenbescheid vom 04.11.2009 hat sie keine Regelung getroffen, wonach die Oktoberrente sofort und unvermindert
zur Auszahlung zu bringen sei. Auch rechtssystematisch wäre eine Aufspaltung in zwei isolierte Regelungen falsch.
Aus § 107 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch folgt nämlich, dass im Umfang des Erstattungsanspruchs der
ARGE von vornherein kein Anspruch des Bf. gegen die Bg. mehr bestanden hat, ohne dass dafür eine
Verrechnungserklärung notwendig gewesen wäre.
3. Damit steht fest, dass gemäß dem im Fall eines Antrags auf einstweilige Anordnung geltenden materiell-rechtlichen
Prüfungsmaßstab dem Bf. einstweiliger Rechtsschutz nur unter der Voraussetzung zugebilligt werden könnte, dass
eine gegenwärtige dringende Notlage gegeben wäre (vgl. dazu, dass eine Notlage auch im Rahmen der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung relevant sein kann, Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - L 1 R 407/09 B ER). Eine
besondere Dringlichkeit wäre unabdingbar, damit eine Vorabregelung durch das Gericht - verbunden mit einer
möglichen Vorwegnahme der Hauptsache - gerechtfertigt werden könnte.
Ein solcher so genannter Anordnungsgrund ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Gegen eine besondere
Dringlichkeit spricht schon der Umstand, dass der Bf. den erstgestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, der
entgegen seiner Ansicht in Bezug auf das Regelungsobjekt identisch war, wieder zurückgenommen hat, weil er selbst
die Eilbedürftigkeit nicht mehr für gegeben erachtet hat. Für den erneuten Antrag hat der Bf. weder vor dem
Sozialgericht noch vor dem Bayerischen Landessozialgericht konkrete Anhaltspunkte vorgetragen, die sofortige
Nachzahlung der Oktoberrente könnte für ihn von existenzieller Bedeutung sein. Seine Einlassung, er könnte mit
Ablauf des Jahres seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, wenn er nicht sofort die Nachzahlung erhalte, ist
unsubstantiiert und pauschal. Vor allem leuchtet nicht ein, warum der Kläger ausgerechnet zum Ende des Jahres in
eine Notlage geraten sollte, wenn er sich doch vorher offenbar noch nicht in einer solchen befunden hat. Das gilt umso
mehr, als der Kläger laufende Rentenzahlungen bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch
die Beschwerde keinen Erfolg hat.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).