Urteil des LSG Bayern vom 21.10.2004

LSG Bayern: wiedereinsetzung in den vorigen stand, höhere gewalt, witwenrente, nachzahlung, kosovo, hinterbliebenenrente, tod, verhinderung, postverkehr, unterbrechung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.10.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 12 RJ 917/01 A
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RJ 601/03
I. Die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13. Mai 2003 werden zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind der Zahlungsbeginn der Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten D. R.
sowie die Höhe der Nachzahlung der Witwenrente.
Der am 02.05.1999 verstorbene Versicherte D. R. bezog von der Beklagten seit 1984 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
in Höhe von zuletzt DM 1.722,08. Mangels Kenntnis von seinem Ableben überwies die Beklagte den monatlichen
Rentenzahlbetrag über den Tod hinaus weiter bis einschließlich Dezember 1999.
Am 11.07.2000 stellte die Witwe des verstorbenen Versicherten für sich und ihre vier Kinder formlos Antrag auf
Hinterbliebenenrente. Sie gab an, ihr Ehemann sei vom serbischen Militär getötet worden, und legte eine
Bescheinigung des örtlichen Standesamts vom 05.06.2000 vor.
Mit Bescheid vom 12.03.2001 bewilligte die Beklagte rückwirkend ab 01.07.1999 die so genannte große Witwenrente
(DM 1.606,70 ab 01.07.1999, DM 964,02 ab 01.09.1999 und DM 969,81 ab 01.07. 2000). Sie errechnete für die Zeit
vom 01.07.1999 bis 30.04. 2001 unter Abzug ("Verrechnung") der nach dem Tod des Versicherten bis Dezember 1999
überzahlten Versichertenrente eine Nachzahlung in Höhe von DM 10.519,96 und verwies bezüglich des Beginns der
Rente auf § 99 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Mit weiteren Bescheiden vom 21.03.2001 wurden ebenfalls rückwirkend ab 01.07.1999 Halbwaisenrenten für die
Kinder I. (geb. 1992) und B. (geb. 1987) sowie mit im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 03.04.2001
Halbwaisenrente für die in Ausbildung befindlichen volljährigen Kinder F. (geb. 1983) und V. (geb. 1981) bewilligt
(monatlich je DM 161,64).
Mit Bescheiden vom 15.06.2001 erfolgte eine Neuberechnung sämtlicher Hinterbliebenenrenten rückwirkend zum
01.07.1999.
Mit ihrem Widerspruch gegen die ergangenen Bescheide begehrte die Witwe F. R. für sich und ihre Kinder unter
Hinweis auf den Todestag des Versicherten am 02.05.1999 die Zahlung der Hinterbliebenenrenten bereits ab
01.05.1999; ferner beanstandete sie die Höhe der Nachzahlung ihrer Witwenrente.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.1999 zurück. Zur Begründung hieß es zum
einen, Anspruch auf früheren Beginn der Renten bestehe nicht; ein Rentenantrag sei erst am 11.07.2000 gestellt
worden, die Hinterbliebenenrenten könnten damit gemäß § 99 Abs.2 SGB VI lediglich für zwölf Monate rückwirkend,
d.h. ab 01.07.1999, geleistet werden. Die Gründe für die verspätete Antragstellung seien grundsätzlich unerheblich.
Mögliche Verzögerungen auf Grund der innenpolitischen Lage im Kosovo habe nicht die deutsche Rentenversicherung
zu vertreten. Zum anderen wurde ausgeführt, die wegen des verspätet mitgeteil- ten Todes des Versicherten zu
Unrecht bis einschließlich Dezember 1999 geleistete Versichertenrente in Höhe von insgesamt DM 12.031,74 sei
gegen den Anspruch auf Witwenrente (für die Zeit vom 01.07.2000 bis 30.04.2001 insgesamt DM 22.551,70) auf-
zurechnen gewesen, so dass nur eine Nachzahlung von DM 10.519,96 verblieben sei.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) verfolgte die Witwe des verstorbenen Versicherten ihr Begehren sowohl
in eigener Sache als auch als Vertreterin ihrer Kinder weiter. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 13.05.2003 ab. Der
Rentenbeginn am 01.07.1999 sei zutreffend; eine Antragstellung ohne Verlust von Leistungsansprüchen sei auch
nach Ende des Kriegszustandes am 11.06.1999 gemäß § 99 Abs.2 SGB VI noch bis etwa ein Jahr später möglich
gewesen. Zu Recht sei auch die nach dem Tode des Ehemannes weiter zugeflossene Versichertenrente von der
Witwenrente in Abzug gebracht worden. Hinsichtlich der Einzelheiten der Abrechnung nahm das SG gemäß § 136
Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug.
Mit der Berufung wenden sich die Kläger unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens gegen dieses Urteil, ohne auf
die im angefochtenen Urteil dargelegten Gründe einzugehen.
Der Senat hat die Berufungsverfahren L 14 RJ 601/03, L 14 RJ 337/04, L 14 RJ 338/04, L 14 RJ 339/04 und L 14 RJ
340/04 unter dem führenden Aktenzeichen L 14 RJ 601/03 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß §
113 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden.
Die Berufungskläger beantragen sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.05.2003 sowie die
Bescheide der Beklagten vom 12.03.2001, 21.03.2001 und 03.04.2001, ferner die Neuberechnungsbescheide vom
15.06. 2001, alle in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.07.1999, abzuändern und die Beklagte zur
Zahlung der Hinterbliebenenrenten bereits ab 01.05.1999 sowie zu einer Nachzahlung der Witwenrente in Höhe von
DM 21.335,82 anstelle von DM 10.519,96 zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen
Rentenakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthaften, form- und fristgerecht eingelegten Berufungen (§§ 143, 151 SGG) sind zulässig, in der Sache aber
nicht begründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht die Klage der Hinterbliebenen abgewiesen.
1. Das auf früheren Beginn der Hinterbliebenenrenten gerichtete Berufungsbegehren kann keinen Erfolg haben.
Wie in den angefochtenen Bescheiden dargelegt, ist der Beginn der Hinterbliebenenrenten vom Zeitpunkt ihrer
Antragstellung abhängig. Eine Hinterbliebenrente wird gemäß § 99 Abs.2 SGB VI von dem Kalendermonat an
geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird abweichend davon
bereits vom Todestage an geleistet, wenn - anders als im vorliegenden Fall - an den Versicherten im Sterbemonat
keine Rente zu leisten war. Im übrigen wird eine Hinterbliebenenrente für "nicht mehr als zwölf Kalendermonate vor
dem Monat, in dem die Rente beantragt wird," geleistet.
Entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte zu Recht die im Juli 2000 beantragten
Hinterbliebenenrenten ab 01.07.1999 bewilligt. Ein früherer Beginn, der allenfalls ab 01.06.1999 und nicht - wie von
den Klägern begehrt - ab 01.05. 1999 denkbar wäre (kein Hinterbliebenenrentenbezug im Sterbemonat, für den der
Versicherte ja bereits Rente bezogen hatte, § 99 Abs.1 S.1 SGB VI), ist nicht möglich. Ihm steht der den
Zahlungsbeginn festlegende materiell-rechtliche Einwand der späten Antragstellung nach Ablauf von zwölf Monaten
seit der Entstehung des Rentenstammrechts entgegen.
Die von den Klägern sinngemäß beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verhinderung der
rechtzeitigen Rentenantragstellung durch höhere Gewalt kann ebenfalls nicht erfolgen. Dabei kann offen bleiben, ob im
Rahmen des § 99 Abs.2 SGB VI eine Wiedereinsetzung gemäß § 27 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -
überhaupt zulässig ist, oder ob es sich nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift um eine absolut wirkende
Ausschlussfrist handelt, bei der eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht möglich ist (§ 27 Abs.5 SGB X) mit der
Folge, dass die Gründe für die verspätete Antragstellung unerheblich sind. Selbst wenn man eine Wiedereinsetzung
gem. § 27 SGB X hinsichtlich der Frist des § 99 Abs.2 S.3 SGB VI für zulässig hält, kann eine solche bereits nach
dem eigenen Vorbringen der Kläger nicht gewährt werden. Ihr Vortrag, die rechtzeitige Antragstellung sei wegen
höherer Gewalt infolge des bis zum 11.06.1999 im Kosovo herrschenden Kriegszustandes nicht möglich gewesen, ist
nicht schlüssig. Auch nach diesem Zeitpunkt (und zwar noch innerhalb eines Jahres) gestellte
Hinterbliebenenrentenanträge hätten in jedem Fall noch zu dem frühest möglichen Rentenbeginn am 01.06.1999
geführt. Tatsächlich erfolgte die Antragstellung aber erst im Juli 2000, also lange nach Ende des Kriegszustandes.
Auf den Gesichtspunkt der eine fristgerechte Antragstellung verhindernden höheren Gewalt (vgl. auch § 203 Abs.2
BGB in der im Jahre 1999 geltenden Fassung, wonach die Verjährung bei Verhinderung einer Rechtsverfolgung durch
höhere Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist gehemmt ist) kann es daher nicht ankommen.
Dem Senat ist zwar bekannt, dass es über die offizielle Unterbrechung des Postverkehrs mit Jugoslawien in der Zeit
vom 29.03. bis 14.04.1999 hinaus noch längere Zeit zu erheblichen Unregelmäßigkeiten im Postverkehr mit Bürgern
gerade auch im Kosovo kam. Die Kläger haben aber eine nicht erfolgte oder eine verspätete Zustellung bzw. den
Verlust eines Antragsschreibens nicht geltend gemacht. Eine Antragstellung vor Juli 2000 wurde vielmehr
offensichtlich nicht einmal versucht. Im Übrigen trifft auch die Behauptung, die Kläger seien als Flüchtlinge an der
Verfolgung ihrer Rechte gehindert gewesen, so nicht zu. Sie haben, wie aus den Akten ersichtlich, immer im Bereich
der Gemeinde Vushtrri gewohnt.
Zudem wäre auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, also
der Beeinträchtigungen durch den Kriegszustand, zu stellen gewesen (§ 27 Abs.2 Satz 1 SGB X), d.h. noch im Juni
1999, und nicht erst mehr als ein Jahr später.
2. Ein Anspruch der Witwe F. R. auf eine höhere als die tatsächlich erfolgte Nachzahlung (DM 10.519,96) besteht
ebenfalls nicht.
Die Beklagte hat die aus der Witwenrente für die Zeit vom 01.07.1999 bis 30.04.2000 zustehenden Beträge (ab
01.07.1999 wegen des noch laufenden sog. Sterbevierteljahres DM 1.606,70, ab 01.09.1999 DM 964,02) zutreffend
gegen den Rückforderungsanspruch aus der Überzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente des verstorbenen Versicherten
aufgerechnet. Zu der Überzahlung war es wegen der zunächst unterbliebenen Mitteilung des Todes des Versicherten
gekommen. Die Witwe, die die Rente nach dem gesamten Sachverhalt ohne Zweifel für den notwendigen
Familienunterhalt weiterhin entgegengenommen und verbraucht hat, war als Empfängerin des überzahlten, zu Unrecht
überwiesenen Geldbetrages gem. § 118 Abs.4 S.1 SGB VI der Beklagten gegenüber erstattungspflichtig. Die
Rückforderung konnte auch im Zusammenhang mit der Bewilligung der Witwenrente und der sich dabei ergebenden
Nachzahlung im Wege der Aufrechnung ergehen, und zwar ohne die in § 51 Abs.2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB I) genannten Schranken, vgl. § 57 Abs.2 Satz 3 SGB I. Es ist bei der Entscheidung von Ermessensreduzierung
auf Null auszugehen (einzig sachgerechte Entscheidung).
Soweit man eine vorherige Anhörung der Betroffenen (§ 24 SGB X) für erforderlich hält, ist diese vorliegend zwar
unterblieben, dieser Mangel ist aber nach der seit 01.01.2001 geltenden Neufassung des § 41 Abs.2 SGB X als
geheilt anzusehen (vgl. § 41 Abs. 1 und 2 SGB X).
Die Beklagte hat der Klägerin durch die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und insbesondere die übersichtliche
Gegenüberstellung der jeweiligen Zahlbeträge die entscheidungserheblichen Tatsachen verständlich und klar
unterbreitet, so dass die Klägerin die Zusammenhänge verstehen und sich sachgerecht zu ihnen äußern konnte.
Bei dieser Sachlage konnten die Berufungen keinen Erfolg haben. Sie waren mit der Kostenfolge aus § 193 SGG
zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.