Urteil des LSG Bayern vom 23.04.2002

LSG Bayern: grobe fahrlässigkeit, handelsregister, gesellschaft, arbeitslosigkeit, mitteilungspflicht, datum, krankenversicherung, verwaltungsakt, zeichnung, unverzüglich

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.04.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 7 AL 7/97
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 333/98
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.07.1998 sowie die Bescheide
vom 27.09.1996 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.12.1996 und der Bescheid vom 12.03.1999
aufgehoben, soweit für den Zeitraum 15.01.1996 bis 10.04.1996 die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben und
zu Unrecht bezogene Leistungen und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurückgefordert wurden. Im
Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider
Rechtszüge zur Hälfe zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 15.01.1996 bis 10.07.1996 sowie
die Erstattung zu Unrecht bezogener Leistungen und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Der am 1970 geborene Kläger war vom 01.03.1989 bis 30.11.1995 im Architekturbüro D. (S.) als
Bauzeichner/Bautechniker beschäftigt. Er beantragte am 28.11.1995 bei der Beklagten Alg, das diese mit Bescheid
vom 13.12.1995 ab 01.12.1995 zahlte.
Am 15.01.1996 gründete der Kläger mit Frau S. K. die U. gesellschaft für energie- und umweltgerechte Baukonzepte
mbH mit dem Sitz in B. (Urkunde des Notars Dr.W.L. , W. , vom 15.01.1996 - UR Nr.33/96). Am Stammkapital der
Gesellschaft (50.000,00 DM) waren der Kläger und Frau K. je zur Hälfte beteiligt. Beide waren zu
einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt und von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) befreit. Die gewerberechtliche Erlaubnis erteilte das Ordnungsamt der Stadt B. am 13.02.1996. Als
Datum des Beginns der angemeldeten Tätigkeit wurde der 15.02.1996 angegeben. Die Eintragung der Gesellschaft ins
Handelsregister erfolgte am 10.04.1996. Im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung von Überbrückungsgeld
- über den noch nicht entschieden ist - reichte der Kläger fachliche Stellungnahmen der IHK Bayreuth vom
26.01.1996/ 26.02.1996, einen Lebenslauf vom 09.01.1996 und eine Kurzbeschreibung des Existenzgründervorhabens
vom 10.01.1996 beim Arbeitsamt ein. In einem Beratungsgespräch vom 13.02.1996 wies er darauf hin, dass die
Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch bis Mitte 1996 dauern werde.
Im Juli 1996 erhielt die Beklagte über das Ordnungsamt der Stadt B. Kenntnis von der Gewerbeanmeldung des
Klägers. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Außenprüfung vom 25.07.1996. Der Außendienstmitarbeiter stellte
fest, es seien zwei komplett eingerichtete Büroräume vorhanden, die vom Kläger und seiner Mitgesellschafterin K.
angemietet worden seien. Der Kläger sei allein im Büro mit einer Vielzahl von Bauplänen und Entwürfen angetroffen
worden und mit der Zeichnung von Planungsentwürfen beschäftigt gewesen. Er habe erklärt, er sei weiterhin nicht
selbstständig tätig, sondern helfe lediglich gelegentlich und unentgeltlich seiner Lebenspartnerin K. bei der Ausübung
ihres Gewerbes (Unternehmensberatung für das Hotel- und Gaststättengewerbe). Einkommen erzielten er und seine
Partnerin aus der GmbH nicht. Bislang seien keinerlei Aufträge durchgeführt worden.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 27.09.1996 die Entscheidung über die Bewilligung
von Alg für die Zeit vom 15.02.1996 bis 10.07.1996 mit der Begründung auf, der Kläger übe eine selbstständige
Tätigkeit aus, die die Grenze der Kurzzeitigkeit überschreite. Er verfüge über 50 % des Stammkapitals der GmbH und
sei von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Deshalb sei er nicht arbeitslos und habe keinen
Leistungsanspruch. Die Aufhebung der Bewilligung stützte die Beklagte auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 152 Abs 3 AFG, weil der Kläger die selbstständige Tätigkeit entgegen § 60 Erstes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht angegeben habe. Die Beklagte forderte vom Kläger 7.648,20 DM zu Unrecht
bezogener Leistungen zurück. Mit weiterem Bescheid vom 27.09.1996 forderte sie die Erstattung der Beiträge zur
Krankenversicherung in Höhe von 2.443,14 DM.
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die GmbH sei noch nicht aktiv tätig, sie habe
keinen einzigen Auftrag und erziele keinen Gewinn. Hierzu legte er Kopien der für das 1., 2. und 3.Quartal 1996
abgegebenen Umsatzsteuererklärungen vor. Erst seit Juni 1996 sei er für maximal 15 Stunden wöchentlich für die
GmbH tätig, wobei sich diese Tätigkeit darauf beschränke, Briefköpfe und Werbeprospekte zu entwerfen und drucken
zu lassen sowie sonstige Akquisitionsmaßnahmen zu betreiben. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.11.1996
schätzte der Kläger für die Zeit nach dem 10.04.1996 seine wöchentliche Arbeitszeit für die GmbH auf zehn Stunden,
seit Juli 1996 auf etwa fünf bis zehn Stunden wöchentlich.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 13.12.1996 wies die Beklagte die Widersprüche zurück, weil davon auszugehen
sei, dass die wöchentliche Arbeitszeit die Kurzzeitigkeitsgrenze von 18 Stunden überschritten habe.
Gegen die oa Bescheide / Widerspruchsbescheide hat der Kläger am 09.01.1997 jeweils Klage zum Sozialgericht
Bayreuth (SG) erhoben. Dieses hat beide Klagen (Az S 7 AL 7/97 und S 7 AL 8/97) zur gemeinsamen Verhandlung
und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat beantragt, die Bescheide vom 27.09.1996 in der Fassung der
Widerspruchsbescheide vom 13.12.1996 aufzuheben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Auch wenn er selbstständig
gewesen sei, habe diese Tätigkeit 18 Wochenstunden nicht überschritten, da er lediglich vorbereitend und
unterstützend zur Firmengründung tätig gewesen sei. Vor der Eintragung in das Handelsregister sei er für die GmbH
überhaupt nicht tätig gewesen. Hierfür hat der Kläger Frau St.K. als Zeugin benannt, in der mündlichen Verhandlung
vom 14.07.1998 jedoch auf deren Einvernahme verzichtet.
Mit Urteil vom 14.07.1998 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ab
15.02.1996 habe der Kläger keinen Anspruch auf Alg gehabt, weil er als Selbstständiger, der eine Tätigkeit von
mindestens 18 Stunden wöchentlich ausgeübt habe, nicht arbeitslos gewesen sei. In der gewerberechtlichen
Anmeldung habe der Kläger selbst als Datum des Beginns der selbstständigen Tätigkeit den 15.02.1996 angegeben.
In diesem Zusammenhang sei nicht auf den Eingang der ersten Aufträge abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt, ab
dem der Selbstständige bestrebt sei, rechtsgeschäftlich tätig zu werden und mit Gewinnerzielungsabsicht am
Wirtschaftsleben teilzunehmen. Um Ziel und Zweck der Gesellschaft zu erfüllen, habe der Kläger ab 15.02.1996 mehr
als 18 Stunden für die Gesellschaft tätig sein müssen. Diese Aufgabenstellung habe keinesfalls mit einer
wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden bewältigt werden können. Der Hinweis auf die geringen
Umsätze in den ersten Quartalen der selbstständigen Tätigkeit könne diese Beurteilung nicht entkräften, da hieraus
ein Rückschluss auf die tatsächliche Arbeitszeit nicht zulässig sei. Seiner Mitteilungspflicht sei der Kläger zumindest
grob fahrlässig nicht nachgekommen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung
ausgeführt: Er sei ab dem Gründungszeitpunkt der GmbH (15.01.1996) - den er in der Gewerbeanmeldung fälschlich
mit 15.02.1996 bezeichnet habe - de jure von der Aufnahme einer Tätigkeit für die GmbH ausgegangen. Nennenswerte
Tätigkeiten habe er aber erst ab Mitte April 1996 im Umfang von ca zehn Stunden/Woche verrichtet. Ab Mitte Juli
1996 habe sein Arbeitsaufwand wöchentlich fünf bis zehn Stunden, zu keinem Zeitpunkt jedoch mehr als 15 Stunden
betragen. Aus der Kurzbeschreibung des Existenzgründungsvorhabens als hypothetischer Vorschau könne für die
ersten drei Betriebsjahre nach Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit auf die konkrete Arbeitsleistung nicht
geschlossen werden. Bei der Außenprüfung der Beklagten vorgefundene zahlreiche Baupläne und Entwürfe hätten
sich auf die Tätigkeit seiner Ehefrau für die BG (Beratung für das Gastgewerbe Seniorenanlage "R.") und auf ein
Vorhaben seines Schwiegervaters (Werkhalle) bezogen. Letztere Pläne habe er im Rahmen der Verwandschaftshilfe
überprüft. Die GmbH habe 1996 keinen Planungsauftrag erhalten und keine Umsätze getätigt. Umsatzsteuer sei für
1996 nicht entrichtet worden. Die insoweit in der ersten Instanz genannten Zahlen beträfen Rückerstattungen für die
Beschaffung von Büroausstattungsmaterial. Seine vorbereitenden Tätigkeiten für die GmbH seien mithin nicht zu
Erwerbszwecken verrichtet worden. Somit fehle es bereits an einer selbstständigen Tätigkeit. Der Meldepflicht sei er
keineswegs grob fahrlässig nicht nachgekommen. Er sei als juristischer Laie davon ausgegangen, dass seine
Berechtigung zum Alg-Bezug nur bei Ausübung einer mehr als kurzzeitigen, seinen Lebensunterhalt sichernden
Beschäftigung entfalle. Auch habe er am 30.01.1996 im Zusammenhang mit der Gewährung von Überbrückungsgeld
das AA durch Vorlage einer fachlichen Stellungnahme über die Existenzgründung informiert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Bayreuth vom 14.07.1998 sowie die Bescheide vom 27.09.1996 in der Gestalt der
Widerspruchsbescheide vom 13.12.1996 und den Bescheid vom 12.03.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 14.07.1998 zurückzuweisen und die Klage gegen
den Bescheid vom 12.03.1999 abzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Vortrag des Klägers zur aufgewendeten Arbeitszeit sei nach wie
vor unglaubwürdig. So habe er in der Kurzbeschreibung des Existenzgründungsvorhabens ausgeführt, er werde bei
Bedarf mehr als acht Stunden täglich, ggf auch an Sonn- und Feiertagen, arbeiten. Aus der Aufstellung über die
geplanten Erlöse ergäben sich bereits bezüglich der Aufträge aus freier Tätigkeit bis zu 7,75 Wochenstunden. Hinzu
kämen noch die Aufträge nach HOAE (bis zu sechs Aufträge/Jahr). Auch habe man nach Einschätzung der IHK
Bayreuth mit einer längeren Anlaufzeit bis zur Rentabilität des Unternehmens nicht rechnen müssen. Ferner sei davon
auszugehen, dass bei der Betriebsprüfung vorgefundene Unterlagen zumindest auch durch den Kläger bearbeitet
worden seien. Im Übrigen sei es mit dem Vorbringen des Klägers, er habe bei der Gewerbeanmeldung eigentlich das
Datum der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags (15.01.1996) angeben wollen, erwiesen, dass die Arbeitslosigkeit
des Klägers bereits ab dem 15.01.1996 beendet gewesen sei.
Mit Bescheid vom 12.03.1999 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung auch für die Zeit vom 15.01.1996 bis 14.02.1996
auf und forderte weitere 1.638,90 DM Alg sowie 521,64 DM Beiträge zurück.
Der Senat hat die Ehefau des Klägers, Frau S. Q. , geb. K. , als Zeugin uneidlich vernommen. Diese hat angegeben,
dass der Kläger vor der Eintragung der GmbH in das Handelsregister keine nennenwerte Tätigkeit für diese ausgeübt
hat. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten der Beklagten (Stammnr 232688) sowie auf die
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und zum Teil begründet, denn
das SG hat für die Zeit vom 15.01.1996 bis 10.04.1996 beim Kläger Arbeitslosigkeit zu Unrecht verneint. Die
Anfechtungsklage wurde im Berufungsverfahren in zulässiger Weise um den Bescheid vom 12.03.1999 erweitert,
denn die Beklagte hat sich rügelos darauf eingelassen (§§ 99 Abs 1 und 2, 153 Abs 1 SGG).
Nach § 100 Abs 1 AFG idFdG vom 25.06.1969 (BGBl I S 582) hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der
Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim AA arbeitslos gemeldet und Alg
beantragt hat. Arbeitslos ist gemäß § 101 Abs 1 AFG idFdG vom 24.07.1995 (BGBl I S 962) ein Arbeitnehmer, der
vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt (Satz 1).
Der Arbeitnehmer ist jedoch nicht arbeitslos, wenn er ua eine Tätigkeit als Selbstständiger ausübt, die die Grenze des
§ 102 AFG überschreitet. Nach letzterer Bestimmung - idFdG vom 20.12.1988 (BGBl I S 2343) - ist kurzzeitig eine
Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder
im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist. Gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben
unberücksichtigt (§ 102 Abs 1 AFG).
In der Zeit vom 15.01.1996 bis 10.04.1996 war der Kläger zur Überzeugung des Senats weiterhin arbeitslos, denn es
ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass der Kläger im genannten Zeitraum für die
GmbH nur in einem unbedeutenden Umfang tätig gewesen ist. So hat die vom Senat uneidlich vernommene Ehefrau
des Klägers bestätigt, dass ihr Mann vor der Eintragung der GmbH in das Handelsregister (10.04.1996) für die
Gesellschaft Tätigkeiten in nennenswertem Umfang nicht ausgeübt hat. Die von ihm in dieser Zeit übernommene
Überwachung der Sanierungsmaßnahmen am Haus der Ehefrau stand in keinem Zusammenhang mit der GmbH. Dies
gilt auch für seine Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten als Angestellter oder Selbständiger.
Obwohl der Kläger den 15.02.1996 bzw später den 15.01.1996 als den Beginn der Gesellschaft bezeichnet hat, war
damit für ihn zunächst ein Arbeitsaufwand von einiger Bedeutung nicht verbunden. So hat er am 13.02.1996
anlässlich eines Beratungsgesprächs bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes angegeben, die Realisierung seiner
Selbständigkeit werde sich noch bis Mitte 1996 hinziehen. Für die Richtigkeit dieser Angaben spricht, dass er erst am
26.02.1996 von der Industrie und Handelskammer Bayreuth eine fachliche Stellungnahme als Voraussetzung für die
Beantragung von Eigenkapitalhilfe eingeholt hat. Damit hält es der Senat nicht für erwiesen, dass der Zeitaufwand des
Klägers für die GmbH vor deren Eintragung in das Handelsregister einen nennenswerten Umfang erreicht hatte. Den
Nachteil der Nichterweislichkeit des Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen hat die Beklagte zu tragen (Meyer-
Ladewig, SGG, 6.Aufl, § 103 RdNr 19 a).
Mit der Eintragung der GmbH ins Handelsregister (10.04.1996) ist jedoch bereits nach den eigenen Angaben des
Klägers eine Änderung insoweit eingetreten, als er nunmehr ("ab Mitte April 1996") tatsächlich nennenswert für die
GmbH tätig wurde. Die Zeugin bestätigte ebenfalls das Tätigwerden ihres Mannes ab diesem Zeitpunkt. Damit
verbunden war nach Überzeugung des Senats gleichzeitig eine Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze des § 101
Abs 1 AFG.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist nämlich die Prüfung, ob eine selbstständige Tätigkeit der Natur der Sache
nach kurzzeitig ist, grundsätzlich nach der voraussichtlichen Entwicklung bei Beginn der selbstständigen Tätigkeit
vorzunehmen. Es kommt daher grundsätzlich auf die Merkmale und Umstände an, wie sie bei Beginn der
selbstständigen Tätigkeit vorgelegen haben (BSG SozR 4100 § 102 Nr 3). Somit ist zunächst festzustellen, welche
Verrichtungen nach der Art und Weise, wie der Kläger seine Firma aufzubauen gedachte, auf ihn zukommen würden
und wie der Kläger die anfallenden Arbeiten erbringen wollte. Entscheidend ist daher auch, mit welchen Auftraggebern
der Kläger bei realistischer Betrachtung seiner Lage rechnen konnte und wie er den Kreis der Auftraggeber erweitern
wollte (BSG vom 25.08.19981 - 7 RAr 68/80; DBlR 2677a AFG/§ 102).
Hierzu hat der Kläger in seiner "Kurzbeschreibung des Existenzgründervorhabens" vom 10.01.1996 ausgeführt, er
werde - um schneller als die Mitbewerber zu sein - ggf mehr als acht Stunden täglich, notfalls auch an Sonn- und
Feiertagen, arbeiten, Kontakte zu ehemaligen Auftraggebern pflegen, allen bisherigen Geschäftspartnern seine
Geschäftsphilosophie erläutern und Bauträger, Architektur- und Ingenieurbüros in der näheren Umgebung ansprechen.
Die IHK Bayreuth hat am 26.02.1996 unter Würdigung der Kurzbeschreibung des Klägers den zügigen Aufbau einer
erfolgreichen Vollexistenz prognostiziert. Aus den vom Kläger erwarteten Erlösen (1.Jahr 51.000,00 DM; 2.Jahr
119.000,00 DM; 3.Jahr 188.000,00 DM) und den von ihm angegebenen Zeitaufwand hat die Beklagte zu Recht auf
eine vom Beginn der GmbH an mehr als kurzzeitige Beschäftigung des Klägers geschlossen.
Diese Beurteilung war auch deshalb zutreffend, weil Zeiten, in denen sich der Kläger für Mandantenbesuche,
Telefonate etc in seinem Büro bereit hielt, nach der Rechtsprechung ebenfalls voll berücksichtigt werden, selbst wenn
sie nicht mit der Bearbeitung von Aufträgen ausgefüllt werden konnten. Dies ergibt sich daraus, dass es ebenfalls
unerheblich ist, ob die selbstständige Tätigkeit insgesamt Ertrag abwirft. Es besteht nämlich keine Möglichkeit bei
dem zeitlichen Umfang, den eine selbstständige Tätigkeit erfordert, Zeiten unberücksichtigt zu lassen, aus denen der
Selbstständige mangels Umsatzes unmittelbar kein Einkommen bezieht (BSG SozR 4100 § 102 Nr 7). Ist es aber
unerheblich, ob die selbstständige Tätigkeit Ertrag abwirft, kann nicht von Bedeutung sein, ob eine Verrichtung wie
das werbende Warten auf Geschäftskunden Umsatz oder gar Gewinn bringt.
Auch die Einrichtung und Ausstattung des klägerischen Büros spricht für die in der Kurzbeschreibung dargestellte
Inanspruchnahme. So hat der Außendienstmitarbeiter der Beklagten zwei komplett eingerichtete Büroräume mit einer
Vielzahl von Bauplänen und Entwürfen vorgefunden. Der Kläger war zu dieser Zeit (25.07.1996) mit der Zeichnung von
Planungsentwürfen beschäftigt.
Unabhängig von dem vom Kläger selbst eingeräumten Arbeitsaufwand - der Kläger hat bei seinen Angaben allerdings
die oa Grundsätze außer Acht gelassen - muss ab 10.04.1996 eine mehr als kurzzeitige selbstständige Tätigkeit des
Klägers angenommen werden. Der Kläger ist selbst von einer "Vollexistenz" (Gutachten der IHK Bayreuth vom
26.02.1996) ausgegangen, hat mithin seine selbstständige Tätigkeit von Beginn der GmbH an nicht so eingeschränkt,
dass sie unter der Kurzzeitigkeitsgrenze geblieben wäre. Auch die Ehefrau des Klägers hat im Rahmen ihrer
Vernehmung eingeräumt, dass sich der Kläger nach Eintragung ins Handelsregister um die Fertigung des Briefpapiers
gekümmert und sich der Einrichtung der Büroräume angenommen hat und dass beide Verrichtungen einen gewissen
zeitlichen Aufwand erfordert haben. Wenn in Fällen vorliegender Art die selbstständige Tätigkeit die Existenz nicht
sichert, aber den Anspruch auf Alg ausschließt, verwirklicht sich damit gerade das in der eigenen wirtschaftlichen
Verantwortung begründete Risiko, das für jede selbstständige Tätigkeit typisch ist (BSG SozR 4100 aaO).
Damit ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die im Zeitpunkt der Alg-Bewilligung vorgelegen haben (Bescheid vom
13.12.1995), wegen Wegfalls der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer mehr als kurzzeitigen selbstständigen
Tätigkeit ab 10.04.1996 eine wesentliche Änderung eingetreten. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Alg-
Bewilligung ist § 48 Abs 1 SGB X. Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der
Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift
vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder
grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Satz 2 Nr 2).
Ist in den tatsächlichen Verhältnissen wegen weggefallener Arbeitslosigkeit eine wesentliche Änderung eingetreten,
kommt es für die rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X darauf an, ob der
Kläger, in dem er die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit dem AA nicht mitgeteilt hat, einer durch
Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Der
Kläger war verpflichtet, die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit dem AA mitzuteilen. Dies ergibt sich aus § 60
Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält,
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Gegen diese
gesetzliche Pflicht zur Mitteilung der am 15.01.1996 aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit hat der Kläger
verstoßen. Den Kläger trifft insoweit zumindest der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Auf die Bedeutung der
Übernahme einer Arbeit - auch als Selbstständiger - auf den Alg-Anspruch ist der Kläger durch das Merkblatt "Ihre
Rechte - Ihre Pflichten" ausdrücklich hingewiesen worden. Im Alg-Antrag hat er darüber hinaus erklärt, alle
Änderungen in den Tatsachen, die den Angaben auf diesem Formblatt zugrunde lagen, unverzüglich zu melden. Die
Nichtberücksichtigung von unmissverständlichen Hinweisen in den dem Leistungsbezieher ausgehändigten
Merkblättern stellt eine grobe Fahrlässigkeit dar (Wiesner in Schroeder-Printzen, Sozialgesetzbuch -
Verwaltungsverfahren -SGB X-, 4.Auflage § 45 Rdnr 24; § 48 Rdnr 23).
Die Mitteilungspflicht ist nicht deshalb entfallen, weil der Kläger bereits im Dezember 1995 Antrag auf
Überbrückungsgeld stellen wollte. Diesen Antrag hat er bei der Beklagten letztlich nicht zur Bearbeitung eingereicht
und den erneuten Antrag vom 10.06.1996 (Aushändigung des Antragformulars am 20.09.1996) erst am 08.01.1997
beim AA abgegeben. Darin hatte er als Beginn der selbstständigen Tätigkeit als Hochbautechniker den 15.12.1996
genannt. Eine rechtzeitige Meldung kann darin nicht erblickt werden. Selbst wenn jedoch die mitzuteilenden Umstände
dem AA bereits bekannt gewesen wären, hätte dies den Kläger nicht von seiner Mitteilungspflicht entbunden (BSG
SozR 4100 § 152 Nr 10; Wiesner aaO § 48 Rdnr 23).
Da somit die in § 48 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB X genannten Voraussetzungen vorliegen, hatte das AA bei der
Aufhebungsentscheidung kein Ermessen auszuüben, sondern die Bewilligungsbescheide mit Wirkung zum Zeitpunkt
der Änderung der Verhältnisse als gebundene Entscheidung aufzuheben (§ 152 Abs 3 AFG). Die Pflicht zu Erstattung
des für die Zeit nach dem 10.04.1996 bis 10.07.1996 zu Unrecht erhaltenen Algs ergibt sich aus § 50 Abs 1 Satz 1
SGB X. Die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Krankenversicherung beruht auf § 157 Abs 3 a AFG.
Auf die Berufung des Klägers waren daher das Urteil des SG Bayreuth vom 14.07.1998 sowie die Bescheide vom
27.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.1996 und der Bescheid vom 12.03.1999 insoweit
aufzuheben, als die Beklagte für den Zeitraum vom 15.01.1996 bis 10.04.1996 die Bewilligung von Alg aufgehoben
und zu Unrecht bezogene Leistungen und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurückgefordert hat. Im
Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).