Urteil des LSG Bayern vom 21.07.2008

LSG Bayern: verfahrensmangel, befragung, vorbefassung, verwaltungsverfahren, zustand, rechtsmittelbelehrung, beweisantrag, rechtseinheit, vertretung, anspruchsbeginn

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 21.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 6 AL 351/07 KO
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 108/08 NZB
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.03.2008 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die angemessene Gebühr für die Vertretung des Klägers im Widerspruchsverfahren. Mit
Bewilligungsbescheid vom 04.10.2006 traf die Beklagte die Entscheidung, ab 24.12.2006 Arbeitslosengeld in Höhe
von täglich 38,80 EUR zu zahlen und bis dahin ab Anspruchsbeginn am 01.10.2006 wegen einer Sperrzeit bei
Arbeitsaufgabe keine Zahlungen zu erbringen. Dem widersprach der Klägerbevollmächtigte am 09.10.2006 und
02.11.2006 mit der Begründung, die Kündigung sei nicht vom Kläger zu vertreten; er legte hierzu einen von ihm
geschlossen Arbeitsvertrag vor. Nach Eingang einer Stellungnahme des Arbeitgebers erließ die Beklagte am
13.11.2006 einen Änderungsbescheid, in dem sie Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.10.2006 bis 30.09.2007 in
Höhe von 38,80 EUR endgültig festsetzte. Auf seine Kostenrechnung über 377,70 EUR setzte die Beklagte den
Erstattungsbetrag unter Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr gemäß Nr 2400 VV-RVG in Höhe von 150,00 EUR
und einer Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 EUR inkl. Mehrwertsteuer auf 197,20 EUR fest. Mit
Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 erstattete sie weitere Auslagen, lehnte es aber wegen des nach Umfang und
Schwierigkeit weit unterdurchschnittlichen Falles ab, die beantragte Geschäftsgebühr von 240,00 EUR zu erstatten.
Das Sozialgericht Nürnberg hat die Klage auf Erstattung weiterer Kosten in Höhe von 104,40 EUR abgewiesen. Die
vorläufige Leistungsfeststellung nach § 328 SGB III sei von keiner überdurchschnittlichen Bedeutung und der
Schriftsatz von wenigen Zeilen habe unterdurchschnittlichen Arbeitsaufwand erfordert. Schließlich sei wegen der
Vorbefassung im arbeitsgerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus Nr 2401 VV-RVG
die Festsetzung der Geschäftsgebühr durch die Beklagte nicht zu beanstanden. Gegen das Urteil vom 13.03.2008 hat
der Kläger am 30.04.2008 Beschwerde eingelegt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend
gemacht. Zu entscheiden sei, ob ein "Bewilligungsbescheid" betreffend die Anordnung einer Sperrzeit über einen
Widerspruch anfechtbar sei, ob ein solcher Bescheid überdurchschnittliche Bedeutung habe und ob ein
Arbeitsgerichtsverfahren einem Verwaltungsverfahren iS der Nr 2401 VV-RVG gleichzusetzen sei. Darüber hinaus
liege ein Verfahrensmangel vor, weil die notwendige Befragung des Klägers ergeben hätte, dass die
Sperrzeitanordnung existenzgefährdend war. Demgemäß hätte das Sozialgericht von der überdurchschnittlichen
Bedeutung der Streitsache ausgehen müssen. Die Beklagte hat beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als
unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger sei vor Bescheiderlass mitgeteilt worden, dass bis zum Abschluss der
Ermittlungen eine vorläufige Sperrzeit festgesetzt werde.
II. Die vom Kläger fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs 1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs 1
Satz 1 Nr 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Nach §
144 Abs 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil
von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der
Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht
(Nr 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und
vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die
Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben,
wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein
Individualinteresse nicht genügt (Meyer- Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 144 Rdnr 28). Klärungsbedürftig ist
eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne
Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie
unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch von vorneherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 §
160a Nr 4). Ob dem Kläger ein Widerspruchsrecht gegen die vorläufige Festsetzung einer Sperrzeit mit Bescheid vom
04.10.2006 zustand, kann angesichts der Rechtsmittelbelehrung und der unstrittigen Erstattungsfähigkeit von
Widerspruchsverfahrenskosten nicht als klärungsbedürftig gesehen werden. Der "Bewilligungsbescheid" enthielt
Widerspruchsverfahrenskosten nicht als klärungsbedürftig gesehen werden. Der "Bewilligungsbescheid" enthielt
wegen des späten Leistungsbeginns eine Beschwer, gegen die sich der Adressat zweifellos mit einem Rechtsbehelf
wenden durfte und konnte. Ob ein solch vorläufiger Bescheid überdurchschnittliche Bedeutung hat, mag im Einzelfall
positiv zu beantworten sein, die Antwort hierauf ist jedoch nicht geeignet, die Weiterentwicklung des Rechts zu
fördern. Maßgeblich ist die ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung gerade für den
Auftraggeber, also nicht auch oder gar nur für die Allgemeinheit. Der Klägerbevollmächtigte macht im Kern geltend,
das Sozialgericht habe die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger verkannt. Die fehlerhafte Rechtsanwendung
im Einzelfall ist aber kein Grund für eine Zulassung der Berufung. Ob ein Arbeitsgerichtsverfahren einem
Verwaltungsverfahren iS der Sinn der Nr 2401 VV-RVG gleichzusetzen ist, ist nicht entscheidungserheblich. Das
Sozialgericht hat lediglich zur Bemessung der Geschäftsgebühr bei unterdurchschnittlicher Bedeutung auf den
Rechtsgedanken aus Nr 2401 VV-RVG abgestellt und zusätzlich berücksichtigt, dass der Klägerbevollmächtigte die
Rechtsmaterie bereits aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren kannte. Es ist dem Klägerbevollmächtigten
zuzustimmen, dass aus dieser Vorbefassung allenfalls die Erfassung des Sachverhalts erleichtert wird, hingegen hat
das Sozialgericht seine Entscheidung nicht in direkter Anwendung der Nr 2401 VV-RVG getroffen, sondern sie mit
ähnlichen Erwägungen begründet, wie sie vom Gesetzgeber zur Herabsetzung der Gebührenhöhe herangezogen
werden. Schließlich kann auch keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht festgestellt werden. Abgesehen davon,
dass der Klägerbevollmächtigte keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat, ist nicht ersichtlich, dass sich das
Sozialgericht von seinem rechtlichen Standpunkt aus zur Befragung des Klägers zur Existenzgefährdung durch die
drohende Sperrzeit hätte gedrängt fühlen müssen. Die Einkommensverhältnisse des Klägers waren aus der
rechtlichen Sicht des Sozialgerichts nicht entscheidungserheblich, da es maßgeblich auf den vorläufigen Charakter
der angegriffenen Regelung abstellte und daneben den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit berücksichtigte. Es ist daher
nicht wahrscheinlich, dass das Sozialgericht ohne den angeblichen Verfahrensverstoß zu einem für den Kläger
günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der
entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs 4 Satz
5 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht
rechtskräftig.