Urteil des LSG Bayern vom 26.02.2007

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Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 26.02.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 19 AS 911/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 978/06 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.11.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.08.2006
bis 31.12.2006.
Die Antragsgegnerin (Ag) bewilligte dem ASt ab 01.01.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II). Anlässlich eines Gespräches bei der Ag am 03.02.2006 bestätigte der ASt, darüber aufgeklärt worden zu
sein, dass die Miete für seine Wohnung über der geltenden Mietobergrenze liegt und er zur Senkung der Mietkosten
verpflichtet sei; andernfalls würde die Ag ab 01.08.2006 nur noch die angemessenen Kosten übernehmen. Mit
Bescheid vom 10.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2006 gewährte die Ag als Kosten
der Unterkunft nur noch 322,00 EUR monatlich und damit 75,00 EUR monatlich weniger als im Monat Juli 2006.
Am 25.10.2006 beantragte der ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) "die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
vom 28.09.2006 anzuordnen". Er wohne in katstrophalen Umständen und benötige die vollen Unterkunftskosten;
außerdem leide er unter gesundheitlichen Einschränkungen. Einen Umzug könne er nicht vornehmen, zumal es
keinen billigeren Wohnraum gebe. Gleichzeitig erhob er "Widerspruch" in der Hauptsache.
Das SG lehnte mit Beschluss vom 17.11.2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Übernahme der
tatsächlichen Kosten der Unterkunft ab, da die Kosten für die Wohnung des ASt unangemessen seien. Auf der
Grundlage des N. Mietspiegels 2006 sei das SG zu der Überzeugung gekommen, dass zu einer Miete von 322,00
EUR/Monat inklusive Nebenkosten zuzügl. Heizkosten in N. eine Wohnung zu finden sei. Auch machten die
gesundheitlichen Einschränkungen des ASt es ihm nicht unzumutbar, sich eine neue Wohnung zu suchen, da auch
ein ausreichendes Angebot an Wohnungen im Erdgeschoss oder mit Aufzug vorhanden sei.
Hiergegen hat der ASt am 29.11.2006 Beschwerde beim SG eingelegt, die am 12.12.2006 beim Bayer.
Landessozialgericht (BayLSG) einging. Die Ag müsse ihm die tatsächlichen Kosten der Unterkunft bezahlen, da er
nicht in der Lage sei, die Kosten zu senken bzw. umzuziehen. Insbesondere sein Gesundheitszustand ließe eine
Umzug nicht zu. Im Übrigen seien auch die tatsächlichen Heizkosten zu übernehmen, worauf er mit Schreiben des
SG vom 20.11.2006 hingewiesen worden sei.
Die Ag hat sich mit Schriftsatz vom 24.11.2007 dahingehend geäußert, dass der Antrag abzulehnen sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakte erster Instanz Bezug
genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig; das SG hat
ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich im Ergebnis jedoch als unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
Bundesverfassungsgericht -BVerfG- vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 69 [74]; vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 [179]
und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, Rdnr 643). Die Regelungsanordnung
setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das i.d.R. die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines
Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die
Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 994
Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 41). Zwischen
Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache
sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder
unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und an den
Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter
Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom
22.11.2005 aaO).
Vorliegend fehlt es an einem Anordnungsgrund. Streitgegenständlich ist allein der Leistungszeitraum vom 01.08.2006
bis 31.12.2006 und damit ein in der Vergangenheit liegender Bewilligungszeitraum. Es entspricht der ständigen
Rechtsprechung des Senats, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für abgelaufene
Bewilligungszeiträume im Wege des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zugesprochen werden, weil sie
nicht dazu dienen, den gegenwärtigen Bedarf des ASt zu decken. Für den Zeitraum ab 01.01.2007 hat der ASt bereits
einen neuen Leistungsantrag gestellt, der hier nicht streitgegenständlich ist. Aus dem Sachvortrag des ASt ist nicht
ersichtlich, dass der ASt wegen des Unterschiedsbetrages zwischen den tatsächlichen Unterkunftskosten und den
angemessenen Unterkunftskosten für einen vergangenen Zeitraum aktuell in einer existenziellen Notlage wäre.
Die Beschwerde hat nach alledem insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.