Urteil des LSG Bayern vom 08.09.2006

LSG Bayern: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, auto, firma, arbeitsmarkt, tinnitus, klinik, krankenkasse, haus, fahren

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 08.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 18 KR 538/01
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 39/04
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der 1944 geborene Kläger war als Sachbearbeiter bei der Firma P. Medizintechnik tätig, die die Betriebsstätte Anfang
des Jahres 2000 von M. nach H. verlegte. Dort arbeitete der Kläger während der Woche und kehrte am Wochenende
zu seiner Familie in S. zurück. Er war vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 über seine Ehefrau familienversichert.
Der Allgemeinarzt Dr. M. attestierte in der Bescheinigung vom 24.03.2000 Arbeitsunfähigkeit bis 31.03.2000 wegen
Tinnitus und paroxysmalen Schwindels. In den Arztberichten an die Beklagte vom 20.04.2000, 23.06.2000 und
24.08.2000 stellte er beim Kläger weiterhin Arbeitsunfähigkeit fest. Die Beklagte gewährte ihm ab 03.05.2000
Krankengeld. Er befand sich vom 26.04. bis 30.05.2000 wegen dieser Erkrankungen in stationärer Behandlung der
Psychosomatischen Klinik W. ; im Arztbrief vom 16.06.2000 wurde ihm eine ambulante psychotherapeutische
Weiterbehandlung empfohlen.
Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) in der gutachtlichen Stellungnahme vom
02.08.2000 weiterhin Arbeitsunfähigkeit annahm, gelangte er im Gutachten vom 22.09.2000 aufgrund einer
psychopathologischen Untersuchung des Klägers zu der Diagnose psychogener Schwindel und zu dem Ergebnis,
aufgrund der geschilderten Beschwerden und der vorliegenden Befunde sei der Kläger arbeitsfähig in Vollzeit für
leichte körperliche Tätigkeiten (Büroarbeiten); Erwerbsunfähigkeit oder eine erheblich eingeschränkte Erwerbsfähigkeit
liege nicht vor. Bei der Untersuchung gab der Kläger an, er könne früh und abends das Haus ohne Begleitung nicht
verlassen, fahre jedoch Auto und könne selbständig einkaufen. Sein Arbeitsverhältnis werde zum 31.12.2000 mit einer
Abfindung aufgelöst.
Dr. M. bescheinigte am 17.12.2000 weiterhin Arbeitsunfähigkeit wegen eines therapieresistenten Schwankschwindels.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 22.12.2000 das Ende der Krankengeldzahlung mit dem 31.12.2000 fest; der
Kläger solle sich dann an die Arbeitsverwaltung wenden. Gegen die Beendigung der Krankengeldzahlung wandten sich
Dr. M. und der Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. U. mit ärztlichen Bescheinigungen; Dr. U. legte
gleichfalls für den Kläger Widerspruch ein. Der nochmals gehörte MDK blieb bei seiner bisherigen Beurteilung
(Stellungnahmen vom 24.01.2001, 28.02.2001 und 23.03.2001). Der Kläger habe trotz der geklagten, seit langer Zeit
bestehenden Beschwerden wie Schwindel und Tinnitus seine Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der Firma P. ausgeübt
und Überstunden geleistet, es bestehe ein vollschichtiges Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die
Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 12.04.2001 eine Weiterzahlung von Krankengeld über den 31.12.2000
hinaus ein weiteres Mal ab. Auch hiergegen legte der Kläger am 09.05.2001 Widerspruch ein.
Die Beklagte wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.07.2001 den Widerspruch wegen fehlenden Nachweises
der Arbeitsunfähigkeit über den 31.12.2000 hinaus zurück.
Der Kläger hat dagegen am 19.07.2001 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben; er sei zu einer
vollschichtigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in der Lage, seine behandelnden Ärzte würden ihn
weiterhin für arbeitsunfähig halten. Er hat sich vom 04.09. bis 02.10.2001 in stationärer Behandlung der O. Klinik/St.
W. auf Kosten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte befunden; er ist bei den Diagnosen phobischer
Schwankschwindel und Tinnitus aurium als arbeitsunfähig entlassen worden. Im Entlassungsbericht wird festgestellt,
dass (nach Angaben des Klägers) bei unangenehmen Situationen der Schwankschwindel sich verstärke, während das
Autofahren, Radfahren und Tischtennisspielen ihm keinerlei Probleme bereite. Das SG hat
Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 14.01.2002 mit einer ergänzenden
Stellungnahme vom 12.08.2002 und des Orthopäden Dr. F. vom 30.01.2002 eingeholt. Dr. K. hat ausgeführt,
ungeachtet der vom Kläger angegebenen Beschwerden, für die es kein verwertbares organisches Substrat gebe, sei
es ihm durchaus möglich, regelmäßig seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen, zumal er Pkw und Fahrrad fahre und
Bergwanderungen unternehme. Der Orthopäde Dr. F. hat gleichfalls Arbeitsunfähigkeit über den 31.12.2000 hinaus
verneint, der Kläger hätte seine bisherige Tätigkeit als medizinischer Sachbearbeiter ausüben können, wenn er den
Arbeitsplatz in M. behalten hätte.
Auf Antrag des Klägers hat das SG den Chefarzt der (früheren) O. Klinik Dr. J. als Sachverständigen gehört, der
wegen des phobischen Schwankschwindels unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers Arbeitsunfähigkeit über
den 31.12.2000 hinaus bis einschließlich 02.10.2001 angenommen hat.
Das SG hat mit Urteil vom 09.10.2003 die Klage abgewiesen. Arbeitsunfähigkeit sei nicht über den 31.12.2000 hinaus
erwiesen. Maßgebend hierfür sei nicht der frühere Arbeitsplatz als Sachbearbeiter bei der Firma P. Medizintechnik,
sondern ein abstrakter Tätigkeitsbereich als Sachbearbeiter in einem Unternehmen für medizinische Technik. Nach
dem Sachverständigengutachten von Dr. K. könne der Schwankschwindel therapeutisch gut angegangen werden,
auffällig sei im Übrigen, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt daran gehindert gewesen sei, Auto zu fahren. Objektive
Befunde, die in der Lage wären, zu belegen, dass sich das bestehende Krankheitsbild im Laufe des Jahres 2000 oder
des Jahres 2001 wesentlich verschlechtert habe, liegen nicht vor. Dem abweichenden Sachverständigengutachten
von Dr. J. schließe sich das Gericht nicht an.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 19.02.2004, mit der er unter Bezugnahme auf das
Sachverständigengutachten von Dr. J. geltend macht, er sei wegen des Schwankschwindels kaum in der Lage
gewesen, bei ungünstigen Witterungsbedingungen das Haus zu verlassen oder Treppen zu steigen. Im
Erörterungstermin vom 21.08.2006 hat der Kläger angegeben, es sei nicht den Sachverständigengutachten von Dr. K.
und Dr. F. zu folgen, sondern dem Abschlussbericht der O. Klinik, der weiterhin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils Sozialgerichts München vom 09.10.2003
sowie der Bescheide vom 22.12.2000 und 12.04.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2001 zu
verurteilen, Krankengeld vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf
den Inhalt der beigezogenen Akten des Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da er sie
einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher
gehört worden.
Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat im streitigen Zeitraum vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 gegen die Beklagte keinen Anspruch auf
Krankengeld.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die
Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Der Anspruch
auf Krankengeld setzt gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V ferner voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit ärztlich
festgestellt wird. Liegen diese Voraussetzungen vor, entsteht eine Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse dennoch
nicht, wenn und solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V).
Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Kasse nicht gemeldet wird; dies gilt
nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Krankengeld im streitigen Zeitraum aus mehreren Gründen nicht zu. Grundlegende
Voraussetzung für einen Anspruch auf Krankengeld ist eine Versicherung, die diese Leistung enthält. Da der Kläger,
wie die Beklagte im Erörterungstermin angegeben hat, im streitigen Zeitraum über seine Ehefrau familienversichert (§
10 Abs. 1 SGB V) gewesen ist, besteht kein Anspruch auf Krankengeld. Denn gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 haben u.a. die
nach § 10 SGB V Versicherten keinen Anspruch auf Krankengeld.
Da die Beklagte Krankengeld bis 31.12.2000 gezahlt hat, kann allenfalls diese Leistung noch als nachgehender
Anspruch im Sinne des § 19 Abs. 2 SGB V infrage kommen. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung besteht für den
Fall der Beendigung der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat
nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Der in § 19 Abs. 2 S. 2 SGB V
geregelte Ausschluss des nachgehenden Anspruchs bei Zusammentreffen mit einer Familienversicherung durch
Gesetz vom 14.11.2003 (GBG I S. 2190) hat im streitigen Zeitraum (Januar 2001) noch nicht bestanden.
In diesem Zeitraum ist jedoch Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen. Bereits die Gutachten des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 24.01.2001, 28.02.2001 und 23.03.2001 kommen im
Anschluss an das Gutachten des MDK von 22.09.2000 (mit Untersuchung) und die Befunde der behandelnden Ärzte
des Klägers zu dem Ergebnis, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leistungsfähig ist; das
Alter sowie die unbefriedigende Situation auf dem Arbeitsmarkt sind keine Gründe, Arbeitsunfähigkeit anzunehmen.
Im Gutachten vom 22.09.2000 hatte sich der MDK ausführlich mit den geltend gemachten Beschwerden befasst;
hierbei darf nicht übersehen werden, dass der Kläger über das Auftreten der Schwindelsymptomatik bereits seit 1994,
also noch während seiner früheren Beschäftigung, sowie darüber berichtet hatte, dass er trotz dieser Symptome Auto
und Fahrrad fährt und auch beim Bergsteigen keine Probleme hat. Im Gutachten des MDK vom 23.03.2001 wird noch
darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz Schwindels und Tinnitus eine vollschichtige Tätigkeit als Mitarbeiter in der
Firma P. Medizintechnik (auch mit Überstunden) ausgeübt hatte. Diese Feststellungen des MDK werden erhärtet
durch die vom SG eingeholten Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K. einschließlich
dessen ergänzender Stellungnahme vom 14.01.2002/12.08.2002 und des Orthopäden Dr. F. vom 30.01.2002. Beide
Sachverständige verneinen Arbeitsunfähigkeit über den 31.12.2000 hinaus im Beruf des Klägers als Sachbearbeiter
im Bereich der Medizintechnik. Auch Dr. K. hat es als auffällig bezeichnet, dass der Kläger nach seinen Angaben zu
keinem Zeitpunkt gehindert war, Auto zu fahren. Insofern ist die Einschätzung, dass die Symptomatik nicht ganz
bewusstseinsfern angesiedelt und zweckgerichtet ist, nicht von der Hand zu weisen. Die Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit ab März 2000 war insbesondere durch die geänderten Arbeitsbedingungen bedingt, die bei dem
Kläger zu einer vermehrten Kränkung und Unzufriedenheit geführt haben. Der Orthopäde Dr. F. hat gleichfalls die
Auffassung vertreten, dass der Kläger weiter in der Lage gewesen wäre, seiner Tätigkeit als medizinischer
Sachbearbeiter nachzukommen, wenn er den Arbeitsplatz in M. hätte behalten können.
Demgegenüber hat das Sachverständigengutachten von Dr. J. gemäß § 109 SGG minimalen Beweiswert. Zwar räumt
der Sachverständige Dr. J. ein, dass beim Kläger keine Zeichen einer schweren psychischen Störung vorgelegen
haben. Er stützt sich bei der Beurteilung der durch den phobischen Schwankschwindel hervorgerufenen
Arbeitsunfähigkeit aber allein auf die Angaben des Klägers, die er für schlüssig hält. Als Beleg für seine Behauptung
infrage kommende Details aus der psychotherapeutischen Intervention hält er zurück. Damit trifft den Kläger die
objektive Beweislast für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit.
Aus diesen Gutachten des MDK und der Sachverständigen Dr. K. und Dr. F. ist zudem der Schluss zu ziehen, dass
auch für die restliche Zeit des Jahres 2001 Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegen hat. Im Übrigen fehlt es auch für die
Zeit von Februar bis Ende Dezember 2001 an durchgehenden ärztlichen Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit und
deren Meldungen an die Beklagte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).