Urteil des LSG Bayern vom 19.06.2006

LSG Bayern: hauptsache, sozialhilfe, krankenkasse, gebrauchsgegenstand, erlass, bayern, versorgung, verfügung, alter, krankenversicherung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 19.06.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 51 SO 456/05 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 358/06 SO ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.04.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Übernahme eines Eigenanteils bei der Vorsorgung orthopädischer Hilfsmittel.
Den Antrag der Antragstellerin (ASt) vom 12.09.2005 auf Übernahme eines Eigenanteils zur Beschaffung von
orthopädischen Winterschuhen in Höhe von 96,00 EUR lehnte die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheid vom 19.09.2005
ab. Hiergegen erhob die ASt Widerspruch, über den - soweit aus den Akten ersichtlich - noch nicht entschieden
worden ist.
Am 01.12.2005 beantragte sie beim Sozialgericht München (SG), die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, den Eigenanteil für die Beschaffung von orthopädischen Winterschuhen zu übernehmen.
Die Ag trat dem Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entgegen und verwies u.a. auf die Begrenzung
der Zuzahlungen bei der medizinischen Versorgung durch § 62 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Das SG lehnte mit Beschluss vom 06.04.2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Hiergegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, mit der sie ihr Antragsbegehren weiter
verfolgt. Sie legt ein Schreiben der AOK Bayern, Direktion M. , vom 06.09.2005 vor, wonach die AOK die Kosten der
orthopädischen Schuhe in voller Höhe von 913,99 EUR übernehme. Die Versorgung sei zuzahlungsfrei. Da es sich
aber um einen Gebrauchsgegenstand handle, sei vom Versicherten ein Eigenanteil in Höhe von 76,00 EUR direkt an
den Lieferanten zu entrichten. Aus einem Kostenvoranschlag der Fa.B. vom 20.09.2005 ergibt sich zudem, dass ein
Aufpreis für ein warmes Futter in Höhe von 20,00 EUR vorgesehen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die
vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat
ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weil das SG es zu Recht abgelehnt hat, die Ag antragsgemäß zu
verpflichten.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74; vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003,
1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl, RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren
stützen - voraus. Die Angaben hierzu habt die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920
Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage
im vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 =
NVwZ 2005, 927, NDV RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in
der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden
Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen
in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu
beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen
Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken gegen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Die ASt erhält
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB XII). Ihr laufender Lebensunterhalt ist damit gesichert, so dass sie wegen der Frage der Erstattung der
Aufzahlung zu dem orthopädischen Hilfsmittel in zumutbarer Weise auf ein etwaiges Hauptsacheverfahren zu
verweisen ist.
Jedenfalls konnte die ASt aber einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen. Wie sich aus der vorgelegten
Mitteilung der AOK Bayern, Direktion M. , vom 06.09.2005 ergibt, übernimmt die Krankenkasse der ASt die Kosten
der orthopädischen Straßenschuhe in voller Höhe. Die Krankenversorgung ist für die ASt zuzahlungsfrei.
Was der ASt verbleibt, ist ein Eigenanteil in Höhe von 76,00 EUR, der allein darauf beruht, dass es sich bei
orthopädischen Straßenschuhen um einen Gebrauchsgegenstand handelt und die ASt durch die Bereitstellung solcher
Schuhe die Anschaffung eigener Straßenschuhe erspart. Diese ersparten Aufwendungen für Straßenschuhe, die bei
der ASt durch die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt abgedeckt werden, hat die ASt selbst zu tragen, weil sie
sonst vom Träger der Sozialhilfe Leistungen erhielte, die bereits durch Sachleistungen der Krankenversicherung
abgedeckt sind. Einen Antrag auf darlehensweise Bewilligung nach § 37 SGB XII hat die ASt nicht gestellt.
Ob sich die ASt darüber hinaus die von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten orthopädischen Schuhe zusätzlich
mit einem warmen Lammfellfutter ausstatten lässt, ist ihre Entscheidung. Die Mehrkosten fallen insoweit nicht in die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Auch hier muss der Träger der Sozialhilfe nicht eintreten, weil
solche Bedarfsgegenstände von den Leistungen zum notwendigen Lebensunterhalt (vgl. dazu § 27 Abs 1 SGB XII)
bereits abgedeckt sind. Die ASt steht hier genauso, wie wenn sie selbst angeschaffte übliche Straßenschuhe mit
einem Lammfellfutter auskleidet.
Die Beschwerde hat nach alledem insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).