Urteil des LSG Bayern vom 01.07.2008

LSG Bayern: verpflegung, ratenzahlung, sachleistung, verordnung, verfahrensmangel, form, zukunft, geldleistung, marktwert, behandlung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 01.07.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 13 AS 661/06
Bayerisches Landessozialgericht L 16 AS 207/08 NZB
I. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Regensburg
vom 15. April 2008, Az. S 13 AS 661/06 wird unter Abänderung dieses Urteils die Berufung zugelassen. II. Auf seinen
Antrag vom 19.05.2008 wird dem Kläger mit Wirkung ab Antragstellung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das
Berufungsverfahren bewilligt und Rechtsanwältin Monika Sehmsdorf, Postgasse 1,92637 Weiden beigeordnet. III. Die
außergerichtlichen Kosten des Klägers sind in vollem Umfang zu erstatten.
Gründe:
I.
In dem Klageverfahren war die Rechtmäßigkeit der Kürzung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites
Buch (SGB II) durch die Beklagte für den Zeitraum von 01.06.2006 bis 30.06.2006 wegen Ersparnissen des Klägers
auf Grund eines stationären Krankenhausaufenthaltes vom 26.06.2006 bis 27.06.2006 streitig.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 28.08.2006 die Bescheide vom 21.02.2006 und vom 25.04.2006 für die Zeit vom
01.06.2006 bis 30.06.2006 in Höhe von monatlich EUR 8,05 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X teilweise auf. Der
Kläger habe sich vom 26.06.2006 bis 27.06.2006 in stationärer Behandlung befunden und volle Verpflegung erhalten.
Da die Verpflegung als Einkommen im Sinn des § 11 Abs.1 SGB II zu berücksichtigen sei, sei die Regelleistung bei
voller Verpflegung pauschal um 35 v.H. zu kürzen. Der überzahlte Betrag in Höhe von EUR 8,05 sei vom Kläger zu
erstatten.
Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2006
zurück, weil die anteilige Kürzung zu Recht erfolgt sei (EUR 345,- x 35 %: 30 Tage x 2 Tage).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg trug der Kläger unter Hinweis auf einige
erstinstanzlichen Urteile zur Begründung vor, dass es für die von der Beklagten vorgenommene Kürzung keine
Rechtsgrundlage gebe. Die freie Verpflegung sei nicht als Einkommen anzurechnen. Auch eine entsprechende
Anrechnung über § 2b Alg II - Verordnung sei nicht möglich, weil die Krankenhausverpflegung keinen Geld- bzw.
Marktwert habe.
Das Sozialgericht wies die Klage zunächst mit Gerichtsbescheid vom 11.10.2007, in dem die Berufung nicht
zugelassen wurde, unter Bezugnahme auf die Gründe des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom
19.06.2007, Az. L 11 AS 4/07 und nach dem Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung durch Urteil vom 15.
April 2008, in dem auf die Gründe des vorgenannten Gerichtsbescheides verwiesen und die Berufung ebenfalls nicht
zugelassen wurde, ab. Die während eines Krankenhausaufenthaltes erhaltene Verpflegung stelle grundsätzlich eine
Sachleistung mit Geldwert und so Einkommen dar. Die Verpflegung sei dabei grundsätzlich mit einem Wert von EUR
175,- und einem Tagessatz von EUR 5,83 anzusetzen; für den Kläger seien hier EUR 11,66 als Einkommen auf
Grund der Verpflegung abzuziehen. Gründe für eine Zulassung der Berufung seien nicht ersichtlich. Da die hier
streitige Frage durch den Verordnungsgeber der Arbeitslosengeld II - Verordnung zum 01.01.2008 für die Zukunft
klargestellt sei, liege auch keine grundsätzliche Bedeutung der Streitsache nach § 144 Abs.2 Nr. 1 SGG vor.
Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19.05.2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und
Prozesskostenhilfe beantragt, weil die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung nach § 144 Abs.2 Nr. 1 SGG
habe. Zur Begründung trägt er unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom
27.02.2008, Az. L 16 B 1079/07 AS PKH vor, dass die Frage, ob die kostenlose Verpflegung in einem Krankenhaus
Einkommen im Sinn des § 11 SGB II sei, noch nicht höchstrichterlich geklärt, aber klärungsbedürftig sei. Eine
Entscheidung des Bundessozialgerichts zu dieser Frage liege bislang noch nicht vor.
Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts, der Beklagten sowie des Bayerischen Landessozialgerichts, Az. L
16 B 1079/07 AS PKH, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
II.
Die vom Kläger fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs.1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg. Die Berufung wird nach § 144 Abs.2 Nr. 1
SGG zugelassen.
Nach § 144 Abs.1 Satz 1 SGG in der ab 01.04.2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der
Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die - wie hier - eine Geldleistung betrifft, insgesamt EUR 750,-
nicht übersteigt. Dieser Gegenstandswert wird hier nicht erreicht, da der Rückforderungsbetrag nur EUR 8,05 beträgt
und lediglich die Änderungsbefugnis der Beklagten sowie deren Erstattungsanspruch Streitgegenstand des
Klagebegehrens sind. Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs.1 Satz 2 SGG zulässig.
Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist ausschließlich die Frage, ob ein Zulassungsgrund vorliegt, der nach
§ 144 Abs.2 SGG die Zulassung der Berufung rechtfertigt. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des
Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des
Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
Berufung kann. Die Berufung ist jedenfalls nach Nr. 1 des § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Die hier streitige Rechtsfrage, ob die kostenlose Verpflegung in einem Krankenhaus Einkommen (in der Form der
Sachleistung) im Sinn des § 11 SGB II ist, hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde am 19.05.2008 (nach § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 ZPO; s. Meyer-Ladewig,
SGG, 8. Aufl., § 144 Rdnr. 19, 24 c) eine grundsätzliche Bedeutung, weil diese Rechtsfrage zu diesem Zeitpunkt noch
nicht obergerichtlich bzw. höchstrichterlich geklärt, aber klärungsbedürftig war. Es gab hierzu eine unterschiedliche
Rechtsprechung der Landessozialgerichte (z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2007, Az. L 8 AS 4065/07;
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.12.2007, Az. L 20 AS 2/07) und noch keine Entscheidung des
Bundessozialgerichts. Unerheblich ist, dass diese Rechtsfrage mittlerweile durch das Urteil des BSG vom
18.06.2008, Az. B 14 AS 22/07 R geklärt sein dürfte, wonach die Krankenhausverpflegung wegen des
pauschalierenden Charakters der Regelleistung nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei; gegen die ab 01.01.2008
geltende pauschale Anrechnung einer Vollverpflegung durch § 2 Abs.5 ALG II-V beständen aber Bedenken.
Dem Kläger war daher auch ab Antragstellung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Berufungsverfahren zu
bewilligen und Rechtsanwältin Sehmsdorf beizuordnen, weil das Berufungsverfahren auf Grund o.g. Entscheidung des
BSG eine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und der Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.
Die Entscheidung über die Kosten gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Nichtzulassungsbeschwerde
Erfolg hatte.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).