Urteil des LSG Bayern vom 14.09.2001

LSG Bayern: fahrkosten, behandlung, bad, verordnung, krankenkasse, gas, therapie, universität, versorgung, poliklinik

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 10 KR 46/97
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 31/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 02. Dezember 1999 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung der Fahrkosten für die Inanspruchnahme von Thermalbädern in Bad Füssing in der
Zeit vom 12.01. bis 29.12.1996 in Höhe von 4.405,68 DM.
Der am 1937 geborene Kläger war bis Ende 1996 bei der Beklagten als Arbeitsloser pflichtversichert und leidet unter
anderem an einem Zustand nach Hemilaminektomie. Er unternahm seit 1988 bis zu 21 mal im Monat Fahrten mit dem
privaten Pkw von seinem Wohnort nach Bad Füssing, um dort Thermalbäder in Anspruch zu nehmen. Die Kosten der
Behandlungen und Pkw-Fahrten wurden von der Beklagten übernommen.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) mit einer Überprüfung der
medizinischen Notwendigkeit der Leistungen. Der Gutachter Dr.M. brach die Untersuchung wegen des Verhaltens des
Klägers ab. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 05.10.1995 gelangte der Orthopäde Dr.M. zu dem Ergebnis, dass
bei balneo-physikalischen Maßnahmen grundsätzlich nach 12 bzw. höchstens 24 Anwendungen ein anhaltender Erfolg
zu verzeichnen sein sollte. Sei dies nicht der Fall, müsse die Therapie überprüft werden. Die wiederkehrende
Verordnung von Thermal-Schwefel-Bädern spreche dafür, dass kein anhaltender Behandlungserfolg erzielt worden und
die Behandlungsmethode unwirksam sei.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.01.1996 die Kostenübernahme für Bäder in Bad Füssing sowie
eine Fahrkostenerstattung nach dem 01.01.1996 ab. Der Kläger beantragte am 14.03.1996 und 03.04.1996 erneut die
Kostenerstattung für Fahrten mit dem Pkw zur Inanspruchnahme von Bädern in Bad Füssing. Mit den Bescheiden
vom 11.04.1996 und 18.04.1996 lehnte die Beklagte wieder die Erstattung der bescheinigten Fahrkosten ab.
Die weitere medizinische Begutachtung des MDK durch den Chirurgen und Sozialmediziner Dr.O. vom 22.05.1996
hielt eine Fortführung der dokumentierten Verordnungsweise von medizinischen Thermal-Schwefel-Gas-Bädern nicht
für erforderlich.
Mit dem Antrag vom 02.08.1996 auf Erstattung der Fahrkosten von Oktober 1995 bis April 1996 zu ambulanten
ärztlichen Behandlungen sowie für Fahrten nach Bad Füssing in Höhe von 1.090,58 DM legte der Kläger unter
anderem eine ärztliche Bescheinigung des Instituts und der Poliklinik für Psychosomatische Medizin der Technischen
Universität München, Klinikum Rechts der Isar, vor. In dieser Bescheinigung sind das Datum und die
Therapieempfehlung (Thermal-Schwefel-Gas-Bäder) in einer anderen Schriftgröße und Schriftfarbe gedruckt. Der
nochmals von der Beklagten gehörte MDK (Chirurg und Sozialmediziner Dr.O.) stellte am 20.08.1996 fest, balneo-
physikalische Maßnahmen allein über einen Zeitraum von sieben Jahren in unbegrenzter Folge durchzuführen,
entspreche nicht therapeutischen Vorstellungen, die zu einem nachhaltigen Erfolg führen könnten. Fahrten zum
Behandlungsort mit dem eigenen Pkw über 36 km seien einer schmerzgepeinigten Wirbelsäule nicht besonders
zuträglich. Im Anschluss daran lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.1996 die Kostenübernahme der Bäder
und Fahrkosten ab 01.01.1996 noch einmal ab.
Im September 1996 reichte der Kläger bei der Beklagten einen Arztbrief der Neurologischen Klinik und Poliklinik der
Technischen Universität München vom 13.08.1996 ein, in dem sich am Ende ohne Zusammenhang mit dem
vorangegangenen Text wieder in einer anderen Schriftgröße das Wort "Thermal-Schwefel-Gas-Bäder" findet.
Der Kläger stellte ab Oktober 1996 zahlreiche Anträge auf Erstattung der Fahrkosten für Fahrten zur Therme nach
Bad Füssing und zu ärztlichen Behandlungen. Die Beklagte übernahm hiervon die Fahrkosten in Höhe von 27,36 DM,
1.088,32 DM, 142,12 DM, 465,12 DM für die Fahrten zu den ärztlichen Behandlungen. Für die Fahrten nach Bad
Füssing leistete die Beklagte eine Fahrkostenerstattung bis 11.01.1996.
Sie lehnte schließlich mit Bescheid vom 04.10.1996 unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 21.08.1996 eine
weitere Fahrkostenerstattung ab und bezeichnete den Bericht der Neurologischen Klinik München als vom Kläger
gefälscht.
Der Kläger hat hiergegen am 22.04.1997 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und geltend gemacht, die
Thermal-Bäder seien medizinisch notwendig und von Krankenhausärzten empfohlen worden. Er sei ab 01.01.1997
anderweitig versichert und die neue Krankenkasse würde die Fahrkosten erstatten.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 07.05.1997 mitgeteilt, dass sie nach der Zustellung des Bescheides am
08.01.1996, d.h. nach dem 11.01.1996, nur noch die Kosten der Fahrten zur ärztlichen Behandlung übernommen
habe, aber nicht mehr für die Inanspruchnahme der Thermal-Bäder. Der Allgemeinarzt Dr.G. hat das SG mit Schreiben
vom 24.09.1998 informiert, dass er seit Januar 1998 eine Behandlung des Klägers wegen dessen Verhaltens
abgelehnt habe. Im Erörterungstermin vom 23.07.1999 hat der Kläger eine vergleichweise Regelung des Rechtsstreits
abgelehnt.
Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.1999 dem Widerspruch insoweit abgeholfen, als sie die
Fahrkosten für die Bäder-Behandlung in Bad Füssing bis einschließlich 11.01.1996 übernommen hat. Sie hat im
Übrigen den Widerspruch unter Bezugnahme auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit und die Stellungnahmen des MDK
zurückgewiesen.
Das SG hat mit Urteil vom 02.12.1999 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen
Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Fahrten zur Bäder-Behandlung nach Bad Füssing. Die Leistung hätte
schon zu einem früheren Zeitpunkt eingestellt werden müssen. Der MDK habe die Nutzlosigkeit der Dauertherapie
festgestellt sowie die Pkw-Fahrten des Klägers für die Heilung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als schädlich
bezeichnet.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 02.03.2000. Mit Schreiben vom 25.08.2001 hat er u.a. den
geltend gemachten Erstattungsbetrag mitgeteilt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 02.12.1999 und der Bescheide vom
08.01.1996, 11.04.1996, 18.04.1996, 21.08.1996 und 04.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.10.1999 zu verurteilen, die Fahrkosten für die Fahrten nach Bad Füssing mit seinem privaten Kraftfahrzeug in
Höhe von 4.405,68 DM abzüglich des Eigenanteils zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig. Der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 DM, wie sich aus den Kostenaufstellungen des Klägers vom
25.08.2001 ergibt (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).
Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat vom 12.01.1996 bis
31.12.1996 keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Fahrten von seinem Wohnort zur Bäder-Behandlung nach
Bad Füssing.
Nach § 60 Abs.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten
für die Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung
der Krankenkasse notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen
Notwendigkeit im Einzelfall. Mit dieser Vorschrift wird der Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten als
unselbständige, akzessorische (d.h. untergeordnete) Nebenleistung geregelt, die grundsätzlich wie die Hauptleistung
zu behandeln ist. Dies bedeutet, dass ein Anspruch auf Fahrkosten von vornherein nicht besteht, wenn die
Krankenkasse zur Hauptleistung, z.B. zur Behandlung, nicht verpflichtet ist. Sie darf nach § 60 Abs.1 Satz 1 SGB V
nur solche Fahrkosten übernehmen, die im Zusammenhang mit einer ihrer Leistungen anfallen. Hierzu gehören
insbesondere die Sachleistungen, wie die Behandlung von Krankheiten.
§ 60 Abs.2 Satz 1, 3 SGB V enthält die für die Übernahme von Fahrkosten grundlegende Unterscheidung zwischen
Fahrten zu den im Katalog des Satz 1 Nr.1 bis 4 aufgeführten privilegierten Leistungen einerseits und den übrigen
Fahrten andererseits. Dieser Leistungskatalog enthält eine abschließende Aufzählung der privilegierten Tatbestände.
Privilegiert sind Fahrten zu stationären Leistungen, Rettungsfahrten, Krankentransporte sowie Fahrten zur ambulanten
Behandlung bei an sich gebotener stationärer Krankenhausbehandlung (Kasseler Kommentar-Höfler, § 60, Rdnr.2, 7,
16).
Fahrten zu stationären Leistungen, Rettungsfahrten und Krankentransporte scheiden von vornherein aus, so dass von
den privilegierten Fahrten nur § 60 Abs.2 Satz 1 Nr.4 (Fahrten zur ambulanten Krankenbehandlung) in Erwägung zu
ziehen ist. Nach § 60 Abs.2 Nr.4 SGB V (in der Fassung vom 21.12.1992, BGBl I 2266) übernimmt die Krankenkasse
Fahrkosten in Höhe des 20,00 DM je Fahrt übersteigenden Betrages bei Fahrten von Versicherten zu einer
ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer Behandlung nach §§ 115 a oder 115 b SGB V, wenn dadurch eine an
sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) vermieden oder verkürzt wird
oder diese nicht ausführbar ist, wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung. Es ist dem Akteninhalt nicht zu
entnehmen, dass die Erkrankungen des Klägers an der Wirbelsäule (chronisches HWS-Syndrom) eine
Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V erforderlich gemacht hätten und der Kläger durch
Inanspruchnahme einer ambulanten Krankenbehandlung (Thermal-Bäder) eine an sich gebotene voll- oder
teilstationäre Leistung vermieden oder verkürzt hätte. Bei Leistungen, die grundsätzlich ambulant erbracht werden, ist
eine stationäre Krankenhausbehandlung nicht erforderlich und kann daher in der Regel auch nicht vermieden oder
verkürzt werden (§ 39 Abs.1 Satz 2 SGB V).
Bei den übrigen Fahrten, den sog. nicht privilegierten Leistungen, also den Fahrten zur ambulanten Behandlung, sieht
§ 60 Abs.2 Satz 2 SGB V keine allgemeine Kostenübernahme vor. Eine Kostenübernahme kommt hier nur in
Härtefällen im Sinne der §§ 61, 62 SGB V in Frage. Es ist nicht ersichtlich und von den Beteiligten auch nicht
angegeben worden, dass der Kläger ein Härtefall ist.
Jedenfalls steht einer Kostenerstattung in beiden Tatbeständen entgegen, dass entsprechende vertragsärztliche
Verordnungen fehlen (§§ 32, 73 Abs.2 Nr.7 SGB V).
Außerdem ist, selbst wenn der Kläger derartige Verordnungen hätte, die Hauptleistung - hier die Versorgung mit
Heilmitteln (§ 32 Abs.1 SGB V) - medizinisch nicht notwendig gewesen, wie dies von § 60 Abs.1 SGB V
vorausgesetzt wird. Ob eine Leistung medizinisch notwendig ist, muss anhand ihres Zwecks bestimmt werden, der
vor allem in der Erkennung und der Heilung einer Krankheit, in der Verhütung einer Verschlimmerung und der
Linderung von Krankheitsbeschwerden liegt (§ 12 Abs.1 i.V.m. §§ 11 Abs.1, 2, 27 Satz 1 SGB V). Unter
Zugrundelegung dieses Leistungszwecks sind nur die Maßnahmen notwendig, die dafür nach Art und Umfang
unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar sind.
Hinsichtlich der hier streitigen Behandlung der Erbringung von Heilmitteln (§ 32 Abs.1 SGB V) sehen die vom
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln und
Hilfsmitteln in der kassenärztlichen und vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien in der
Fassung vom 17.06.1992 BAnz Beilage Nr.183 b) unter den allgemeinen Verordnungsgrundsätzen (vgl. Abschn.A.III
Nrn.16 ff) vor, dass bei Maßnahmen der physikalischen Therapie die jeweilige Verordnung nicht mehr als sechs
Einzelbehandlungen umfassen soll. Die Verordnung längerer Behandlungsserien bedarf der besonderen Begründung,
soweit sich die Notwendigkeit nicht aus der Diagnose selbst ergibt. Der Kassenarzt soll sich vor einer Wiederholung
der Verordnung von der therapeutischen Wirkung des verordneten Heilmittels überzeugen, wenn erforderlich auch
während einer laufenden Serie.
Aus den von der Beklagten eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen des MDK ergibt sich, dass spätestens nach 24
Anwendungen balneo-physikalischer Maßnahmen der Erfolg bzw. Misserfolg der Therapie sich abzeichnen sollte. Die
stetige Wiederholgung der Thermal-Schwefel-Bäder spricht jedoch dafür, dass ein anhaltender Behandlungserfolg
nicht erzielt wurde und die Methode im konkreten Behandlungsfall unwirksam ist. Schon aus dieser gutachtlichen
Stellungnahme vom 05.10.1995 geht hervor, dass die über Jahre hinweg und in großer Häufigkeit durchgeführte
Anwendung der balneo-physikalischen Maßnahmen medizinisch nutzlos und damit nicht notwendig im Sinne des § 12
Abs.1 SGB V gewesen ist. Diese gutachtliche Stellungnahme vom 05.10.1995 wird durch die nachfolgenden
Äußerungen des MDK erhärtet. In den Stellungnahmen vom 22.05.1996 und 20.08.1996 wird die Gewährung der
medizinischen Thermal-Schwefel-Gas-Bäder nicht mehr befürwortet und als erfolglos bezeichnet. Der Senat schließt
sich diesen gutachtlichen Stellungnahmen an, zumal der Kläger schlüssige und substantiierte Einwendungen gegen
die medizinische Beurteilung nicht erhoben oder nicht hat vortragen lassen.
Da im vorliegenden Fall die medizinische Notwendigkeit der vom Kläger in Anspruch genommenen balneo-
physikalischen Maßnahmen nicht feststeht, hat die Beklagte auch zu Recht die Übernahme der Fahrkosten zu diesen
Behandlungen abgelehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).