Urteil des LSG Bayern vom 20.02.2003

LSG Bayern: dienstvertrag, zuwendung, beendigung, sondervergütung, kündigungsfrist, fälligkeit, auszahlung, arbeitsentgelt, gehalt, akte

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.02.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 8 AL 541/98
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 153/00
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.2000 dahingehend
abgeändert, dass weiteres Konkursausfallgeld auf der Grundlage eines Bruttobetrages von 1.225,00 DM zu zahlen ist.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. III. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen
Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des der Klägerin von der Beklagten zu gewährenden Konkursausfallgeldes (Kaug).
Die am 1968 geborene Klägerin war seit 01.05.1995 bei der Gesellschaft für ambulante Rehabilitation Klinik B. mbH &
Co. KG (S.) als Krankengymnastin beschäftigt. Der Dienstvertrag vom 25.01.1997 enthält im Abschnitt II.1 folgende
Regelung: "Mit dem Novembergehalt wird ein 13. Monatsgehalt ausbezahlt. Für 1995 entsprechend anteilig." Mit
Beschluss vom 30.07.1997 lehnte das Amtsgericht Deggendorf den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens ab
und eröffnete das Anschlusskonkursverfahren über das Vermögen des früheren Arbeitgebers. Am 30.07.1997
kündigte der Konkursverwalter das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin zum 31.08.1997. Im Schreiben vom
02.10.1997 bestätigte er unter Berufung auf § 113 Abs 1 Insolvenzordnung (InsO) nunmehr die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum 30.11.1997 und erkannte die Gehaltsforderungen der Klägerin, einen Anspruch auf
Urlaubsabgeltung und das anteilige 13. Gehalt bis zu diesem Zeitpunkt als Masseforderung an.
Mit Bescheid vom 06.11.1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin entsprechend der in der Verdienstbescheinigung
des Konkursverwalters vom 01.09.1997 ausgewiesenen Beträge für den Kaug-Zeitraum 01.05.1997 bis 29.07.1997
Kaug in Höhe von 8.024,39 DM. Die ebenfalls beantragte anteilige Zahlung eines 13. Monatsgehalts lehnte sie ab,
weil das Arbeitsverhältnis außerhalb des Kaug-Zeitraums geendet habe. Im anschließenden Widerspruchsverfahren
machte die Klägerin geltend, bei der Jahressonderzahlung handele es sich nach dem Dienstvertrag um eine
zeitanteilig erworbene Sonderleistung, die zu 3/12 zu berücksichtigen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.1998
wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 06.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.1998 zu
verurteilen, ihr weiteres Konkursausfallgeld in Höhe von 1.225,00 DM zu gewähren. Bereits aus dem Dienstvertrag sei
klar ersichtlich, dass es sich bei der Sonderzahlung um ein echtes 13. Monatsgehalt handele. Auch nach der
Änderungsvereinbarung vom 27.03.1997, die für ihr Arbeitsverhältnis ebenfalls gegolten habe, bestehe der Anspruch
auf ein anteiliges 13. Monatsgehalt.
Mit Urteil vom 09.02.2000 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von weiteren 1.225,00 DM Kaug verurteilt. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Da das Arbeitsverhältnis erst zum 30.11.1997 gekündigt worden sei,
könne es dahinstehen, ob bezüglich des 13. Gehaltes tatsächlich von einer Stichtagsregelung auszugehen sei.
Allerdings sei mit der Vereinbarung vom 27.03.1997 bezüglich der Stichtagsregelung eine Klarstellung erfolgt. Selbst
wenn man von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.1997 ausgehe, stehe der Klägerin anteiliges
Kaug zu, da diese die Vereinbarung vom 27.03.1997 abgeschlossen habe. Der Konkursverwalter habe ein anteiliges
13. Gehalt auch anerkannt. Bereits aus dem Dienstvertrag ergebe sich die anteilige Auszahlung der Sonderzahlung.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Da nicht
ohne weiteres von einer Rücknahme der ursprünglichen Kündigung zum 31.08.1997 ausgegangen werden könne, sei
die Feststellung des SG, die Klägerin habe sich zum Auszahlungsstichtag 01.11.1997 noch im Arbeitsverhältnis
befunden, unzutreffend. Unabhängig vom Beendigungszeitpunkt stehe der Klägerin der geltend gemachte Anspruch
schon deshalb nicht zu, weil die ergänzende Vereinbarung vom 27.03.1997 nur für den Teil der Arbeitnehmer, die
diese Vereinbarung unterschrieben hätten, gegolten habe. Die Klägerin habe die Vereinbarung jedoch nicht
unterzeichnet. Eine ausdrückliche Regelung über den Zweck der Sonderzuwendung sei im Dienstvertrag nicht erfolgt.
Lediglich die Bestimmung, nach der die Zuwendung für das Eintrittsjahr 1995 nur anteilig zustehe, weise auf ihren
Entgeltcharakter hin. Bei dem vorliegend jedoch gegebenen Mischcharakter - auch die Betriebstreue habe mit der
Zuwendung zusätzlich vergütet werden sollen - sei entscheidend, ob die Vergütungszusage im Falle der vorzeitigen
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich einen anteiligen Anspruch auf die Jahressondervergütung vorsehe.
Da der Dienstvertrag jedoch ausdrücklich keine anteilige Zahlung im Falle einer vorzeitigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses (also vor dem 01.11. eines Jahres) enthalte, sei die Jahressondervergütung nicht (anteilig)
kaugfähig. Im Übrigen lasse sich das Vorliegen einer Stichtagsregelung nicht ernsthaft bezweifeln, da die Auszahlung
des 13. Monatsgehalts "mit dem Novembergehalt" und "am Ende des Monats" impliziere, dass im gesamten Monat
November eine Beschäftigung vorgelegen habe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.2000 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.2000
zurückzuweisen.
Der Konkursverwalter habe mit Schreiben vom 02.10.1997 richtig- gestellt, dass gem § 113 Abs 1 InsO eine
Kündigungsfrist von drei Monaten gegolten habe. Da ihr das Kündigungsschreiben vom 30.07.1997 erst im August
1997 zugegangen sei, habe das Arbeitsverhältnis nur mit Wirkung vom 30.11.1997 beendet werden können. Durch die
Angabe des falschen Beendigungszeitpunktes im Kündigungsschreiben sei die Kündigung jedoch nicht unwirksam.
Das Arbeitsverhältnis ende vielmehr mit Ablauf der zutreffenden Kündigungsfrist, das sei vorliegend der 30.11.1997
gewesen. Unabhängig vom Beendigungszeitpunkt bestehe ein Anspruch auf anteilige Berücksichtigung des 13.
Monatsgehalts, weil es sich nach der ausdrücklichen Bestätigung des Konkursverwalters im Schreiben vom
02.10.1997 um ein echtes 13. Monatsgehalt handele, das bei der Festsetzung des Kaug anteilig zu berücksichtigen
sei. Dahinstehen könne, ob die ergänzende Vereinbarung vom 27.03.1997 zwischen den Arbeitsvertragsparteien
wirksam geworden sei, weil bereits durch die Vereinbarung einer anteiligen Auszahlung der Zuwendung im Eintrittsjahr
der Wille der Parteien auf ein echtes 13. Monatsgehalt deutlich geworden sei. Um eine echte Stichtagsregelung habe
es sich nicht gehandelt, da ein Stichtag tatsächlich nicht vereinbart worden sei, sondern lediglich ein
Fälligkeitszeitpunkt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Kaug-Betriebsakte Nr 1012, Kaug-
Akte der Klägerin, Kaug-Klageakte) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber im Wesentlichen
unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte zur Leistung weiteren Kaugs verurteilt, denn die Klägerin hat
Anspruch auf Berücksichtigung der betrieblichen Sonderleistung bei der Berechnung des Kaug.
Nach § 141 b Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1974 (BGBl I S
3656) hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines
Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des
Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Bis zum 31.12.1998 stand der Konkurseröffnung die
Eröffnung des Anschlusskonkurses im Sinne § 109 Vergleichsordnung (VerglO) gleich (Roeder in Niesel SGB III,
1.Aufl, § 183 RdNr 25). Das war vorliegend der 30.07.1997. Für den Kaug-Zeitraum 01.05.1997 bis 29.07.1997
standen der Klägerin das bereits entsprechend der Verdienstbescheinigung vom 01.09.1997 gewährte Kaug, aber
auch 3/12 des 13. Monatsgehaltes zu, denn auch hierbei handelt es sich um auf den Kaug-Zeitraum entfallendes
Arbeitsentgelt.
Bei Sonderzahlungen, die nur einmal im Jahr geleistet werden und deren Erarbeitung bestimmten Zeiträumen
zugeordnet werden kann, steht der Entgeltcharakter im Vordergrund. Sie sind daher grundsätzlich nach dem Kaug-
Recht versichert. Dies gilt auch, wenn - wie vorliegend - die Fälligkeit der Sonderzahlung erst an einem Stichtag nach
dem Insolvenzereignis eintritt (BSG SozR 4100 § 141 b Nr 40; BSG Urteil vom 09.12.1997 - Az: 10 RAr 5/97 = SGb
1998, 161; Roeder aaO RdNr 52). Die Unterscheidung zu Sonderzahlungen, die zu einem bestimmten Anlass/
Stichtag gezahlt werden, ohne dass sie als Gegenleistung einem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden können, ist
anhand der Anspruchsgrundlage zu treffen. Maßgebend ist hierbei, ob die Sonderzahlung anteilig gezahlt wird, wenn
der Arbeitnehmer während des Jahres vor dem Fälligkeitstag ausscheidet (BSG SozR 4100 § 141 b Nr 42; BSG SozR
3-4100 § 141 b Nr 1).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zur Annahme einer Sondervergütung mit reinem
Entgeltcharakter. Dies ergibt sich aus Abschnitt II.1 Abs 2 des Dienstvertrages vom 25.01.1995. Darin wurde
vereinbart, dass die Klägerin für das Eintrittsjahr 1995 lediglich einen anteiligen Anspruch auf das 13. Monatsgehalt
hatte. Hieraus ist auf den Charakter der Sonderleistung als erarbeitetes, aber aufgespartes und erst am Fälligkeitstag
ausgezahltes Arbeitsentgelt zu schließen, denn Anspruch bestand nach dem Willen der Vertragsparteien nur auf die
erarbeitete zeitanteilige Sondervergütung (BAG AP BGB § 613 a Nr 132; Roeder in Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 183
RdNr 81). Dass diese Regelung des Dienstvertrages auf den Entgeltcharakter der Sondervergütung hinweist, hat auch
die Beklagte im Schriftsatz vom 31.05.2000 eingeräumt. Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Kaug-Zeitraum
01.05.1997 bis 29.07.1997 unbestritten noch bestand, die Klägerin also ihre Arbeitsleistung erbracht hat, ist die
Sonderzahlung mit 1/12 pro Monat versichert, obwohl die Fälligkeit der Leistung erst am Stichtag 01.11.1997 eintrat
(BSG SozR 4100 § 141 b Nr 40; BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr 21; BSG Urteil vom 09.12.1997 - Az: 10 RAr 5/97 =
SGb 1998, 161; Roeder aaO RdNr 86). Auf die Frage, ob die o.a. Zusatzvereinbarung vom 27.03.1997 auch auf die
Klägerin Anwendung findet, kommt es daher entscheidungserheblich nicht mehr an.
Anhaltspunkte dafür, dass mit der Sondervergütung auch erwiesene oder künftige Betriebstreue belohnt werden sollte
(Mischcharakter), liegen - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht vor. Insbesondere ist auf einen Mischcharakter
der Vergütung nicht aus der Telefonnotiz vom 15.05.1998 zu schließen (Bl 51 Kaug-Akte Teil 2). In diesem Telefonat
bestätigte ein Mitarbeiter des früheren Arbeitgebers der Klägerin lediglich, dass Anspruch auf die Sonderzuwendung
nur der Arbeitnehmer hatte, der am 01.11.1997 noch beschäftigt war. Diese Regelung ändert an dem Entgeltcharakter
der Zuwendung nichts, da damit lediglich deren Fälligkeit bestimmt wurde (Roeder aaO § 183 RdNr 86 mwN aus der
Rechtspr.)
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin wirksam erst zum 30.11.1997 beendet
wurde. Zwar hatte der Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis (versehentlich) zunächst am 30.07.1997 zum
31.08.1997 gekündigt. Die vertragliche Kündigungsfrist betrug jedoch sechs Monate (Abschnitt III.3 Dienstvertrag vom
25.01.1995). Nach § 113 Abs 1 Satz 1 InsO - § 113 InsO gilt gem Art 6 des Gesetzes vom 25.09.1996 (BGBl I S
1476) bereits ab 01.10.1996, obwohl die InsO erst zum 01.01.1999 in Kraft trat - kann ein Dienstverhältnis vom
Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer gekündigt werden, wobei die Kündigungsfrist drei
Monate zum Monatsende beträgt, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist (§ 103 Abs 1 Satz 2 InsO; BAGE 95,
216 bis 220). Aus dem Schreiben des Konkursverwalters vom 02.10.1997 ergibt sich, dass dieser unter Beachtung
des § 113 Abs 1 InsO nunmehr als zutreffenden Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den 30.11.1997
ansah.
Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen die Auffassung vertreten könnte, der Dienstvertrag der
Klägerin regele den Zweck der Zuwendung nicht eindeutig, ist bei bestehendem Zweifel über den Charakter der
Zuwendung lediglich eine zusätzliche Vergütung für geleistete Arbeit anzunehmen (Roeder aaO mwN).
Das SG hat somit den Bescheid der Beklagten vom 06.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.05.1998 zu Recht abgeändert und die Beklagte zur Zahlung weiteren Kaugs verurteilt. Abzuändern ist das Urteil
jedoch, soweit das SG zur Zahlung des Bruttobetrages von 1.225,00 DM verurteilt hat, denn gem § 141 d AFG ist
Kaug lediglich in Höhe des Nettolohnes auszuzahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.