Urteil des LSG Bayern vom 12.03.2003

LSG Bayern: gonarthrose, unfallfolgen, chirurg, arbeitsunfall, form, erwerbsfähigkeit, unfallversicherung, wahrscheinlichkeit, zustand, entstehung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.03.2003 (nicht rechtskräftig)
S 5 U 217/98
Bayerisches Landessozialgericht L 17 U 334/01
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.05.2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger auf Grund des Arbeitsunfalles vom 05.10.1991 Anspruch auf
Gewährung einer Verletztenrente hat.
Der am 1942 geborene Kläger, der griechischer Staatsangehöriger ist und in Griechenland wohnt, erlitt am 05.10.1991
einen Arbeitsunfall. Auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause rutschte er an einer Bordsteinkante ab und
stürzte auf das rechte Knie. Dabei zog er sich nach dem Gutachten des Chirurgen Dr.T. vom 25.06.1993 eine
Teilruptur des vorderen Kreuzbandes unter Erhaltung der Stabilität mit Einriss am Innenmeniskushinterhorn des
rechten Kniegelenkes zu. Als Vorerkrankung stellte der Gutachter eine Retropatellararthrose sowie mediale
Gonarthrose des rechten Kniegelenkes fest. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er bis 02.01.1993 mit
20 vH ein.
Mit Bescheid vom 16.02.1995 gewährte die Beklagte dem Kläger auf Grund des Arbeitsunfalles Verletztenrente nach
einer MdE von 20 vH vom 16.12.1991 (Beginn der Arbeitsfähigkeit) bis 31.12.1992. Als Folgen des Arbeitsunfalles
erkannte sie an: Belastungsbeschwerden und leichte Muskelminderung des rechten Beines, Schwellneigung des
rechten Kniegelenkes und entsprechende vorübergehende Gebrauchsminderung des rechten Beines nach Teilriss des
vorderen Kreuzbandes und zwei Mal trans-arthroskopisch behandelten Teilriss des Innenmeniskushorns rechts. Nicht
als Folgen des Arbeitsunfalles sah sie an: Beginnende Varusgonarthrose rechts, Retropatellararthrose rechts bei
angeborener Kniescheibenfehlform Typ WIBERG III.
Am 21.12.1995 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, da er nach seiner Rückkehr nach Griechenland im
September 1993 ab Juli 1995 oft im Krankenhaus wegen der Schwellneigung des rechten Beines behandelt wurde.
Hierzu legte er ärztliche Atteste des Krankenhauses T. vom 13.07.1995 vor.
Die Beklagte veranlasste über den griechischen Versicherungsträger eine Begutachtung in Griechenland. In dem
Gutachten vom 20.06.1996 wurde auf Schmerzen am rechten Kniegelenk hingewiesen. Eine Besserung sei nicht
eingetreten.
Für die Beklagte führte der Chirurg Dr.P. in seiner Stellungnahme vom 24.02.1997 die Beschwerden des Klägers auf
die unfallunabhängige Gonarthrose rechts - mit schicksalhafter Progredienz - zurück.
Mit Bescheid vom 19.03.1997 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente ab.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger ärztliche Atteste des Orthopäden P. vom 20.06.1996 und
des Krankenhauses T. vor.
Die Beklagte wies mit Bescheid vom 05.05.1998 den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie verwies darauf, dass
der Widerspruch vom 06.11.1997 verspätet und damit nicht zulässig gewesen sei. Auch sachlich sei er nicht
begründet unter Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahme des Dr.P. vom 24.02.1997.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, ihm auf Grund
der Gesundheitsstörung im Bereich des rechten Knies Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH ab Januar 1993 zu
gewähren. Er hat ein Privatgutachten des Orthopäden Dr.H. vom 29.05.1998 vorgelegt.
Nach Beiziehung der einschlägigen Röntgenaufnahmen hat der Chirurg Dr.T. (T.) für die Beklagte ein Gutachten
erstellt. In dem Gutachten vom 02.09.1999 hat er die wesentliche Beschwerdesymptomatik auf die unfallunabhängige
Gonarthrose rechts, also eine unfallfremde Vorerkrankung, zurückgeführt. Der heutige Zustand des Kniegelenkes sei
Folge einer schicksalhaften Progredienz. Für die Unfallfolgen sei die MdE mit 10 vH einzuschätzen.
Auf Veranlassung des Klägers hat der Orthopäde Prof.Dr.P. (T.) am 30.06.2000 ein Gutachten nach § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgelegt. Er hat unfallbedingt einen Meniskusriss und eine Ruptur des vorderen
Kreuzbandes beschrieben. Die jetzige Beschwerdesymptomatik mit Verschlimmerungstendenz sei durch die
anerkannten Unfallfolgen verursacht. Die MdE sei mit 30 vH einzuschätzen.
Für die Beklagte hat Dr.P. am 29.01.2001 dargestellt, dass unfallunabhängig eine schwere Synovitis sowie
ausgeprägte degenerative Veränderungen in Form einer zwei- bis drittgradigen Gonarthrose im Bereich des
unfallverletzten rechten Knies nachgewiesen seien. Die wiederkehrenden Kniegelenksergüsse seien ebenfalls
unfallunabhängig. Die MdE sei mit unter 10 vH zu bewerten.
Mit Urteil vom 31.05.2001 hat das SG Würzburg die Klage abgewiesen und sich dabei vor allem auf das Gutachten
des Chirurgen Dr.T. gestützt.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die bei ihm festgestellten Schäden am rechten
Knie auf den Arbeitsunfall vom 05.10.1991 zurückzuführen seien.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Rentenakte der LVA Baden-Württemberg sowie die
einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen beigezogen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 21.03.2002 mitgeteilt,
dass es ihm ua auf Grund seines derzeitigen gesundheitlichen Zustandes (Prostata-Adeno-Carcinom) eher unmöglich
erscheine, sich innerhalb der nächsten Zeit in Deutschland untersuchen zu lassen. Anschließend hat der Chirurg Dr.L.
am 23.10.2002 ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, in dem er als Folgen des Unfalles einen operativen Teilverlust
des Innenmeniskushinterhorns am rechten Kniegelenk sowie eine sehr wahrscheinlich weitgehend stabil ausgeheilte
Teilruptur des vorderen Kreuzbandes angesehen hat. Diese Unfallfolgen hätten an den bestehenden fortgeschrittenen
Arthroseveränderungen allenfalls einen verschwindend geringen Anteil. Die MdE sei mit unter 10 vH einzuschätzen.
Der Kläger hat ein Gutachten des Orthopäden Dr.M. (T.) vom 21.10.2002 übersandt. In seiner weiteren Stellungnahme
vom 11.12.2002 hat Dr.L. keinen Grund für eine Änderung oder Ergänzung seines Gutachtens gesehen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 31.05.2001 sowie
des Bescheides vom 19.03.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.1998 zu verurteilen,
Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH ab Januar 1993 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 31.05.2001
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer
Verletztenrente ab Januar 1993 (§§ 539 Abs 1 Nr 1, 548 Abs 1 Satz 1, 581 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung
[RVO]).
Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der RVO, da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem
01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch
-SGB VII-).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.1997 fristgemäß
eingelegt hat. Entscheidend ist, dass die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.1998 - entsprechend ihrem
Ermessen - auch sachlich entschieden hat. Eine etwaige Fristverletzung ist dadurch geheilt worden (Meyer-Ladewig,
SGG, 7.Aufl, § 84 RdNr 7).
Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers
infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 vH gemindert ist. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung
als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist also, dass zwischen der unfallbringenden versicherten
Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein
ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur
dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines
Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens,
Ges.Unfallvers, 4.Aufl, Anm 3, 3.4 zu § 548 RVO).
Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen für die Zeit
nach dem 31.12.1992 nicht erfüllt. Auf Grund der Ausführungen der Sachverständigen Dr.T. (Gutachten vom
02.09.1999) und Dr.L. (Gutachten vom 23.10.2002) steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Erwerbfähigkeit
des Klägers durch die Folgen des Arbeitsunfalles vom 05.10.1991 nicht im rentenberechtigenden Grade über den
31.12.1992 hinaus gemindert ist. Aus der Gesamtschau aller Gutachten lässt sich eine MdE von 20 vH nicht
begründen.
Auf Grund des Arbeitsunfalles vom 05.10.1991 hat der Kläger einen operativen Teilverlust des
Innenmeniskushinterhorns am rechten Kniegelenk sowie eine weitgehend stabil ausgeheilte Teilruptur des vorderen
Kreuzbandes erlitten. Der Einriss des Innenmeniskushinterhorns stellt sich dabei als verhältnismäßig klein dar, bei der
Teilruptur des vorderen Kreuzbandes ist der Synovialschlauch erhalten geblieben. Insgesamt kann man daher am
rechten Kniegelenk von einem festen und stabilen Bandapparat ausgehen.
Die beim Kläger zweifellos bestehende fortgeschrittene Arthrose des rechten Kniegelenkes lässt sich dagegen nicht
ursächlich auf das versicherte Unfallereignis zurückführen. Bereits zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalles lagen nicht
unerhebliche Verschleißschäden an den knorpeligen Gelenkflächen der Kniescheibenrückseite, der
Kniescheibengleitbahn und des medialen Gelenkkompartiments vor. Dies ergibt sich ohne weiteres aus der
Auswertung der Röntgenaufnahmen. Die fortgeschrittenen Verschleißveränderungen sind auf anlagebedingte
Gelenkflächeninkogruenzen auf Grund der ausgeprägten Kniescheibenfehlform zurückzuführen, im medialen
Kompartiment auf die Beinachsenfehlstatik und das Übergewicht des Klägers. Der Fortschritt der Arthrose zwischen
Oktober 1991 bis Juni 2000 lässt sich durch die vorliegenden Röntgenaufnahmen dokumentieren. Es ergibt sich eine
ganz allmähliche, kontinuierliche, im Vergleich zu den bereits zum Unfallzeitpunkt bestehenden nicht unerheblichen
Veränderungen aber keineswegs dramatische Befundverschlechterung. Zu berücksichtigen ist auch, dass die ersten
verfügbaren Aufnahmen des linken Kniegelenkes vom Mai 1998 an diesem unverletzten Gelenk einen
Verschleißzustand zeigen, der deutlich über das Ausmaß hinausgeht, wie er am unfallverletzten Kniegelenk 1991
bestanden hatte. Daraus ist der Umkehrschluss zu ziehen, dass zum Unfallzeitpunkt sowohl am rechten als auch am
linken Kniegelenk, allerdings rechts etwas ausgeprägter, ähnliche Verschleißveränderungen bestanden haben
mussten (insbesondere besteht am linken Knie auch eine anlagebedingte Kniescheibenfehlform und eine O-Bein-
Fehlstatik). Auch am linken Kniegelenk ist im Zeitraum 1998 bis 2000 ein Fortschreiten der Arthroseveränderungen in
etwa gleichem Ausmaß wie am unfallverletzten Kniegelenk zu verzeichnen. Dies bedeutet, dass die
Arthroseveränderungen an beiden Kniegelenken in annähernd gleicher Weise und Geschwindigkeit abliefen. Eine
messbare Beeinflussung dieses schicksalhaften Prozesses am rechten Kniegelenk durch das Unfallereignis kann
nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, wie Dr.L. zu Recht ausführt.
Nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Begutachtungskriterien kann daher in Übereinstimmung
mit den Gutachtern Dr.T. und Dr.L. eine rentengewährende MdE nicht angenommen werden. Die MdE ist auf unter 10
vH einzuschätzen, da beim Kläger unfallbedingt nur unwesentliche Funktionseinschränkungen vorliegen.
Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des Prof. Dr.P ... Er interpretiert die angefertigten Kernspin-Aufnahmen
nur teilweise korrekt. Zudem schätzt er die rezidivierenden Ergussbildungen am rechten Knie falsch ein. Sie sind
nämlich Folge des entsprechend seiner degenerativen Natur schicksalhaft fortschreitenden
Gelenkflächenverschleißes. Auch ist das von ihm am rechten Knie beschriebene positive Schubladenzeichen bei
intakten Seitenbändern unzutreffend. Für das linke Kniegelenk hat er insoweit keine Untersuchung vorgenommen.
Zudem verharmlost er die anlagebedingten Gelenkflächeninkongruenzen auf Grund der ausgeprägten
Kniescheibenfehlform. Hier liegt keine leichte Normvariante vor, sondern vor allem kernspintomographisch kommt
eine massive Lateralisation der Patella zur Darstellung. In dem Gutachten des Dr.M. vom 21.10.2002 wird zwar der
typische Befund einer fortgeschrittenen Kniegelenksarthrose rechts beschrieben. In seinem Gutachten fehlen aber
irgendwelche differenzialdiagnostische Überlegungen oder eine Begründung, weshalb die Veränderung kausal auf das
streitgegenständliche Unfallereignis zurückgehen soll. Er wiederholt die falsche Diagnose einer Ruptur des vorderen
Kreuzbandes rechts, die anhand der Kernspin-Aufnahmen vom 06.06.2000 nicht zutrifft.
Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente ab Januar 1993, da eine
rentengewährende MdE von mindestens 20 vH nicht vorliegt. Das Urteil des SG Würzburg ist somit nicht zu
beanstanden. Die Berufung des Klägers muss erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.