Urteil des LSG Bayern vom 09.09.2004

LSG Bayern: chemische industrie, rente, erwerbsfähigkeit, zumutbare tätigkeit, reaktive depression, behandlung, berufsunfähigkeit, berufsausbildung, erwerbsunfähigkeit, form

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 09.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 16 RA 863/99
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RA 1/02
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit oder wegen
Erwerbsminderung aufgrund eines im August 1998 gestellten Rentenantrags.
Der im Jahre 1954 in Tschechien geborene Kläger ist laut Vertriebenenausweis B am 19.10.1981 in die BRD
zugezogen. Er hatte ab September 1970 eine Lehre als Verkäufer von Drogeriewaren durchlaufen und war dann -
ausgenommen die Zeit des Wehrdienstes von Oktober 1975 bis September 1977 - in diesem Bereich als Verkäufer
und Vertreter bis November 1980 beschäftigt; von Januar bis April 1981 arbeitete er noch im Putzdienst.
Nach Sprach- und Schulausbildung (bei Bezug von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe) war er bei der Firma M. H. GmbH
M. beschäftigt, vom Juli 1984 bis März 1991 als Farbeinwieger/Chemiewerker (Arbeiterrentenversicherung) und von
April 1991 bis Juni 1997 als EDV-Operator (Angestelltenversicherung). Hierzu hatte er berufsbegleitend Kurse von 126
Stunden vom 30.09.1989 bis 17.02.1990 und 160 Stunden vom 05. bis 29.06. 1990 besucht (Zeugnisse des C.
Instituts über den Erwerb von "EDV-Zusatzwissen").
Laut Auskunft des letzten Arbeitgebers vom 29.09.1999 hatte der Kläger die Büroanlage zu bedienen und erhielt
zuletzt 4.185,50 DM monatlich. Er bediente das Datenverarbeitungssystem und war für Überwachung,
Betriebsbereitschaft (Beseitigung von Störungen) und Arbeitsvorbereitung (Bildschirme installieren, Druckerpapier
verwalten usw.) verantwortlich. Die Tätigkeit wurde zu ca. zu 60 % im Sitzen, zu 20 % im Gehen und zu 20 % im
Stehen verrichtet und erforderte keine Berufsausbildung von mindestens zwei und mehr Jahren; der Arbeitsgeber
stufte ihn als "Angelernter mit einer Berufsausbildung bis zu zwei Jahren" ein. Die Entlohnung erfolgte zunächst nach
der Lohngruppe E 5 des Tarifvertrags der Chemischen Industrie und nach sechs Jahren der Beschäftigung nach der
Lohngruppe E 6. Angeblich hatte der Kläger in der Firma zunehmend "Probleme", seitdem er den
Schwerbehindertenausweis (GdB 50 laut Bescheid des AVF München II vom 09.01.1997 wegen "Vermehrung der
Blutplättchen") erhielt. Anlass für die Aufgabe der Tätigkeit zum 31.03.1997 bei einer Freistellung bis zum 30.06.1997
war eine Betriebsumorganisation und ein Aufhebungsvertrag (Abfindung von 60.000,- DM).
Seit 01.07.1997 bis mindestens 31.12.2001 bezog der Kläger Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld (vom Arbeitsamt
getragene Maßnahme "Multimedia-Produktionen" vom 13.03. bis 16.08.2000, abgebrochen wegen mangelnder
Leistungen und häufigen Verstößen gegen die Hausordnung) und Arbeitslosenhilfe, wobei er laut eigenen Angaben auf
privater Basis eine Umschulung zum Toningenieur unternahm, nachdem ihn die Beklagte und auch das Arbeitsamt als
Operator EDV weiterhin für einsatzfähig und berufsfördernde Leistungen nicht für erforderlich hielten. Der
Arbeitsmediziner Dr.B. war der Auffassung, der Kläger sei bei erhaltener Fähigkeit zu körperlich mittelschweren
vollschichtigen Tätigkeiten u.a. als Drogist und Operator einsetzbar, nur unphysiologische Schichtarbeiten und
Extrembelastungen sollten vermieden werden (Gutachten vom 13.05.1997 für das Arbeitsamt F.).
Am 13.08.1994 hatte der Kläger einen Hirninfarkt mit schnell abklingender Halbseitensymthomatik rechts erlitten; der
Neurologe und Psychiater Dr.B. stellt am 01.02.1995 fest, dass keine Folgen außer einer diskreten Asymmetrie des
Mundes und der vom Kläger angegebenen, beim Gitarrespielen bemerkbaren feinmotorischen Störung der rechten
Hand feststellbar seien (Arztbrief vom 09.02.1995). Ursache für den Hirninfarkt war eine Vermehrung der
gerinnungsfördernden Blutplättchen unklarer Ursache, die teils als Verdacht auf essentielle Thrombozythämie,
teilweise als essentielle Thrombozythämie ohne Nachweis der zytologischen oder histologischen Kriterien hierfür
bezeichnet wurde und unter zytochemischer Behandlung sich als stabil ohne pathologischen Werte zeigte (Berichte
des Klinikums G. , des Krankenhauses M. , des Klinikums I. und des Internisten Dr.S. aus den Jahren 1994 bis
1997).
Am 18.08.1998 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, wobei er
sich seit 1994 für erwerbsunfähig hielt. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Internist Dr.R. das Gutachten
vom 23.11.1998. Dieser diagnostizierte eine essentielle Thrombozythämie (Remission der myolo-proliferanten
Erkrankung mit Werten im Normbereich nach medikamentöser Behandlung), einen Zustand nach Hirninfarkt mit
Hemiparese rechts im August 1994 (ohne Nachweis motorischer oder sensorischer Ausfälle und bei unauffälliger
Psyche) und eine Hypertonie ersten Grads bei Adipositas. Hierdurch sei die körperliche und geistige Belastbarkeit des
Klägers zumindest zur Zeit kaum eingeschränkt. Jener könne halb- bis unter vollschichtig als Operator tätig sein.
Der Ärztliche Dienst der Beklagten sah keine wesentlichen Einschränkungen des Erwerbsvermögens des
Versicherten. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 06.01.1999 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil der
Kläger im bisherigen Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig sein könne.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei von einer seltenen, nicht heilbaren Form
der Leukämie betroffen, sei deswegen als Schwerbehinderter anerkannt und leide an zunehmender Müdigkeit,
Antriebslosigkeit und Minderung der Reaktionsfähigkeit (auch am Bildschirm), so dass er deswegen seinen
Arbeitsplatz verloren habe. Das daraufhin eingeholte Gutachten des Nervenarztes Dr.R. vom 20.05.1999 gab an
wesentlichen Beschwerden des Klägers - wie bereits des öfteren in früheren Arztberichten - nur wieder, dass jener
unter Belastungen, insbesondere unter Stressbelastung, nicht richtig formulieren könne, und dass ihn heute noch
beeinträchtige, dass man ihm am Arbeitsplatz übel mitgespielt habe. Dr.R. stellte unauffällige neurologische und
psychiatrische Befunde (bei der Diagnose "reaktive Depression" laut Gießen-Test) fest und bescheinigte dem Kläger
eine volle berufliche Leistungsfähigkeit. Wegen der vorgebrachten Angstsymthomatik in Zusammenhang mit
Belastungssituationen sei eine berufsbegleitende ambulante verhaltenstherapeutische Behandlung indiziert. Nach
Einholung einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes wies die Widerspruchsstelle der Beklagten das eingelegte
Rechtmittel mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.1999 zurück.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München machte der Kläger geltend, dass er infolge
"Leukämie" in seiner psychischen Verfassung und seinen geistigen Fähigkeiten, insbesondere seiner Reaktions- und
Konzentrationsfähigkeit, erheblich beeinträchtigt sei; Arbeiten am Bildschirm seien ihm nicht mehr möglich. Es müsse
berücksichtigt werden, dass er an einer äußerst seltenen Krankheit, einer primären Thrombozythämie, leide, die ihre
Ursache im Knochenmark habe und mit einem hohen Schlaganfallrisiko verbunden sei. Die Krankheit könne nur durch
hochdosierte Medikamente einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden; bei Absetzen des Medikaments auch nur
für kurze Zeit bestehe Lebensgefahr.
Das Sozialgericht zog ärztliche Unterlagen und Befundberichte für die Zeit ab 1994 bei, wobei sich Hinweise auf einen
seit Juni 1998 beginnenden Alkoholabusus mit problemloser viertägiger Entgiftung im Januar 1999 ergaben. Nach
mehrfachen vergeblichen Bemühungen des als ärztlicher Sachverständiger ernannten Neurologen Prof.Dr.A. ab
Dezember 1999 kam eine Untersuchung des Klägers am 16.08.2000 zustande. Im Gutachten vom 17.09.2000 wurden
"Reste der 1994 erlittenen Hirndurchblutungsstörung bei geschwulstartig vermehrten Blutplättchen" (z.B. geringere
Bewegung des rechten als des linken Mundwinkels beim Sprechen, seitengleiche und nicht - wie bei Rechtshändigkeit
üblich - raschere Wechselbewegungen rechts, Fingerfeinbeweglichkeit fraglich rechts etwas langsamer als links,
behauptete gelegentliche Schwierigkeiten beim Sprechen, insbesondere bei seelischen Belastungen, wobei
Wortfindungsstörungen und Fähigkeit zum Sprachverständnis und zur Äußerung nicht beeinträchtigt schienen)
diagnostiziert, weiterhin eine anschaulich geschilderte, aber nicht erfassbare Neigung zu Stimmungsschwankungen,
die am ehesten persönlichkeitseigenen Gegebenheiten zuzuschreiben und nicht als eigenständige seelische
Erkrankung zu werten seien. Der Kläger könne vollschichtig leichte und mittelschwere Arbeiten, die eine ständige
überdurchschnittliche Feinbeweglichkeit der rechten Hand nicht erforderten, verrichten; schwere körperliche Arbeiten
sei er wegen seiner bisherigen Tätigkeit nicht gewohnt. Wenn auch aus allgemeiner nervenärztlicher Erfahrung eine im
Vergleich zu früher verringerte Konzentrationsfähigkeit zu unterstellen sei, sei der Kläger durch die 1994 erlittene
Hirndurchblutungsstörung nicht merklich beeinträchtigt.
Nachdem der Kläger, obwohl anwaltlich vertreten, unentschuldigt einem Untersuchungstermin fernblieb und auch
keine Entschuldigung nachträglich beibrachte, ließ das Sozialgericht von der Internistin und Kardiologin Dr. L. das
Gutachten vom 15.04. 2001 nach Aktenlage erstellen. Diese besprach die vorhandenen ärztlichen Unterlagen und
wies darauf hin, dass die Behandlungsindikation bei einer Thrombozythämie sich nach Ausmaß und Fortschreiten der
Erkrankungen und ihren Auswirkungen richte. Bei der Behandlung des Klägers liege seit Februar 1997 ein normales
Blutbild vor. Bei diesen günstigen Befunden ergebe sich keine Einschränkung des Leistungsvermögens für leichte und
mittelschwere Arbeiten. Tätigkeiten mit besonderer Unfall- und Verletzungsgefahr sollten vermieden werden, weil
behandlungsbedingt die Blutgerinnung gestört sein könne, wenn auch vorliegend keine Anhaltspunkte für eine
gehäufte Hämatombildung ersichtlich seien. Eine klinisch eingeschränkte Nierenfunktion bestünde nicht, aus einem
leichten labilen Bluthochdruck ließen sich keine weitergehenden Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit herleiten. Die
Tätigkeit eines EDV-Operators könne weiterhin ausgeübt werden, ohne auf Kosten der Restgesundheit zu gehen.
Mit Urteil vom 25.10.2001 wies das Sozialgericht die Klage ab, weil unter Zugrundelegung des bis 31.12.2000 und ab
01.01.2001 geltenden Rechts kein Anspruch auf Rente wegen verminderter oder geminderter Erwerbsfähigkeit
bestehe. Der Kläger sei als Angelernter mit einer Berufsausbildung bis zu zwei Jahren einzustufen und auf alle
demgemäß herausgehobenen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar, z.B. auf die "entsprechend
tariflich erfasste Kontrolltätigkeit in der chemischen Industrie", zumal beim Kläger wegen seiner Ausbildung als
Drogeriewarenverkäufer keine Einarbeitungszeit von über drei Monaten zu erwarten sei. Auch seine frühere Tätigkeit
als Operator im EDV-Bereich könne er mit Einschränkungen noch vollschichtig verrichten.
Mit der Berufung, die ohne Begründung geblieben ist, verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter, ohne in
irgendeiner Form am Verfahren mitzuwirken.
a) Die Aufforderung zur Einreichung der Berufungsbegründung vom 08.01.2002 blieb unbeantwortet.
b) Nicht reagiert wurde auf die Aufforderung vom 11.03. 2002, Angaben zu Ärzten und Behandlungen zu machen
sowie eine Entbindungserklärung abzugeben.
c) Die Anfrage vom 18.04.2002 zu einer etwaigen Ausbildung als Operator, zu Kostenträgern und zu
Abschlusszeugnissen wurde missachtet.
d) Auf das Mahnschreiben vom 11.10.2002 zu b) und c) erfolgte keine Reaktion.
e) Das Mahnschreiben vom 12.12.2002 bewirkte ebenfalls nichts.
f) Der Erörterungstermin am 28.11.2003 von 26 Minuten (bereits die Ladung war mit Schwierigkeiten verbunden)
erbrachte das Versprechen des Klägers, künftig im Verfahren mitzuwirken. Eindringlich wurde der Kläger auf seine
Mitwirkungspflichten hingewiesen, weiterhin auf die Notwendigkeit, postalisch erreichbar zu sein und jede
Adressenänderung dem Gericht mitzuteilen.
g) Auf das gerichtliche Schreiben vom 02.12.2003 mit einer Zusammenfassung der bisherigen Fragen und das erneut
übersandte Formular zur Mitteilung der behandelnden Ärzte und Abgabe einer Entbindungserklärung erfolgte wiederum
keine Reaktion des Klägers.
h) Das Mahnschreiben vom 20.02.2004 blieb ohne Antwort.
i) Die Ladung vom 30.04.2004 zur mündlichen Verhandlung am 27.05.2004 konnte nicht zugestellt werden, vermutlich
weil der Postbote den jetzt unter W. K. anstatt V. K. residierenden Kläger nicht als identisch ansah. Die Ladung unter
W. K. - immer noch dieselbe Wohnadresse laut Mitteilung des Einwohnermeldeamts vom 05.05.2004 - kam in
Rücklauf mit dem Vermerk einer postlagernden Adresse. Auf die dorthin mit einfachem Brief gesandte Ladung
erschien der Kläger weder am Verhandlungstag (der Termin wurde abgesetzt) noch meldete er sich vorher oder später.
Der Senat hat die Versichertenakte der Beklagten mit einem aktuellen Versicherungsverlauf, die
Schwerbehindertenakte des AVF München II sowie die Leistungs- und Reha-Akten des Arbeitsamts E. (Kopien der
Vorgänge bis 2001) beigezogen, weiterhin den Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie vom 18.07.1987
in der Fassung vom 03.06.1997. Die für den Kläger bestimmte Terminmitteilung für die mündliche Verhandlung am
09.09.2004 wurde im Wege der öffentlichen Zustellung bekanntgegeben.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.10.2001 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 06.01.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.1999 aufzuheben und die Beklagte zur
Zahlung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bzw. teilweiser oder voller Erwerbsminderung zu
verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechts- züge sowie die beigezogenen Akten und
Unterlagen vor. Zur Ergänzung des Tatbestands im einzelnen, insbesondere hinsichtlich des Inhalts der ärztlichen
Unterlagen und des Tarifvertrags, wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist zulässig, in
der Hauptsache aber unbegründet.
Auch der Senat ist zu der Überzeugung gekommen, dass dem Kläger eine Rente aufgrund des bis 31.12.2001 und
des ab 01.01.2001 geltenden Rechts nicht zusteht. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen
Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden
Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der
Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren
Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung
sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden
können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (§ 43 Abs.2 Sätze 1, 2 und
4 des Sozialgesetzbuches Teil VI - SGB VI - in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung). Erwerbsunfähig sind
Versicherte, die wegen Krankheit oder Be-hinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Er-
werbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein
Siebtel der monatlichen Bezugsgröße bzw. monatlich 630,00 DM übersteigt; erwerbsunfähig ist nicht, wer eine
Tätigkeit vollschichtig aus- üben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2
SGB VI in den vom 01.01.1992 bis 31.12.2000 geltenden Fassungen). Teilweise erwerbsgemindert ist der Versicherte,
der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und voll erwerbsgemindert
der Versicherte, der unter den gleichen Voraussetzungen außer Stande ist, mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 Satz 2 und Abs.2 Satz 2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung). Eine
Rente wegen teilweiser Erwerbsfähigkeit erhält auch der Versicherte, der vor dem 02.01.1961 geboren und
berufsunfähig ist (Übergangsvorschrift des § 240 Abs.1 SGB VI n.F.).
Der Kläger erfüllt die genannten Voraussetzungen nicht. Er verfügt über ein vollschichtiges Erwerbsvermögen und ist
seit Stellung des Antrags auf Rente im August 1998 in der Lage, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu verrichten.
Damit liegt keine Berufsunfähigkeit vor, und erst recht sind die strengeren Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit
gemäß § 44 SGB IV a.F. und der geminderten Erwerbsfähigkeit gemäß § 43 SGB VI n.F. nicht gegeben. Der Senat
stützte sich bei der Bildung seiner Überzeugung auf alle ärztlichen Unterlagen, insbesondere die Gutachten der
Dres.L. und A ... Diese haben ihre Ergebnisse schlüssig und überzeugend begründet, und auch die zugrundegelegten
ärztlichen Unterlagen stimmen damit überein. Wenn für die Zeit nach Gutachtenserstellung eine Verschlechterung des
Gesundheitszustands des Klägers bestehen sollte, so war diese nicht feststellbar. Der Kläger selbst hat im
Berufungsverfahren eine Verschlimmerung oder die fehlende Berücksichtigung bisher unbekannter
Gesundheitsstörungen nicht geltend gemacht, und der Senat war aufgrund des Verhaltens des Klägers gehindert,
geeignete Maßnahmen zur Ermittlung und Objektivierung einzuleiten. Dabei war dem Kläger die Absicht des Senats
zur Beweiserhebung durchaus bekannt; bereits vor dem Erörterungstermin vom 28.11. 2003 ergingen zahlreiche
Anfragen, und auch danach sind diese dem Kläger zusammengefasst nochmals - nachweislich durch zwei
Einschreiben mit Rückschein - zugegangen. Ebenso ist der Kläger nachweislich auf die Notwendigkeit, vom Gericht
jederzeit per Post erreichbar zu sein, hingewiesen worden. Die Nichtfeststellbarkeit eventuell gegebener Sachverhalte
geht nach allgemeinen Beweisregeln zu Lasten des vom Kläger im Rechtsstreit erhobenen Anspruchs.
Auf internistischem Gebiet liegen beim Kläger an Gesundheitsstörungen eine Thrombozythämie und ein leichter
Bluthochdruck vor. Aus beiden folgt lediglich, dass der Kläger vollschichtig körperliche Arbeiten, die er ohnehin nicht
gewohnt war, nicht verrichten konnte. Aus der Seltenheit und Gefährlichkeit einer Erkrankung wie die
Thrombozythämie lässt sich zu Gunsten eines Rentenanspruchs des Klägers nichts ableiten. Eine Erwerbsminderung
liegt nicht schon deswegen vor, weil eine Erkrankung, wenn sie nicht in zumutbarer Weise behandelt wird,
lebensbedrohlich sein könnte. Maßgeblich ist nicht die Gefahr des künftigen Eintritts eines Ereignisses, das die
Erwerbsfähigkeit mindern oder aufheben könnte, sondern die gesundheitlichen Einschränkungen beginnend vom
Rentenantrag an bis zur letzten mündlichen Verhandlung. Insoweit lag jedoch eine erhebliche Einschränkung des
Erwerbsvermögens des Klägers nicht vor. Richtigerweise hat Dr. L. ausgeführt, dass sich die Behandlungsindikation
bei einer Thrombozythämie nach Ausmaß und Fortschreiten der Erkrankung und ihrer Auswirkungen richte. Dasselbe
gilt für die Beurteilung des Schweregrads der Gesundheitsstörung mit ihren (gegenwärtigen) Auswirkungen auf die
Erwerbsfähigkeit. Wie sich aus den ärztlichen Unterlagen erkennen lässt, leidet der Kläger an einer gut behandelbaren
Bluterkrankung, und bei geeigneter Medikation lag bereits seit Februar 1997 ein normales Blutbild vor. Durch die
vollschichtige Ausübung leichter und mittelschwerer Arbeiten kann sich der Gesundheitszustand nicht verschlimmern,
und die günstigen Befunde ergeben neben dem Ausschluss schwerer körperlicher Arbeiten als Einschränkung nur
mehr, dass der Kläger Tätigkeiten mit ganz besonderer Unfall- und Verletzungsgefahr vermeiden sollte. Die
Gesundheitsstörung lässt weitestgehend eine Erwerbstätigkeit zu und die Ausübung geht nicht auf Kosten der
Restgesundheit.
Auf psychiatrischem Gebiet ergeben sich keine bedeutsamen Gesundheitsstörungen. Sowohl Dr.R. als auch
Prof.Dr.A. haben unauffällige psychiatrische Befunde festgestellt; ein Krankheitswert der vom Kläger vorgetragenen
Neigung zu Stimmungsschwankungen ist nicht objektivierbar. Auf neurologischem Gebiet bestehen nur geringe
Gesundheitsstörungen. Die Thrombozythämie hat, bevor sie erkannt und behandelt wurde, im Jahre 1994 zu einer
Hirndurchblutungsstörung geführt, deren Folgen jedoch weitestgehend abgeklungen sind. Eine maßgebende Störung
der Feinbeweglichkeit der Finger der rechten Hand ist nicht feststellbar; es steht lediglich zu vermuten, dass eine
gewisse Minderung der Beweglichkeit im Vergleich zu einem Zustand vor dem Jahre 1994 eingetreten sein kann. Bei
den Untersuchungen zeigten sich beide Hände bzw. die Finger des Klägers gleichermaßen rechts wie links beweglich,
so dass lediglich bei Rechtshändigkeit des Klägers mit Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden kann, dass die
Feinbeweglichkeit, die dann rechts oft etwas höher ausgeprägt ist, gemindert worden ist, aber nicht so wesentlich,
dass sie unter der Beweglichkeit der Finger der linken Hand liegt. Zu Recht ist Prof.Dr.A. daher davon ausgegangen,
dass dem Kläger nur Tätigkeiten nicht zumutbar seien, die erstens eine ständige und zweitens eine
überdurchschnittliche Feinbeweglichkeit der rechten Hand erforderten. Anlässlich der Untersuchung des Prof.Dr.A.
konnte auch nicht festgestellt werden, dass Wortfindungsstörungen vorlägen oder die Fähigkeit zum
Sprachverständnis und das Konzentrationsvermögen wesentlich beeinträchtigt seien.
Mit seinem vollschichtigen Leistungsvermögen kann der Kläger noch den Beruf eines Operators ausüben. Die vom
Arbeitgeber geschilderten Anforderungen entsprechen dem Restleistungsvermögen des Klägers. Die Tätigkeit ist sehr
vielschichtig, und eine ständige Feinbeweglichkeit der rechten Hand wird nicht gefordert. Die Tätigkeit des Klägers
bestand nicht darin, dass er acht Stunden täglich an der Tastatur eines PCs arbeitete. Im Übrigen ist nicht erkennbar,
dass das Bedienen einer Tastatur eine überdurchschnittliche Feinbeweglichkeit der rechten Hand erfordert; bei einem
Zehn-Finger-System, das nach der Art des Berufs vorausgesetzt wird, genügt es, wenn die Finger beider Hände
gleichermaßen beweglich sind. Der Kläger hat insoweit auch keine Einschränkungen in seiner Berufstätigkeit
gesehen, sondern vielmehr lediglich über eine Behinderung beim Gitarrespielen geklagt. Letzteres führt jedoch nicht
zu einer Einschränkung des Erwerbsvermögens im zuletzt ausgeübten Beruf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Möglicherweise ist die Konzentrationsfähigkeit des Klägers durch Folgen eines ehemaligen Hirninfarkts gering
vermindert, wenn insoweit nicht nur ein subjektives Empfinden des Klägers vorliegen sollte. Eine erhebliche Störung
der Konzentrations- fähigkeit wurde jedoch von Prof.Dr.A. ausgeschlossen ("nicht merklich beeinträchtigt"). Deshalb
ergibt sich auch insoweit keine Einschränkung des Erwerbsvermögens des Klägers, da die verbliebene
Konzentrationsfähigkeit jedenfalls für die Ausübung seines Berufs erhalten blieb. Möglicherweise war der Kläger in
seinem Konzentrationsvermögen während der Ausübung der Erwerbstätigkeit bis Juni 1997 vorübergehend gestört,
aber durch andere Umstände als durch Folgen einer Krankheit. Aus den ärztlichen Unterlagen ergeben sich vage
Hinweise auf einen zeitweisen Alkoholabusus und Belastungen des Klägers durch Ehescheidung. Ärztliche Unterlagen
über ein möglicherweise hieraus abzuleitendes (zeitweises) depressives Syndrom oder eine Alkoholkrankheit fehlen
jedoch, und nach den in den Jahren von 1997 bis 2001 erstellten Gutachten waren dementsprechende gesundheitliche
Beeinträchtigungen nicht feststellbar.
Der Kläger war aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht gehindert, ab Rentenantrag die bisherige Berufstätigkeit
auszuüben. Wenn ihm wegen langer Arbeitslosigkeit und Alters kein entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden
kann, so ist deswegen nicht die Gewährung einer Rente gerechtfertigt. Der Kläger wäre dann nicht berufsunfähig oder
erwerbsunfähig, sondern vielmehr arbeitslos. Das Risiko der Arbeitsvermittlung ist nicht vom
Rentenversicherungsträger zu tragen, die jeweilige Arbeitsmarktlage darf nicht berücksichtigt werden (§ 43 Abs.2 SGB
VI a.F. und n.F.).
Nachdem der Kläger den bisherigen Beruf ausüben kann, müssen ihm geeignete Verweisungstätigkeiten nicht
benannt werden. Nur nebenbei wird er darauf hingewiesen, dass eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht schon dann
zusteht, wenn ein Versicherter den bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann. Nach den gesetzlichen Bestimmungen
ist vielmehr erforderlich, dass er auch eine andere gleichwertige oder eine Rangstelle unter der bisherigen
Beschäftigung stehende Tätigkeit nicht mehr ausüben kann; das Gesetz sieht einen gewissen sozialen Abstieg im
beruflichen Bereich als zumutbar an.
Nach seiner bisherigen Beschäftigung ist der Kläger nicht als Fachangestellter im rentenversicherungsrechtlichen
Sinne einzustufen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wäre hierfür regelmäßig eine Ausbildung von
mehr als zwei Jahren (in der Regel drei Jahre) erforderlich. Er verfügt jedoch nicht über eine solche Ausbildung. Wenn
nach den tariflichen Umschreibungen die Entgeltgruppe E 6 in der Regel für Arbeitnehmer mit mindestens dreijähriger
abgeschlossener Ausbildung vorgesehen ist, z.B. für Handwerker, Kaufmann, Chemikant, Pharmakant oder
technischer Zeichner, weiterhin für Arbeitnehmer ohne eine solche planmäßige Ausbildung, die aufgrund mehrjähriger
Berufspraxis gleichwertige Kenntnisse und Fertigkeiten erworben haben und entsprechende Tätigkeiten ausüben (§ 7
des Bundesentgelttarifvertrags für die chemische Industrie), so ist hieraus für den Kläger kein Berufsschutz
abzuleiten. Trotz Entlohnung in dieser Vergütungsgruppe ist der Kläger nur als "Angelernter" im
rentenversicherungsrechtlichen Sinne anzusehen, das heißt als Arbeitnehmer mit einer Ausbildung oder
Einarbeitungszeit von drei bis 24 Monaten. Sein Arbeitgeber hat die Bezahlung des Klägers nach der Entgeltgruppe E
6 nur damit gerechtfertigt, dass jener sechs Jahre in der Lohngruppe E 5 eingestuft gewesen sei. Laut der tariflichen
Umschreibung ist jedoch die Dauer der zeitlichen Beschäftigung nicht maßgebend für eine Höhergruppierung, sondern
nur der Erwerb umfassender Kenntnisse und Fähigkeiten, die den Versicherten wettbewerbsfähig mit einem
Facharbeiter oder Fachangestellten machen. Insoweit hat der Arbeitgeber aber darauf hingewiesen, dass der Kläger
eben nur über die Kenntnisse eines "Angelernten" mit allenfalls zweijähriger Ausbildung verfügte und eine
weitergehende Ausbildung nicht erforderlich und auch nicht vorhanden gewesen ist.
Bei seinen beruflichen Qualifikationen kann der Kläger auch auf die unter der Lohngruppe E 6 stehenden Arbeiten
eines "Angelernten" in der Entgeltgruppe E 3 (bei Berufspraxis von sechs bis 15 Monaten: einfache Dateneigabe ohne
gerätetechnische Kenntnisse) und E 4 (Tätigkeiten mit zweijähriger Berufsausbildung, z.B. Bedienen von
Datenerfassungsgeräten und vergleichbaren Geräten nach Anweisung) verwiesen werden. Als "Angelernter" ist er
weiterhin auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, sofern diese nicht allergeringster Art sind. Auf geeignete Tätigkeiten
weist hier die Entgeltgruppe E 2 der chemischen Industrie hin; diese Tarifgruppe ist für Tätigkeiten vorgesehen, für die
Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind, die durch eine angemessene Berufspraxis von in der Regel bis zu 13
Wochen erworben werden, unter anderem die einfache Dateneingabe ohne gerätetechnische Kenntnisse sowie das
Sortieren und Verteilen von Post.
Ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit besteht nicht. Wegen des vollschichtigen Leistungsvermögens des
Klägers für ungelernte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts kommt weder eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
noch wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung in Frage.
Daher war die Berufung zurückzuweisen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.