Urteil des LSG Bayern vom 27.01.2005

LSG Bayern: aufschiebende wirkung, kündigung, arbeitsgericht, vergleich, befreiung, beendigung, form, auflösung, abfindung, aufhebungsvertrag

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 27.01.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 6 AL 925/04 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 10 B 584/04 AL ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.10.2004 wird zurückgewiesen. II. Der
Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) und Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß §
147a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).
Die 1944 geborene Arbeitnehmerin Y. (vormals: E.) war seit 03.12.1979 bei der Antragstellerin (ASt) als
Buchbindehelferin beschäftigt. Im Rahmen eines vor dem Arbeitsgericht N. am 22.10.2002 geschlossenen
Vergleiches waren sich die ASt und die Arbeitnehmerin einig, dass das Arbeitsverhältnis durch ordentliche
betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung vom 31.01.2002 zum 31.08.2002 aufgelöst worden sei, die Arbeitnehmerin für
den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 9.150,00 EUR erhalte und die Arbeitgeberin eine
entsprechende Arbeitsbescheinigung ausstellen werde. Ab 01.10.2002 bezog nach Arbeitsunfähigkeit die
Arbeitnehmerin Alg von der Beklagten.
Mit zwei Bescheiden vom 18.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2004 forderte die
Antragsgegnerin (Ag) die ASt nach Anhörung zur Erstattung des an die Arbeitnehmerin geleisteten Alg gemäß § 147a
SGB III in Höhe von insgesamt 10.697,64 EUR für die Zeit vom 15.12.2002 bis 14.12.2003 auf. Individuelle
Befreiungstatbestände gemäß § 147a Abs 1 Nrn 4 und 5 SGB III lägen nicht vor. Das Arbeitsverhältnis sei weder
durch ordentliche sozial gerechtfertige Kündigung noch durch außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund
beendet worden.
Hiergegen hat die ASt Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Zudem hat sie beantragt, die aufschiebende
Wirkung der Klage anzuordnen. Nach der Rechtsprechung sei zwar die Regelung des § 147a Abs 1 Nr 4 SGB III nicht
auf Aufhebungsverträge anzuwenden, im vorliegenden Rechtsstreit sei aber gerade kein solcher geschlossen worden,
vielmehr beziehe sich der Vergleich gerade auf eine ordentliche, betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung. Der
Vergleichsabschluss sei vom Arbeitsgericht N. unterbreitet worden, es sei aber nicht die vorher ausgesprochene
Kündigung ersetzt worden, sondern lediglich deren Folgen geregelt worden.
Mit Beschluss vom 28.10.2004 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückgewiesen.
Die Regelung des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)
nicht über ihren Wortlaut hinaus auszudehnen und damit nicht auf eine vergleichsweise Beendigung des
Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Es sei auf die äußere Form abzustellen. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse
liege mangels Erfolgsaussicht nicht vor.
Dagegen wendet sich die ASt mit ihrer Beschwerde. Die Rechtsprechung sei gerade auf den Abschluss eines
arbeitsgerichtlichen Vergleiches nicht anzuwenden, denn das Arbeitsgericht habe sich, anders als beim
Aufhebungsvertrag, vorliegend bereits mit der Sache befasst. Im Übrigen greife auch die Regelung des § 147a Abs 1
Satz 2 Nr 6 SGB III ein. Diesbezüglich liege eine positive Entscheidung der Ag vom 12.08.2003 für die Zeit vom
01.10.2002 bis 30.09.2003 vor. Die Voraussetzungen hierfür lägen aber auch für die Zeit vom 01.08.2002 bis
31.07.2003 vor.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat
der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als unbegründet.
Gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebene Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder
teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage haben hier gemäß § 86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 336a Satz 1
Nr 1 SGB III keine aufschiebende Wirkung.
Zur Entscheidung über den Antrag ist eine summarische Prüfung geboten und auch ausreichend. Soweit zumindest
eine Prognose über den Ausgang des Rechtsstreites getroffen werden kann, bietet sie ein erstes maßgebendes
Kriterium für die Entscheidung. Hinzu tritt eine Interessenabwägung zwischen Vollziehungsinteresse und
Verhinderungsinteresse. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht eindeutig prognostizieren, so müssen die Interessen
der Beteiligten bewertet werden. Der Systematik des Gesetzes kann dabei entnommen werden, dass in den Fällen
des § 86a Abs 2 Nr 1 bis 4 SGG das Vollziehungsinteresse im Zweifel den Vorrang hat. Auf der Grundlage dieses
gesetzlichen Vorverständnisses kommt es entscheidend auf den prognostizierbaren Grad der Erfolgsaussichten im
Hautpsacheverfahren an. In den Fällen, in denen das Vollziehungsinteresse überwiegt, müssen schon gewichtige
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, um zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu
kommen (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3.Auflage, V Rdnrn 31 und 33).
Gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erlassenen Verwaltungsakte bestehen jedoch aufgrund einer
summarischen Prüfung nicht. Die ASt hat mit ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin im Rahmen eines gerichtlichen
Vergleiches das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2002 gelöst. Das Arbeitsverhältnis ist nicht, wie es § 147a Nr 4 SGB III
erfordert, der äußeren Form nach durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden. Vielmehr haben die
Arbeitsvertragsparteien einen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen. Nach Auslegung
der Vereinbarung und der darin enthaltenen Willenserklärungen ist es nicht abwegig anzunehmen, dass durch den
Vergleich konstitutiv ein Rechtsgrund für die Auflösung des Arbeitsvertrages geschaffen wurde, der nicht lediglich
Regelungen über die Abwicklung der Kündigung enthält, sondern zusätzliche Vereinbarungen trifft, wie z.B. die
Zahlung einer Abfindung und die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung (vgl. hierzu insbesondere: BSG, Urteil vom
20.09.2001 - B 11 AL 30/01 R - veröffentl. in Juris). Ohne Bedeutung bleibt dabei, ob ein Arbeitsgericht bereits mit der
Sache befasst war, denn eine Klage zum Arbeitsgericht schränkt die Befugnis der Arbeitsvertragsparteien nicht ein,
sich über die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses - auch ohne Mithilfe des Arbeitsgerichtes - zu einigen und
die Klage dann zurückzunehmen bzw. für erledigt zu erklären. Sollte der Vergleich lediglich eine Abwicklung der zuvor
tatsächlich ausgesprochenen Kündigung regeln, so stellt sich die gesonderte Einigung in Punkt 1 des Vergleiches als
überflüssig dar. Durch die Aufnahme der Regelung über das Ende des Arbeitsverhältnisses sprechen gewichtige
Gründe dafür, dass diese Regelung einen eigenständigen Rechtsgrund für die Beendigung der Tätigkeit begründen
sollte. In Auswertung der o.g. und auch vom SG angegebenen Rechtsprechung kann der vor dem Arbeitsgericht
geschlossene Vergleich unter Berücksichtung der summarischen Auslegung der dabei abgegebenen
Willenserklärungen zunächst nicht anders bewertet werden als ein Aufhebungsvertrag. Es ist kein Grund ersichtlich,
weshalb die vom SG zitierte Rechtsprechung des BSG hier nicht anwendbar sein soll.
Somit bestehen keine gewichtigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erlassenen Verwaltungsakte. Wie die
Willenserklärungen der Parteien des Arbeitsvertrages bei Abschluss des gerichtlichen Vergleiches letztendlich
auszulegen sind, wird vom SG im Hauptsacheverfahren zu prüfen sein. Das Vollziehungsinteresse überwiegt
vorliegend das Verhinderungsinteresse der ASt, wobei ein irreparabler Schaden für die ASt nicht entstehen kann, denn
sie bekäme, sollte das Klageverfahren für sie erfolgreich beendet werden, die bezahlten Beträge von der Ag zurück.
Nicht Gegenstand der Prüfung ist der Befreiungstatbestand gemäß § 147a Abs 1 Nr 6 SGB III. Über die dort geregelte
pauschale Befreiung entscheidet die Ag auf Antrag im Voraus (§ 147a Abs 6 Satz 2 SGB III). Diesbezüglich liegt
bereits eine positive Entscheidung der Ag vom 12.08.2003 für die Zeit vom 01.10.2002 bis 30.09.2003 vor. Ob die
Voraussetzungen für eine pauschale Befreiung von der Erstattungspflicht auch für die Zeit vom 01.08.2002 bis
31.07.2003 vorliegen, hat die Beklagte bisher nicht in einem eigenständigen Verfahren zu prüfen gehabt. Ein solches
ist jedoch erforderlich und kann nicht mit der Prüfung der Befreiung im Einzelfall verbunden werden (vgl. hierzu:
BayLSG, Urteil vom 01.04.2004 - L 10 AL 246/02), insbesondere nicht im Rahmen der Beschwerde gegen die
Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.
Nach alledem ist die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen gewesen und die Beschwerde hiergegen
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 SGG i.V.m. § 154 Abs 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).