Urteil des LSG Bayern vom 16.01.2008

LSG Bayern: verschlechterung des gesundheitszustandes, angina pectoris, stationäre behandlung, diabetes mellitus, körperpflege, frequenz, aufstehen, ernährung, akte, ergänzung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.01.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 1 P 85/06
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 15/07
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. März 2007 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I.
Die 1932 geborene Klägerin beantragte am 27. April 2000 Leistungen der Pflegeversicherung. Im Gutachten vom 5.
Juli 2000 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) aus, der Zeitbedarf im Bereich der
Körperpflege betrage 2 Minuten, im Bereich der Mobilität 5 Minuten. Insgesamt ergebe sich ein Zeitbedarf im Bereich
der Grundpflege von 7 Minuten, hinzu komme ein Zeitbedarf im Bereich der Hauswirtschaft von 40 Minuten.
Die Klägerin beantragte am 14. Februar 2006 erneut Leistungen der Pflegeversicherung. Im Gutachten vom 17. März
2006 führte der MDK aus, die Klägerin leide an Bandscheibenschäden mit Spinalkanalstenose, außerdem an
insulinpflichtigem Diabetes mellitus. Der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege betrage 25 Minuten, im Bereich der
Mobilität 10 Minuten. Die Klägerin brauche Hilfen bei der Ganzkörperwäsche, dem Duschen, dem Baden, dem
Kämmen, beim Wechseln von Windeln nach Wasserlassen und Entleeren und Reinigen des Toilettenstuhls sowie
beim An- und Ausziehen und beim Stehen. Der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege betrage 35 Minuten pro Tag, im
Bereich der Hauswirtschaft 45 Minuten pro Tag.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung mit Bescheid vom 21. März 2006 ab.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und übersandte ein Pflegetagebuch vom 24. April 2006, in dem sie für
den Bereich der Körperpflege einen Pflegebedarf von 80 Minuten, im Bereich der Ernährung von 30 Minuten und im
Bereich der Mobilität von 80 Minuten angab.
Der MDK führte im Gutachten vom 22. Juni 2006 aus, die im Pflegetagebuch angegebenen Zeitwerte seien überhöht.
Der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege betrage 28 Minuten, im Bereich der Mobilität 6 Minuten, somit im
gesamten Bereich der Grundpflege 34 Minuten, im Bereich der Hauswirtschaft 45 Minuten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2006 zurück.
Im Klageverfahren zog das Sozialgericht Bayreuth Berichte der Allgemeinärzte Dr. W. und Dr. S. , des Augenarztes
Dr. J. , der Internistin Dr. H. und des Orthopäden Dr. S. bei sowie Klinikberichte über stationäre Behandlungen vom
18. bis 23. Januar 2006 und vom 1. April bis 7. April 2006. Im Abschlussbericht nach dieser Behandlung führten die
Ärzte aus, es ergäben sich Hinweise für eine obstruktive Ventilationsstörung, außerdem bestehe eine ängstlich
agitierte Depression. Angina pectoris, Dyspnoe, ein akutes Coronarsyndrom hätten ausgeschlossen werden können,
ebenso eine Lungenembolie, eine Tumorerkrankung und eine tiefe Beinvenenthrombose. Die Klägerin sei auf die
Bedeutung einer leichten körperlichen Aktivität hingewiesen worden.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr. H.
führte im Gutachten vom 11. Dezember 2006 aus, nach den Angaben ihrer Tochter brauche die Klägerin bei der
Ganzkörperwäsche teilweise Unterstützung und Hilfe, auch bei der dreimal wöchentlichen Dusche. Das
Herausnehmen und Einsetzen der Ober- und Unterkieferzahnprothese werde selbstständig durchgeführt, das Reinigen
übernehme die Tochter. Die Klägerin kämme sich selbstständig. Zur Toilette gehe die Klägerin tagsüber selbstständig,
während der Nacht benutze sie einen Toilettenstuhl, den die Tochter leere und reinige. Die Vorlagen könne die
Klägerin selbst einbringen und entfernen. Durchschnittlich zweimal täglich müsse das Toilettenumfeld gereinigt
werden. Die Nahrungsaufnahme sei selbstständig möglich, manchmal sei die mundgerechte Zubereitung erforderlich.
Beim Aufstehen und Zubettgehen sei keine Hilfe erforderlich, dagegen beim An- und Ausziehen. Mit Hilfe der
Unterarmgehstützen könne die Klägerin in der Wohnung selbstständig gehen. Dr. H. schätzte den Zeitbedarf im
Bereich der Körperpflege auf 24 Minuten, im Bereich der Ernährung auf 3 und im Bereich der Mobilität auf 7 Minuten,
ingesamt im Bereich der Grundpflege somit auf 34 Minuten, im Bereich der Hauswirtschaft auf 45 Minuten. Der
Pflegebedarf werde maßgeblich durch das chronische Schmerzsyndrom, die depressive Störung und die
Funktionseinschränkungen am Bewegungsapparat verursacht.
Die Klägerin wandte im Schreiben vom 21. Dezember 2006 ein, sie müsse eine Diät einhalten, brauche Unterstützung
beim Gehen, auch könne sie die Windeln nicht alleine anlegen, brauche Hilfe beim Zubettgehen und beim Anziehen.
In der Stellungnahme vom 3. Januar 2007 wies Dr. H. darauf hin, dass diese Angaben nicht in Einklang mit den
Schilderungen der Tochter der Klägerin beim Hausbesuch stünden. Unterstützung und teilweise Übernahme beim
Ankleiden seien angemessen berücksichtigt worden.
Die Klägerin erklärte, sie müsse ständig eine Windel tragen, brauche Hilfe beim Aufstehen, Zubettgehen, beim Laufen.
Wöchentlich erfolgten Infusionen beim Arzt. Sie übersandte ein Attest des Allgemeinarztes Dr. S. vom 30. Januar
2007, in dem bestätigt wurde, die Klägerin könne nicht allein Ärzte aufsuchen, sondern brauche die Hilfe ihrer Tochter.
Auch könne sie den Haushalt nicht mehr allein führen.
Das Sozialgericht Bayreuth wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. März 2007 ab. Die Voraussetzungen der
Pflegestufe I, berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf von mindestens 90 Minuten täglich, davon über 45 Minuten in der
Grundpflege, würden nicht erreicht. Der Pflegebedarf werde maßgeblich verursacht durch das chronische
Schmerzsyndrom, die depressive Störung und die Funktionseinschränkungen am Bewegungsapparat. Das Verlassen
und Wiederaufsuchen des Hauses zu Spaziergängen und unregelmäßig zu Arztbesuchen sei nicht
berücksichtigungsfähig.
Zur Begründung der Berufung erklärte die Klägerin, sie könne sich kaum allein fortbewegen. Sie müsse jede Woche
wegen der Infusionen zum Arzt.
Auf Anfrage des Senats teilte Dr. S. im Schreiben vom 2. Juli 2007 mit, er habe die Klägerin von 2001 bis 2004
behandelt, dann seit April 2006. Die Klägerin werde jede Woche einbestellt. Es treffe zu, dass sie während des
Praxisbesuchs eine Schmerzinfusion bekomme.
Dr. H. erklärte in der Stellungnahme vom 11. Juli 2007, bei Durchsicht der von Dr. S. angegebenen Termine falle auf,
dass keine Infusionsbehandlungen enthalten seien. Andererseits werde ausgeführt, Autofahrten zur Praxis seien
praktisch nicht mehr möglich. Die Tochter der Klägerin habe zudem angegeben, der Arzt mache Hausbesuche.
Die Klägerin wies im Schreiben vom 30. Juli 2007 darauf hin, sie müsse jede Woche die Praxis von Dr. S. wegen
einer Infusion aufsuchen. Sie brauche auch Hilfe beim Zubettgehen.
Auf Anfrage des Senats gab Dr. S. im Schreiben vom 14. September 2007 an, die Klägerin habe am 1. Juni, 28. Juni,
3. August, 4. September, 2. Oktober und 14. Dezember 2006 die Praxis aufgesucht. Im Jahr 2007 habe sie am 11.
Januar, 16. Januar, 23. Januar, 30. Januar, 12. Februar, 27. Februar, 13. März, 20. März, 27. März, 3. April, 12. April,
17. April, 24. April, 8. Mai, 22. Mai, 4. Juli, 18. Juli, 25. Juli, 1. August 2007 in der Praxis Infusionen erhalten. Er
übersandte einen Bericht des Klinikums C. über die stationäre Behandlung vom 12. bis 21. August 2007. Die Klägerin
war zum Ausschluss eines akuten Myokardinfarkts aufgenommen worden. Unter Schmerztherapie war sie weitgehend
beschwerdefrei und wurde in gebessertem Allgemeinbefinden entlassen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 16. Oktober 2007 erklärte Dr. H., die für 2006 angegebenen Praxisbesuche
seien nicht in einer derartigen Frequenz erfolgt, dass sie berücksichtigt werden könnten. Im Jahr 2007 zeigten die
Praxisbesuchstermine zwar eine höhere Frequenz, eine kontinuierliche wöchentliche Behandlung werde aber nicht
bestätigt. Möglicherweise sei es zu einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes gekommen.
Die Klägerin stellt den Antrag,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. März 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung
des Bescheides vom 21. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2006 zu verurteilen, ihr ab
Antrag Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I als Geldleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die vom Senat durchgeführten Ermittlungen zu keiner anderen
Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen konnten. Die von Dr. S. im Schreiben vom 14. September 2007
bestätigten Praxisbesuche erfolgten nicht regelmäßig wöchentlich. Im Jahr 2006 hat die Klägerin nach seinen
Angaben vom 1. Juni bis 31. Dezember sechsmal seine Praxis aufgesucht. 2007 erfolgten vier Praxisbesuche im
Januar, zwei im Februar, drei im März, vier im April, zwei im Mai, drei im Juli und einer im August, wobei die Klägerin
vom 12. bis 21. August 2007 im Klinikum C. stationär behandelt wurde. Dabei handelte es sich, wie Dr. S. angibt, um
die Zeit seines Urlaubes. Im Entlassungsbericht vom 21. August 2007 ist angegeben, die Schmerzmedikation sei
umgestellt, und die Klägerin sei bei unterstützender antidepressiver Therapie weitgehend beschwerdefrei, so dass zur
Zeit keine weitere Schmerztherapie empfohlen werde. Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlechterung des
Gesundheitszustandes der Klägerin ergeben sich aus diesem Bericht nicht, zumal ein unauffälliger Allgemeinzustand,
unauffälliger Abdominalbefund sowie fehlende Hinweise für eine Myokardischämie oder belastungsinduzierte
Myokardischämie und kein Anhalt für eine Lungenarterienembolie oder für eine obstruktive Lungenerkrankung
festgestellt wurden. Auch eine Aortendissection konnte ausgeschlossen werden. Die degenerativen Veränderungen
ergaben keinen interventionsbedürftigen Befund. Diese Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin vom
August 2007 ergibt keine Veranlassung zu Zweifeln an der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.