Urteil des LSG Bayern vom 04.01.2006

LSG Bayern: firma, versorgung, verordnung, schuh, auflage, handbuch, vorrang, rechtskraft, vertragsarzt, unterlassen

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 04.01.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 388/03
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 139/05 NZB
I. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Regensburg
vom 21.04.2005 wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten
des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Kostenfreistellung von 353,80 EUR für die leihweise Versorgung mit einem
VACOPED-Schuh der Firma O. zur nachstationären Behandlung einer Sprunggelenksfraktur.
Die Klägerin damit für sechs Wochen zu versorgen, hatte die Beklagte entgegen der vertragsärztlichen Verordnung
vom 10.02.2003 als unwirtschaftlich abgelehnt (Bescheid vom 18.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18.12.2003d). Das daraufhin angerufene Sozialgericht Regensburg verurteilte am 21.04.2005 die Beklagte, "die
Klägerin von der Forderung der Firma O. freizustellen". Da die Klägerin von dieser - wenn auch ohne Rechtsgrundlage
- in Anspruch genommen werde, müsse nach Ansicht des Sozialgerichts die Beklagte die Forderung begleichen. Die
Beklagte sei nämlich an die Entscheidung des den Schuh verordnenden Arztes gebunden, zumal dieser im Vorlauf
nicht habe erkennen können, dass diese Art der Versorgung nach Ansicht der Beklagten nicht erforderlich gewesen
sei. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde vom 20.05.2005 und rügt das Vorliegen eines
Verfahrensmangels. Auch weiche das Sozialgericht von einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2001
ab. Der Verfahrensmangel sei dadurch entstanden, dass das Sozialgericht es unterlassen habe, weitere Ermittlungen
zu der Frage der zivilrechtlichen Beziehungen zwischen ihr (also der Beklagten und Beschwerdeführerin) und der
Firma O. anzustellen. Das aufzuklären fordere jedoch die Rechtsprechung im Urteil des BSG vom 09.10.2001 - B 1
KR 6/01. Davon weiche das Sozialgericht ab, so dass auch deswegen die Berufung zuzulassen sei. Die Klägerin
widersetzt sich der Zulassung der Berufung.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Nach § 144 Abs.1 Nr.1 SGG bedarf eine Berufung der
Zulassung durch das Sozialgericht im Urteil, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine
Geld- oder Sachleis-tung betrifft, 500,00 EUR nicht übersteigt. Der Beschwerdewert liegt hier bei 353,80 EUR,
wodurch die Berufung nicht statthaft ist. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Das ist nicht zu
beanstanden, weil die dem Senat eingeräumte Befugnis, das sozialgerichtliche Urteil auf mögliche
Berufungszulassungsgründe zu überprüfen, nichts Gegenteiliges ergibt. Vielmehr liegt hier ein Fall mit einer
wirtschaftlichen Bedeutung vor, der mittels einer Instanz einer vernünftigen Lösung zugeführt werden soll, ohne die
zweite Instanz mit den Kosten eines solchen Rechtstreits zu belasten.
Die Beschwerde ist deswegen unbegründet, weil keine der in § 144 Abs.2 SGG abschließend aufgezählten
Möglichkeiten, die an sich ausgeschlossene Berufung gleichwohl zuzulassen, vorliegt.
Die Beklagte rügt einen formalen Verfahrensverstoß im Sinne von § 144 Abs.2 Nr.3 SGG, das Sozialgericht habe den
Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit § 103 SGG verletzt. Im Grunde rügt die Beklagte jedoch keinen
Verfahrensfehler, sondern die aus ihrer Sicht falsche Anwendung materiellen Rechts. Sie geht nämlich von einer
rechtlichen Beurteilung der Streitsache aus, die vom Sozialgericht nicht geteilt wird und es deswegen der Frage nach
den zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Beklagter und Leistungserbringerin nicht näher nachgegangen ist. Nach
der rechtlichen Einschätzung des Sozialgerichtes kommt es auf diese Frage nicht an, ebenso wenig darauf, welche
Rechtsbeziehungen zwischen Klägerin und Leistungserbringern bestehen; maßgeblich sei allein die vom Sozialgericht
nicht in Zweifel gezogene Inanspruchnahme der Klägerin durch den Leis-tungserbringer. Nach der rechtlichen
Einschätzung des Sozialgerichts sind die von der Beklagten nunmehr gestellten Fragen nicht erheblich, so dass es
von seinem Standpunkt aus nicht gehalten war, die von der Beklagten geforderte Sachverhaltsaufklärung zu
betreiben. Im Grunde rügt die Beklagte nicht einen Verfahrensfehler, sondern den materiellen Inhalt der Entscheidung,
die sie für inhaltlich falsch hält, weil sie die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und der Firma O. für
entscheidungserheblich erachtet. Etwaige Zweifel am Urteilsinhalt, mögen sie auch durchaus berechtigt sein, dürfen
bei der Frage, ob verfahrensfehlerhaft gehandelt wurde, keine Rolle spielen.
Die Beklagte erhebt weiterhin die sog. "Divergenzrüge" nach § 144 Abs.2 Nr.2 SGG. Wenn die Beklagte vorträgt, das
Sozialgericht habe ein bestimmtes Urteil des BSG vom 09.10.2001 nicht ausreichend in seine Überlegungen
miteinbezogen, wird daraus nicht deutlich, mit welchem Rechtssatz - auf dem seine Entscheidung beruht - das Urteil
des Sozialgerichts von einem Rechtssatz abweicht, den das Bundessozialgericht in dieser Entscheidung aufgestellt
hat. Die bloße Behauptung, ein erstinstanzielles Urteil würde von einem namentlich benannten Urteil des BSG in
seiner Begründung abweichen, reicht nicht aus, die Zulässigkeit der Berufung herbeizuführen. Vielmehr muss eine
echte Divergenz erkennbar sein und vorliegen, die zu beseitigen, ein Eingreifen der nächsthöheren Instanz notwendig
macht, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, zumal beide
Rechtsstreitigkeiten Unterschiede im Sachverhalt aufweisen.
Es liegt auch nicht die dritte Möglichkeit der Berufungszulassung vor, nämlich eine grundsätzliche Bedeutung des
Rechtsstreites im Sinne von § 144 Abs.2 Nr.1 SGG. Eine solche grundsätzliche Bedeutung wäre anzunehmen, wenn
der Rechtsstreit eine Frage aufwirft, die bislang nicht geklärt und deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die
Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (so Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, §
144 Rz.28 und 29; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage VIII Rz.25). Davon
kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Zwar ist bekannt, dass hinsichtlich der Versorgung von Versicherten mit
dem System VACOPED weitere Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, doch geht es im vorliegenden Fall allein darum,
ob eine Versicherte in ihrem besonderen Falle einen Anspruch hatte, mit diesem nicht zugelassenen Hilfsmittel
versorgt zu werden. Das Sozialgericht hat dabei in dem hier vorliegenden Einzelfall seine Entscheidung auf die
Tatsache der Verordnung durch einen zugelassenen Vertragsarzt gestützt und darauf abgestellt, wie im vorliegenden
Falle die Klägerin diese Verordnung aus ihrer subjektiven Sicht einschätzen durfte. Diese individuellen Gegebenheiten
ermöglichen es nicht, hier eine grundsätzliche Bedeutung zu erkennen, die schon gar nicht darauf hinauslaufen kann,
richterlich zu entscheiden, ob alle Versicherten grundsätzlich einen Anspruch auf die Versorgung mit dem VACOPED-
Schuh der Firma O. haben. Von daher ist dem Grundsatz der einstufigen Gerichtsüberprüfung bei derartigen
Bagatellstreitigkeiten den Vorrang zu geben, so dass die Entscheidung des Sozialgerichts Regensburg in Rechtskraft
erwächst gemäß § 145 Abs.4 Satz 5 SGG.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung findet nicht statt (§ 177 SGG).