Urteil des LSG Bayern vom 10.03.2006

LSG Bayern: freie mitarbeit, grobe fahrlässigkeit, private krankenversicherung, versicherungspflicht, sozialversicherung, nachforderung, betriebsstätte, dienstleistung, eingliederung, steuerberater

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 10 KR 296/04
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 138/05
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 7. April 2005 und der Bescheid
der Beklagten vom 26. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2004 dahingehend
abgeändert, dass eine Nachforderung betreffend den Zeitraum 1. Januar 1998 - 31. Dezember 2002 nicht besteht. II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. III. Die Beklagte trägt 2/3 der Kosten des Verfahrens. IV. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Beigeladene zu 1) ist Zahntechniker, der bis 31.05.1995 zwei Monate bei der Klägerin beschäftigt war. Am
01.06.1995 schlossen sie einen schriftlichen Vertrag über freie Mitarbeit, wonach Beginn, Ende und Dauer der
Tätigkeit dem Beigeladenen zu 1) überlassen bleibe, dieser der Klägerin eine Rechnung stelle und keinen
Urlaubsanspruch habe. Die freie Mitarbeit könne innerhalb einer Frist von vier Wochen beendet werden. Für
Krankenversicherung und andere soziale Abgaben habe der Beigeladene selbst zu sorgen. Nach einer Betriebsprüfung
am 17.12.2001 teilte die Beklagte der Klägerin am 27.12.2001 mit, dass die Prüfung keine Feststellungen ergeben
habe. Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) seien noch Ermittlungen
notwendig; gegebenenfalls ergehe ein weiterer Bescheid. Nach Einsichtnahme in die Finanzbuchhaltung des
Beigeladenen zu 1) schlug der zuständige Bearbeiter vor, einen Bescheid über das Nichtbestehen eines
Beschäftigungsverhältnisses zu erlassen. Dem wurde nicht Folge geleistet, vielmehr wurde der Beigeladene zu 1) um
weitere Aufklärung gebeten. Sein Steuerberater teilte am 16.05.2003 auf Anfrage mit, der Beigeladene zu 1) sei für
mehrere Auftraggeber tätig und seitens des Finanzamts werde diese Tätigkeit als Gewerbe veranlagt. Weil die
Klägerin auch einen Zahntechniker auf Angestelltenbasis beschäftige, habe der Beigeladene zu 1) je nach
Auftragslage unterschiedlich hohe monatliche Umsätze verbucht. Der ursprüngliche Plan, sich im eigenen Haus ein
Labor einzurichten, habe sich aus finanziellen Gründen zerschlagen. Die Dienstleistung werde im Normalfall in den
Betriebsstätten der Auftraggeber durchgeführt, die sich auch um die Rohstoffbeschaffung kümmerten. Die
Notwendigkeit für die Ablegung einer Meisterprüfung bestehe nicht, da es sich hier um einen Dienstleistungsbetrieb
handele. Das Unternehmerrisiko liege in der Abhängigkeit vom Nachfrageaufkommen und in den Investitionen für die
Anschaffung eines Kraftfahrzeugs und einer Büroeinrichtung. Seit März 2001 beschäftige er Arbeitnehmer auf
Geringfügigkeitsbasis. Mit Schreiben vom 04.07.2003 unterrichtete die Beklagte die Klägerin, dass beabsichtigt sei,
wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) vom 01.01.1998 bis 31.12.2002 Beiträge
nachzufordern. Im strittigen Zeitraum habe der Beigeladene zu 1) ausschließlich die Laboreinrichtung der Klägerin
genutzt und ab 1/99 lediglich einen weiteren Auftraggeber gehabt. Er habe keinerlei Unternehmerrisiko getragen und
sei nicht in die Handwerksrolle eingetragen gewesen. Die Beiträge zur Sozialversicherung seien grob fahrlässig
vorenthalten worden, da derartige Tätigkeiten üblicherweise von Beschäftigten ausgeführt würden, der Beigeladene zu
1) früher tatsächlich für die Klägerin abhängig beschäftigt gewesen sei und kein Unterschied der Tätigkeit des freien
Mitarbeiters zu der des angestellten Zahntechnikers vorliege. Schießlich sei der Beigeladene zu 1) nicht in der
Handwerksrolle eingetragen gewesen und die Klägerin habe sich nicht um eine sozialversicherungsrechtliche Klärung
bemüht. Nachdem keine Stellungnahme der Klägerin eingegangen war, erließ die Beklagte am 26.01.2004 den
angekündigten Beitragsnachforderungsbescheid und bezifferte die Nachforderung auf 64.928,50 EUR. Den
Widerspruch wies sie am 13.07.2004 zurück.
Gegen diesen am 19.07.2004 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 18.08.2004 Klage erhoben und
diese u.a. wie folgt begründet: Die Vermutungsregelung des § 7 Abs.4 Satz 1 SGB IV für das Bestehen einer
abhängigen Beschäftigung könne frühestens für Zeiträume ab dem 01.01.1999 angewandt werden. Der Bescheid
berücksichtige nicht, dass der Beigeladene zu 1) eine Dienstleistung erbringe und steuerlich als Selbständiger
behandelt werde. Seit 1998 arbeite der Beigeladene zu 1) für mehrere Zahnärzte und setze hierfür Kfz und einen
Computer ein. Weil die Tätigkeit als Zahntechniker sowohl selbständig als auch abhängig ausgeübt werden könne,
habe für die Klägerin keinerlei Veranlassung bestanden, sich um eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung durch
einen Sozialversicherungsträger zu bemühen. Schließlich habe der Betriebsprüfer gegenüber dem Steuerberater des
Beigeladenen zu 1) bei dessen Kontrolle am 06.08.2002 bestätigt, dass dieser als selbständig anzuerkennen sei. Das
Sozialgericht Regensburg hat die Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides am
Sozialgericht Regensburg hat die Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides am
07.04.2005 abgewiesen. Die voreiligen mündlichen Bekundungen des Betriebsprüfers der Beklagten seien ohne
Belang und mehrere Arbeitgeber kein Indiz einer selbständigen Tätigkeit. Gegen dieses am 27.04.2005 zugestellte
Urteil hat die Klägerin am 20.05.2005 Berufung eingelegt. Das Urteil berücksichtige nicht die tatsächlichen
Unterschiede zwischen der selbständigen Tätigkeit eines Zahntechnikers und eines abhängig beschäftigten
Arbeitnehmers. Angestellte hätten eine feste Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche, ein fixes Gehalt,
Urlaubsansprüche und zugewiesene Arbeiten. Der Beigeladene zu 1) hingegen habe keine feste Arbeitszeit gehabt,
habe Rechnungen gestellt, freie Wahl hinsichtlich der auszuführenden Arbeiten gehabt und nur schwierigste Arbeiten
verrichtet. Ab 1999/2000 habe sich sein Gesamtumsatz zu einem Drittel aus Arbeiten für andere Auftraggeber
zusammengesetzt. 2001 und 2002 habe der Gesamtumsatz bei anderen Auftraggebern bereits bei der Hälfte gelegen.
Entgegen der Angabe des Steuerberaters habe er auch die Haftung für Schlechtleistung getragen. Der Beigeladene zu
1) habe eine Lebensversicherung auf Rentenbasis abgeschlossen und sich um private Kranken- und
Pflegeversicherung bemüht. Für eine selbständige Tätigkeit sprächen schließlich das erhebliche Umsatzrisiko und die
Chance auf Fremdaufträge, das fehlende Direktionsrecht der Klägerin, die fehlende Eingliederung und die
Beschäftigung von Hilfskräften. Im Erörterungstermin am 19.01.2006 sind Dr. E. F. von Seiten der Klägerin und der
Beigeladene zu 1) persönlich gehört worden. Insoweit wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen. Unter
anderem hat der Beigeladene zu 1) erklärt, er sei mit dem Beginn der Beitragspflicht erst ab Bescheiderlass ab 2004
einverstanden. Er habe auf Anraten seines Steuerberaters eine private Krankenversicherung abgeschlossen und
anstelle einer Rentenversicherung eine Lebensversicherung mit einer monatlichen Prämienverpflichtung von 550,00
EUR. Die Beteiligten haben erklärt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind.
Die Klägerin beantragt:
1. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 07.04.2005 wird aufgehoben. 2. Der Bescheid der Beklagten vom
26.01.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 werden aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 07.04.2005 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Regensburg sowie
der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und erweist sich weitgehend als
begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 07.04.2005 ist ebenso abzuändern wie der Bescheid der
Beklagten vom 26.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004, soweit darin eine
Nachforderung in Höhe von 64.928,50 EUR erhoben wird. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass der
Beigeladene zu 1) zur Klägerin in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht. Die
Versicherungspflicht tritt jedoch erst mit Erlass des Bescheides am 26.01.2004 ein. Weder Klägerin noch
Beigeladener zu 1) sind vorsätzlich oder grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen, so dass
Beitragsrückstände nicht geltend zu machen sind. Im Rahmen der Betriebsprüfung gemäß § 28p Sozialgesetzbuch
(SGB) IV erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in
der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der
Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs.1 Satz 5 SGB IV). Die Versicherungspflicht in den
genannten Bereichen der Sozialversicherung knüpft an die "entgeltliche Beschäftigung" an (§ 5 Abs.1 Ziffer 1 SGB V,
§ 20 Abs.1 Ziffer 1 SGB XI, § 1 Abs.1 SGB VI, § 25 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer
abhängigen Beschäftigung im strittigen Zeitraum ist § 7 Abs.1 SGB IV in seiner bis zum 31.12.1998 geltenden
Fassung, aber auch in der ab 01.01.1999 gültigen Fassung. Nach Maßgabe des Gesetzes vom 20.12.1999 (BGBl.
2000 I 2) ist § 7 Abs.1 folgender Satz 2 hinzugefügt worden: "Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit
nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers." Beschäftigung ist die
nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV). Nichtselbständigkeit ist
das rechtlich entscheidende Merkmal, das die Arbeit zur Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung macht. Nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer
vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der
Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden
Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das
eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eigener Betriebsmittel, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit
gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale
überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil vom 19.08.2003, Az.: B 2 U 38/02
R m.w.N., BSG NJW 1994, 2974).
Die Beklagte hat in ihren angegriffenen Bescheiden zutreffend dargestellt, dass die Merkmale des abhängigen
Beschäftigungsverhältnisses überwiegen. Zwar sprechen durchaus gewichtige Umstände für eine selbständige
Tätigkeit. Zu nennen ist in erster Linie das Recht des Beigeladenen zu 1), seine Anwesenheit im Labor der Klägerin
frei zu gestalten. Wörtlich heißt es in § 3 des Vertrags über freie Mitarbeit, "Beginn, Ende und Dauer der Tätigkeit
bleiben dem Beigeladenen zu 1) überlassen". Dem Beigeladenen zu 1) lag viel daran, mehr als die üblichen 40
Stunden pro Woche zu arbeiten. Das Ausmaß dieser Mehrarbeit bestimmte er selbst. Im Unterschied zu der
zweimonatigen Beschäftigung vor Abschluss des freien Mitarbeitervertrags hatte der Beigeladene zu 1) also keine
feste Arbeitszeit. Ein weiterer Unterschied im Vergleich zu der bis 01.06.1995 ausgeübten zweifellos abhängigen
Beschäftigung war, dass der Beigeladene zu 1) kein festes Gehalt, sondern eine umsatzorientierte Vergütung erhielt.
Die Beteiligten vereinbarten einen Beteiligungsprozentsatz. Damit trug der Beigeladene zu 1) aber ein
Unternehmerrisiko, das von der Beklagten bislang zu Unrecht verneint wird. Anders als ein abhängig Beschäftigter hat
der Beigeladene zu 1) beim Ausbleiben von Patienten keinen bzw. weniger Entgelt erzielt, was ihn auch dazu
veranlasste, sich weitere Auftraggeber zu suchen und so sein Einkommen zu steigern. Schließlich musste er auch
Mängel ohne zusätzliche Vergütung beseitigen und wurde steuerlich wie ein Selbständiger behandelt. Trotz dieser
maßgeblichen Gesichtspunkte überwiegen dennoch die Aspekte, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen. An
erster Stelle ist der Umstand zu nennen, dass der Beigeladene zu 1) keine eigene Betriebsstätte unterhalten hat. Das
Fehlen einer eigenen Betriebsstätte ist ein wesentliches Indiz für die Eingliederung in einen Betrieb (Urteil des
Bundessozialgerichts vom 08.03.1979 in Die Beiträge 1979, S.207 ff.). Die von der Klägerin und dem weiteren
Auftraggeber Dr.S. erteilten Aufträge wurden in den Geschäftsräumen der Klägerin erledigt. Auch das für die
Erstellung der Gewerke erforderliche Material wurde von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt. Die laufenden
Kosten des Praxislabors fielen ausschließlich der Klägerin zur Last. Der Beigeladene zu 1) war weder zur Zahlung von
Miete noch ähnlichen Unkosten für das Praxislabor verpflichtet.
Er war jedoch nicht nur entsprechend der sachlichen Erfordernisse des Betriebsablaufs räumlich an die Praxis der
Klägerin gebunden und auf die Zusammenarbeit mit anderen abhängig Beschäftigten der Klägerin angewiesen. Hinzu
kommt, dass es sich bei der Art der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) typischerweise um eine unselbständige
Dienstleistung handelt, die typischerweise nicht von "Freiberuflern" ausgeübt wird. Zu letzteren zählen Berufe wie
Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten und Handwerker erst dann, wenn sie über einen eigenen Betrieb verfügen. Über
einen solchen verfügte der Beigeladene zu 1) im strittigen Zeitraum zweifellos nicht. Zudem ist zur selbständigen
Ausübung eines Handwerks nach den Bestimmungen des § 1 Handwerksordnung die Eintragung in die Handwerksrolle
erforderlich. Auch dies hat der Beigeladene zu 1) unterlassen. Die übrigen vom Klägerbevollmächtigten genannten
Umstände spielen bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung vom freien Dienstvertrag keine Rolle. So hat die
steuerliche Behandlung der Finanzbehörden keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die
sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber ist nicht immer kennzeichnend für
eine selbständige Tätigkeit, weil es sich auch um abhängige Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen einer
Mehrfachbeschäftigung handeln kann. Dass der Beigeladene zu 1) weder Anspruch auf Urlaub noch auf
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hatte, ist kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit, sondern Folge der Auffassung
der Vertragsparteien. Dieser Wille der Parteien ist aber lediglich im Zweifelsfall entscheidungserheblich. Schließlich
hat die Beklagte auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Anschaffung eines Kfz sowie eines Computers kein
nennenswertes Kapitalrisiko darstellt. Wie jeder andere Arbeitnehmer setzt der Beigeladene zu 1) ausschließlich seine
Arbeitskraft ein, trägt jedoch kein so erhebliches Unternehmerrisiko, wie dies ein selbständiger Handwerksmeister tut.
Schließlich hat der Beigeladene zu 1) im strittigen Zeitraum auch keine Arbeitnehmer über der Geringfügigkeitsgrenze
beschäftigt. Obwohl der Beigeladene zu 1) zur Klägerin ab 01.06.1995 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis
stand, tritt die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe des Bescheids vom 26.01.2004 ein. Dies
ergibt sich aus § 7b SGB IV, wonach von Beitragsrückständen abzusehen ist, wenn der Beschäftigte zustimmt, für
den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle
Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht und er oder sein Arbeitgeber weder
vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen ist (§ 7b SGB IV). Der Beigeladene
zu 1) hat im Erörterungstermin dargelegt, wie er sich gegen das Risiko der Krankheit und des Alters abgesichert hat
und dass er mit dem Beginn der Versicherungspflicht erst ab 2004 einverstanden ist. Weder er noch die Klägerin sind
vorsätzlich oder grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn
die Beteiligten die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt haben (siehe § 45 Abs.2 Ziffer 3 2.
Halbsatz SGB X), wenn also außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten
müssen. Unter Berücksichtigung der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit müssen die Sorgfaltspflichten in
einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigendem Ausmaß verletzt worden sein (Hauck, SGB
IV, § 7b Rz.14). Der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) kann vorliegend nicht vorgehalten werden, sie hätten
einfachste, jedem einleuchtende Überlegungen nicht angestellt.
Die Beklagte stützt den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit darauf, dass der Beigeladene zu 1) unmittelbar vor Beginn
der freien Mitarbeit zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und sich nach dem
Abschluss des Vertrags keine Änderung der Verhältnisse ergeben habe. Tatsächlich haben sich solche
Veränderungen aber ergeben. Wie bereits oben dargestellt, war der Beigeladene zu 1) im Gegensatz zu seiner
vorherigen Beschäftigung an keine feste Arbeitszeit gebunden, er erhielt keinen fixen Arbeitslohn, sondern eine
umsatzabhängige Entlohnung, war vom Auftragsvolumen abhängig und von Anfang an bestrebt, für mehrere
Auftraggeber tätig zu sein. Zudem wurde er steuerlich als Selbständiger behandelt. Zweifellos kann der Klägerin
vorgehalten werden, sie hätte ab 01.01.1999, mit Einführung des Statusfeststellungsverfahrens eine Klärung der
sozialversicherungsrechtlichen Stellung des Beigeladenen zu 1) herbeiführen können. Zweifel waren insbesondere
angebracht, weil den Beteiligten klar sein musste, dass die selbständige Ausübung des Zahntechnikerhandwerks
ohne Meisterbrief und Eintragung in die Handwerksrolle verbotswidrig ist. Ab 1999 löste sich der Beigeladene zu 1)
aber zunehmend von der alleinigen Verpflichtung gegenüber der Klägerin und realisierte die ursprüngliche Intention, für
mehrere Auftraggeber tätig zu sein. Der Beigeladene zu 1) unterschied sich also in vielerlei Hinsicht von abhängig
beschäftigten Zahntechnikern im Labor der Klägerin. Grobe Fahrlässigkeit kann daher nicht angenommen werden,
zumal es sich bei dem Statusanfrageverfahren um keine Pflicht des Arbeitgebers handelt. Hinzu kommt, dass die
Beklagte selbst nicht sicher war, wie die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) einzuordnen ist. Wenn aber Betriebsprüfer
der Beklagten, besonders versierte Kenner der Materie, selbst nach Einsichtnahme in die relevanten Unterlagen von
einer selbständigen Tätigkeit ausgehen, kann Laien, die sich auf ihre Steuerberater verlassen, kein Schuldvorwurf
gemacht werden. Schließlich ist im maßgeblichen Prüfungszeitraum mit der mehrmaligen Änderung des einschlägigen
§ 7 SGB IV und der Übernahme der neuen Aufgabe des § 7a SGB IV durch die Beklagte eine große Verunsicherung
über die zutreffende sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Beschäftigungsverhältnissen entstanden, die
gerade nicht zu Lasten der Arbeitsvertragsparteien gehen soll, wie § 7b SGB IV zum Ausdruck bringt.
Aus diesen Gründen war die Berufung teilweise erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.