Urteil des LSG Bayern vom 02.02.2010

LSG Bayern: rechtliches gehör, vergleich, regress, stillschweigend, einverständnis, sanktion, strafprozessordnung, zivilprozessordnung, unverzüglich, vertreter

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 02.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 39 KA 12/09, 13/09
Bayerisches Landessozialgericht L 2 KA 25/09 B
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. März 2009 aufgehoben. II. Dem
Beschwerdeführer sind die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens aus der Staatskasse zu erstatten.
III. Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.
Gründe:
I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ihm auferlegtes Ordnungsgeld und gegen Kosten. Im Ausgangsverfahren
vor dem Sozialgericht München begehrte der Beschwerdeführer Honorarkürzungen verschiedener
Quartalsabrechnungen aufzuheben. Im Verfahren S 39 KA 12/09 rügte er den Regress für die Abrechnung des 3.
Quartals 2005, im Verfahren S 39 KA 13/09 des 4. Quartals 2005 und im Verfahren S 39 KA 14/09 des 1. Quartals
2006. Am 14.01.2009 verfügte das Sozialgericht die Ladung der Beteiligten zum Erörterungstermin am 12.02.2009. Es
ordnete hierzu das persönliche Erscheinen des anwaltschaftlich vertretenen Beschwerdeführers an. Die Ladung, in der
die Aktenzeichen S 39 KA 12/09 bis S 39 KA 15/09 aufgeführt waren, wurde dem Beschwerdeführer mit
Postzustellungsurkunde, die sich nicht in den Akten befindet, zugestellt. In der Ladung wurde darauf hingewiesen, der
Beschwerdeführer habe auch dann zu erscheinen, wenn er einen Bevollmächtigten entsende. Das Auftreten eines
Prozessbevollmächtigten könne untersagt werden, solange der Beschwerdeführer unbegründet ausbleibe und dadurch
der Zweck der Anordnung vereitelt werde. Im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens, könne ihm Ordnungsgeld
auferlegt werden. Im Termin zur Erörterung am 12.02.2009 erschien der Beschwerdeführer nicht, jedoch sein
Prozessbevollmächtigter. In einem zu den Verfahren S 39 KA 12/09 bis S 39 KA 15/09, S 39 KA 938/08, S 39 KA
944/08 und S 39 KA 945/08 gemeinsam geführten Protokoll vom 12.02.2009 ist ein von den Beteiligten geschlossener
Vergleich festgehalten. Darin wird der Regress in allen streitigen Quartalen um 50 % reduziert; dem Beschwerdeführer
wurde eine einwöchige Widerrufsfrist eingeräumt. Am 19.02.2009 widerrief der Bevollmächtigte des
Beschwerdeführers den Vergleich; er bat um Äußerungsfrist bis 13.03.2009. Am 16.03.2009 legte das Sozialgericht
dem Beschwerdeführer Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 EUR und Kosten des versäumten Termins von 100,00 EUR
auf. Im Beschluss waren die Aktenzeichen S 39 KA 12/09, S 39 KA 13/09 und S 39 KA 14/09 aufgeführt. Den
Beschluss begründete das Sozialgericht damit, dass der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung dem
Termin unentschuldigt ferngeblieben sei. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit
Empfangsbekenntnis vom 24.03.2009 zugestellt. Dagegen wurde mit beim Sozialgericht am 23.04.2009
eingegangenen Fax Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdeführer sei nicht unentschuldigt dem Termin ferngeblieben.
Er sei am Morgen des Verhandlungstages von seiner Ehefrau tätlich angegriffen worden. Dabei habe er sich eine 2
cm lange Kratzwunde am rechten Außenknöchel zugezogen. Er habe einen Arzt aufgesucht, wie das anliegende
Attest bestätige. Darüber hinaus habe ihn der Vorfall psychisch belastet. Der Beschwerdeführer beantragt, den
Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts München vom 16.03.2009 aufzuheben. Im Übrigen wird zur Ergänzung
des Sachverhalts gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug
genommen. II. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§ 172 Abs. 1, 173 SGG) und begründet. Der
Ordnungsgeldbeschluss vom 16.03.2009 war aufzuheben. Die Beschwerde ist fristgerecht eingelegt worden gemäß §
173 SGG. Dies gilt allein schon deswegen, weil der Ordnungsgeldbeschluss dem säumigen Beteiligten zuzustellen ist
und hier nur an den Prozessbevollmächtigten zugestellt wurde. Dies setzt die Beschwerdefrist nicht in Lauf (LAG
Nürnberg Beschluss vom 10.07.2008 2 Ta 115/08). Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beschluss vom
16.03.2009 leidet an verschiedenen Mängeln. Der Senat geht davon aus, dass der Beschwerdeführer die Ladung
erhalten hat, obwohl dies der Akte nicht zu entnehmen ist. Die Verhängung von Ordnungsgeld kann in
Ausnahmefällen auch - wie hier - im Bürowege, d. h. außerhalb der mündlichen Verhandlung erfolgen. Eine solche
Verfahrensweise kann z. B. dann geboten sein, wenn dem säumigen Beteiligten zuvor rechtliches Gehör gewährt
werden soll. Jedoch ist auch dann der Sinn und Zweck der Vorschrift zu beachten. Die Anordnung des persönlichen
Erscheinens des Klägers ist nur dann geboten, wenn dies zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts notwendig ist und
die Partei keinen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Sachverhalts in der Lage und zur Abgabe der gebotenen
Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist (§§ 111, 202 SGG i.V.m. § 141 Abs. 3
Zivilprozessordnung - ZPO). Aus der Niederschrift, die erkennen lässt, dass sämtliche die Regressforderungen der
Abrechnungsquartale 3/05 bis 1/07 betreffenden Streitsachen offenbar stillschweigend verbunden waren, lässt sich
nicht ersehen, ob und inwieweit es erforderlich war, den Sachverhalt durch Erklärungen des Beschwerdeführers weiter
aufzuklären. Ebenso wenig lässt sich erkennen, dass der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers nur berechtigt
gewesen wäre, einen widerruflichen Vergleich abzuschließen. In der Regel hat die Verhängung von Ordnungsgeld zu
unterbleiben, wenn eine das Verfahren abschließende Entscheidung trotz Ausbleibens des Klägers ergehen kann
(Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 111 Rdn. 6 a und Baumbach-Lauterbach, ZPO, 64. Aufl., § 141
Rdn. 50). Dem Protokoll ist lediglich zu entnehmen, dass das Verfahren durch einen Vergleich, wenn auch durch
einen widerruflichen geregelt worden war. Allenfalls die dem Beschwerdeführer eingeräumte Widerrufsfrist gibt Anlass
zur Vermutung, der Vergleich sei vom Einverständnis des Beschwerdeführers abhängig gewesen. Anhaltspunkte, die
diese Vermutung zu einer konkreten Annahme verdichten würden, lassen sich nicht finden. Naheliegend wäre es
gewesen, von einem widerruflichen Vergleich Abstand zu nehmen und unverzüglich Ordnungsgeld gegen den
Beschwerdeführer zu verhängen, wenn dessen Anwesenheit notwendig gewesen wäre. Von dieser Möglichkeit hat das
Sozialgericht keinen Gebrauch gemacht. Seine Verfahrensweise deutet auf eine nachträgliche Sanktion außerhalb der
mündlichen Verhandlung hin, weil der Vergleich widerrufen worden war. Sie lässt aber nicht erkennen, weswegen das
Erscheinen des Beschwerdeführers im Termin zur Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre. Der Senat sieht
insoweit die Voraussetzungen für die Festsetzung von Ordnungsgeld gemäß § 111 SGG i.V.m. § 143 Abs. 3 Satz 2
ZPO nicht für erfüllt an. Der Ausspruch, dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von 100,00 EUR wegen des
versäumten Termins aufzuerlegen, war schon deshalb aufzuheben, weil § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur Ordnungsgeld
nennt, so dass die Auferlegung von Kosten wegen des versäumten Termins anders als beim säumigen Zeugen
unzulässig ist (Thomas-Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 141 Rdn. 5). Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG, der
hier Anwendung findet, weil der Beschwerdeführer nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG
gehört. Da die Beschwerde zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt, hat die Staatskasse
dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten, sofern welche angefallen sind, zu erstatten. Der Senat folgt
damit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Beschluss vom 01.07.2003 - L 13 Kn
2951/02 B sowie der Auffassung des Bundesfinanzhofes (BFH/NV 1994, 733 ff.). Danach sind in entsprechender
Anwendung des § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung und § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz der Staatskasse die
notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers für die Durchführung einer erfolgreichen Beschwerde aufzuerlegen.
Von der Erhebung von Gerichtskosten war gemäß § 21 Gerichtskostengesetz abzusehen. Dieser Beschluss ist
unanfechtbar (§ 177 SGG).