Urteil des LSG Bayern vom 10.08.2006

LSG Bayern: anschrift, offenlegung, postlagernd, identifizierung, rechtsschutz, adoptionsverfahren, schriftstück, öffentlich, sperre, haft

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 10.08.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 52 AS 1078/05 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 251/06 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Februar 2006 wird als
unzulässig verworfen. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen Beteiligten, ob dem Beschwerdeführer (Bf) ein Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetz-buch (SGB) II zusteht.
Der Bf beantragte am 29.12.2005 beim Sozialgericht München (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem
Ziel, die Be-schwerdegegnerin (Bg) zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Er sei am
23.12.2005 aus der Untersuchungs-haft entlassen worden und wohne im Moment in einer Notunter-kunft, die ihm am
27.12.2005 von der Abteilung zentrale Woh-nungslosenhilfe des Amts für Wohnen und Migration der Landes-
hauptstadt M. zugewiesen worden sei. Geldleistungen habe er nicht erhalten. Beim Sozialamt sei ihm ein Termin am
02.01. 2006 gegeben worden. Bei der Bahnhofsmission werde ihm nichts ausbezahlt, weil er dort eine "Sperre" habe.
Da er im Moment völlig mittellos sei, benötige er dringend eine vorläufige Zahlung.
Die Bg trug vor, der Bf habe zwar am 27.12.2005 in der städtischen Notunterkunft M.-Strasse vorgesprochen, er sei
jedoch nicht geblieben. Zum Vorsprachetermin am 02.01.2006 sei er nicht erschienen, sondern erst am 18.01.2006.
Nachweise über seine Bedürftigkeit habe er nicht vorgelegt. Es werde angenommen, dass er sich, wie bereits in der
Vergangenheit, nicht mehr im Raum M. dauerhaft aufhalte.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 16.02.2006 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dieser sei
unzulässig. Mit Rücksicht darauf, dass der Bf in seiner Korrespondenz mit den Gerichten und
Sozialleistungsbehörden seit vielen Jahren bewusst keine Wohnanschrift nenne (vgl. Beschlüsse des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 12.12.1999, 12 B 97.863; vom 23.07. 2001, 12 ZS 01.1670 und vom 17.06.2004, 12 CE
04.919), fehle es bereits an einem formal-ordnungsgemäßen prozessualen Begehren (Bundessozialgericht - BSG -,
Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S = SozR 4-1500 § 90 Nr. 1).
Darüber hinaus wäre der Antrag auch unbegründet, weil der Bf durch sein Verhalten (Nichtinanspruchnahme der
Notunterkunft, Nichtwahrnehmen des Vorsprachetermins am 02.01.2006) gezeigt habe, dass die Angelegenheit
tatsächlich nicht eilbedürftig sei. Auch ein Leistungsanspruch des Bf sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es sei
Aufgabe des Bf, der Bg die Umstände, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
begründen könnten, zur Kenntnis zu geben und auf geeignete Weise zu belegen. Der Bf habe die mit Schreiben des
Amts für Wohnen und Migration der Landeshauptstadt M. vom 11.01.2005 geforderte Mitwirkung nicht einmal
ansatzweise erbracht. Zudem habe er nur das Deckblatt des Formblattantrags auf Arbeitslosengeld II ausgefüllt; die
im Formblatt und den zugehörigen Zusatzblättern verlangten Angaben seien notwendig, um feststellen zu können, ob
jemand Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe.
Der Bf hat gegen den öffentlich zugestellten Beschluss (Aushang beim SG am 21.02.2006) mit einem am 10.04.2006
beim Gericht eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom
25.04.2006). Als Anschrift gab der Bf wiederum "postlagernd, M." an. Eine Begründung der Beschwerde erfolgte nicht.
Die Beschwerdeführer stellt sinngemäß den Antrag, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Februar
2006 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II zu zahlen.
Die Bg hat sich bisher nicht geäußert.
II.
Die eingelegte Beschwerde ist unzulässig, weil - unabhängig von der Frage, ob die Beschwerde fristgerecht eingelegt
wurde - der Bf - wie bereits beim SG - keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat. Das BSG hat in dem bereits vom
SG zitierten Beschluss ausgeführt, dass der Schutz des Rechtsuchenden die Offenlegung der Anschrift zu seiner
einwandfreien Identifizierung erfordert. So müsse im gerichtlichen Verfahren feststehen, dass es sich bei einem zur
Erlangung von Rechtsschutz eingereichten Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handele, sondern dass es dem
Spruchkörper mit Wissen und Willen eines identifizierbaren Berechtigten zur Entscheidungsfindung im konkreten Fall
zugeleitet worden sei. Schon um den Anforderungen des Sozialdatenschutzes entsprechen zu können, seien
handhabbare und sichere Kommunikationswege mit einer zustellungsfähigen Anschrift des Betroffenen unverzichtbar.
Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, könnten nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt
werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar sei (z.B. bei einem
besonderen schützenswerten Geheimhaltungsinteresse in einem Adoptionsverfahren, unter Hinweis auf BGHZ 102,
332, 336). Solche Umstände hat der Bf hier weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Im Übrigen wird gemäß
§ 142 Abs. 2 SGG ergänzend auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Mangels hinreichender Erfolgsaussichten war der Antrag des Bf, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen
Rechtsanwalt beizuordnen, abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit einem weiteren Rechtsmittel anfechtbar.