Urteil des LSG Bayern vom 12.07.2000

LSG Bayern: schwerhörigkeit, tinnitus, berufskrankheit, wesentlicher punkt, minderung, erwerbsfähigkeit, merkblatt, beendigung, befund, wahrscheinlichkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.07.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 13 U 88/97
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 402/98
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 3. September 1998 und die Bescheide der Beklagten vom
8. Mai, 26. Juni und 10. Oktober 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1997 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, ihren Bescheid vom 25. August 1994 aufzuheben und dem Kläger wegen der Folgen der
Lärmschwerhörigkeit Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente ab 19. November 1992 zu zahlen. II. Die
Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger war bis August 1994 insgesamt etwa 35 Jahre als Steinhauer tätig und hat sich dabei eine
Innenohrschwerhörigkeit beiderseits zugezogen. Die Parteien streiten darüber, ob die dadurch bedingte Minderung der
Erwerbsfähigkeit so hoch ist, dass sie durch Verletztenrente entschädigt werden muss.
Der praktische Arzt und Betriebsarzt Dr ..., Neureichenau, zeigte der Beklagten am 22.09.1989 einen beruflich
bedingten Lärmschaden als Berufskrankheit an. Der Kläger habe eine Hörminderung seit ca. drei Jahren angegeben.
Beigefügt war ein Tonaudiogramm vom 01.07.1989. In einem weiteren Bericht legte Dr ... ein weiteres Tonaudiogramm
vom 30.07.1988 vor. Die Beklagte holte ein Gutachten von dem HNO-Arzt Dr ..., Deggendorf, vom 26.09.1990 ein.
Dort gab der Kläger an, er habe seine Schwerhörigkeit nicht bemerkt, sie sei bei einer Vorsorgeuntersuchung 1987
aufgefallen. Nach Ausführung des Sachverständigen wurde ein Tinnitus nicht geklagt. Er sah die von ihm gefundene
beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit als beruflich bedingt an und bewertete die MdE mit 10 v.H. Dem schloss sich
der Staatliche Gewerbearzt an.
Mit Bescheid vom 26.11.1990 stellte die Beklagte fest, dass beim Kläger eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit
bestehe, nicht aber eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit und deshalb kein Anspruch auf Rente.
Seinen anschließenden Widerspruch nahm der Kläger zurück.
Auf Anforderung der Beklagten berichtete der HNO-Arzt Dr ... jun. nach Untersuchung des Klägers am 19.11.1992, es
sei eine leichte Verschlechterung eingetreten. Die Schwerhörigkeit sei jetzt als geringgradig, entsprechend einer MdE
um 15 v.H. einzuschätzen. Beigefügt waren Ton- und Sprachaudiogramme. Ebenfalls auf Anforderung der Beklagten
übersandte Dr ... ein von ihm gefertigtes Tonaudiogramm vom 09.10.1993 und vermerkte, es sei eine weitere
Verschlechterung eingetreten. Am 23.03.1994 fragte der Kläger wegen einer Verletztenrente an und übersandte eine
ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe durch den behandelnden Arzt Dr ... , Freyung, mit Audiogrammen vom
28.02.1994. Der von der Beklagten als Gutachter beauftragte HNO-Arzt Dr ..., Höchberg, teilte am 30.03.1994 mit,
das Tonaudiogramm vom 09.10.1993 zeige ein wesentlich schlechteres Hörvermögen als im Gutachten vom
20.09.1990, so dass eine Nachuntersuchung erforderlich sei. Im Auftrag der Beklagten erstattete der HNO-Arzt
Prof.Dr ... , Straubing, am 30.05. 1994 ein Gutachten. Darin ist u.a. ausgeführt, die tonaudiometrische Untersuchung
vom 26.05.1994 zeige eine beidseits nahezu symmetrische mittelgradige basocochleär betonte
Innenohrschwerhörigkeit. Eine Schallleitungskomponente sei nicht nachweisbar. Die Bewertung der
sprachaudiometrischen Untersuchung ergebe unter Berücksichtigung eines Hörverlustes für Zahlwörter rechts von 30
db bzw. links 25 db und eines Gesamtwortverstehens von 180 rechts bzw. 200 links einen rechtsseitigen Hörverlust
von 30 % bzw. 20 % links, entsprechend einer MdE von 15 %.
Mit Bescheid vom 25.08.1994 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Verletztenrente ab.
Am 30.06.1995 ging der Beklagten wiederum eine Hörgeräteverordnung des Dr ... mit Tonaudiogrammen zu. Die
Hörgeräteleistung sei nicht mehr ausreichend, es bestehe eine mittelgradige Schwerhörigkeit beidseits.
Am 12.04.1996 beantragte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente. Der Arbeitgeber teilte auf Anfrage der
Beklagten mit, das Arbeitsverhältnis sei zum 09.08.1994 krankheitshalber beendet worden, der Kläger sei nunmehr
arbeitslos.
Mit Schreiben vom 08.05.1996 führte die Beklagte aus, dass nach dem Gutachten des Prof.Dr ... eine
entschädigungspflichtige Berufskrankheit nicht vorliege. Der Kläger sei nur noch bis 08.08.1994 lärmgefährdend tätig
gewesen, wobei er in diesem Zeitraum Gehörschutz getragen habe. In einem so kurzen Zeitraum sei eine wesentliche
Änderung nicht anzunehmen. Nach dem Ausscheiden aus der Firma sei eine berufsbedingte Verschlechterung nicht
mehr möglich. Am 30.05.1996 beantragte der Kläger erneut Rente. Die Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom
26.06.1996 mit, es verbleibe bei ihrem Bescheid vom 25.08.1994. Auf den Widerspruch des Klägers holte die
Beklagte ein Gutachten von Dr ... vom 26.09.1996 ein. Dort gab der Kläger an, seit etwa 1993 habe er ein ständiges
Sausen bis Pfeiffen auf beiden Ohren. Der Sachverständige führte zusammenfassend aus, gegenüber 1994 sei keine
weitere Verschlechterung eingetreten. Es handele sich unverändert um eine geringgradige Schwerhörigkeit beidseits,
wobei zusätzlich subjektive Ohrgeräusche bestünden. Die Entstehung der Ohrgeräusche sei aufgrund der nur mehr
geringen Lärmexposition doch wahrscheinlich die Folge einer gestörten Durchblutung. Die MdE betrage weiter 15 v.H.
Als von den berufsbedingten Hörverlusten unabhängige Erkrankung bestehe der Verdacht auf durchblutungsbedingte
Innenohrstörung mit subjektiven Ohrgeräuschen.
Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 10.10.1996 mit, dass eine entschädigungspflichtige
Berufskrankheit weiterhin nicht vorliege. Erst nachdem der Kläger auf seinem Widerspruch beharrte, wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.1997 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem HNO-Arzt Prof.Dr ... , Krankenhaus
München-Schwabing, vom 05.01.1998 eingeholt. Danach hat der Kläger angegeben, seit 1994 habe er ständige
Ohrgeräusche beidseits, die ihn mäßig belästigten. Der Sachverständige führt aus, das jetzt erstellte Gutachten zeige
eine Zunahme der Hörstörung von 1990 bis 1994. Das Audiogramm vom 26.05.1994 zeige annähernd den gleichen
ton- und sprachaudiometrischen Befund wie heute. Die Hörverschlechterung von 1990 bis 1994 sei durchaus damit zu
erklären, dass der Kläger - wie er mitteile - den Kapselgehörschutz nur unregelmäßig verwendet habe und die
Gehörgangsstöpsel nicht ausreichend gewesen seien. Eine Erklärung für die sprachaudiometrischen Messergebnisse
vom 24.09.1996, die unverhältnismäßig gut seien im Vergleich zu den deutlich schlechteren tonaudiometrischen
Befunden, finde sich heute nicht, zumal die tonaudiometrische Prüfung vom 24.09.1996 mit den heutigen
Messergebnissen und den Ergebnissen vom 26.05.1994 weitgehend übereinstimmten. Nach Aktenlage, Anamnese
und Befunden seien die Voraussetzungen für die Entstehung einer chronisch-akustischen Schädigung der
Lärmschwerhörigkeit gegeben: Es habe eine ausreichende Lärmexposition von 39 Jahren bei persönlichen
Beurteilungspegeln von 98 bis 100 db bestanden. Die Schwerhörigkeit, verbunden mit dem Tinnitus, habe sich
während der Lärmarbeit entwickelt. Es handele sich um eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit, eine
Mittelohrkomponente habe bei allen Untersuchungen ausgeschlossen werden können. Es habe ein positives
Rekruitment nachgewiesen werden können, d.h. die Schwerhörigkeit sei Folge einer Haarzellschädigung. Andere
Ursachen für die Schwerhörigkeit hätten nicht gefunden werden können. Die derzeit vorliegende Hörstörung verbunden
mit dem Tinnitus sei in vollem Umfang auf berufsbedingte Einflüsse zurückzuführen, sie sei ausschließlich
lärmbedingt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 25.08.1994 zugrunde lagen, sei eine
Verschlimmerung nicht eingetreten. Das Gehör sei unverändert. Ergänzend sei der Tinnitus beidseits als Folge der
Berufskrankheit anzuerkennen. Die MdE müsse jedoch unter Berücksichtigung der Gültigkeit der
Bewertungsmaßstäbe korrigiert werden. Im Gutachten vom 26.05.1994 sei das einfache Gesamtwortverstehen
verwendet worden und nicht, wie üblich, das gewichtete Gesamtwortverstehen. Unter Berücksichtigung des
gewichteten Gesamtwortverstehens ergebe sich nach den Befunden vom 26.05.1994 und den heutigen
sprachaudiometrischen Messergebnissen ein prozentualer Hörverlust von 40 % für jedes Ohr entsprechend einer
gering- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit beidseits. Für eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit beidseits mit
mittelgradiger Einschränkung des Sprachgehörs unter Berücksichtigung eines beidseitigen Tinnitus ergebe sich eine
MdE von 20 v.H. Diese MdE-Einschätzung gelte ab dem Gutachten vom 26.05.1994.
Die Beklagte hat dagegen eingewandt, es könne allenfalls ein berufsbedingter Hörverlust von 30 % beidseits
angenommen werden und damit eine MdE um 15 v.H. Aus den Tondaudiogrammen vom 26.05.1994, vom 24.09.1996
und vom 08.12.1997 ergebe sich eine Schallleitungskomponente, d.h. eine Mittelohrschädigung. Diese sei nicht
lärmbedingt und führe zu einer Verschiebung der Kurve zu geringeren Werten. Der von der Beklagten eingeschaltete
Dr ... führte insoweit aus, da jede Hörverschlechterung nach Beendigung der Lärmbelastung sicher lärmunabhängig
sei, sei die Schwerhörigkeit maßgebend, die 1994 vorgelegen habe. Im Tonaudiogramm vom 26.05.1994 sei eindeutig
ein Auseinanderweichen der Knochenleitungskurve und der Luftleitungskurve zu erkennen, also eine
Schallleitungskomponente. Ob eine solche Komponente durch Aggravation oder Fehlmessung verursacht sei oder ob
sie durch einen organischen Befund hervorgerufen sei, lasse sich meist nur durch Zusatzuntersuchungen erkennen,
wie sie im Gutachten vom 08.12.1997 durchgeführt worden seien. Diese Untersuchungen würden aber eine
Schallleitungskomponente, die 1994 zu erkennen sei, nicht ausschließen. Sie könne durch vorübergehende
Gesundheitsstörungen verursacht sein, so dass 1997 keine Befunde mehr zu erheben seien. Falls die
Schallleitungskomponente von 1994 kein organisches Korrelat habe, weise sie zumindest auf ungenaue Angaben bei
den Hörprüfungen hin. Eine Schallleitungskomponente müsse bei Annahme einer Lärmschwerhörigkeit in vollem
Umfang als lärmunabhängig abgezogen werden.
Hierzu hat der Sachverständige Prof.Dr ... mit Stellungnahme vom 15.06.1998 ausgeführt, 1994 sei die Anwendung
des gewichteten Gesamtwortverständnisses Standardverfahren gewesen und sollte deshalb beim Kläger auch
angewendet werden, auch wenn die Entscheidung über eine nachträgliche Korrektur nur versicherungsrechtlich
möglich sei. Eine Schallleitungskomponente könne nicht abgezogen werden, nachdem eine Mittelohrschwerhörigkeit
auszuschließen sei, darin seien sich alle Gutachter einig. Weder Anamnese, noch Befund gäben einen Hinweis für
eine Mittelohrerkrankung. Alle Gutachter beschrieben einen unauffälligen otoskopischen Befund. Die
Stimmgabelprüfungen hätten mit einem positiven Rinneversuch im Gutachten vom 26.05.1994, vom 24.09.1996 und
in seinem Gutachten keinen Hinweis für eine Mittelohrkomponente ergeben. Es könne nur wiederholt werden, dass es
sich bei der Hörstörung des Klägers um eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit handele und eine
Mittelohrkomponente bei allen Untersuchungen habe ausgeschlossen werden können. Die audiometrischen
Messergebnisse in den Gutachten vom 26.05.1994 und 15.01.1998 seien annähernd identisch. Unter
Berücksichtigung der sprachaudiometrischen Messergebnisse sei die MdE für den berufsbedingten Hörverlust mit 20
v.H. ab Antragstellung einzuschätzen.
Hierzu hat die Beklagte wiederum vorgetragen, aus dem Gutachten des Dr ... vom 26.09.1996 ergebe sich eine
geringere MdE als 20 v.H. So weit Prof.Dr ... darauf abstelle, dass die von ihm erhobenen Befunde mit denen des
Prof.Dr ... übereinstimmen, habe sich bereits Dr ... geäußert, warum der Einschätzung der MdE mit 20 v.H. nicht
gefolgt werden könne. Nachdem der Kläger Gehörgangsstöpsel und Kapselgehörschützer getragen habe, hätte bereits
seit 1989 keine weitere beruflich bedingte Lärmschädigung mehr eingetreten sein können.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung führt das
Gericht unter Berufung auf den Sachverständigen Prof.Dr ... aus, die MdE für die Berufskrankheit sei von Anfang an
falsch bewertet worden. Bereits der Bescheid vom 25.08.1994 sei deshalb unzutreffend gewesen. Da deshalb keine
nachträgliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei und § 48 SGB X der alleinige Prüfungsmaßstab sei, könne
die Klage keinen Erfolg haben und es erübrigten sich weitere Ausführungen zu dem Vorbringen der Beteiligten.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes Dr ... , München, vom 28.12.1999.
Nach Darstellung des Sachverständigen standen die einzelnen Ergebnisse der verschiedenen Hörprüfmethoden im
Wesentlichen im Einklang miteinander und bestätigten sich damit gegenseitig. Rechts wie links bestehe eine reine
Schallempfindungsschwerhörigkeit. Nach Eingehen in die Tabelle nach Röser zur Ermittlung des prozentualen
Hörverlustes aus dem Tondaudiogramm ergebe sich für jedes Ohr ein prozentualer Höerverlust von 40 %. Der gleiche
Wert ergebe sich aus den sprachaudiometrischen Untersuchungen unter Heranziehung des gewichteten
Gesamtwortverstehens und der Tabelle von Bönninghaus und Röser. Das Untersuchungsergebnis des Sisitests und
der Stapediusreflexmessung spreche für eine basocochleäre Haarzellschädigung. In den Tests sei ein positives
Rekruitment nachweisbar. Zusammenfassend bestehe bei dem zu Begutachtenden eine beidseitige basocochleäre
rekruitmentpositive Schallempfindungsschwerhörigkeit mit einem prozentualen Hörverlust von 40 % auf jedem Ohr.
Der Sachverständige fasst sodann die geltenden Kriterien für die Hörverlustbestimmung und die MdE-Einschätzung
nach dem relevanten Inhalt des Königsteiner Merkblattes zusammen. Entscheidende Begutachtungsgrundlage sei
das gewichtete Gesamtwortverstehen, das jedoch nur bis zur geringgradigen Lärmschwerhörigkeit anzuwenden sei.
Ein belästigender Begleittinnitus könne die MdE erhöhen. Der Belästigungsgrad ergebe sich vor allem aus der
Anamnese. Die MdE-Erhöhung durch Tinnitus könne bis zu 10 % betragen, solle jedoch nicht additiv, sondern
integrierend vorgenommen werden. Aus den Akten sei ersichtlich, dass beim Kläger nach Aktenlage, Anamnese und
Befunden die Voraussetzungen für die Entstehung einer chronisch-akustischen Schädigung der Ohren -
Lärmschwerhörigkeit - gegeben seien. Es habe eine für eine Schädigung ausreichende Lärmexposition von 39 Jahren
bei persönlichem Beurteilungspegel von 98 bis 100 db und darüber bestanden. Die Schwerhörigkeit verbunden mit
Tinnitus habe sich während der Lärmarbeit entwickelt. Es handele sich in allen relevanten Vorgutachten um eine reine
Schallempfindungsschwerhörigkeit. Eine Mittelohrkomponente habe bei allen Untersuchungen ausgeschlossen werden
können. Der Versuch des Dr ..., entgegen den dokumentierten Audiogrammen, dennoch eine
Schallleitungskomponente hinein zu interpretieren, sei unverständlich und nicht nachzuvollziehen. Es habe bei allen
Untersuchungen ein positives Rekruitment nachgewiesen und damit der Beweis für eine Haarzellschädigung erbracht
werden können. Andere Ursachen für die Schwerhörigkeit hätten weder aus der Familien-, noch Eigenanamnese und
auch nicht aus den früheren und jetzigen Untersuchungsbefunden ermittelt werden können. Die jetzt vorliegende
Hörstörung verbunden mit quälendem, aber nicht dekompensiertem Tinnitus sei in vollem Umfang auf berufsbedingte
Einflüsse zurückzuführen und ausschließlich lärmbedingt. Zu verwertende Audiogramme von Januar bis Oktober 1992
lägen den Akten nicht bei. Lege man die Dreifrequenztabelle von Röser (1980) besonders bei Lärmschwerhörigkeit
zugrunde, so ergebe sich aus dem Tonaudiogramm vom 19.11.1992, gemessen von Dr ... , für das rechte Ohr ein
prozentualer Hörverlust von 30 und für das linke Ohr von 30 %. Lege man hingegen die Tabelle zur Ermittlung des
prozentualen Hörverlustes aus dem Tonaudiogramm bei unregelmäßigem Verlauf der Tongehörskurve nach Röser
1973 zugrunde, ergebe sich für das rechte Ohr ein prozentualer Hörverlust von 40 und links von 39. Das damals
dokumentierte Sprachaudiogramm sei nicht zu verwerten, weil es keine Werte für die Verständlichkeit bei 100 db
Lautstärke angebe. Damit ergebe sich sicher ab 19.11.1992, mit größter Wahrscheinlichkeit jedoch schon ab
01.01.1992 eine geschätzte MdE von 20 %. Darin sei der geklagte belästigende Tinnitus mit eingerechnet, denn nach
dem Königsteiner Merkblatt sei eine höhere MdE-Einschätzung vorzunehmen, wenn ein lärmbedingter Tinnitus für den
Versicherten stark belästigend sei bzw. Krankheitswert habe, wobei sich der Belästigungsgrad vor allem aus der
Anamnese ergebe. Hier solle unbedingt auch bedacht werden, dass der Kläger ein einfach strukturierter Mensch sei,
der sein Leben lang sehr hart als Steinhauer in großem Lärm gearbeitet und zunächst nicht besonders auf Störungen
wie Ohrgeräusche geachtet, bzw. diese als gegeben hingenommen habe. Von einem solchen Menschen sei auch
nicht zu erwarten, dass er spontan über seinen Tinnitus klage. Ob er von den einzelnen Untersuchern explizit danach
gefragt worden sei, sei aus den Akten nicht zu erkennen. Manche schriftlich niedergelegte Diktion spreche eher
dagegen. Die Audiogramme des Dr ... vom 17.02.1994 und des Dr ... vom 28.02.1994 könnten zur Bewertung nicht
herangezogen werden, weil sie im Tief- und Mitteltonbereich völlig andere und nicht nachvollziehbare Werte lieferten
als die Audiogramme, die vorher und nachher bei gutachterlichen Untersuchungen ermittelt worden seien. Die
Audiogramme des Prof ... vom 30.05.1994 ergäben, lege man das gewichtete Gesamtwortverständnis zugrunde, das
damals bereits seit mindestens sechs Jahren der Norm entsprochen habe, eine Zahl von 150. Daraus errechne sich
bei einem sprach- audiometrischen Hörverlust von 30 db rechts und 25 db links eine prozentuale Hörminderung für
jedes Ohr von 40 %. Damit sei die MdE der nahezu symmetrischen Innenohrschwerhörigkeit beiderseits im
Hochtonbereich seit dem 30.05.1994 ebenfalls mit 20 v.H. einzuschätzen. Das entspreche auch der MdE ab
Beendigung der Arbeit im Lärm und der MdE, die bei der gutachterlichen Untersuchung am 20.12.1999 aus den
Untersuchungsergebnissen geschätzt worden sei. Beziehe man den Tinnitus in die Bewertung der MdE ein, könne die
MdE ab dem 01.01.1992 auf höchstens 20 v.H. und ab Beendigung der Lärmarbeit auf höchstens 25 v.H., mindestens
aber 20 v.H. geschätzt werden. Zu betonen sei noch, dass einige Vorgutachter wie Dr ... und Prof.Dr ... zwar
eingehende Untersuchungen vorgenommen und diese auch entsprechend dokumentiert, dann aber nicht das damals
bereits als Standard angesehene gewichtete Gesamtwortverstehen zur Grundlage der MdE-Berechnung
herangezogen, sondern veraltete Methoden bevorzugt hätten. Daraus ergebe sich jetzt, wie auch Prof.Dr ... in seinem
Gutachten dargelegt habe, die Notwendigkeit einer Neuberechnung, obwohl sich die Lärmschwerhörigkeit seit
Beendigung der Lärmarbeit nicht mehr verändert habe.
Hiergegen hat die Beklagte eingewendet, Grundlage des angefochtenen Widerspruchsbescheides sei u.a. das
Gutachten des Dr ... vom 26.09.1996. Im Sprachaudiogramm ergebe sich ein Hörverlust von 20 % rechts und ein
Hörverlust von 10 % links, woraus sich nach dem Königsteiner Merkblatt eine MdE von unter 10 v.H. errechne, unter
Berücksichtigung der Ohrgeräusche eine MdE von höchstens insgesamt 15 %. Es sei falsch, dass die Berechnungen
im Gutachten des Dr ... nicht nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen erfolgt seien, sondern nach der alten
Methode. Es mache jedoch keinen Unterschied, da beide Methoden zur gleichen MdE führten. Die Untersuchung von
1996 sei ausschlaggebend, da es die erste nach Wegfall der Lärmexposition sei. Beigefügt war ein Gutachten des Dr
... vom 04.02.2000. Darin ist u.a. ausgeführt, da der Hörschaden der chronischen Lärmschwerhörigkeit einen
Dauerschaden darstelle und eine nachträgliche Befundbesserung nur möglich sei, wenn lärmunabhängige Einflüsse
wirksam gewesen seien, stellten nur die Hörkurven mit dem geringsten Hörverlust den Umfang der
Lärmschwerhörigkeit dar, es sei denn, man könne nachweisen, dass diese Hörkurven, die einen geringeren Hörverlust
darstellten, falsch seien. Wenn Dr ... behaupte, dass die Sprachaudiogramme des Dr ... vom 19.11.1992 und
26.09.1996 falsch seien, da keine Werte für die Verständlichkeit bei 100 db Lautstärke angegeben seien, sei dies
völlig abwegig, da bereits bei einem Schallpegel von 80 db eine Verständlichkeit von 95 % bzw. 100 % vorgelegen
habe und selbst im Gutachten des Dr ... trotz der Hörverschlechterung bei 100 db noch eine Verständlichkeit von 90
% vorgelegen habe. Berechne man aus dem Sprachaudiogramm vom 19.11.1992 den prozentualen Hörverlust unter
Berücksichtigung des gewichteten Gesamtwortverstehens, dann ergebe sich beidseits ein prozentualer Hörverlust von
20 % und damit eine MdE von 10 %. Im Gutachten des Dr ... würden lediglich die Hörkurven des Gutachtens von Dr
... als einzige richtige Sprachaudiogramme angesehen und nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen ausgewertet.
Diese Behauptung könne durch Befunde nicht gestützt werden. Gerade im Jahre 1994 seien die Angaben bei den
Hörprüfungen sehr schwankend gewesen. Im Tonaudiogramm vom 26.05.1994 zeige sich eine
Schallleitungskomponente. Im Gutachten des Dr ... liege diese nicht mehr vor. Dies beweise, dass 1994 entweder
eine organisch bedingte vorübergehende Schallleitungskomponente vorgelegen habe oder funktionelle Einflüsse
bestanden hätten. Dann wäre ein lärmunabhängiger Teil der Schwerhörigkeit vom Gesamthörschaden abzuziehen oder
die gesamte Hörprüfung in Frage zu stellen. Auszugehen sei deshalb von dem Gutachten des Dr ... vom 24.09.1996.
Hierzu hat Dr ... in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 19.03.2000 im Wesentlichen ausgeführt, es habe sich
besonders bei der Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit gezeigt, dass die Abgrenzung zwischen Normalhörigkeit
und geringgradiger Schwerhörigkeit nach dem Sprachaudiogramm manchmal unsicher sei, besonders, wenn das
Sprachverständnis noch gut sei, aber ein erheblicher Tongehörverlust bestehe. In solchen Grenzfällen solle das
Tonaudiogramm mit herangezogen werden, insbesondere wenn das Sprachaudiogramm nicht in allen relevanten
Punkten mit Messdaten versehen sei. Seien die gemessenen Tongehörschwellen besser als die Grenzwerte für
Tonhörverluste oder erreichten sie diese gerade, so gelte die Hörstörung gutachterlich noch als annähernd
normalhörig, seien sie schlechter, liege gutachterlich eine nicht unwesentliche Schwerhörigkeit vor, die als annähernd
geringgradig einzustufen und mit einem prozentualen Hörverlust von 20 % zu bewerten sei, immer vorausgesetzt,
dass das Sprachaudiogramm in Verbindung mit der Tabelle nach Bönninghaus und Röser zur Ermittlung des
prozentualen Hörverlustes aus den Werten der sprachaudiometrischen Sprachuntersuchungen noch keinen
verwertbaren prozentualen Hörverlust ausweise. Nach den relevanten Messdaten des Audiogramms vom 24.09.1996
ergebe sich aus dem Tonaudiogramm (bei regelmäßigem Verlauf der Tongehörskurve) für das rechte Ohr ein
prozentualer Hörverlust von 35 und für das linke Ohr von 45. Bei unregelmäßigem Verlauf der Tongehörkurve ergebe
sich rechts ein Hörverlust von 41 und links von 48. Aus dem sprachaudiometrischen Befund ergebe sich für das
rechte Ohr ein gewichtetes Gesamtwortverstehen von 232,5 und für das linke von 240, immer vorausgesetzt, der Wert
für die Verständlichkeit bei 100 db betrage tatsächlich 100 %. Die Festlegung eines prozentualen Hörverlustes mit
geschätzten Werten sei jedoch äußerst problematisch. Gehe man mit den teilweise geschätzten Werten in die Tabelle
nach Bönninghaus und Röser zur Ermittlung des prozentualen Hörverlustes aus den Werten der
sprachaudiometrischen Untersuchung ein, so ergebe sich ein prozentualer Hörverlust von 20 % für das rechte und 10
% für das linke Ohr, wie die Beklagte ebenfalls feststelle. Aus der Diskrepanz der Werte für den prozentualen
Hörverlust aus dem Tonaudiogramm einerseits und dem unvollständig gemessenen Sprachaudiogramm andererseits
sei zu schließen, dass die 1996 gewonnenen Messdaten in sich nicht schlüssig seien. Es bleibe deshalb dabei, dass
das Sprachaudiogramm vom 24.09.1996 für eine gutachterliche Bewertung nicht herangezogen werden könne. Der
Sachverständige führt erneut aus, zu verwertende Audiogramme von Januar bis Oktober 1992 lägen den Akten nicht
bei. Lege man die Dreifrequenztabelle von Röser besonders bei Lärmschwerhörigkeit zugrunde, so ergebe sich aus
dem Tonaudiogramm vom 19.12.1992, gemessen von Dr ... , für das rechte Ohr ein prozentualer Hörverlust von 30
und für das linke Ohr von 30. Lege man hingegen die Tabelle zur Ermittlung des prozentualen Hörverlustes aus dem
Tonaudiogramm bei unregelmäßigem Verlauf der Tongehörskurve nach Röser 1973 zugrunde, ergebe sich für das
rechte Ohr ein prozentualer Hörverlust von 40 und links von 39. Das damals dokumentierte Sprachaudiogramm sei
nicht zu verwerten, weil es keine Werte für die Verständlichkeit bei 100 db Lautstärke angebe. Es bleibe ferner dabei,
dass das Sprachaudiogramm vom 24.09.1996 wegen Unvollständigkeit für eine gutachterliche Bewertung nicht
herangezogen werden könne. In seinem Vorgutachten seien niemals audiometrische Daten angezweifelt oder gar für
falsch gehalten worden. Der Gutachter könne aber nur von Werten ausgehen, die tatsächlich gemessen und
dokumentiert worden seien und die in sich schlüssig seien. Es sei im Übrigen nicht richtig, zu behaupten, wenn schon
bei 80 db Lautstärke 100 % Verständlichkeit bestehe, dass dies bei 100 db Lautstärke auch so sein müsse. Höhere
Lautstärken könnten sehr wohl zu einer Minderung der Verständlichkeit führen. Da sich der Einwand der Beklagten auf
unvollständige sprachaudiometrische Untersuchungen beziehe unter Missachtung der zu den jeweiligen Zeitpunkten
erstellten tonaudiometrischen Untersuchungen, könne diesen nicht gefolgt werden.
Hierzu hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme und eine solche des Dr ... vom 14.04.2000 vorgelegt. Darin heißt
es im Wesentlichen, die Behauptung des Dr ... , das Gutachten des Dr ... vom 26.09.1996 sei nicht verwertbar, weil
der Berechnung der MdE auf der Basis des Sprachaudiogramms nicht das gewichtete Gesamtwortverstehen zugrunde
gelegtworden sei, sei eindeutig falsch. Dr ... halte diese Behauptung in seiner ergänzenden Stellungnahme
offensichtlich nicht mehr aufrecht. Das Sprachaudiogramm vom 24.09.1996 habe verläßliche Werte ergeben, so dass
eine hilfsweise Ermittlung der Hörverluste aufgrund von Tonaudiogrammen entfalle. Dr ... führt weiter aus, Dr ... habe
das Königsteiner Merkblatt nur unvollständig zitiert, denn danach werde das Tonaudiogramm nur dann herangezogen,
wenn keine Zweifel an der Richtigkeit des Kurvenverlaufs des Tonaudiogramms vorliegen. Dieser Punkt sei aber nicht
strittig und werde im Gutachten von Dr ... berücksichtigt. Die Behauptung des Dr ... , dass das Sprachaudiogramm
vom 24.09.1996 nicht zu verwerten sei, sei völlig aus der Luft gegriffen. In dem Sprachaudiogramm von 1994 sei bei
100 db Schallpegel ein prozentualer Hörverlust von 95 %, 1997 von 90 % und 1999 ebenfalls von 90 % vorgelegen.
Diese Schwankungsbreite von maximal 10 Prozentpunkten bei 100 db Schallpegel sei für die Beurteilung des
prozentualen Hörverlustes völlig unbedeutend. Wenn man irgendwelche Werte der vorliegenden Prüfungen anzweifeln
wolle, dann seien dies die schwankenden Ergebnisse aus dem Jahre 1994 und die durch Befunde nicht erklärbare
Schallleitungskomponente des Tonaudiogramms im Gutachten vom 26.05.1994. Diese Diskrepanzen lägen im
Gutachten vom 24.09.1996 nicht vor.
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 03.09.1998 und der Bescheide vom 08.05.1996,
26.06.1996 und 10.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.1997 zu verurteilen, dem Kläger unter
Aufhebung des Bescheids vom 25.08.1994 wegen der bei ihm vorliegenden Lärmschwerhörigkeit Verletztenrente in
Höhe von wenigstens 20 v.H. der Vollrente ab 19.11.1992 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 03.09.1998 zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akten der Beklagten und die Akte
des Sozialgerichts Landshut in den vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der
Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; ein Berufungsausschluss nach § 144 SGG
liegt nicht vor.
Die Berufung ist im wesentlichen Umfang begründet, denn dem Kläger steht ab 19.11.1992 eine Verletztenrente nach
einer MdE um 20 v.H. zu.
Für die Entscheidung maßgebliches Recht sind auch im Berufungsverfahren die Vorschriften der RVO, weil
Verletztenrente für eine Berufskrankheit für eine Zeit vor dem 01.01.1997 im Streit ist (§ 212, 214 Abs.3 SGB VII).
Das Sozialgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Entscheidung zugunsten des Klägers von der
Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 SGB X abhängt. Abgesehen davon, dass der Rentenantrag des
Klägers vom 12.04.1996 nicht auf eine Verschlimmerung in den Folgen der anerkannten Berufskrankheit gestützt ist,
sondern im Gegenteil die Überprüfung des vorangegangenen Bescheides begehrt, wäre auch bei einer Berufung des
Versicherten auf eine Änderung der Verhältnisse § 48 SGB X nicht der alleinige Prüfungsmaßstab. Das Begehren des
Klägers ging und geht auf Gewährung einer Verletztenrente. Ein solcher Anspruch ist unter allen rechtlichen
Gesichtspunkten zu prüfen, auch solchen, die ein Versicherter gegebenenfalls nicht ausdrücklich geltend gemacht
hat. Hierzu gehört auch die Vorschrift des § 44 SGB X, die auch die Fälle unanfechtbar gewordener rechtswidriger
Verwaltungsakte umfasst. Sie wäre selbst dann anzuwenden, wenn ein Versicherter bei einem Überprüfungsantrag für
einen Zeitraum vor dem Antrag einen Verzicht nach § 46 SGB I ausgesprochen hätte, was hier jedoch ohnehin nicht
der Fall ist. Die Überprüfung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes ist jedoch rückwirkend nur für den
Zeitraum nach § 44 Abs.4 SGB X vorzunehmen. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass Ansprüche des Klägers auf
Verletztenrente für die Zeit ab 01.01.1992 zu prüfen sind.
Dass die beim Kläger als Folge einer Berufskrankheit zu entschädigende Lärmschwerhörigkeit die für die Gewährung
einer Verletztenrente nach §§ 551, 581 RVO ausreichende Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H.
erreicht hat, ergibt sich zur Überzeugung des Senats für den Zeitraum ab 19.12.1992 aus dem Gutachten des Dr ...
und zusätzlich für die Zeit ab 26.05.1994 aus den Gutachten des Dr ... und des Prof. Dr ...
Nachdem der Kläger seine lärmbelastete Tätigkeit im Sommer 1994 endgültig aufgegeben hat und nach Meinung aller
Sachverständigen ein anschließendes Fortschreiten der Schwerhörigkeit nicht mehr lärmbedingt sein kann (s. auch
Schoenberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage S.389), stehen zur Feststellung und
Bewertung der berufskrankheitsbedingten Lärmschwerhörigkeit mangels weiterer geeigneter Untersuchungen lediglich
die Gutachten des Dr ... von 1992 und des Prof ... von 1994 zur Verfügung. Die später eingeholten Gutachten sind
bezüglich der jeweils aktuellen Messbefunde allenfalls insoweit von Bedeutung, als durch sie die früheren
Messbefunde in Frage gestellt oder bestätigt werden. Insoweit nimmt die Beklagte das Gutachten des Dr ... von 1996
dafür in Anspruch, dass wegen des verbesserten Gesamtwortverstehens zu diesem Zeitpunkt eine MdE um weniger
als 20 v.H. bestanden habe und damit die Folgen der Berufskrankheit entweder bereits keine rentenberechtigende
MdE erreicht haben oder diese jedenfalls wieder auf ein nicht rentenberechtigendes Niveau abgesunken ist. Die
Sachverständigen Dr ... und Prof. Dr ... stellen hingegen die Ergebnisse des Gutachtens von 1996 in Frage und
weisen auf eigene Messergebnisse hin, die eine Konstanz zwischen den während der Lärmbelastung gefundenen
Messwerten und den von ihnen erhobenen belegen.
Für die Zeit vom 01.01. bis 19.11.1992 kann nicht von Verhältnissen beim Kläger ausgegangen werden, die eine MdE
um 20 v.H. begründen. Die die Minderung der Erwerbsfähigkeit begründenden Funktionseinschränkungen bedürfen als
Tatsachen des Beweises der Gestalt, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Die
Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als es den ursächlichen Zusammenhang
zwischen der Berufskrankheit und den daraus resultierenden Funktionseinschränkungen betrifft (vgl. BSGE 45, 285;
Krasney, VSSR 1992, 81, 114). Insoweit spricht jedoch auch der Sachverständige Dr ... lediglich von größter
Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch von Sicherheit. Zu beachten ist auch, dass Dr ... dabei bereits einen Rückschluss an
dem von ihm selbst als unzureichend angesehenen Gutachten des Dr ... von 1992 zieht. Seit den Untersuchungen
zum Gutachten des Dr ... vom 19.11.1992 steht jedoch nach Überzeugung des Senats fest, dass die
berufskrankheitenbedingte MdE beim Kläger 20 v.H. betragen hat. Dies ergibt sich aus den Gutachten des
Sachverständigen Dr ... Bezüglich der Bemessungskriterien für die MdE bei einer Lärmschwerhörigkeit sind sich die
Sachverständigen grundsätzlich einig (s. dazu Schoenberger-Mehrtens-Valentin a.a.O. S.403 ff.). Das hierbei
maßgebliche Sprachaudiogramm im Gutachten 1992 ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr ... nicht
verwertbar, weil es keine Werte für die Verständlichkeit bei 100 db Lautstärke angibt. Diese Aussage entspricht den
wissenschaftlichen Vorgaben (vgl. Schoenberger-Mehrtens-Valentin a.a.O. S.399 mit weiteren Nachweisen). Dass das
Sprachaudiogramm vom 19.11.1992 falsch gewesen sei, hat der Sachverständige Dr ... , entgegen der
entsprechenden Rüge des Dr ..., an keiner Stelle behauptet. Dass von dem Messwert bei 80 db Lautstärke auf den
bei 100 db Lautstärke geschlossen werden könne, ist vom Sachverständigen Dr ... begründet in Frage gestellt
worden. Dr ... führt hierzu auch keine weitere Begründung aus, sondern versucht den fehlenden Wert durch Jahre
später gemessene Werte einzugrenzen. Eine wissenschaftliche Begründung hierzu fehlt. Damit fehlt zwar ein
wesentlicher Punkt zum Beleg der berufskrankheitenbedingten MdE, diesen Mangel hat jedoch die Beklagte zu
vertreten, da sie das Gutachten eingeholt und nicht auf die Einhaltung der wissenschaftlich notwendigen Standards
geachtet hat. Der fehlende Beweis kann nicht mehr nachgeholt werden. In solchen Fällen kehrt sich zwar die
Beweislast nicht um, es sind jedoch an den Beweis der Tatsachen, auf die sich der Beweisnotstand bezieht, weniger
hohe Anforderungen zu stellen. Es ist dabei dem Tatsachengericht im Rahmen seiner freien richterlichen
Beweiswürdigung überlassen, je nach den Besonderheiten des maßgebenden Einzelfalles schon einzelne
Beweisanzeichen, im Extremfall ein Indiz ausreichen zu lassen für die Feststellung einer Tatsache (BSG SozR 3-
1500 § 128 Nr.11). Im vorliegenden Fall stützt sich der Senat auf den von dem Sachverständigen Dr ...
vorgenommenen Rückgriff auf die übrigen Messergebnisse, wie er nach der wissenschaftlichen Lehrmeinung
vorzunehmen ist, wenn die für eine als sicher angesehene Bewertung notwendigen Tatsachen nicht ermittelt sind. Hier
stützt sich der Sachverständige zu Recht auf die Bewertung des Tonaudiogramms bei unregelmäßigem Verlauf der
Tongehörskurve, aus der sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. ergibt (vgl. Schoenberger-Mehrtens-
Valentin a.a.O. S.399 ff.). Möglicherweise nimmt Dr ... hierzu kritisch Stellung, wenn er anmerkt, Dr ... habe das
Königsteiner Merkblatt nur unvollständig zitiert, wo es heiße, dass das Tonaudiogramm nur dann herangezogen
werde, wenn keine Zweifel an der Richtigkeit des Kurvenverlaufs des Tonaudiogramms vorlägen. Zweifel an der
Richtigkeit des Kurvenverlaufs des Tonaudiogramms lassen sich den Gutachten des Dr ... jedoch nicht entnehmen,
es ist vielmehr die Rede von einem unregelmäßigen Verlauf der Tongehörskurve.
Die weitere Maßgeblichkeit der Ergebnisse des Gutachtens des Prof.Dr ... von 1994 wird von Dr ... zu Unrecht in
Frage gestellt. Zu Unrecht beruft er sich auch auf die Maßgeblichkeit der Ergebnisse des Gutachtens des Dr ... von
1996. Beides ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Prof.Dr ... und des Dr ... Unstreitig
bedingen die Messergebnisse im Gutachten von 1994 nach Zugrundelegung des Sprachaudiogramms und Anwendung
des sogenannten gewichteten Gesamtwortverstehens eine MdE um 20 v.H. Zu Unrecht macht Dr ... geltend, diese
Messergebnisse seien berufskrankheitenfremd. Insoweit schließt er vom Vorliegen einer Schallleitungskomponente
auf eine nicht lärmbedingte Mittelohrschädigung. Insofern hat jedoch bereits der untersuchende Sachverständige
Prof.Dr ... eine Schallleitungskomponente ausdrücklich als nicht nachweisbar bezeichnet. Zum selben Ergebnis
kommen die Sachverständige Prof.Dr ... und Dr ... Es kann dahingestellt bleiben, dass eine relevante
Schallleitungskomponente im Tonaudiogramm 1994 schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil das
Tonaudiogramm eine Differenz von mehr als 10 db zwischen Luft- und Knochenleitung in nicht nur einer Frequenz gar
nicht aufweist (vgl. hierzu Merkblatt des BMA Bundesarbeitsblatt 1977 S.204; s.a. Hinweise für die Erstattung einer
ärztlichen Anzeige bei Lärmschwerhörigkeit, abgedr. in Feldmann, Das Gutachten des HNO-Arztes, 4. Aufl. S.288).
Entscheidend ist vielmehr, wie sich aus Nr.3 des Königsteiner Merkblattes, Schoenberger-Mehrtens-Valentin a.a.O.
S.390 und den Gutachten des Prof.Dr ... und des Dr ... ergibt, dass eine Mittelohrschwerhörigkeit zu verifizieren oder
auszuschließen ist und alle dafür erforderlichen Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt sind, dass beim Kläger eine
Mittelohrschwerhörigkeit ausgeschlossen werden musste und muss. Insofern ist Dr ... wenigstens in seiner letzten
Stellungnahme davon ausgegangen, dass die von ihm angenommene Schallleitungskomponente des
Tonaudiogramms von 1994 durch Befunde nicht erklärbar ist.
Das im Gutachten von 1996 gefundene verbesserte Ergebnis im Sprachaudiogramm kann, wie die Sachverständigen
Prof.Dr ... und Dr ... im Einzelnen dargelegt haben, nicht zu Ungunsten des Klägers verwertet werden, zum Einen,
weil es wie das Gutachten von 1992 unvollständige Messwerte aufzeigt, zum Anderen und vor allem aber, weil die
insgesamt gewonnenen Messdaten in sich nicht schlüssig sind. Letzteres ist von den Sachverständigen Prof.Dr ...
und Dr ... ausdrücklich dargelegt worden. Es genügt nicht, zu Lasten des Versicherten ein nicht plausibles
Messergebnis heranzuziehen und daraus Schlussfolgerungen für das Ausmaß der lärmbedingten Schwerhörigkeit
schlechthin zu ziehen. Eine Erklärung für die nicht nachvollziehbaren Messdaten hat auch Dr ... nicht angeboten.
Eine höhere MdE wegen des geklagten Tinnitus läßt sich nach Überzeugung des Senats auch mit dem Gutachten des
Sachverständigen Dr ... nicht begründen. Insoweit kommt nach seinem Gutachten eine MdE von höchstens 25 v.H.
ab Beendigung der Lärmarbeit in Betracht. Der Sachverständige legt zwar die abstrakten Kriterien für die
Berücksichtigung eines lärmbedingten Tinnitus bei der Bildung der MdE dar, nicht aber die konkreten
Voraussetzungen im Einzelfall (vgl. hierzu Schoenberger-Mehrtens-Valentin a.a.O. S.409 ff.).
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.