Urteil des LSG Bayern vom 30.05.2007

LSG Bayern: ernährung, grundsatz der freien beweiswürdigung, behandelnder arzt, hauptsache, erlass, lebensmittel, auflage, kumulation, alkohol, krankheit

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 30.05.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AS 833/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 204/07 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Februar 2007 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen wegen der Gewährung eines Mehrbedarfs für eine aus medizinischen
Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) ist 56 Jahre alt. Er bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau eine
Mietwohnung. Der Bf. leidet an diversen, zumeist internistischen Gesundheitsstörungen; der Grad der Behinderung
nach dem Schwerbehindertenrecht beträgt 30. Er bezieht seit Anfang 2005 Arbeitslosengeld (Alg) II. Einen Zuschlag
nach § 24 SGB II erhielt er bis 15.09.2006.
Mit Bescheid vom 28.09.2006 bewilligte die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Bg.) dem Bf. und seiner
Ehefrau Alg II für die Zeit vom 01.10.2006 bis 31.03.2007 in Höhe von monatlich 586,35 Euro. Dabei ging sie für die
Ehefrau von einem monatlichen Bruttoeinkommen von 936,92 Euro und von einem Nettoeinkommen von 736,84 Euro
aus. In dem Bescheid teilte die Beklagte mit, ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung werde (wie persönlich
besprochen) durch die Kläger gesondert nachgewiesen und ggf., sofern zustehend, rückwirkend gewährt.
Mit Schreiben vom 05.10.2006 legten der Bf. und seine Ehefrau dagegen Widerspruch ein. Mit weiterem Schreiben
vom gleichen Tag übersandten sie eine Bescheinigung des Allgemeinmediziniers Dr. S ... Der Arzt hat für den Bf. das
Vorliegen folgender Krankheiten bescheinigt, welche mit der zugeordneten Krankenkost behandelt werden müssten:
Neurodermitis (mit Vollkost), Hyperlipidämie (mit lipidsenkender Kost), Hypertonie (mit natriumdefinierter Kost),
Hyperurikämie (mit purinreduzierter Kost).
Die Bg. änderte ihre Leistungsgewährung mit Bescheid vom 13.10.2006 ab; sie erkannte Alg II in Höhe von monatlich
622,14 Euro zu. Die Änderung ergab sich in Folge der Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger
Ernährung, wobei die Bg. den höchsten Pauschalwert von 35,79 Euro ansetzte. Da mehrere Erkrankungen gleichzeitig
vorlägen, so die Bg. zur Begründung, werde Mehrbedarf in Höhe der höchsten Krankenkost (lipidsenkende Kost)
gewährt.
Mit Schriftsatz vom 18.10.2006 hat sich der Bf. an das Sozialgericht Augsburg mit einem Ersuchen um einstweiligen
Rechtsschutz gewandt. Im Rahmen dieses Verfahrens hat er unter anderem vorgetragen, für Neurodermitis sei eine
Vollkost unzureichend; notwendig sei vielmehr eine spezielle Allergikerkost. Wegen der Verschiedenheit der
Mehrbedarfe (lipidsenkende, purinreduzierte, natriumdefinierte Kost, Allergikerkost) dürfe nicht nur der höchste
Mehrbedarfsbetrag gewährt werden. Möglicherweise käme ein Anspruch nach § 73 SGB XII in Betracht.
Die Bg. hat den Widerspruch des Bf. und seiner Ehefrau mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2006 als unbegründet
zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 18.12.2006 haben diese beim Sozialgericht Augsburg in der Hauptsache Klage
erhoben (S 1 AS 1067/06).
Am 06.02.2007 hat das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt und die Klage S 1 AS 1067/06
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, generelle Mehraufwendungen wegen einer Allergiebereitschaft
könnten nicht auf § 21 Abs. 5 SGB II gestützt werden. Bei Neurodermitis genüge es, die Lebensmittel, auf die
allergisch reagiert werde, wegzulassen; dazu gebe es vielfältige Ernährungsratgeber im Internet. Das gelte auch für
Hyperlipidämie, Bluthochdruck und Hyperurikämie; dabei stünden insbesondere Ernährungsumstellung,
Gewichtsreduktion und Bewegung im Vordergrund. Zudem sei entsprechend geeignete Ernährung heutzutage
kostengünstig zu erhalten. Dagegen ist ein Berufungsverfahren beim Bayerischen Landessozialgericht anhängig (L 7
AS 84/07).
Ebenfalls am 06.02.2007 hat das Sozialgericht - allerdings ohne mündliche Verhandlung - einen ablehnenden
Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erlassen. Dies hat es damit begründet, das Eilverfahren
habe sich mit der Entscheidung in der Hauptsache am gleichen Tag erledigt.
Gegen diesen Beschluss hat der Bf. Beschwerde eingelegt. Da bei ihm unterschiedliche Erkrankungen vorlägen, die
einen unterschiedlichen Mehrbedarf verursachen würden, so der Bf. zur Begründung, sei für jede Krankheit ein
gesonderter Mehrbedarf (kumulativ) zu gewähren. Ansonsten lassen sich aus der Begründung des Bf. folgende
Eckpunkte herausschälen: Neben dem Mehrbedarf habe er, der Bf., noch weiteren notwendigen Sonderbedarf. Er
macht in diesem Zusammenhang nach dem Krankenversicherungsrecht nicht erstattungsfähige Heilmittel geltend
sowie ergänzende Hygieneartikel. Der Regelsatz decke dies nicht. Bei ihm seien erhöhte Aufwendungen für die
Erhaltung/Wiederherstellung der Gesundheit notwendig. Gegen die pauschale Festsetzung der Regelleistung bringt der
Bf. verfassungsrechtliche Bedenken vor; Kranke seien gegenüber Gesunden benachteiligt. Das Sozialgericht hätte
seiner Ansicht nach ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Bezüglich der Behandlung der Neurodermitis
habe er alternative Heilmethoden angewandt; offenbar wünscht der Bf., dass die Bg. die Kosten hierfür übernimmt. Er
sei auf besondere Lebensmittel angewiesen, die nicht mit Schadstoffen belastet seien. Durch die Umstellung auf
Biokosten hätten sich seine Beschwerden gebessert. Die Kausalität zwischen Biolebensmitteln und
Beschwerdelinderung sei erwiesen. Der Neurodermitis müsse der Bf. auch durch andere kostenintensive Maßnahmen
entgegenwirken (z.B. Hautpflegemittel, Kleidung). Wegen seiner Probleme mit der Speiseröhre müsse er fünf bis
sechs Mal am Tag leichte und gekochte Kost einnehmen; das verursache Mehraufwand. Seine orthopädischen Leiden
würden ebenfalls höhere Aufwendungen bedingen. Zum Anordnungsgrund trägt der Bf. vor, nachdem er nunmehr
keinen Zuschlag nach § 24 SGB II mehr erhalte, könne er seine Mehraufwendungen nicht mehr abdecken.
Der Bf. beantragt,
der Bg. unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialge- richts im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben,
ihm ab 01.10.2006 vorläufig einen Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen in
Höhe von weiteren 274,21 Euro monatlich zu gewähren.
Die Bg. beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Bg. auf den Inhalt ihrer Akten, auf den Widerspruchsbescheid sowie auf ihren Vortrag
im erstin-stanzlichen und im Berufungsverfahren.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des behördlichen und des gerichtlichen Verfahrens wird auf den Inhalt der Akten der
Bg. sowie des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts - auch in den Sachen S 1 AS 1067/06 und L
7 AS 84/07 - verwiesen. Sie lagen allesamt vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Das Sozialgericht hat den Antrag des Bf. auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Unrichtig ist allerdings die Begründung des Sozialgerichts, die Grundlage für einen Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz sei entfallen, weil am 06.02.2007 in der Hauptsache entschieden worden sei. Denn das
Rechtsschutzinteresse für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entfällt nicht schon dann, wenn in der
Hauptsache eine Entscheidung getroffen worden ist, sondern erst, wenn diese rechtskräftig ist.
Im Ergebnis erweist sich jedoch der Beschluss des Sozialgerichts als zutreffend.
Für das Begehren des Bf. ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG der
statthafte Rechtsbehelf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Jedoch liegen die Voraussetzungen hierfür
nicht vor.
Hinsichtlich des materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstabs müssen sich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entweder
an den Er-folgsaussichten in der Hauptsache orientieren oder eine Folgenabwägung durchführen (vgl. BVerfG NVwZ-
RR 1999, S. 217 (218); BVerfG NVwZ 2005, S. 927 (928)). Jedoch hängt das Prüfprogramm stets vom jeweiligen
konkreten Fall ab, wobei insbesondere das Gebot effektiven Rechtsschutzes angemessen zu akzentuieren ist. Auch
das Betroffensein materieller Grundrechte kann determinierend wirken; die Wertigkeit des betroffenen Rechtsgutes
muss stets mit in die Überlegungen einbezogen werden. Beim Bundesverfassungsgericht hat sich in jüngerer Zeit eine
mittlerweile gefestigte Kammerrechtsprechung entwickelt, die es verbietet, sich in Ausnahmefällen, in denen das
betroffene Rechtsgut besonders schwer wiegt, auf eine nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der
Hauptsache zu beschränken (vgl. BVerfG NJW 2003, S. 1236 (1237); BVerfG NVwZ 2005, S. 927 (928)).
Wenn es darum geht, das materiell-rechtliche Prüfprogramm zu bestimmen, verbietet sich ein starrer Schematismus.
So kann es durchaus sein, dass nicht entweder eine vollständige Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
oder eine Folgenabwägung durchzuführen ist, sondern dass eine Kombination daraus angezeigt erscheint. Es muss
von Verfassungs wegen letztlich ein hinreichendes Rechtsschutzniveau gewährleistet sein; dieses kann über
verschiedene Komponenten erreicht werden. Charakteristisch für den einstweiligen Rechtsschutz - und gerade für den
Erlass einstweiliger Anordnungen - ist, dass die einschlägigen Obersätze regelmäßig von Fall zu Fall
herauszuarbeiten sind.
Gerade im vorliegenden Fall erscheint eine Gesamtbetrachtung aller Umstände geboten. Diese führt zum Ergebnis,
dass dem Begehren des Bf. nicht entsprochen werden kann.
1. Kumulative Gewährung von Mehrbedarfszuschlägen
Hinsichtlich der Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 5 SGB II bringt der Bf. im Wesentlichen vor, diese müssten kumuliert
ausbezahlt werden; es sei nicht rechtens, nur den höchsten relevanten Mehrbedarf zu leisten. Damit wird die Frage
aufgeworfen, welcher Mehrbedarf "angemessen" ist. Nach der Begründung zum Fraktionsentwurf des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks 15/1516, S. 57) können hierzu die vom
Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (im Folgenden: DV) entwickelten und an typisierbaren
Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen (im Folgenden: Empfehlungen) herangezogen werden (vgl. dazu
BayLSG, Urteil vom 14.09.2006 - L 7 AS 97/06). In diesem Zusammenhang hat der DV auf der Grundlage von
ernährungswissenschaftlichen Untersuchungen Gutachten und Empfehlungen veröffentlicht, die zuletzt 1997
überarbeitet wurden (BayLSG, Urteil vom 16.02.2006 - L 11 AS 68/05 - unter Verweisung auf Lang in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 21 RdNr. 65).
Ob mehrere verschiedene Mehrbedarfe im Sinn von § 21 SGB II kumulativ zu gewähren sind, kann nicht generell
entschieden werden (vgl. dazu Münder in: Ders., LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21 RdNr. 30; Lange in: Eicher/
Spellbrink, SGB II, 2005, § 21 RdNr. 69). Materiell-rechtliche Richtschnur ist die "Angemessenheit". So mag es
durchaus Fallgestaltungen geben, in denen eine kumulative Leistung angezeigt ist. Das könnte beispielsweise dann
der Fall sein, wenn verschiedene gesundheitliche Störungen vorliegen, die jede für sich eine bestimmte Ergänzung -
die jedoch untereinander divergieren - zur normalen Kost erfordert. Problematisch erscheint eine Kumulation häufig
bereits dann, wenn verschiedene Nahrungsbestandteile wegen unterschiedlicher Gesundheitsstörungen wegzulassen
sind und diese modifizierte Kost im Vergleich zur Normalkost teurer ist. In vielen dieser Fälle dürfte der tatsächliche
Mehraufwand mit der Leistung für die teuerste Reduktionskost abgedeckt sein. Zwar sind wohl dann, wenn im
Rahmen der Ernährung auf unterschiedliche Krankheitszustände Rücksicht genommen werden muss, auch mehrere
Reduktionskosten zu applizieren. Zu bedenken ist jedoch, dass der Hilfesuchende trotzdem nur die einfache Menge
an Nahrung aufnehmen kann. Der Satz für die teuerste Reduktionskosten deckt jedoch einen vollen Monat mit der
vollen Ess-/Trinkmenge ab. Eine nüchtern-mathematische Betrachtungsweise fördert zu Tage, dass vor diesem
Hintergrund die einzelnen Mehrbedarfssätze nur entsprechend dem Anteil am Verzehr angesetzt werden dürften. Zwar
mag diese Theorie die medizinischen Sachverhalte mitunter zu sehr vereinfachen. Dennoch wird deutlich, dass die
undifferenzierte Kumulation von Mehrbedarfen, wie sie der Bf. reklamiert, in der Regel wohl nicht den tatsächlichen
Verhält-nissen gerecht werden kann. Sie muss vielmehr als Ausnahmefall eingestuft werden.
Angesichts dieses Befundes erscheint opportun, nur dann Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 5 SGB II kumuliert zu
gewähren, wenn besondere Umstände vorliegen. Bezüglich dieser besonderen Umstände trägt der Hilfesuchende die
Beweislast. Im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht ist er gehalten, entsprechende Anhaltspunkte zu liefern, so dass die
Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen der Amtsermittlung den Sachverhalt klären können. Ein entsprechend
substantiierter Vortrag seitens des Bf. fehlt hier aber.
Beim Bf. liegt kein Mangelzustand, sondern im Gegenteil eine Hyperalimentation vor. Die bei ihm angezeigten
Ernährungsmuster sind "Reduktionskosten". Eine kumulierte Mehrbedarfsgewährung verlangt er deshalb, weil dies die
Empfehlungen so vorsähen. Jedoch enthält sein Vorbringen keine Hinweise, bei ihm könnte der tatsächliche
krankheitskostbedingte Mehrbedarf über dem Satz des höchsten Mehrbedarfs liegen. Sein Verweis auf die
Empfehlungen verfängt in diesem Zusammenhang nicht. Denn dort wird die Kumulation nicht empfohlen. Im
Gegenteil: Randnummer 6 der Empfehlungen (S. 15) bestimmt ausdrücklich, lägen die Voraussetzungen für die
Gewährung mehrerer Krankenkostzulagen gleichzeitig vor, so solle in der Regel nur eine - und zwar die höchste -
gewährt werden. Dies wird später wie folgt erläutert (S. 28): Leide ein Hilfeempfänger gleichzeitig an mehreren
Erkrankungen, für die die Einhaltung besonderer Kostformen empfohlen werde, sei eine Lebensmittelauswahl zu
treffen, die möglichst mit den diätetischen Erfordernissen der einzelnen Erkrankungen vereinbar sei. Eine Addition der
Mehraufwendungen für jede einzelne Kostform sei unzulässig, weil es qualitativ und quantitativ zu
Kompensationseffekten komme. Die Gewährung der höchsten in Betracht kommenden Krankenkostzulage werde
regelmäßig die sachgerechteste Lösung sein.
Auch der aktuelle Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Er-kenntnisse spricht für dieses Ergebnis. Vorab bedarf
der Klarstellung, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts
keineswegs stets medizinische Sachverständigengutachten einholen müssen. Zwar erlegt die Amtsermittlungspflicht
ihnen auf, den Sachverhalt von sich aus hinreichend aufzuklären. Auf welche Weise sie sich diese
Sachverhaltskenntnis verschaffen, entzieht sich einer formalen Regelung. Es gilt vielmehr der Grundsatz der freien
Beweiswürdigung (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Das schließt ein, dass die Gerichte mitunter durch bloßes eigenes
Literaturstudium sich hinreichende medizinische Kenntnisse verschaffen können. Sie dürfen sich jedoch nicht auf
medizinisches "Halbwissen" stützen.
Derartige aussagekräftige und auch für medizinische Laien ver-ständliche und deshalb auch ohne
Sachverständigengutachten ver-wertbare Literaturstellen sprechen gegen das Begehren des Bf. Für den
Bluthochdruck empfiehlt Pschyrembel, Therapeutisches Wörterbuch, 1998, S. 323, Gewichtsreduktion, Meiden von
Nikotin und Alkohol, körperliche Aktivität sowie ausreichenden Schlaf. Hinsichtlich der Ernährung wird nur empfohlen,
den Kochsalzkonsum auf 6 g/d zu reduzieren (ähnlich Forster in: Münch/Reitz, Grundlagen der Krankheitslehre, 1996,
S. 377; sehr ausführlich Pollak, Knaurs großes Gesundheitslexikon, 1999, S. 308 ff.). Nach dem
Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung
(Krankenkostzulagen) gem. § 23 Abs. 4 BSHG des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe (im
Folgenden: Begutachtungsleitfaden), S. 13 f., sei eine Ernährung mit mäßig reduzierter Kochsalzzufuhr mit üblichen
Lebensmitteln möglich; es enstünden hieraus keine Mehrkosten. Weiter sei geboten, das Körpergewicht zu
normalisieren und den Alkoholkonsum einzuschränken; auch hierfür würden keine Mehrkosten anfallen.
Bei Gicht rät Pschyrembel, a.a.O., S. 251, unter anderem eine hohe Flüssigkeitsaufnahme von bis zu 3 l/d, eine
Gewichtsreduktion bei Übergewicht sowie die Vermeidung von Innereien, Hülsenfrüchten, fettreichem Essen sowie
Alkohol (ähnlich Schaffner in: Münch/Reitz, a.a.O., S. 225; sehr ausführlich Pollak, a.a.O., S. 245; Purinarme Kost,
Internet-Seite des Rheumazentrums Ruhrgebiet). Der Begutachtungsleitfaden, S. 17 f., schließt daraus, es handle
sich um eine modifizierte Normalkost unter Vermeidung schädlicher Lebensmittel. Die spezifisch erforderliche
Ernährung wie auch die Gewichtsreduktion würden keine Mehrkosten verursachen.
Der Hypercholesterinämie kann nach Pschyrembel, a.a.O., S. 313, zumeist durch eine fettarme Kost entgegen
gewirkt werden (vgl. dazu eingehend Pollak, a.a.O., S. 193). Laut Begutachtungsleitfaden, S. 17, ist die erforderliche
Kostform eine Reduktionskost in Form einer kalorienreduzierten ausgewogenen Mischkost unter Erhöhung der Anteile
an Kohlenhydraten und Ballaststoffen. Weder bei einer Reduktionskost noch bei einer fettreduzierten bzw. fettarmen
Kost bestehe ein erhöhter Kostenaufwand.
Diese Bestandsaufnahme zeigt, dass die krankheitsangepasste Ernährung des Bf. kein Zuführen bestimmter Stoffe,
sondern ausschließlich ein Vermeiden erfordert. In weiten Teilen konvergieren die jeweiligen, den verschiedenen
Gesundheitsbeeinträchtigungen zugeordneten Ernährungsmuster. Somit ist nicht ersichtlich, der dem Bf.
zugesprochene Mehrbedarf von 35,79 Euro könnte unzureichend sein. Es liegt keine Kombination von Erkrankungen
vor, bei der eine kumulative Gewährung berechtigt sein könnte. Berücksichtigt man, dass der Bf. zum Teil
vergleichsweise teure Lebensmittel vermeiden oder reduzieren sollte (z.B. Alkohol, Fleisch), muss der ihm gewährte
Mehrbedarf wohl als großzügig eingestuft werden.
2. Ernährungsmehraufwand wegen Neurodermitis
Für Neurodermitis sehen die Emfehlungen keinen Mehrbedarf wegen einer spezifischen Allergikerkost, sondern nur für
Vollkost vor (Randnummer 3, S. 14). Jedoch entfalten sie keine normähnliche Wirkung; allenfalls sind sie als so
genannte antizipierte Sachverständigengutachten heranzuziehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.08.2006 - L 7 AS
86/06). Unter einem antizipierten Sachverständigengutachten versteht man ein Gutachten, das nicht im Rahmen der
Beweisaufnahme eines konkreten Prozesses eingeholt wird, sondern im Vorhinein erstellt worden ist und in genereller
Form Antwort auf eine bestimmte Tatsachenfrage gibt; nach Gerhardt, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften,
NJW 1989, S. 2233 (2234), stellt es "eine Art Beweisregel" dar (vgl. auch Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 103 RdNr. 7c). Eine quasi-normative Bindung der Gerichte besteht jedoch
nicht. So kann es nicht mit der Feststellung sein Bewenden haben, die Empfehlungen würden keinen Mehrbedarf für
eine spezifische Allergikerkost bei Neurodermitis befürworten.
Rein finanziell betrachtet, hat für den Bf. die Problematik um die Neurodermitis die größte Bedeutung (allein für
Ernährungsmehraufwand macht er 78,36 Euro geltend). Konträr dazu sind die medizinischen Unterlagen, die der Bf.
im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegt hat, eher dürftig. Er hat zwar ausführlich seine subjektive
Einschätzung zu den kausalen Zusammenhängen dieser Krankheit mitgeteilt, an objektiven Befunden fehlt es
dagegen weitgehend. Lediglich im erstinstanzlichen Verfahren hat der Bf drei ältere Befundberichte (aus den Jahren
2004 und 2005) eingereicht.
Zudem kann der vom Bf. behauptete Kausalzusammenhang zwischen der von ihm bevorzugten Nahrung und dem
Auftreten von Neurodermitis nicht verifiziert werden. Das unterstreicht eine Sichtung medizinischer Literatur. So meint
Pollak, a.a.O., S. 156, eine besondere Diät sei bei Neurodermitis nicht erforderlich; nur Nahrungsmittel, die angeblich
nicht vertragen würden, solle der Ekzemkranke meiden. Nach dem Begutachtungsleitfaden, S. 12, sei bei
Neurodermitis eine besondere Kostform, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen hat, nicht bekannt; Mehrkosten
entstünden in der Regel nicht. In Pschyrembel, a.a.O., S. 185, findet sich unter dem Stichwort "Exzem, atopisches"
ein umfangreicher Therapiekatalog; im Hinblick auf Nahrungsmittel wird jedoch nur lapidar angemerkt, bei allergischer
Genese z.B. durch bestimmte Nahrungsmittel sollte auf diese verzichtet werden.
Als besonders aufschlussreich hat sich eine Internetrecherche bei Wikipedia (am 09.05.2007) erwiesen: Die Ursachen
der Neurodermitis seien bislang nicht eindeutig geklärt. Eine Reihe von Beobachtungen und Forschungsergebnissen
sprächen für eine multifaktorielle Pathogenese. Allergie auslösende Nahrungsmittel müssten gemieden werden. Vor
allem von Heilpraktikern würden Ernährungsumstellungen und Diäten empfohlen. Auch würde eine entsäuernde
Ernährung empfohlen (basische Ernährung). Viele Erkrankte würden eine Besserung durch den Übergang zu einer
bewussten Ernährung erfahren. In einigen Fällen helfe die Vermeidung von Konservierungsstoffen, insbesondere Nitrit,
die Symptome zu lindern. Einen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit dieser Diäten gebe es derzeit nicht.
Nach dem allgemeinen Stand der medizinischen und der Ernährungswissenschaft existiert somit keine
"Allergikerkost", wie es der Bf. reklamiert. Auf diesen objektiven, wissenschaftlichen Erkenntnisstand kommt es
jedoch im Rahmen des Tatbestandsmerkmals des § 21 Abs. 5 SGB II "aus medizinischen Gründen ... bedürfen" an.
Nichts anderes gilt ja auch für das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB
V) sowie der Hilfen zur Gesundheit nach dem Sozialgesetzbuch XII (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Der Umstand,
dass die Empfehlungen sich nicht zu einer "Allergikerkost" bei Neurodermitis äußern, ist als "beredtes Schweigen" zu
deuten: Eine spezielle "Allergikerkost" wird nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse schlechterdings
nicht für indiziert erachtet. Das subjektive Empfinden des Bf. kann keinesfalls Grundlage sein, ihm einen gesonderten
Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zuzuerkennen.
Gewissen Bedenken begegnet, dass die Empfehlungen für Neurodermitis überhaupt eine Vollkost indiziert sehen
(Randnummer 3, S. 14). Denn beide Gutachten, die im Rahmen der Empfehlungen berücksichtigt wurden und sich zu
der Krankheit äußern (vgl. S. 74 bis 76, 137/138), verneinen bei Neurodermitis die Notwendigkeit einer besonderen
Kost mit der Ausnahme, dass eben allergieauslösende Lebensmittel wegzulassen sind ("Eliminationsdiät"). Zum
Anderen kann man trefflich darüber streiten, ob für Vollkost überhaupt ein Mehraufwand im rechtlichen Sinn anfällt.
Die Definition von "Vollkost" in Anlage 3 der Empfehlungen (S. 37/38) bezeichnet diese nämlich als Kost, die
einerseits den Bedarf an essentiellen Nährstoffen deckt, andererseits in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf
berücksichtigt, zum Dritten die Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention berücksichtigt und schließlich in
ihrer Zusammensetzung im Übrigen den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist. Es handelt sich dabei also
offenbar um die ernährungswissenschaftlich "gesunde" Ernährung. Eine "gesunde Ernährung" muss aber bereits mit
der Regelleistung jedem Hilfeempfänger ermöglicht werden. Der Ansatz eines Mehrbedarfs für Vollkost erscheint
daher nicht unproblematisch. Jedenfalls aber darf für Vollkost nicht ein kumulativer Mehrbedarf gewährt werden.
3. Sonstiger Mehraufwand wegen Neurodermitis
Soweit das Begehren des Bf. nicht Mehraufwendungen wegen kostenaufwändiger Ernährung betrifft, sondern - im
Zusammenhang mit der Neurodermitis - andere Bedarfspositionen, kann ihm ebenfalls nicht entsprochen werden.
Insoweit ist, was der Bf. auch einräumt, § 21 SGB II nicht einschlägig. Das insoweit auftretende Problem geht dahin,
inwieweit die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes "Sonderbedarfe" zulässt oder aber mitumfasst.
Grundsätzlich ist der Bedarf mit den Regelleistungen nach § 20 SGB II abgedeckt. Ausnahmen davon sind nur
zulässig, wenn und soweit die §§ 21 bis 23 SGB II entsprechende Regelungen treffen (vgl. zu diesem Grundprinzip §
21 Abs. 1 SGB II). Die prinzipiell pauschalierte Leistungsgewährung begegnet - sowohl dass überhaupt pauschaliert
wird als auch bezüglich der Höhe des Regelleistungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG, Urteil vom
23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - RdNr. 46 ff. des Umdrucks; vorher bereits BayLSG, Urteil vom 21.06.2006 - L 7 AS
73/05 - sowie Urteile vom 26.10.2006 - L 7 AS 90/06 und L 7 AS 212/06). Es ist jedoch zu konzedieren, dass das
Bundessozialgericht die Verfassungsmäßigkeit wesentlich damit begründet hat, der Gesetzgeber des SGB II stelle
den Hilfebedürftigen nicht nur die Regelleistung, sondern in nicht unwesentlichem Umfang weitere Leistungen zur
Verfügung.
Im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - hat sich das Bundessozialgericht eingehend mit der Frage befasst,
inwieweit "Sonderbedarfe" außerhalb der Regelleistung gedeckt werden dürfen. Im Rahmen dieser Entscheidung hat
das Gericht zunächst auf den grundsätzlich abschließenden Charakter der Regelleistung hingewiesen:
"Bereits im Gesetzentwurf zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt hat der Gesetzgeber
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II die Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen des SGB XII ausschließt (dazu: Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII,
K § 21 RdNr. 19 ff., Stand Juni 2006; Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, K § 5 RdNr. 99 ff., Stand Juli 2006), und zwar
sogar in Fällen der Absenkung bzw des Weg-falls des Alg II und des Sozialgelds (BT-Drucks. 15/1516 S. 51 zu § 5
Abs. 2). Mit einer Anfügung der nachstehenden Passage an § 3 Abs. 1 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung
der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat er diesen Gesichtspunkt im Gesetz noch einmal klargestellt: "die nach
diesem Buch vorgesehenen Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in
einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung des Bedarfs ist
ausgeschlossen." Zur Begründung dieser Klarstellung (BT-Drucks. 16/1696 S. 26 zu Nr. 2) ist ausgeführt, die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts würden mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft und der Heizung
grundsätzlich in pauschalierter Form erbracht. Sie deckten den allgemeinen Bedarf der erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen und der Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, abschließend. Unbeschadet der
Regelungen des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels, die insbesondere die Möglichkeit der darlehensweisen
Leistungsgewährung bei unabweisbarem Bedarf im Einzelfall beinhalteten, würden Leistungen für weiter gehende
Bedarfe durch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht erbracht. Gleichzeitig wurde in § 20 SGB II der
Inhalt der Bedarfe näher spezifiziert; danach umfasst die Regelleistung u.a. die persönlichen Bedürfnisse des
täglichen Lebens, zu denen auch die Beziehung zur Umwelt und damit grundsätzlich der Umgang mit
Familienangehörigen zu zählen ist."
In diesem Urteil hat sich das Bundessozialgericht aber auch mit den einzelnen Ausnahmemöglichkeiten befasst,
dennoch außerhalb der Regelleistung gesonderte Leistungen zu erbringen (vgl. zu diesem Problem ausführlich Berlit
in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 23 RdNr. 6 f.):
Im vorliegenden Fall hilft § 23 Abs. 1 SGB II, legt man die An-sicht des Bundessozialgerichts zugrunde, nicht weiter.
Nach dieser Regelung kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster nach den Umständen unabweisbarer
Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Gewährung eines Darlehens gedeckt werden. Wiederkehrende
Bedarfe, so das Bundessozialgericht, seien jedoch nur schwer einer darlehensweisen Gewährung zugänglich, weil das
Darlehen durch die in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB II angeordnete Aufrechnung zu einer belastenden Hypothek für die
Zukunft werde. Zwar könne verfassungswidrigen Auswirkungen dieser Regelung gegebenenfalls durch einen
(nachträglichen) Erlass nach § 44 SGB II Rechnung getragen werden; jedoch tauge dieser Gedanke wenig bei
Dauerbedarfen. Der Erlass müsste dann mit der Darlehensgewährung verbunden werden; die Darlehensgewährung
würde damit ad absurdum geführt. Eine solche Lösung wäre im Ergebnis eine Umgehung der vom Gesetzgeber
ausgeschlossenen Erhöhung der Regelsätze.
Das Bundessozialgericht hat sich damit sehr zurückhaltend zu einer erweiternden Heranziehung von § 23 Abs. 1 SGB
II geäußert. Der Senat teilt diese Skepsis: Das SGB II weist bezüglich der hier vorliegenden Problematik keine
Regelungslücke auf. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber positiv und in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise für den Weg des § 23 Abs. 1 SGB II entschieden, Sonderbedarfe nur über Darlehen zu decken. Man mag
darüber streiten, ob vor diesem Hintergrund die Regelleistungen nach § 20 SGB II hinreichend sind. Jedenfalls muss
diese Frage im Rahmen des § 20 SGB II gelöst werden. Zu versuchen, statt dessen § 23 Abs. 1 SGB II nach
Billigkeit zu einer allgemeinen Auffanganspruchsgrundlage für Zuschüsse zu modifizieren, hieße, den objektiven
Willen des Gesetzes zu missachten.
Auch die Anspruchsgrundlagen des SGB XII zur Hilfe in besonderen Lebenslagen verhelfen dem Bf. nicht zum Erfolg.
Die Konkurrenznormen des § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII treffen zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen
keine Regelungen, so dass von einer Leistungskonkurrenz auszugehen ist (vgl. Brühl in: LPK-SGB II, 2. Auflage
2007, § 5 RdNr. 50). Der "Sonderbedarf" des Bf. wird nicht von den Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff. SGB XII
erfasst. Denn der dazu gehörige Leistungskatalog deckt sich mit dem der gesetzlichen Krankenversicherung. Fällt ein
Bedarf dem Gegenstand nach nicht in deren Leistungsspektrum, kann er auch nicht über § 47 ff. SGB XII gewährt
werden. Auch § 73 SGB XII ist nicht einschlägig (vgl. zu dieser Anspruchsgrundlage ausführlich BSG, Urteil vom
07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R , RdNr. 21 ff. des Umdrucks). Aus Sinn und Zweck dieser Regelung ergibt sich, dass
sie nur dann in Erwägung gezogen darf, wenn eine spezielle gesetzliche Regelung fehlt, wenn mit anderen Worten
eine unbenannte Bedarfssituation gegeben ist (vgl. Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 73 RdNr. 1, 4 ).
Insbesondere darf § 23 Abs. 1 SGB II (der für "Sonderbedarf" die Darlehensgewährung vorsieht) nicht durch einen
Rekurs auf § 73 SGB XII umgangen und funktionslos gemacht werden. Durch die spezielle Regelung eines Bedarfs
ist die Anwendung von § 73 SGB XII grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. a.a.O., RdNr. 5 ). Abschließend geregelte
Tatbestände dulden keine Aufstockung oder Ausweitung über § 73 SGB XII (vgl. Baur/Zink in: Mergler/Zink,
Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Band 1, § 73 SGB XII RdNr. 3 ). Mit anderen Worten kann § 73 SGB II
im Rahmen des SGB II nur dann Bedeutung erlangen, wenn das Gesetz einen strukturellen Mangel aufweist, nämlich
einen Bedarfstypus übersehen hat.
Das ist hier nicht der Fall. Aus dem Charakter von § 73 SGB II als Auffangnorm für absolute Ausnahmefälle folgt,
dass die Norm hier nicht als Anspruchsgrundlage zu dienen vermag. Denn beim Bf. ist keine strukturell
außergewöhnliche Ausnahmesituation feststellbar. Sein Krankheitsbild stellt sich nach Aktenlage keineswegs als
ungewöhnlich oder besonders schwerwiegend dar. Die objektiven Befunde liefern in diese Richtung keinen Beleg.
Aus dem gleichen Grund darf auch § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht entsprechend angewandt werden. Bezüglich
einer analogen Anwendung von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII dürfte zudem BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS
14/06 R , RdNr. 19 des Umdrucks, entgegen stehen. Denn dort hat das Bundessozialgericht klar gestellt, es sei nicht
möglich, den Bedarf unabhängig von den Regelsätzen festzulegen und die Regelleistung so zu erhöhen.
Da somit keine vom Normalfall gravierend abweichende Bedarfssituation festgestellt werden kann, muss es bei dem
im Sozialgesetzbuch II anlegten Prinzip der weit gehenden Leistungspauschalierung bleiben. Andernfalls würde der
evidente Wille des Gesetzgebers umgangen. Wenn man erörtert, ob und inwieweit die sozialgerichtliche
Rechtsprechung die Pauschalregelungen des SGB II in "medizinisch geprägten" Fällen unterlaufen darf oder gar von
Verfassungs wegen unterlaufen muss, ist zu bedenken, dass beispielsweise die höchstmögliche jährliche Belastung
mit Praxisgebühren und Medikamentenzuzahlungen nach § 62 SGB V vom Gesetzgeber berücksichtigt worden ist
(vgl. BayLSG, Urteil vom 21.07.2006 - L 7 AS 73/05). Weiter darf nicht ignoriert werden, dass der Eckregelsatz nach
dem Sozialhilferecht in den alten Bundesländern zuletzt bei 296,00 Euro lag. Die Erhöhung um 16,55 % erscheint als
vertretbarer Ausgleich für den Wegfall von einmaligen Beihilfen (die im Übrigen nicht vollständig entfallen sind, vgl.
BayLSG, a.a.O.).
4. Mehraufwendungen wegen weiterer Gesundheitsstörungen
Hinsichtlich der Probleme mit der Speiseröhre sowie der orthopädischen Beschwerden scheitert das Begehren des Bf.
bereits daran, dass dazu keine befürwortende medizinische Stellungnahme vorliegt; sein behandelnder Arzt hat sich
hierzu nicht geäußert. Mehrbedarfe wegen kostenaufwändiger Ernährung sehen die Empfehlungen nicht vor. Auch
besteht kein Hinweis, die Speiseröhrenerkrankung könnte tatsächlich zu einem ernährungsbedingten Mehraufwand
führen. Hinzu kommt, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen um gängige und keinesfalls ungewöhnliche
Beschwerdebilder handelt, so dass es nicht rechtens wäre, die im SGB II installierte Pauschalierung zu umgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwen- dung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).