Urteil des LSG Bayern vom 08.03.2006

LSG Bayern: abrechnung, richtigstellung, aufwand, operation, zahnarzt, vergleich, osteotomie, ergänzung, diagnose, anschluss

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 32 KA 5037/01
Bayerisches Landessozialgericht L 3 KA 5003/04
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.08.2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Bema-Nr. 73 in vier Fällen.
Der Kläger ist als Vertragszahnarzt in E. zugelassen. Er ist überwiegend als Oralchirurg tätig.
Gegenstand des Verfahrens ist die Kieferbruch-Abrechnung 07/2000. Bei den Patienten W. , B. , K. und S. setzte die
Beklagte durch Richtigstellungsbescheid vom 10.08.2000 die Bema-Nr. 73 in die Bema-Nr. 126 um. Sie begründete
diese Umsetzung damit, dass die abgerechnete Leistung Nr. 73 nicht mit der Diagnose übereinstimme, sie entspräche
vielmehr der Leistung nach Nr. 126. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er legte dar, dass nach
seiner Rechtsauffassung die Nr. 73 angesetzt werden könne, wenn innerhalb einer operativen Maßnahme ein Bracket
aufgeklebt würde. Der Wortlaut der Bema-Nr. 73 entspreche exakt der erbrachten Leistung. Die Abrechnung habe sich
am Wortlaut der Abrechnungsbestimmung zu orientieren. Die ungenaue Beschreibung in Ziffer 10 der
Abrechnungsbestimmungen "Wird einem Zahn nach operativem Freilegen ein Bracket oder Band aufgeklebt, ist dafür
die Bema-Nr. 126 abrechenbar" könne als Auslegungskriterium nicht greifen, da sie im Wortlaut der Vorschrift nicht
ansatzweise enthalten sei. Ein beschränkender Abrechnungshinweis fehle. Die vom Kläger übersandten
Patientenkarteien enthielten folgende Einträge:
- Patientin W.: Zahn 33, operative Freilegung des Zahnes, Kno- chenhülle entfernt, Bracket mit Brackfix befestigt. -
Patienten K.: Zahn 23, Freilegung des Zahnes mit Skalpell, altes Bracket entfernt, neues Bracket und Goldkettchen
mit Brackfix befestigt, Nähte gelegt. - Patienten S.: Zahn 13, operative Freilegung des Zahnes, Blut stillung mit
Elektrotom, Schwächen des Knochens, Narbengewebe entfernt, Anschlingung des Zahnes, Streifen eingelegt. -
Patientin B.: Zahn 23, operative Freilegung, Blutung ge- stillt mit Cauter, Bracket mit Brackfix befestigt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001 zurück. Das Kleben eines Brackets
erfülle den Leistungsinhalt der Bema-Nr. 126. Diese Leistung könne ohne Antrag vom Kläger abgerechnet werden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Er hat zur Begründung auf
seinen Schriftsatz im Verfahren S 32 KA 5182/00 hingewiesen, in dem er ausgeführt hat, dass die Beklagte
unterschiedlich entschieden und die Ansetzung der Bema-Nr. 73 teilweise anerkannt, teilweise jedoch eine
Umsetzung in die Bema-Nr. 126 vorgenommen habe. Die Bema-Nr. 63 sei jeweils im Zusammenhang mit einer
Freilegung eines retinierten oder verlagerten Zahnes zur orthopädischen Einstellung abgerechnet worden. Es sei
entscheidend, ob es sich um eine zusätzliche, vom Operateur im zeitlichen Anschluss an die Operation (bei
Freilegung) zu erbringende Leistung handle oder um eine Leistung nach Abschluss der Operation und entsprechender
Abheilung des operierten Gebiets. Letzterenfalls könne nur die Nr. 126 abgerechnet werden, bei einer intraoperativen
Anbringung dagegen die BEMA-Nr. 73.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29.08.2001 abgewiesen. Ein Bracket könne nie nach BEMA-Nr. 73 abgerechnet
werden. Damit sei die Umsetzung in die Nr. 126 zu Recht erfolgt. Dass die Be- klagte in früheren Verfahren
gegebenenfalls anders entschieden habe, sei bedeutungslos, da es ihr jederzeit möglich sei, die als unrichtig erkannte
Verwaltungspraxis zu ändern. Einen Ver- trauensschutz oder Besitzstandsschutz gebe es nicht.
Der Senat hat der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vom 08.11.2001 mit Beschluss vom 30.1.2004
abgeholfen und die Berufung zugelassen.
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger insbesondere vorge- bracht, dass die BEMA-Nr. 73 den Zusatz "oder
dergleichen" ent- halte und deshalb auch Brackets vom Leistungsinhalt erfasst würden. Ferner hat der Kläger auf die
unterschiedliche Bearbei- tungspraxis durch die Beklagte hingewiesen und umfangreiches Material von anderen
Zahnärzten vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung am 08.03.2006 hat der Kläger auf Fragen dargelegt, dass er bei
der Patientin S. auch ein Bracket angebracht habe, obgleich in den Patientenunterlagen die "Anschlingung eines
Zahnes" dokumentiert worden sei.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten betreffend die Kieferbruch-Abrechnung 07/2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.01.2001 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.08.2001 aufzuheben,
hilfsweise ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen darüber einzuholen, ob seine intraoperative
Maßnahme bei Anbringung eines Brackets und die weiteren Maßnahmen unter den Wortlaut "dergleichen"
medizinisch-technisch zu subsumieren ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.08.2001
zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten, die vom Kläger übersandten
Behandlungsunterlagen sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die durch Beschluss vom 30.01.2004 zugelassene Berufung ist unbegründet. Die sachlich-rechnerische
Richtigstellung in vier Fällen erfolgte zu Recht, da die BEMA-Nr. 73 nicht abrechenbar war.
Die Beklagte ist befugt, die vertragszahnärztlichen Abrechnun- gen des Klägers auf ihre sachlich-rechnerische
Richtigkeit zu überprüfen. Dies ergibt sich im Primärkassenbereich aus § 19 Buchst. a des Bundesmantelvertrages
Zahnärzte (BMV-Z) und § 16 des Bayer. Gesamtvertrages-Zahnärzte (GV-Z), wobei die Berich- tigung nicht
abrechnungsfähiger Leistungen in § 16 Abs. 3 GV-Z geregelt ist. Im Ersatzkassenbereich ergibt sich die Befugnis zur
Richtigstellung aus § 12 Nr. 1 des Ersatzkassenvertrages- Zahnärzte (EKV-Z). Nach dem Bundessozialgericht (BSG)
hat die Beklagte die Abrechnungen des Klägers rechnerisch und bezüglich der ordnungsgemäßen Anwendung der
Gebührenordnung sowie anderer Bestimmungen (z.B. der Verträge und Richtlinien) zu prüfen und gegebenenfalls zu
berichtigen. Eine Berichtigung muss insbesondere erfolgen, wenn eine abgerechnete Leistung nicht der
Leistungslegende des Bewertungsmaßstabes (BEMA oder EBM) entspricht.
Soweit der Kläger in den vier streitigen Fällen neben der BEMA-Nr. 63 (Freilegung eines retinierten oder verlagerten
Zahnes zur orthopädischen Einstellung) die BEMA-Nr. 73 für die Anbringung von Brackets mittels Brackfix
abgerechnet hat, ist die Leistungslegende nicht erfüllt. Diese Leistung war richtigzustellen und in die BEMA-Nr. 126
umzusetzen.
Die BEMA-Nummer 73 lautet: "Anlegen von Drahtligaturen, Drahthäkchen, einfachen Drahtbügeln oder dergleichen"
und ist mit 60 Punkten bewertet. Demgegenüber lautet die BEMA-Nr. 126: "Eingliedern eines Bandes oder andere
gleichwertige Leistungen zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel einschließlich Material- und Laboratoriumskosten"
und ist mit 33 Punkten bewertet.
Zwar ist die Abrechnung der Bema-Nr. 73 - worauf der Kläger zu Recht hinweist - nicht generell ausgeschlossen,
soweit die Bema-Nr. 63 abgerechnet wird. Die Freilegung eines retinierten oder verlagerten Zahnes zur orthopädischen
Einstellung hat das Ziel, eine kieferorthopädische Behandlung zu ermöglichen oder den Erfolg von
kieferorthopädischen Maßnahmen zu unterstützen. Deshalb wird durch eine vorsichtige Osteotomie so viel von der
Knochendecke abgetragen, dass das Anbringen eines Systems ermöglicht wird, mit dessen Hilfe kieferorthopädisch
Zugkraft auf den retinierten bzw. verlagerten Zahn ausgeübt werden kann. Dies kann mittels Drahtumschlingung,
eines Ankers oder in neuerer Zeit auch mit Hilfe von Klebebrackets erfolgen. Typischerweise wird dieses Verfahren
beim Eckzahn des Oberkiefers (13 oder 23) durchgeführt.
Nachdem die Anbringung eines kieferorthopädischen Systems sowohl mittels Drahtumschlingung als auch mittels
Klebebrackets möglich ist, ist für diese zusätzlichen selbständigen Maßnahmen, die in der Leistungslegende der Nr.
63 nicht erfasst werden, entweder die Nr. 73 abrechenbar, wenn Drahtligaturen, Drahthäkchen oder einfache
Drahtbügel oder dergleichen angelegt werden oder die Nr. 126, soweit ein Band oder Klebebrackets angebracht werden
(siehe hierzu Liebold/Raff/Wissing, Kommentar zum BEMA-Z, Stand der Kommentierung August 1998).
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers erfüllt das Anbringen eines Klebebrackets nicht die Leistungslegende der
BEMA-Nr. 73. Brackets sind nicht mit Drahtligaturen oder -häkchen bzw. Drahtbügeln vergleichbar und deshalb nicht
unter "dergleichen" subsumierbar. Nr. 73 erfasst nur relativ aufwändige, individuell zu erstellende (Halte-)Vorrichtungen
insbesondere im Zusammenhang mit der Anbringung eines Stütz- oder Schienenverbandes und ist deshalb mit 60
Punkten hoch bewertet, zumal auch vorbereitende und begleitende Maßnahmen bei der Anlage von
Schienenverbänden (Abdrucknahme, Bissnahme, Separatorligaturen, Befestigung) mit abgegolten werden. Brackets
werden dagegen ohne individuelle Bearbeitung durch den Zahnarzt auf die präparierte Zahnoberfläche aufgeklebt, so
dass der Aufwand vergleichsweise gering ist. Auch sind für die Anbringung keine vorbereitenden oder begleitenden
Maßnahmen notwendig.
Das Argument des Klägers, er bringe die Brackets intraoperativ an, wobei ein im Vergleich zum Kieferorthopäden
wesentlich höherer Aufwand entstehe, hat abrechnungstechnisch keine Relevanz. Der operative Aufwand ist
unabhängig vom Ansatz der Nr. 126 oder der Nr. 73 bereits durch die Bema-Nr. 63 abgegolten, die mit 80 Punkten
aufwandsentsprechend bewertet ist. Außerdem differenziert weder die Leistungslegende der Nr. 73 noch die der Nr.
126 danach, ob die Leistung intraoperativ erbracht wurde oder nicht.
Im Ergebnis erfüllt die Anbringung eines Brackets nicht den Leistungsinhalt der BEMA-Nr. 73. Sie fällt vielmehr unter
die Legende der BEMA-Nr. 126, weil Brackets dazu dienen, ortodontische Hilfsmittel aufzunehmen, d.h., "andere
gleichwertige Leistungen" sind. Die Neufassung des BEMA ab 01.01.2004 trägt dem Rechnung und erwähnt in der
neuen Nr. 126a Brackets ausdrücklich.
Der "Hilfsantrag" auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens betrifft keine
entscheidungserheblichen Tatsachen sondern die Auslegung des Bewertungsmaßstabes. Diese ist eine Rechtsfrage,
die vom sachkundig besetzten Senat zu entscheiden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis 01.01.2002 geltenden Fassung, da die Klage bereits am
02.02.2001 eingelegt wurde.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Abrechnung der BEMA- Nr. 73 keine grundlegende Bedeutung hat. Diese
Ziffer wie auch die Nr. 126 wurde mit der Neufassung des BEMA zum 01.01.2004 aufgehoben.