Urteil des LSG Bayern vom 28.09.2004

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 14 RJ 389/02 A
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 560/03
Bundessozialgericht B 13 RJ 256/04 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung.
Der 1944 geborene Kläger, ein in seiner Heimat lebender bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, hat dort im
Jahre 1965 die Prüfung zum Beruf des Chemikers bestanden. Nach einer anschließenden versicherungspflichtigen
Tätigkeit in seiner Heimat bis 12.07.1968 hat er in der Bundesrepublik Deutschland vom 23.10.1968 bis 01.01.1970
als Kartonagearbeiter gearbeitet. Daran anschließend hat er in Z. an einer Maschinenbauschule seine Ausbildung
fortgesetzt. Vom 02.06.1970 bis 11.05.2000 hat er in seiner Heimat ohne Unterbrechung versicherungspflichtig
gearbeitet.
Am 29.02.2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Im Gutachten der Invalidenkommission S. vom 19.12.2000 kamen Dr.G. und Dr.K. zu der Auffassung, der Kläger sei
auf Dauer berufs- und erwerbsunfähig.
Mit Bescheid vom 31.05.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder teilweise noch volle
Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit gegeben sei. Den dagegen eingelegten Widerspruch hat die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2002 zurückgewiesen.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger dem Sozialgericht Landshut ein Zeugnis über die Prüfung zum
Chemiker sowie eine Kopie eines Arbeitsvertrags mit der Firma H. K. , M. , vorgelegt, wonach er dort als
Kartonagenarbeiter beschäftigt gewesen sei. Auf Anfrage des Sozialgerichts teilte die Firma H. K. mit, über den
Kläger existiere nur mehr die Kopie einer Fehltagekarte.
Der zum gerichtlichen Sachverständigen bestellte Arzt für Allgemeinmedizin Dr.Z. kam sodann im Gutachten vom
19.05.2003 zu der Auffassung, der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten ohne schweres
Heben und Tragen im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig verrichten.
Mit Urteil vom 21.05.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der
hinsichtlich seiner Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland als angelernter Arbeiter des unteren Bereichs
einzuordnende Kläger sei auf dem für ihn maßgeblichen allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig einsatzfähig,
weshalb ein Rentenanspruch nicht bestehe. Dies gelte sowohl für das bis 31.12.2000 geltende Recht als auch für die
ab 01.01.2001 anwendbaren Vorschriften.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Auf die Anfrage des Senats teilte die
Firma H. K. mit Schreiben vom 29.12.2003 mit, es sei davon auszugehen, dass der Kläger als sog. Maschinenhelfer
an einer Papierverarbeitungsmaschine im Einsatz gewesen sei. Dies entspreche der heutigen Gruppe IV des
Lohntarifvertrags der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie in Bayern. Dazu wurde die ab 01.04. 1968 gültige
Lohntafel übersandt.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat das von dem Internisten Dr.E. am 10.05.2004 erstattete Gutachten
eingeholt. Dieser vertrat die Auffassung, seit Antragstellung sei der Kläger noch in der Lage acht Stunden täglich
leichte und zeitweilig mittelschwere Arbeiten auzuüben. Günstig wäre die Möglichkeit zu einem gelegentlichen
Positionswechsel; zu vermeiden seien das Heben und Tragen von schweren Lasten; Tätigkeiten mit häufigem Bücken
und Zwangshaltungen seien nicht mehr zumutbar, ebenso wenig Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und an
gefährdenden Maschinen. Der Kläger sei in der Lage viermal am Tag Wegstrecken von über 500 m in angemessener
Geschwindigkeit zurückzulegen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom
21.05.2003 sowie des Bescheides vom 31.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2002 zu
verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 29.02.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit,
weiter hilfsweise - ab 01.01.2001 - wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Akten des Gerichts und der
beigezogenen Klageakten des Sozialgerichts Landshut sowie der Rentenakte der Beklagten Bezug genommen, die
sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als
unbegründet.
Seit Antragstellung im Februar 2000 ist der Kläger nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs.2 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) - gültig bis 31.12.2000 und vorliegend wegen der im Jahre 2000 erfolgten Antragstellung
noch anwendbar -, weil er nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist bzw.
war, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu
erzielen, das monatlich 630,00 DM überstiegen hat. Er war und ist auch nicht wenigstens berufsunfähig, weil seine
Erwerbsfähigkeit noch nicht infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder
geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit
ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war (§ 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI in
der bis 31.12.2000 gültigen Fassung). Seit 01.01.2001 ist der Kläger aber auch nicht erwerbsgemindert bzw.
berufsunfähig im Sinne der §§ 43 Abs.2, 240 Abs.2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl.I S.827.
Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen auf sein körperliches
Leistungsvermögen ergeben sich aus den Gutachten des Allgemeinarztes Dr.Z. sowie des Internisten Dr.E ... Dr.E.
betont zunächst, dass das Bluthochdruckleiden, an dem der Kläger nach seinen Angaben seit etwa 20 Jahren leidet,
nicht ausreichend gut eingestellt ist. Die Ergometrie wurde bei 75 Watt aufgrund allgemeiner Erschöpfung und wegen
müder Beine abgebrochen, zu einem Zeitpunkt, als der Blutdruck nur leicht erhöht war. Aufgrund der
Kreislaufparameter kann eine Einschränkung des Leistungsvermögens auf nur 75 Watt nicht bestätigt werden. Nach
Auffassung des Sachverständigen sind die vom Kläger beschriebenen Kopfschmerzen durch auftretende
Blutdruckspitzen ausgelöst, eine medikamentöse Anpassung ist möglich.
Dr.E. bestätigt den im Vorgutachten erhobenen Befund einer hypertensiven Herzerkrankung mit einer mittelgradigen
Hypertrophie des linken Ventrikels. Zeichen einer Herzinsuffizienz sind nach den Feststellungen des
Sachverständigen nicht erkennbar. Eine Belastbarkeit für leichte und zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten ist sicherlich
gegeben.
Als Gefäßrisikofaktor erwähnt Dr.E. eine leichte Erhöhung des Cholesterinwertes, die zur Zeit nicht behandelt wird. Im
Hinblick auf den vom Kläger erwähnten angeblichen Herzinfarkt, den er im Jahre 1995 erlitten haben soll, führt Dr.E.
aus, dass ein Zustand nach einem größeren transmuralen Infarkt ausgeschlossen werden könne. Auch bei der
jetzigen ergometrischen Untersuchung zeigten sich keine pathologischen EKG-Veränderungen.
Es ergab sich zwar kein Befund im Sinne einer koronaren Herzerkrankung, nach Auffassung von Dr.E. kann jedoch
bei einem gewissen Risikoprofil eine solche beim Kläger nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Zur
Feststellung wäre eine invasive Untersuchung erforderlich. Aber selbst bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung
würden sich daraus keine quantitativen Leistungseinschränkungen ergeben, da die Untersuchungen jedenfalls eine
einwandfreie Herzfunktion bestätigten.
Ein rheumatisch-entzündliches Geschehen konnte im Rahmen der Laboruntersuchung ausgeschlossen werden, auch
ergab die körperliche Untersuchung keine Gelenkschwellungen oder Gelenkveränderungen im Sinne rheumatisch-
entzündlicher Erkrankungen. Eine ischialgiforme Reizung ist bei negativem Lasègue auszuschließen.
Hinsichtlich der geäußerten Wirbelsäulenbeschwerden ist von einem Cervikobrachialsyndrom auszugehen, das
therapierbar ist, ohne dass sich hieraus relevante Funktionseinschränkungen nachweisen lassen.
Bei seiner Anamneseerhebung vermochte Dr.E. keine depressive Stimmungslage zu erkennen; es bestand eine
ausreichende Schwingungsfähigkeit und der Kläger wirkte offen und zugewandt. Damit liegt eine sozialmedizisch
relevante Depression mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vor.
Keine Auswirkung auf das Leistungsvermögen des Klägers hat der Befund einer kleinen Vorwölbung im Bereich des
Schilddrüsenlappens links. Der Sachverständige äußert den Verdacht auf eine grenzwertige Schilddrüsenfunktion mit
Tendenz zur Überfunktion, was im Rahmen der hausärztlichen Betreuung überprüft werden sollte. Die Notwendigkeit
hausärztlicher Kontrolluntersuchungen ergibt sich auch aus dem Sonographiebefund der Milz mit multiplen, sehr
hellen Reflexen, verteilt über die Milz, zum Teil mit Schallschatten. Diese Veränderungen sind nicht selten ein
Restzustand einer früheren Miliartuberkulose. Weiter konnte ein kalkdichter Herd im Bereich der Leber nachgewiesen
werden ohne Anhaltspunkte für eine noch aktive Erkrankung.
Insgesamt ist das berufliche Leistungsvermögen des Klägers durch die festgestellten Gesundheitsstörungen zwar
bereits eingeschränkt. Er kann aber noch leichte Arbeiten vollschichtig und zeitweilig auch mittelschwere Arbeiten im
Gehen, Stehen und Sitzen ausüben, wobei die Möglichkeit zu einem gelegentlichen Positionswechsel günstig wäre.
Zu vermeiden sind das Heben und Tragen von schweren Lasten; nicht mehr zumutbar sind Tätigkeiten mit häufigem
Bücken und Zwangshaltungen und auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährdenden Maschinen. Der Kläger ist noch in
der Lage, vor Arbeitsbeginn mehr als 500 m zu einem öffentlichen Verkehrsmittel und dann von diesem mehr als 500
m zum Arbeitsplatz in angemessener Geschwindigkeit zu Fuß zurückzulegen, weshalb auch hier keine relevante
Einschränkung angenommen werden kann (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.23).
Angesichts des festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögens kann beim Kläger nicht von Erwerbsunfähigkeit
ausgegangen werden (vgl. § 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI a.F.), auch wenn er möglicherweise die in Deutschland
zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kartonagearbeiter nicht mehr zu verrichten in der Lage wäre. Bei der Prüfung der
Frage, ob Erwerbsunfähigkeit vorliegt, kommt nämlich eine Verweisung auf alle Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes in Betracht, die dem Versicherten unter Berücksichtigung der festgestellten Einschränkungen noch
möglich sind. Die Benennung einer bestimmten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, die der Kläger noch zu
verrichten in der Lage ist, wäre aber nur dann erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde, weil nur dann nicht
ohne weiteres gesagt werden könnte, dass der Arbeitsmarkt noch offene Stellen für ihn bietet. Davon kann jedoch im
Falle des Klägers nicht ausgegangen werden.
Der Kläger ist seit Antragstellung aber auch nicht wenigstens berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs.2 SGB VI a.F.,
weil er noch in der Lage ist, vollschichtig zu arbeiten. Mit dem Sozialgericht geht der Senat davon aus, dass der
Kläger allenfalls dem unteren Bereich der Stufe der angelernten Arbeiter zuzuordnen ist mit der daraus folgenden
Möglichkeit der Verweisung auf alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Der Kläger hat zwar
nach seinen Angaben in seiner Heimat zunächst den Beruf eines Chemikers erlernt; daran anschließend hat er in der
Bundesrepublik Deutschland jedoch als Kartonagearbeiter gearbeitet, wobei er nach den Angaben der Firma H. K.
nach Einsichtnahme in den seinerzeitigen Arbeitsvertrag der Stufe IV der Lohntafel der Papier und und Pappe
verarbeitenden Industrie in Bayern zuzuordnen war. Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit, die allenfalls die
erwähnte Zuordnung zum unteren Anlernbereich rechtfertigen würde. Der Lohngruppe Ia bzw. I gehören nach dieser
Lohntafel die Facharbeiter (gelernte Buchdrucker und Buchbinder bzw. Fachkräfte mit abgeschlossener Lehrzeit) an,
der Lohngruppe II qualifizierte Arbeiten, die eine systematische Einarbeitung, Berufserfahrung und
Maschinenkenntnisse erfordern und die mit erhöhter Eigenverantwortung für Maschinen und Material verbunden sind
oder die Fachkönnen mit Verantwortung für eine größere Arbeitsgruppe erfordern. Die Lohngruppe III erfordert lediglich
Arbeiten mit Hand oder Maschinen, die besondere körperliche Kräfte erfordern; die vom Arbeitgeber genannte
Lohngruppe IV betrifft Arbeiten mit Hand oder Maschine, die fachliche Einarbeitung und Erfahrung sowie besondere
Geschicklichkeit und Ausdauer verlangen und die mit bestimmter Verantwortung für Maschine und Material oder für
Helfer verbunden sind. Die übrigen Lohngruppen V und VI erfordern lediglich eine gewisse Einweisung bzw. eine kurze
Einweisung und sind eindeutig dem ungelernten bzw. Hilfsarbeiterbereich zuzuordnen.
Ein Anspruch auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ist damit in Hinblick auf das festgestellte
vollschichtige Arbeitsleistungsvermögen des Klägers nicht gegeben. Damit hat er auch für die Zeit ab 01.01.2001 kein
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI n.F. bzw. § 240 SGB VI, weil er jedenfalls noch
mehr als sechs Stunden täglich zu arbeiten in der Lage ist. Die Berufung gegen das zutreffende Urteil des
Sozialgerichts Landshut war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass der Kläger in
vollem Umfang unterlegen ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.