Urteil des LSG Bayern vom 08.09.2004

LSG Bayern: vertagung, unfallfolgen, vertretung, heilbehandlung, sachverständiger, realisierung, beschränkung, form, beweisführungslast, klagefrist

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 3 U 294/00
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 92/03
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.02.2003 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin macht mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalles und einen Verletztenrentenanspruch geltend.
Sie stolperte nach ihren Angaben am 30.04.1999 auf dem Weg zur Post und stürzte auf das rechte Kniegelenk.
Erstmals am 04.05. 1999 begab sie sich zu dem Orthopäden Dr.S. , der eine Kniekontusion rechts, eine Schürfung
und ein Hämatom feststellte. Am 24.06.1999 gab Dr.S. an, bei der Erstuntersuchung am 30.04.1999 seien wegen der
unfallunabhängigen, allgemeinen Polymorbidität der Patientin sowohl von ihm als auch von der Patientin selbst eine
leichte Schmerzhaftigkeit am linken Fuß bagatellisiert und nicht dokumentiert worden. Der Verlauf der Beschwerden
erfordere nunmehr eine zusätzliche Aufnahme des linken Fußes als unfallgeschädigt.
Bei der Begutachtung durch den Chirurgen Dr.B. am 24.09.1999 gab die Klägerin nur noch Beschwerden im linken
Fuß an. Der Sachverständige nahm an, dass es bei dem Unfall auch zu einer Quetschung des linken Mittelfußes
gekommen sei, zu der sich ein Morbus Sudeck eingestellt habe. Die Klägerin sei wegen der Unfallfolgen bis
26.09.1999 arbeitsunfähig gewesen, weitere Behandlungsmaßnahmen seien ab da nicht mehr erforderlich gewesen.
Die unfallbedingte MdE betrage seither unter 10 v.H.
Mit Bescheid vom 07.10.1999 lehnte die Beklagte einen Rentenanspruch ab, weil die Erwerbsunfähigkeit nicht in
rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus gemindert sei. Hiergegen legte die
Klägerin Widerspruch ein.
Am 15.02.2000 teilte die Klägerin mit, sie sei auf dem Weg zur ärztlichen Behandlung durch Dr.S. am 20.12.1999
beim Aussteigen aus dem geparkten Auto im linken Fuß eingeknickt und gestürzt. Sie sei dann in die Praxis Dr.S.
gegangen und dort, wie auch in den zuvorgehenden Behandlungen, von der Arzthelferin behandelt worden. Die
Arzthelferin habe ihr eine Vorstellung bei Dr.S. angeboten, die Klägerin habe von der Möglichkeit jedoch nicht
Gebrauch gemacht.
Auf Anfrage der Beklagten teilte Dr.S. mit, die Klägerin befinde sich seit Jahren wegen multipler, zum Teil
fortgeschrittener degenerativer Veränderungen im Bereich des gesamten Bewegungsapparates in seiner Praxis. Im
Rahmen dieser regelmäßigen Behandlungsmaßnahmen (in der Regel intramuskuläre Injektionen) erfolge je nach
Bedarf die Mitbehandlung der Unfallfolgeschäden vom 30.04.1999. Anläßlich eines der oben genannten Arztbesuche
am 27.12.1999 habe die Klägerin erstmalig zunehmende Lumbalbeschwerden geäußert, die von dieser später auf
(einen) ca. 10 Tage vorausgegangenen Sturz zurückgeführt würden. Im Rahmen einer NMR-Abklärung am 12.01.2000
habe sich ein Hinweis auf eine frische Deckplattenimpressionsfraktur von BWK 12 ergeben. Den fraglichen
Behandlungszeitraum hatte Dr.S. mit Rechnung vom 30.12.1999 für die Zeit vom 16.11. bis 29.12.1999 gegenüber der
Beklagten abgerechnet und die geltend gemachten Leistungen vergütet erhalten. Soweit es den 20.12.1999 betrifft,
findet sich dieser Tag nicht in der Abrechnung, es sind zuvor am 06.12. und danach am 27.12. jeweils eine
eingehende Untersuchung, das gewöhnliche Maß übersteigend, abgerechnet.
Der von der Beklagten als Sachverständiger gehörte Chirurg Dr. M. befasste sich in seinem Gutachten vom
13.06.2000 nicht mit der Verletzung an der Brustwirbelsäule. Er kam zu dem Ergebnis, dass es bei dem Unfall vom
30.04.1999 nur zu einer Knieprellung gekommen sei, zu keiner Unfallverletzung am linken Fuß und nicht zu einer
daraus resultierenden Ausbildung eines Morbus Sudeck. Ein Zusammenhang mit der Fußverletzung sei nicht zu
begründen. Unfallbedingt arbeitsunfähig sei die Klägerin bis 31.07.1999 gewesen, danach sei ihre Erwerbsfähigkeit
durch die Unfallfolgen nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen und eine weitere Behandlungsbedürftigkeit nicht
gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Wegen des
geltend gemachten Unfalls vom 20.12.1999 enthält der Bescheid keine Ausführungen.
Mit ihrer Klage vom 07.08.2000 hat die Klägerin am 10.11.2000 beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Unfallfolgen
vom 30.04.1999 in rentenberechtigendem Grade anzuerkennen und Leistungen aus der Unfallversicherung zu
gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass sie noch laufend starke Schmerzen im Bereich des rechten
Kniegelenkes und aufgrund der Quetschung des linken Mittelfußes habe. Es sei daher nicht richtig, dass über die 26.
Woche hinaus keine MdE in rentenberechtigendem Grade mehr vorliege.
Das vom Sozialgericht zunächst eingeholte Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 04.05.2001 bestätigt in vollem
Umfang das Gutachten des Dr. M. und führt ergänzend aus, aufgrund der im Gutachten aufgeführten Feststellungen
könne auch der am 20.12.1999 erlittene Sturz nicht im mittelbaren Zusammenhang mit dem Ereignis vom 30.04.1999
gesehen werden.
Der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG als Sachverständiger gehörte Orthopäde Prof.Dr.G. kommt zu
demselben Ergebnis, ohne noch irgendwelche Kausalitätserwägungen auszuführen und ausdrücklich auf die Folgen
des geltend gemachten Unfalls vom 20.12.1999 einzugehen.
In der mündlichen Verhandlung am 11.02.2003 hat die Klägerin beantragt, die Beklagte in Abänderung des
Bescheides vom 07.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2000 zu verpflichten, als weitere
Unfallfolge einen Bruch des 12. Brustwirbelkörpers (Unfallereignis vom 20.12.1999) festzustellen und ihr deswegen
Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Mit Urteil vom selben Tage hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. In der Urteilsbegründung hat
es sich im Wesentlichen auf den Sachverständigen Dr.L. gestützt und dessen Gutachtensergebnis durch das
Gutachten des Prof.Dr. G. bestätigt gesehen. Aufgrund des Beweisergebnisses bezüglich der unmittelbaren Folgen
des Unfalls vom 30.04.1999 stehe für das Gericht auch fest, dass der am 20.12.1999 erlittene Sturz mit der Folge
eines Bruchs des 12. Brustwirbelkörpers nicht in mittelbarem Zusammenhang mit dem Ereignis vom 30.04.1999 zu
sehen sei. Denn wesentliche, dem Unfallereignis rechtlich anzulastende Gesundheitsstörungen der unteren
Extremitäten hätten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorgelegen. Die Verletzung vom 20.12.1999 sei auch rechtlich
nicht mittelbare Folge des Versicherungsfalls, weil die hierfür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen des § 11
SGB VII nicht erfüllt seien, insbesondere der Unfall sich nicht auf einem notwendigen Weg zu einer zur Aufklärung
des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordneten Untersuchung ereignet habe.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, jedoch keine Begründung vorgelegt.
Der Senat hat die Klägerin mit Schreiben vom 21.08.2003 u.a. darauf hingewiesen, dass eine Beweiserhebung nicht
beabsichtigt sei. Der Senat hat die Klägerin ferner mit Schreiben vom 19.08.2004 darauf hingewiesen, dass die Klage
als unzulässig angesehen werden könne, weil bezüglich der zuletzt noch begehrten Feststellung von Folgen aus dem
Unfall vom 20.12.1999 und des daraus abgeleiteten Rentenanspruches noch keine Entscheidung der Beklagten
ergangen sei.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin war im Klageverfahren durch den VdK vertreten. Drei Monate nach dem ersten Hinweis des Senats
haben sich drei Rechtsanwälte für die Klägerin bestellt und Akteneinsicht genommen. Kurze Zeit später habe sie das
Mandat niedergelegt. Die Terminsmitteilung zur mündlichen Verhandlung ist der Klägerin am 13.08.2004 zugestellt
worden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist erstmals der nunmehrige Bevollmächtigte der Klägerin aufgetreten und hat
beantragt, die Verhandlung zu vertagen und im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Weitere Anträge wolle er
derzeit nicht stellen.
In einem gleichzeitig übergebenen Schriftsatz hat er ausgeführt, er sei von der Klägerin erst kurzfristig mit der
Vertretung beauftragt worden und benötige zumindest vier Wochen, um sich in den Rechtsstreit einzuarbeiten und der
Klägerin Empfehlungen zum weiteren prozessualen Vorgehen geben zu können.
Die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht einverstanden erklärt.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akten
des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Verfahren sowie einem früheren Klageverfahren. Auf ihren
Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach §
144 SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage, wie sie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem
Sozialgericht nach Ablauf der Klagefrist erhoben wurde, war unzulässig.
Das Begehren der Klägerin war zuletzt im Klageverfahren einge- schränkt auf die Feststellung eines Bruchs des 12.
Brustwirbelkörpers aufgrund des Unfallereignisses vom 20.12.1999 und einen daraus resultierenden
Verletztenrentenanspruch. Wenngleich es aufgrund des § 11 SGB VII bezüglich des Entschädigungsanspruches der
Klägerin materiell-rechtlich bedeutungslos ist, ob die geltend gemachte Unfallfolge mittelbare Folge einer
Unfallschädigung am linken Fuß darstellt oder infolge der Durchführung einer Heilbehandlung nach § 11 Abs.1 Nr.1
SGB VII geschehen ist (eine zur Aufklärung des Sachverhaltes eines Versicherungsfalles angeordnete Untersuchung
nach § 11 Abs.1 Nr.3 SGB VII steht hier nicht im Raum), war das klägerische Begehren beschränkt auf eine
Feststellung nach § 55 Abs.1 Nr.3 SGG, dass die Gesundheitsstörung Folge des Arbeitsunfalls vom 30.04.1999 sei
und einen allein darauf gestützten Verletztenrentenanspruch.
Voraussetzung einer begehrten gerichtlichen Entscheidung nach § 55 Abs.1 Nr.3 SGG ist, dass die Klägerin ein
berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat. Dieses Feststellungsinteresse als Sonderfall des
allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses, das auf den Folgezustand des schädigenden Ereignisses im Zeitpunkt der
letzten Tatsachenentscheidung beschränkt ist, hat im Falle des § 55 Abs.1 Nr.3 SGG zum Ziel, dem Verletzten für
den Fall der Verschlimmerung oder des Hinzutretens von Spätfolgen eines Arbeitsunfalles bei der Realisierung
künftiger Ansprüche vor allem die Beweisführungslast hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zu ersparen
(BSG SozR 3-1500 § 55 Nr.6). Ein solches Feststellungsinterresse setzt jedoch voraus, dass vorher ein
entsprechendes Verwaltungsverfahren stattgefunden hat (vgl.Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 55
Rdnr.19c m.w.N.).
Das trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Der Bescheid der Beklagten ist zu einem Zeitpunkt ergangen, der vor dem
geltend gemachten weiteren Unfall lag. Im Widerspruchsverfahren hat die Beklagte weder ausdrücklich noch
konkludent über diese geltend gemachte Unfallfolge entschieden. Ein Ausnahmefall der Gestalt, dass die Beklagte
konkreten Anlass gegeben hätte, der die Klägerin berechtigt hätte, sofort zu klagen oder dass der Klägerin nicht
zuzumuten gewesen wäre, die Entscheidung der Behörde abzuwarten (vgl. hierzu Meyer-Ladewig a.a.O. Rdnr.15
m.w.N.), liegt hier nicht vor. Dies gilt in gleicher Weise für den allein auf diesen Lebenssachverhalt gestützten
Anspruch auf Verletztenrente.
Selbst wenn dies im vorliegenden Fall zu Gunsten der Klägerin anders gesehen werden müsste, wäre zu beachten,
dass ausweislich der Klagebegründung die Verletzung der Brustwirbelsäule weder im Wege der Feststellungsklage
noch mittelbar der geltend gemachte Unfall als den Anspruch begründender Sachverhalt vorgetragen worden waren.
Die geänderte Klage war damit nicht mehr zulässig.
Eine Entscheidung in der Sache, nämlich, ob die Verletzung der Brustwirbelsäule als mittelbare Unfallfolge anzusehen
und zu entschädigen sei, durfte deshalb im Klageverfahren nicht mehr ergehen. Auch im Berufungsverfahren ist
deshalb nicht mehr von Bedeutung, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die geltend gemachte
Gesundheitsstörung weder auf eine Unfallverletzung am linken Fuß am 30.04.1999 zurückgeführt werden könnte,
noch am 20.12.1999 die Durchführung einer Heilbehandlung wegen der Folgen des Unfalls vom 30.04.1999 nach § 11
Abs.1 Nr.1 SGB VII im Raum gestanden hat.
Die Vertagung der mündlichen Verhandlung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 62 SGG war nicht mehr
veranlasst.
Beteiligte haben einen Rechtsanspruch darauf, zum jeweiligen Verfahren herangezogen zu werden und Gelegenheit zu
erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zum Prozessstoff zu äußern und gehört zu werden. Sie können sich durch
Bevollmächtigte vertreten lassen, denen grundsätzlich das Recht zugestanden werden muss, Zeit zur Einarbeitung in
die Sache zu erhalten. Sofern diese Aspekte des rechtlichen Gehörs dies erfordern, muss ggf.auch eine mündliche
Verhandlung vertagt werden.
Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der betreffende Beteiligte zuvor
Gelegenheit hatte, sich zum Prozessstoff zu äußern, einen Bevollmächtigten mit seiner Vertretung zu beauftragen
und letzteres so früh tun konnte, dass dem Bevollmächtigten ausreichend Zeit zur Einarbeitung verblieben ist.
Im vorliegenden Fall sind zwischen der Einlegung der Berufung und der mündlichen Verhandlung nahezu eineinhalb
Jahre vergangen. Mit Schreiben vom 21.08.2003 hatte der Senat die für den Fortgang des Verfahrens wesentliche
Mitteilung gemacht, dass eine weitere Beweiserhebung nicht beabsichtigt sei. Die Klägerin hatte ausreichend Zeit,
einen Bevollmächtigten zu bestellen und hat dies auch im Dezember 2003 getan. Warum die Klägerin nach der
Niederlegung des Mandats gehindert war, einen anderen Bevollmächtigten zu bestellen, der immer noch ausreichend
Zeit zur Einarbeitung gehabt hätte, ist nicht ersichtlich, von der Klägerin ist hierfür nichts vorgetragen. Eine Vertagung
Zeit zur Einarbeitung gehabt hätte, ist nicht ersichtlich, von der Klägerin ist hierfür nichts vorgetragen. Eine Vertagung
der mündlichen Verhandlung war daher nicht mehr veranlasst.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Klägerin in beiden
Rechtszügen nicht obsiegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.