Urteil des LSG Bayern vom 27.10.2004

LSG Bayern: stationäre behandlung, berufskrankheit, wahrscheinlichkeit, zustand, bandscheibenvorfall, vergleich, belastung, zahl, nutzlast, arbeitsmedizin

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.10.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 U 90/00
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 328/02
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. September 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit der Anzeige vom 22.01.1998 berichtete der Chirurg Dr.B. , der 1954 geborene Kläger führe die seit fünf bis sechs
Jahren bestehenden Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule auf das tägliche Tragen eines Gewichts von
fünf bis sieben Tonnen bei Zeitungsauslieferung, das zu einer Bandscheibenschädigung L 4/L 5, Skoliose der
Brustwirbelsäule und Spondylosis deformans der LWS und BWS geführt habe, zurück. Die Tatsache, dass jemand
sechs bis sieben Tonnen Zeitungen pro Tag ausgeliefert habe, müsse nicht unbedingt für die Annahme einer
berufsbedingten Bandscheibenprotrusion sprechen.
Der Kläger gab an, er sei nach der Lehre als Kfz-Elektriker zunächst von 01.01.1973 bis 01.01.1976 als Kraftfahrer
mit Lager- und Ausfahrtätigkeit beschäftigt gewesen. Seitdem fahre er als Selbständiger Zeitungen und Zeitschriften
aus, und zwar müsse er während sechs Stunden zu 80 % heben. Etwa 600-mal am Tag seien Gewichte von 10 bis 15
kg zu heben, 300-mal am Tag von 15 bis 20 kg.
Der Chirurg Dr.E. kam im Gutachten vom 15.09.1998 zu dem Ergebnis, die kernspintomographische Untersuchung
der Lendenwirbelsäule vom 02.06.1995 zeige einen kleinen Bandscheibenvorfall im Segment L 5/S 1, im Segment L
4/L 5 sei eine Vorwölbung nicht sicher auszuschließen.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte in der Stellungnahme vom 14.01.1999 aus, die
arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer gefährdenden Belastung im Sinne der Nr.2108 der Anlage
zur BKV seien ab 01.01.1977 bis auf Weiteres nicht gegeben. Bei der Tätigkeit seien keine schweren Lasten im Sinne
des ärztlichen Merkblattes des BMA zu heben und zu tragen. Auch die Voraussetzungen für die Annahme
gefährdender Belastungen im Sinne der Nrn.2109 und 2110 der Anlage zur BKV seien nicht gegeben. Der
Gewerbearzt Dr.S. stimmte der Beurteilung zu.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.05.1999 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil eine
Berufskrankheit nach Nr.2108 und 2110 der Anlage zur BKV nicht vorliege.
Zur Begründung des Widerspruchs wandte der Kläger ein, er habe täglich ca. 600-mal Lasten zwischen 10 und 15 kg
sowie 300-mal Lasten zwischen 15 und 20 kg zu tragen gehabt. Es seien also nur Lasten bis 20 kg angefallen, doch
habe er sie ca. 900-mal täglich heben müssen. Er habe zwar nicht, wie im Merkblatt erwähnt, 40-mal pro Schicht
Lasten von über 20 kg getragen, jedoch um ein Vielfaches häufiger Lasten, die vom Gewicht her nur knapp darunter
gelegen hätten.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte in der Stellungnahme vom 06.12.1999 aus, der empfohlene
Grenzwert der lumbalen Kompression sei beim Heben und Tragen der vom Kläger angegebenen Lasten nicht
überschritten worden: er betrage für Männer von 30 Jahren 5.000 N, ab 40 Jahre 4.000 N. Bei einem Lastgewicht von
20 kg wirkten nur ca. 3.200 N Druckkraft auf die Bandscheibe ein.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2000 zurück. Die arbeitstechnischen
Voraussetzungen zur Anerkennung einer bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankung seien nicht erfüllt.
Zur Begründung der Klage hat der Kläger am 28.03.2000 vorge- tragen, er habe täglich Pakete, die zwischen 15 und
25 kg bis 40 kg gewogen hätten, heben müssen. Der Anteil der Pakete von 25 kg habe bei 70 % gelegen. Wegen
Zeitdrucks seien immer zwei oder drei Pakete gleichzeitig getragen worden. Daneben sei er von 1975 bis 1984 für
eine Spedition tätig gewesen.
Der Kläger hat einen Bericht der A.klinik für Orthopädie und Rheumatologie über die stationäre Behandlung vom
23.01.1996 bis 20.02.1996 übersandt mit den Diagnosen: Bandscheibenvorfall L 4/5 und Prolaps L 5/S 1 mit derzeit
im Vordergrund stehendem pseudoradikulären Schmerzbild. Außerdem hat er einen Bericht des Orthopäden Dr.S.
vom 23.03.2000 übersandt mit der Diagnose: Zustand nach Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule. Es sei eine
Berufskrankheit anzunehmen, der Kläger habe große Mengen Papierbündel bis zu 1.500-mal am Tag heben müssen.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten hat in der Stellungnahme vom 13.04.2000 erklärt, bei Untersuchung
eines vergleichbaren Arbeitsplatzes sei festgestellt worden, dass die Lastgewichte und deren Anzahl an den
verschiedenen Wochentagen unterschiedlich seien. Auch lägen die Gewichte der Pakete niedriger als vom Kläger
angegeben. So sei es auch möglich, zwei oder drei Pakete zu tragen, ohne dass der Grenzwert zur schweren Last
überschritten werde.
Hierzu hat der Kläger im Schreiben vom 22.08.2000 eingewandt, er habe das täglich anfallende Gesamtgewicht von
7,025 t mit zwei Mercedestransportern, Nutzlast maximal 2,55 t bzw. 2,495 t, aus- gefahren. Um sämtliche
Zeitschriften und Zeitungen ausliefern zu können, habe er jede Nacht zwischen 1.00 Uhr und 9.00 Uhr zwei bis drei
Auslieferungstouren gefahren. In der überwiegenden Zahl der Fälle habe er nächtlich drei Transporterladungen
ausgeliefert, dann habe seine Ehefrau einen der beiden Transporter gesteuert, sie habe sich jedoch nicht beim Be-
und Entladen beteiligt. Wenn er zwei bis drei Pakete gleichzeitig gehoben habe, habe das Gewicht fast immer über 20
kg gelegen.
Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.U. hat im Gutachten vom 20.12.2000
ausgeführt, gehe man von den Gewichtsangaben des Klägers aus, so liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule im Sinne der Nr.2108 vor; wenn die Angaben der Beklagten stimmten, sei dies nicht gegeben.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Orthopäden Dr.S. vom 27.02.2001 übersandt. Dr.S. hat ausgeführt, die
Kernspintomographie vom 02.02.1998 zeige eine angedeutete Protrusion in L 4/L 5, in L 5/S 1 eine etwas deutlichere
Protrusion. Der röntgenologische Vergleich mit der Altersgruppe zeige einen in jeder Weise alterskonformen
Verschleißzustand der Lendenwirbelsäule mit minimalen Höhenminderungen ohne jegliche Sekundärreaktionen. Dieser
Befund sei übereinstimmend mit der Befunderhebung durch Dr.U ... Es fehle jegliche Mitbeteiligung der oberen
Lendenwirbelsäule. Dies schließe zwar einen Zusammenhang im Einzelfall nicht aus, stelle jedoch eine Indizwirkung
gegen den ursächlichen Zusammenhang dar. Der Vergleich mit der übrigen Wirbelsäule lasse erkennen, dass keine
Akzentuierung deutlich gemacht werden könne, was bei einem praktisch unauffälligen Röntgenbefund auch nicht
anders zu erwarten sei. Es fänden sich ausschließlich im Bereich der Brustwirbelsäule etwas deutlichere degenerative
Umformungen. Hier sei zu berücksichtigen, dass die untere Brustwirbelsäule auch bei nicht exponierten Menschen
meist der Ort der Erstmanifestation degenerativer Umformungen sei. Lediglich der späte Erkrankungsbeginn spreche
für den ursächlichen Zusammenhang. Dagegen spreche aber der röntgenologisch alterskonforme Verschleißzustand
der Lendenwirbelsäule, das Schadensbild mit ausschließlicher Betroffenheit der Segmente L 4/L 5 und L 5/S 1 ohne
den Nachweis von degenerativen Reaktionen bzw. belastungsadaptiven Phänomenen.
Dr.U. hat hierzu ausgeführt, es müsse geklärt werden, welche Lasten der Kläger tatsächlich täglich gehoben habe.
Der vom SG als Zeuge geladene J. B. hat zum Gegenstand der Vernehmung - Tätigkeit des Klägers als Ausfahrer
seit 01.01.1973, Gewichte der Pakete - im Schreiben vom 25.08.2001 angegeben, die Pakete hätten zwischen 15 und
35 kg gewogen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.08.2001 hat der Kläger angegeben, die Nutzlast des LKWs habe 3 t
betragen. Diese sei täglich ausgenutzt worden. Ein Päckchen habe etwa 18 bis 28 kg gewogen. Er habe aus
Zeitgründen meist mehrere Pakete gleichzeitig getragen. Es hätten auch Remissionen entgegengenommen werden
müssen, die meist erheblich schwerer gewesen wären, oft hätten sie 35 kg gewogen.
Der Zeuge M. , Versandleiter der Firma, bei der der Kläger von 1973 bis 1996 Aufträge abgearbeitet habe, hat erklärt,
ein Paket habe ein Gewicht von 20 kg oder mehr gehabt. Es seien regelmäßig mehrere Pakete, bis zu vier, auf einmal
getragen worden. Ein Päckchen habe in der Regel dreimal gehoben werden müssen. Der Kläger habe 50 bis 60
Kunden pro Tour beliefert, er habe auch Remissionen zurückzunehmen gehabt. Hier seien die Gewichte
unterschiedlich gewesen.
In der Stellungnahme vom 16.10.2001 hat der TAD ausgeführt, die Unsicherheit bzw. die Widersprüchlichkeit
bezüglich der Gewichtsangaben durch den Kläger bestehe auch nach der mündlichen Verhandlung fort. Die Aussage
des Zeugen M. , er habe vier Pakete von 20 kg und mehr gleichzeitig getragen, sei Beweis für eine Fehleinschätzung
der Gewichte. 80 kg Gewicht entsprächen dem gleichzeitigen Tragen von 6 bis 7 Kisten Mineralwasser. Das
tatsächliche Gewicht von Zeitungs- und Illustriertenpaketen betrage 2 bis 16 kg. Die Gewichtseinschätzungen des
Klägers, die im Laufe des Verfahrens immer höher geworden seien, könnten nicht zugrunde gelegt werden.
Auf Aufforderung des SG, eine Berechnung anhand der Angaben des Klägers und des Zeugen M. vorzunehmen, hat
der Technische Aufsichtsdienst in der Stellungnahme vom 26.11.2001 ausgeführt, bei Zugrundelegung dieser
Angaben ergebe sich eine gefährdende Belastung durch schweres Heben und Tragen. Der Schwellwert der
Tagesbeurteilungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell von 5.500 Nh sei überschritten. Eine
Belastungsdosis über dem Richtwert von 25 x 106 Nh sei ausgewiesen.
Die vom SG zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Arbeitsmedizin Dr.M. hat im Gutachten vom
25.04.2002 zusammenfassend ausgeführt, aufgrund der durchgeführten Arbeitsbereichanalyse schienen ihr die
Voraussetzungen für eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung nicht mit der notwendigen
Wahrscheinlichkeit gegeben. Auf die Unsicherheiten und Zweifel bezüglich der Arbeitsplatzgefährdungsanalyse sei
hinzuweisen. Als konstitutionelle Ursache der Beschwerden könne ein im Jugendalter aufgetretener Morbus
Scheuermann in Frage kommen.
Der Kläger hat im Schreiben vom 10.06.2002 darauf hingewiesen, dass die Sachverständige unter Berücksichtigung
der Belastungssituation, wie sie der Zeuge M. geschildert habe, eine berufliche Verursachung der
bandscheibenbedingten Erkrankung annehme. Die Zweifel der Sachverständigen bezüglich der zugrunde liegenden
Fakten seien im Hinblick auf die Zeugenaussage nicht beachtlich.
Die Beklagte hat im Schreiben vom 21.06.2002 erklärt, die Sachverständige erachte eine berufliche Verursachung für
nicht hinreichend wahrscheinlich. Als Ursache für die Beschwerden sehe sie den in der Jugendzeit durchgemachten
Morbus Scheuermann, wie auch schon Dr.S. im Gutachten vom 27.02.2001.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.09.2002 abgewiesen. Nach den Feststellungen des Technischen
Aufsichtsdienstes der Beklagten, insbesondere vom 16.10.2001, sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger mit der
erforderlichen Regelmäßigkeit und Häufigkeit pro Schicht belastende Tätigkeiten ausgeübt habe. Wenn die Angaben
des Zeugen M. in der mündlichen Verhandlung vom 28.08.2001 zugrunde gelegt würden, ergäbe sich allerdings nach
den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes vom 26.11.2001, eine gefährdende Belastung. Die
arbeitstechnischen Voraussetzungen wären damit erfüllt. Allerdings erscheine dem Gericht die Einwendung der
Beklagten gegen die Angaben des Zeugen und des Klägers zutreffend und die Angaben somit nicht glaubwürdig.
Schließlich seien die Erstangaben des Klägers von besonderer Bedeutung. Hiervon wichen die erheblich höheren
Gewichtsangaben im gerichtlichen Verfahren ab. Auch Dr.M. habe im Gutachten aufgrund ihrer Erfahrungen als
Fachärztin für Arbeitsmedizin erhebliche Zweifel am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen geäußert.
Zur Begründung der Berufung wandte der Kläger ein, die Arbeitsbedingungen seien unzureichend aufgeklärt. Das
Erstgericht stütze sich auf die ersten Angaben vom 14.02.1998. Zu diesen irreführenden Angaben sei es gekommen,
da er geglaubt habe, er müsse die Gewichte der einzelnen Pakete angeben. Er habe nicht gewusst, dass er hätte
angeben sollen, wieviele Pakete er jeweils mit welchem Gewicht gleichzeitig gehoben habe und wie häufig dies der
Fall gewesen sei. Tatsächlich seien aus Zeitersparnisgründen immer mehrere Pakete gleichzeitig mit einem
Gesamtgewicht von mindestens 25 kg gehoben worden. Die Aussage des Zeugen M. sei entgegen der Auffassung
des Sozialgerichts glaubwürdig. Es sei zweifellos ein erheblicher Anteil der Arbeitsschicht mit dem Heben und Tragen
schwerer Lasten ausgefüllt gewesen. Dr.M. habe zwar eine Arbeitsbereichsanalyse vorgelegt, diese sei jedoch zu
unvollständig und zu ungenau. Auch habe Dr.M. das Beladen der Transporter nicht berücksichtigt. Ein
arbeitsbereichanalytisches/technisches Gutachten sei daher erforderlich. Der Kläger sei persönlich zum genauen
Arbeitsablauf und den gehobenen Gewichten zu befragen. Außerdem werde die Einholung einer Stellungnahme des
Orthopäden Dr.S. zu den vorliegenden ärztlichen Gutachten beantragt, da er über besondere Erfahrung im Bereich von
berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankungen verfüge.
Die Beklagte führte im Schreiben vom 27.11.2002 aus, unter Berücksichtigung der als bewiesen anzusehenden
Gewichte der bewegten Lasten seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Der Kläger stellt die Anträge aus dem Schriftsatz vom 11.10.2002.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der
Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich abser nicht begründet.
Gemäß § 7 Abs.1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind
Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als
Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit
erleiden (§ 9 Abs.1 Satz 1 SGB VII). Maßgeblich ist seit 01.12. 1997 die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom
31.10.1997 (BGBl.I S.26, 23). Als Berufskrankheit kommen grundsätzlich nur solche Erkrankungen in Betracht, die
von der Bundesregierung als Berufskrankheiten bezeichnet und in die BKV aufgenommen worden sind (Listenprinzip).
Die Krankheit muss durch eine versicherte Tätigkeit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden sein, d.h. die
Gefährdung durch schädigende Einwirkungen muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und
die Einwirkung muss die Krankheit verursacht haben (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung § 9
SGB VII Rdnr.3). Alle rechtserheblichen Tatsachen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
vorliegen (vgl. BSGE 45, 285).
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr.2108 der Anlage zur BKV, also einer
bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten.
oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung und das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, eine Berufskrankheit anzuerkennen. Die
Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers ist nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Berufstätigkeit zurückzuführen.
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule haben eine multifaktorielle Ätiologie. Sie sind weit
verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den beruflichen
Einwirkungen, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule wesentlich verursachen und
verschlimmern können, sind fortgesetztes Heben, Tragen und Absetzen schwerer Lasten sowie Tätigkeiten in
extremer Rumpfbeugehaltung wichtige Gefahrenquellen. Um einen Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter
Erkrankung der Lendenwirbelsäule und Berufsbselastung herstellen zu können, müssen die arbeitstechnischen
Bedingungen gegeben sein, es muss der Nachweis einer tatsächlichen bandscheibenbedingten Erkrankung geführt
werden können, die bildtechnisch nachweisbaren Veränderungen müssen das altersdurchschnittlich zu erwartende
Ausmaß überschreiten, der zeitliche Zusammenhang muss gesichert sein und konkurrierende
Verursachungsmöglichkeiten anlagebedingter, statischer, entzündlicher oder unfallbedingter Genese müssen
ausgeschlossen sein (vgl. Schoenberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, 7. Auflage 2003,
S.563 ff.).
Nach den umfangreichen Ermittlungen, insbesondere den überzeugenden Ausführungen des Technischen
Aufsichtsdienstes der Beklagten in den Stellungnahmen vom 14.01.1999, 06.12.1999, 13.04. 2000, 16.10.2000 und
16.10.2001 sowie den Erläuterungen der Sachverständigen Dr.M. im Gutachten vom 25.04.2002 steht zur
Überzeugung des Senats fest, dass schweres Heben und Tragen zwar zum Berufsbild des Klägers gehörte, es aber
nicht wesentlich geprägt hat. Der Technische Aufsichtsdienst legte seinen Stellungnahmen die Angaben des Klägers
sowie die Ermittlungen bei einem vergleichbaren Arbeitsplatz zugrunde. Es ist auffällig, dass der Kläger seine
Angaben im Laufe des Verfahrens erheblich abgeändert hat. Während er zunächst angab, die von ihm zu hebenden
Gewichte hätten 10 bis 15 kg und 15 bis 20 kg gewogen und diese Angabe in der Widerspruchsbegründung noch
einmal ausdrücklich bestätigte, hat er später wesentlich höhere Gewichte angegeben. Die Einlassung des Klägers in
der Berufungsbegründung, zu den irreführenden Erstangaben sei es gekommen, da er geglaubt habe, er müsse die
Gewichte der einzelnen Pakete angeben, ist in Anbetracht der Fragestellung im Kurzerhebungsbogen zu den
Berufskrankeiten Nr.2108/2109, den der Kläger am 14.02.1998 ausgefüllt hat, nicht überzeugend.
Im Hinblick auf die widersprüchlichen Angaben, bei denen nicht zu verkennen ist, dass sich die Gewichte im Laufe
des Verfahrens ständig erhöht haben, sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Überzeugung des Senats
nicht nachgewiesen. Auch Dr.M. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die wechselnden Angaben die
Frage, ob in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten Lastgewichte von 25 kg oder mehr gehoben oder getragen
wurden, nicht zweifelsfrei bejaht oder verneint werden kann. Die von ihr angeregte Befragung von Arbeitskollegen ist
im Hinblick darauf, dass bereits die Erklärung des J. B. vorliegt und der Zeuge M. gehört wurde, nicht veranlasst.
Bezüglich der medizinischen Voraussetzungen bleiben erhebliche Zweifel am Vorliegen einer bandscheibenbedingten
Erkrankung im Sinne der Nr.2108 der Anlage zur BKV. Zu Recht hat Dr.S. darauf hingewiesen, dass nur ein
monosegmentaler Schaden im letzten Segment der Lendenwirbelsäule gegeben ist. Die Verschleißerscheinungen des
4. Segmentes sind nur geringfügig, im Übrigen können Bandscheibenvorwölbungen bei praktisch jedem Menschen ab
dem dritten Lebensjahrzehnt nachgewiesen werden. Es ist zu berücksichtigen, dass exogene Druckbelastungen die
gesamte Wirbelsäule einschließlich des Überganges zur Brustwirbelsäule in von unten nach oben abnehmender
Intensität belasten. Insofern wäre also zu erwarten, dass nicht nur ein einziges Segment durch Arbeitsbelastung
geschädigt wird, sondern mehrere Segmente. Daher ist, wie Dr.S. betont, ein Zusammenhang zwischen
Berufsbelastung und bandscheibenbedingter Erkrankung um so unwahrscheinlicher, je weniger Segmente betroffen
sind und je weiter nach unten die Veränderungen angesiedelt sind. Denn gerade im letzten Bewegungssegment der
Lendenwirbelsäule manifestieren sich auch bei beruflich nicht exponierten Menschen die Bandscheibenschäden in
über 90 % aller Fälle. Dies hängt damit zusammen, dass dieses Segment schon unter physiologischen Bedingungen
den stärksten Belastungen ausgesetzt ist, weil hier der Übergang der beweglichen Lendenwirbelsäule in den starren
Abschnitt des Kreuzbeines stattfindet. Beim Kläger fehlt jegliche Mitbeteiligung der oberen Ledenwirbelsäule. Es ist
weder eine Höhenminderung noch eine isolierte Sekundärveränderung zu finden. Der Vergleich mit der übrigen
Wirbelsäule lässt erkennen, dass keine Akzentuierung röntgenologisch deutlich gemacht werden kann, es finden sich
ausschließlich im Bereich der Brustwirbelsäule etwas deutlichere degenerative Umformungen (vgl.
Schoenberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.S.579).
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.