Urteil des LSG Bayern vom 12.09.2002

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.09.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 8 AL 1106/00
Bayerisches Landessozialgericht L 11 AL 17/02
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.11.2001 aufgehoben und die
Klage gegen den Bescheid vom 06.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2000 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Insolvenzgeld (InsG) vom 01.09.1998 bis 30.11.1998.
Der am 1976 geborene Kläger war bis zum 30.11.1998 als Maler bei der Firma T. in F. beschäftigt. Das
Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers. Ab dem 01.09.1999 war der Kläger erneut als Maler bei
der Firma H. beschäftigt.
Mit Versäumnisurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 20.05.1999 (Az: 10 Ca 3650/99) wurde die Firma T.
verurteilt, an den Kläger 6.701,52 DM netto nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 15.12.1998 zu zahlen.
Mit Beschluss vom 11.05.1999 - IN 28/99 hat das Amtsgericht Fürth - Insolvenzgericht - den Antrag der AOK Bayern
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des M. T. mangels Masse abgewiesen.
Vollstreckungsversuche des Klägers aus dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 20.05.1999
blieben erfolglos. Im Schreiben vom 15.06.1999 berichtete der Gerichtsvollzieher T. von einem fruchtlosen Versuch
der Zwangsvollstreckung, da der Schuldner arbeitslos sei. Mit Schriftsatz vom 20.04.2000 berichtete die
Gerichtsvollzieherin L. über einen weiteren fruchtlosen Vollstreckungsversuch, da der Schuldner unter der
angegebenen Anschrift nicht auffindbar sei und auch seine dort wohnende Großmutter nicht angeben können, wo er
sich tatsächlich aufhalte.
Mit Schreiben vom 18.05.2000 unterbreitete sein damaliger Bevollmächtigter dem Klägers den Vorschlag, angesichts
der momentanen Situation des Herrn T. die Angelegenheit für 6 Monate ruhen zu lassen und dann erneute
Vollstreckungsversuche zu unternehmen.
Nach Angaben des Klägers erfuhr er vor seinem erneuten Arbeitsbeginn bei der Firma H. am 01.09.1999 von einem
früheren Arbeitskollegen namens M. auf der Straße, dass dieser vom Arbeitsamt seinen noch ausstehenden Lohn
erhalten habe und man dort einen Antrag stellen könne.
Anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei seinem Bevollmächtigten erklärte der Kläger am 02.11.2000, dass er im
Verlaufe einer Vorsprache beim Arbeitsamt von dem Insolvenzverfahren gegen die Firma T. erfahren habe.
Seinen Antrag auf Gewährung von InsG vom gleichen Tag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 06.11.2000 ab, da
der Antrag verspätet gestellt worden sei. In dem ihm bei der Arbeitslosmeldung vom 14.12.1998 ausgehändigten
Merkblatt für Arbeitslose sei er ausdrücklich auf die Möglichkeit der Beantragung von InsG und die zweimonatige
Antragsfrist hingewiesen worden. Er habe sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner
Ansprüche bemüht und deshalb die Versäumung der Frist zu vertreten.
Dagegen hat der Kläger am 14.11.2000 Widerspruch eingelegt. Die Beklagte hätte ihn nicht auf einen InsG-Antrag
hingewiesen. Der Arbeitsberater K. habe ihm lediglich empfohlen, gegen Herrn T. vorzugehen, was er auch in Form
der Klage vor dem Arbeitsgericht getan habe. Im Verlaufe des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sei ein
Insolvenzverfahren gegen die Frima T. jedoch nicht erwähnt worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2000 zurück.
Auf die dagegen vom Kläger am 22.12.2000 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage hat das SG die
Beklagte mit Urteil vom 14.11.2001 dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger InsG zu gewähren. Er habe sich
zumindest ab dem 11.07.1999 mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht, am
20.05.1999 ein Versäumnisurteil erwirkt und am 15.06.1999 und 20.04.2000 Vollstreckungsversuche unternommen.
Weder aus den Akten des Arbeitsgerichtes noch aus den Schreiben der Gerichtsvollzieher hätten sich Hinweise auf
ein Insolvenzverfahren seines ehemaligen Arbeitgebers ergeben. Die Merkblattaufklärung vom 14.12.1998 habe sich
explizit nur auf die Gewährung von Arbeitslosenleistungen und nicht auf InsG bezogen. Es bestehe auch keine im
Rechtsverkehr zu beachtende Beweisregel, wonach zahlungsunwillige Arbeitgeber entweder ihren Betrieb eingestellt
haben oder aber ein Insolvenzverfahren gegen sie eingeleitet worden ist.
Gegen das ihr am 11.12.2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 10.01.2002 beim Bayer.
Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.
Der Umstand, dass der Kläger seine ausstehenden Entgeltansprüche gerichtlich und unter Einleitung von
Vollstreckungsmaßnahmen geltend gemacht habe, führe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG)
nicht dazu, dass er Versäumen der Frist nicht zu vertreten habe. Angesichts der fruchtlosen Vollstreckungsversuche
hätte für den Kläger vielmehr die Annahme nahe gelegen, dass sein früherer Arbeitgeber zahlungsunfähig war. Über
die Möglichkeit InsG zu beantragen, sei er im Merkblatt 1 für Arbeitslose (Stand Januar 1998), das ihm anlässlich
seiner Arbeitslosmeldung ausgehändigt worden sei, auf Seite 62 ausdrücklich hingewiesen worden. Den Antrag auf
InsG hätte der Kläger - auch telefonisch - stellen können, nachdem er - wie er bei der Antragstellung am 02.11.2000
ausdrücklich eingeräumt habe - von einem Kollegen den Hinweis bekommen hatte, dass das Arbeitsamt unter der
bestimmten Voraussetzungen InsG zahle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er habe weder aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren, noch aus den Protokollen der Zwangsvollstreckung entnehmen
können, dass ein Konkurs der Firma T. vorlag. Vielmehr hätte die Beklagte von dem Konkurverfahren Kenntnis haben
und ihn auf das Insolvenzverfahren hinweisen müssen, da weitere Anträge von Arbeitnehmern der Firma T. auf InsG
vorlagen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BayLSG vom 12.09.2002 hat der Kläger erklärt, dass er nach seiner
Arbeitslosmeldung in der Nebenstelle Lauf am 14.12.1998 der Beklagten bei Beratungsgesprächen im Januar 1999
den Arbeitsberater K. gefragt habe, was er wegen seiner ausstehenden Lohnforderungen unternehmen könnte. Diese
habe ihm gesagt, er solle zu einem Rechtsanwalt gehen, was er letztlich auch getan habe. Von der Möglichkeit InsG
zu beantragen, habe der Kläger von einem Arbeitskollegen namens M. , den Nachnamen könne er nicht mehr
angeben, bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße erfahren. Wann dies genau gewesen sei, könne er zwar nicht
mehr angeben, jedoch sei er sich sicher, dass dieses Gespräch vor seiner erneuten Arbeitsaufnahme bei der Firma H.
, also vor dem 01.09.1999, stattgefunden habe. Er hätte daraufhin versucht, den ehemaligen Arbeitskollegen in seiner
Wohnung aufzusuchen.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat eine Notiz aus seinen Unterlagen vorgelegt, wonach der Kläger bei einer
persönlichen Vorsprache am 02.11.2000 erklärt hatte, dass er vom Arbeitsamt erfahren habe, dass ein
Insolvenzverfahren gegen die Firma T. laufe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Berufungsverfahrens durch den Berichterstatter einverstanden
erklärt.
Auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Arbeitsgerichtes Nürnberg und die Prozessakte des SG und
des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz = SGG) ist auch im Übrigen zulässig
(§ 144 SGG). Mit Einverständnis der Beteiligten konnte die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des
Senates ergehen (§ 155 Abs 3 und 4 SGG).
In der Sache erweist sich die Berufung als begründet, denn das SG hat im angefochtenen Urteil vom 14.11.2001 die
Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von InsG an den Kläger verurteilt, da dieser die Antragsfrist des § 324 Abs 3 SGB
III versäumt hat.
InsG ist innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324 Abs 3 Satz
1 SGB III). Da der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse durch Beschluss des
Amtsgerichtes Fürth - Insolvenzgericht - vom 11.05.1999 - IN 28/99) abgelehnt worden war, begann die
Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III am 12.05.1999 zu laufen und endete am 11.08.1999. Innerhalb dieser
Frist hat der Kläger jedoch keinen Antrag auf InsG gestellt, sondern erst am 02.11.2000.
Hat der Arbeitnehmer (= Kläger) die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III aus Gründen versäumt, die er nicht zu
vertreten hat, so wird InsG auch geleistet, wenn der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des
Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit
der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 Satz 3 SGB III).
Entgegen der Auffassung des SG im Urteil vom 14.11.2001 hat sich der Kläger nicht mit der erforderlichen Sorgfalt
um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht. Nach dem Inhalt der beigezogenen Akten des Arbeitsgerichtes
Nürnberg sowie dem Inhalt der von dem Gerichtsvollzieher vorgelegten Protokolle über die Vollstreckungsversuche
vom 15.06.1999 und 20.04.2000 hatte der Kläger dadurch keine Kenntnis von dem Insolvenzverfahren gegen die
Firma T. erlangt. Entgegen seiner Auffassung konnte er aber auch nicht durch die Mitarbeiter der Nebenstelle Lauf der
Beklagten anlässlich der Arbeitslosmeldung im Dezember 1998 bzw Februar 1999 über ein mögliches
Insolvenzverfahren gegen die Firma T. unterrichtet werden, da der Beschluss des Amtsgerichtes Nürnberg -
Insolvenzgericht - erst vom 11.05.1999 stammt, so dass die Beklagte zuvor davon keine Kenntnis erlangen konnte,
die sie an den Kläger hätte weitergeben können.
Von dem Insolvenzverfahren gegen die Firma T. hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen
Verhandlung vom 12.09.2002 im Verlaufe eines Gespräches mit einem ehemaligen Arbeitskollegen namens M. noch
vor dem 01.09.1999 erfahren. Dieser hatte ihm gesagt, dass man beim Arbeitsamt einen Antrag auf InsG stellen
könne.
Zu den Sorgfaltspflichten eines rechtsunkundigen Arbeitnehmers gehört es, sich rechtzeitig sachkundigen Rechtsrat
zu verschaffen (vgl BSG vom 04.03.1999 - B 11/10 Al 3/98 R in USK 9908). Einen entsprechenden Rechtsrat hat der
Kläger nach den Aufzeichnungen in den Akten seines Bevollmächtigten bei diesem erst am 02.11.2000 eingeholt. Er
hat sich nach dem Treffen mit seinem früheren Arbeitskollegen daher nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die
Durchsetzung seiner Ansprüche gekümmert und in unmittelbaren Anschluss daran weder beim Arbeitsamt einen
entsprechenden InsG-Antrag gestellt, noch seinen damaligen Bevollmächtigten aufgesucht. Die Tatsache, dass der
Kläger seine ausstehenden Entgeltansprüche arbeitsgerichtlich geltend gemacht und entsprechende
Vollstreckungsversuche unternommen hat, führt nicht dazu, dass er die Versäumung der Frist nicht zu vertreten hat
(vgl BSG vom 10.04.1985 - 10 RAr 11/84 in SozR 4100 § 141 e AFG Nr 8).
Da der Kläger die Versäumung der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III zu vertreten hat, und sich auch nicht
innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes, also der Kenntnis vom Insolvenzverfahren gegen die
Firma T. - spätestens am 01.09.1999 - einen Antrag gestellt hat, hat er keinen Anspruch auf InsG gegen die Beklagte
vom 01.09.1998 bis 30.11.1998.
Der typischerweise bei Ausschlussfristen auftretenden Interessenkonflikt, nämlich der zwischen dem öffentlichen
Interesse an der Einhaltung der Frist und dem Interesse des Einzelnen an ihrer (nachträglichen) Wiedereröffnung, hat
der Gesetzgeber in § 324 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB III gelöst. Es ist nicht ersichtlich, dass zusätzlich noch ein
Bedürfnis für weitergehende Ausnahmen anzuerkennen wäre (vgl BSG vom 04.03.1999 - B 11/10 Al 3/98 R in USK in
9908).
Das Urteil des SG Nürnberg vom 14.11.2000 war daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten
vom 06.11.2000 idG des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2000 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).