Urteil des LSG Bayern vom 26.04.2007

LSG Bayern: soziale sicherheit, versicherungspflicht, wartezeit, australien, staatsangehörigkeit, bad, arbeiter, invalidenversicherung, glaubhaftmachung, rechtsnachfolger

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 7 RJ 623/01
Bayerisches Landessozialgericht L 20 R 122/05
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.12.2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Regelaltersrente.
Die 1923 in Polen geborene und am 14.11.2005 in Australien verstorbene Klägerin ist im Jahre 1940 nach
Deutschland gekommen und hat hier nach ihren Angaben vom 30.05.1940 bis 27.05.1945 als landwirtschaftliche
Arbeiterin in O. , Landkreis S. , und vom 05.09.1945 bis 24.08.1949 als Küchenhilfe in den DP-Lagern B. , C. und W.
gearbeitet. Am 12.09.1949 ist sie über Italien nach Australien ausgewandert und erhielt die australische
Staatsangehörigkeit.
Am 11.12.1996 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Regelaltersrente. Die Beklagte ermittelte bei der Stadt C.
(Einwohnermeldeamt, Standesamt, Kartenarchiv), bei der Stadt B. (Einwohnermeldeamt, Kartenarchiv), bei der
Gemeinde O. , bei den Ortskrankenkassen B. und S. sowie beim Internationalen Suchdienst Bad A ... Unterlagen
über eine versicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin konnten nicht beschafft werden. Mit Bescheid vom
23.07.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Regelaltersrente ab, weil die Klägerin die fünfjährige Wartezeit
nicht erfüllt habe. Vor dem 01.01.1943 habe keine Versicherungspflicht bestanden und vom 01.01.1943 bis
31.11.1949 könne eine Beitragszeit nicht anerkannt werden, da keine Unterlagen darüber vorhanden seien. Zu
berücksichtigen seien nur 12 Kalendermonate (Kindererziehung für den am 06.02.1947 geborenen Sohn Zdislaw). Eine
Nachversicherung nach Art 6 § 22 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) scheide aus, da die
Klägerin die australische Staatsangehörigkeit angenommen habe. Der gegen diesen Bescheid am 28.08.1997
erhobene Widerspruch war erfolglos; auch die zusätzlich angefragte Gemeinde N. konnte keine Unterlagen über die
frühere Klägerin ermitteln.
Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat die gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.06.2001 erhobene Klage nach
entsprechenden Hinweisen mit Gerichtsbescheid vom 21.12.2004 abgewiesen. Auch das SG ist zu der Entscheidung
gelangt, dass neben den 12 Monaten für die Kindererziehung weitere Zeiten nicht berücksichtigt werden können. Denn
Beitragszeiten seien nicht nachgewiesen und könnten auch nicht als glaubhaft angesehen werden. Für den Zeitraum
Januar 1941 bis Dezember 1942 sei eine Beitragsentrichtung bereits deshalb nicht als glaubhaft anzusehen, weil nach
dem Erlass des Reichsarbeitsministers vom 19.12.1942 eine Versicherungspflicht für polnische Zwangsarbeiter in der
Landwirtschaft nicht bestanden habe. Auch für die Zeit vom 01.01.1943 bis 27.05.1945 sei die Abführung von
Rentenversicherungsbeiträgen nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere führe der Nachweis oder die Glaubhaftmachung
einer Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeiterin nicht zur Berücksichtigung einer Beitragszeit. Dafür sei
zusätzlich wenigstens die Glaubhaftmachung der Beitragszahlung erforderlich. Es gebe keinen allgemeinen
Rechtssatz, dass eine nachgewiesene Beschäftigung die Entrichtung von Beiträgen glaubhaft werden lasse.
Gesichtspunkte, welche eine tatsächliche Beitragsentrichtung für diesen Zeitraum glaubhaft machen könnten, seien
nicht zu ermitteln gewesen. Hinweise auf eine Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung in der
Zeit von 1943 bis 1949 seien auch nicht der Auskunft des Internationalen Suchdienstes (Bad A.) vom 03.05.2000 zu
entnehmen. Die Ermittlungen hätten keinerlei Unterlagen über eine dokumentierte Meldung der Klägerin noch über die
Ausstellung oder Aufrechnung einer Versicherungskarte ergeben.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16.02.2005 Berufung eingelegt und vorgetragen, es liege hier
offensichtlich eine rechtswidrige Entscheidung des SG vor, da auf der Basis des deutsch-australischen
Rentenabkommens ohne Zweifel ein Rentenanspruch unter Berücksichtigung der festgestellten
Kindererziehungszeiten gegeben sei.
Mit Beschluss vom 19.04.2005 hat der Senat die LVA Oldenburg-Bremen gemäß § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zum Verfahren beigeladen, die nach dem am 01.01.2003 in Kraft getretenen Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Australien über Soziale Sicherheit (BGBl 2002 II S 2306) für die geltend gemachten
Leistungen als Verbindungsstelle in Frage kommt (Art 16 des Abkommens). Wegen der nach Inkrafttreten dieses
Abkommens grundsätzlich zu berücksichtigenden australischen Wohnzeiten hat der Senat die Klägerin bzw. deren
Rechtsnachfolger mehrfach vergeblich aufgefordert, eine entsprechende Bescheinigung des australischen
Versicherungsträgers C. einzureichen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 21.12.2004 aufzuheben und die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28.06.2001 zu verurteilen, Regelaltersrente ab dem frühest möglichen Zeitpunkt zu zahlen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Zur Begründung ihres Antrags verweist die Beklagte auf die nach ihrer Ansicht zutreffenden Ausführungen in der
erstgerichtlichen Entscheidung.
Die Beigeladene beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Die Beigeladene trägt vor, bisher seien nur 12 Monate Kindererziehungszeit auf die Wartezeit der Regelaltersrente
anrechenbar. Ohne eine Bescheinigung des australischen Versicherungsträgers über australische Wohnzeiten seien
weitere Zeiten nicht zu berücksichtigen.
Wegen der Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen
der Beklagten und die Streitakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144
SGG). Durch ihr Ableben ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten (§ 202 SGG i.V.m. § 246
Zivilprozessordnung).
Das Rechtsmittel ist aber sachlich nicht begründet.
Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid vielmehr zu Recht entschieden, dass der Klägerin gegen die
Beklagte ein Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente nicht zusteht. Denn die hierfür erforderliche Wartezeit (§
50 Abs 1 Nr 1 SGB VI) ist nicht erfüllt. Diese ist grundsätzlich davon abhängig, dass Beiträge zur Rentenversicherung
rechtswirksam entrichtet wurden. Insoweit hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass im streitigen Zeitraum von
1941 bis 1949 die Entrichtung von Beiträgen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist.
Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass die Beschäftigung der Klägerin in der Landwirtschaft ohnehin
erst ab 01.01.1943 versicherungspflichtig war. Nach der Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers über die
Beitragspflicht der polnischen landwirtschaftlichen Arbeiter in der Invalidenversicherung vom 19.12.1942 wurde die
Befreiung von Ausländern von der Versicherungspflicht nach dem Invalidenversicherungsgesetz mit Wirkung zum
01.01.1943 aufgehoben und für alle im Deutschen Reich beschäftigten polnischen Arbeitskräfte einschließlich der
polnischen landwirtschaftlichen Arbeiter aus dem Generalgouvernement bestimmt, dass diese Beiträge zur
Invalidenversicherung nach den allgemeinen Vorschriften zu entrichten hatten. Zu Recht ist das SG aber davon
ausgegangen, dass nicht nachgewiesen ist, dass die Klägerin tatsächlich versicherungspflichtig beschäftigt war. So
ist nicht belegt, dass Beiträge entrichtet worden sind. Auch ist vorliegend die Abführung von Beiträgen nicht
wenigstens glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich für den Senat aus den umfangreichen Ermittlungen der Beklagten,
nach deren Ergebnis die Abführung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht ist. Der
Senat weist deshalb die Berufung der Klägerin aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht
von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs 2 SGG.
Die Klägerin gilt auch nicht während der streitigen Zeiträume als nachversichert. Die Voraussetzungen des Art 6 § 23
FANG, der eigens zur Wiedergutmachung der durch die Diskriminierung in der Sozialversicherung bei ehemaligen
Zwangsarbeitern entstandenen Schäden in der Rentenversicherung geschaffen wurde, liegen bei der Klägerin nicht
vor. Denn sie hatte am Stichtag (30.06.1950) keinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin
und auch nicht den Status einer heimatlosen Ausländerin im Sinne des § 1 des Gesetzes über die Rechtstellung
heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25.04.1951, BGBl I S 269 (vgl. hierzu BayLSG Urteil vom 24.01.2006 - L
5 R 195/03 -).
Von der Klägerin könnte eine Zulassung zur nachträglichen Zahlung von Beiträgen in Anwendung allgemeiner
Nachentrichtungsvorschriften nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht begehrt werden, weil Art 6 §
23 FANG die rentenrechtliche Wiedergutmachung für diesen Personenkreis abschließend regelt. Dieses Ergebnis ist
nicht verfassungswidrig (BSG Urteil vom 22.03.2006 - B 12 RJ 1/05 R = SozR 4-5060 Art 6 § 23 Nr 1).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung von Rentenleistungen unter Anwendung des deutsch-
australischen Sozialversicherungsabkommens. Zwar könnten hier zu den bereits anerkannten 12 Monaten
Kindererziehungszeit grundsätzlich australische Wohnzeiten während des Arbeitslebens berücksichtigt werden (Art 6a
des Abkommens). Der Nachweis dieser Zeiten hätte jedoch durch eine Bestätigung des australischen
Sozialversicherungsträgers C. erfolgen müssen, was nicht geschehen ist. Trotz mehrmaliger Aufforderungen durch
den Senat haben weder die Klägerin noch ihr Rechtsnachfolger den Nachweis erbracht.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Berufung der Klägerin erfolglos blieb.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.