Urteil des LSG Bayern vom 05.11.2010

LSG Bayern: örtliche zuständigkeit, notwendige streitgenossenschaft, rechtshängigkeit, wahlrecht, auflage, zivilprozessordnung, entstehung, gefahr, ergänzung, stadt

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 05.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 2 R 125/09 u. S 16
Bayerisches Landessozialgericht L 1 SF 91/10
Der Antrag der Kläger auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Mit Bescheiden vom 28.08.2007 und 23.11.2007 stellte die Beklagte (und Antragsgegnerin) im Rahmen eines
Statusfeststellungsverfahrens gemäß §§ 7a ff Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) fest, dass der Kläger (und
Antragsteller) zu 1) bei der Klägerin (und Antragstellerin) zu 2) die Tätigkeit als Kurierfahrer seit 01.07.2006 im
Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt. Im Widerspruchsverfahren half die Beklagte den
Widersprüchen mit Bescheiden vom 11.03.2008 insoweit ab, als sie ab 01.10.2007 eine selbständige Tätigkeit des
Klägers zu 1) annahm; im übrigen wies sie die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 als
unbegründet zurück. Dagegen haben der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) am 17.02.2009 beim Sozialgericht
Bayreuth (SG) Klagen erhoben. Das Verfahren des Klägers zu 1) ist unter dem Az. S 2 R 125/09 anhängig, das
Verfahren der Klägerin zu 2) unter dem Az. S 16 R 124/09. Die Beklagte hat beantragt, beide Verfahren zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 113 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verbinden. Im Verfahren
mit dem Az. S 2 R 125/09 hat das SG auf die örtliche Unzuständigkeit aufgrund des Wohnsitzes des Klägers zu 1)
hingewiesen. Der Kläger zu 1) hat vorgetragen, dass er von seinem Wahlrecht gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 SGG
Gebrauch gemacht habe und der Beschäftigungsort C-Stadt sei. Daraufhin hat das SG den Kläger zu 1) darauf
hingewiesen, dass seine Klage im Hinblick auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10.06.2008, L 5
KR 28/07 wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei. Mit dem Antrag begehren der Kläger zu 1) und die
Klägerin zu 2) die Bestimmung eines Sozialgerichts als zuständiges Gericht für die genannten Klagen und machen
dazu geltend, dass eine notwendige Streitgenossenschaft bestehe, so dass nur einheitlich über die Klagen
entschieden werden könne. Die Beklagte trägt u.a. vor, dass für den Antrag das Rechtschutzbedürfnis fraglich sei, da
ein Antrag auf Verbindung der beiden anhängigen Klageverfahren das einfachere Mittel sei. Es sei weder ersichtlich,
dass ein solcher Antrag von Seiten der Kläger gestellt, noch dass ein derartiger Antrag abgelehnt worden sei.
Unterstellt die Klagen wären an zwei unterschiedlichen Sozialgerichten anhängig, hätte der 1. Senat des
Bundessozialgerichts (BSG) vermutlich, wie im Beschluss vom 03.10.1960, 1 S 10/59 geschehen, die
Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Nr. 5 SGG bejaht; der 7. Senat des BSG, wie im Beschluss vom 12.09.2002, B 7
SF 52/02 geschehen, hätte die Voraussetzungen verneint. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Klageakten
des SG mit den Az. S 2 R 125/09 und S 16 R 124/09, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Akte des Senats
Bezug genommen.
II. Der Antrag ist wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts
abzulehnen. Nach dem allein in Betracht kommenden § 58 Abs.1 Nr. 5 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der
Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach §
57 SGG oder nach anderen Vorschriften nicht bestimmt werden kann. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor; es
greift vielmehr die Zuständigkeitsregelung des § 57 Abs. 1 SGG. Der Antrag auf Bestimmung der Zuständigkeit ist
zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, auch wenn aktuell beide Verfahren vor dem SG
Bayreuth anhängig sind. Da der Antrag von den Beteiligten bereits vor Rechtshängigkeit gestellt werden kann (vgl.
Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O, § 58 RdNr. 4), muss dies erst recht gelten, wenn bereits Rechtshängigkeit besteht
und wie hier eine Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit im Raum steht. Für die Klagen des Klägers zu 1) und
der Klägerin zu 2) ist keine gemeinsame örtliche Zuständigkeit gegeben. Die Klägerin zu 2) kann, weil sie ihren Sitz
im Bezirk des Sozialgerichts Bayreuth hat, bei diesem Gericht - wie geschehen - Klage erheben, § 57 Abs. 1 Satz 1
HS 1 SGG. Für den Kläger zu 1) ist jedoch gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 HS 1 SGG aufgrund seines Wohnsitzes im
Gerichtsbezirk Würzburg das SG Würzburg örtlich zuständig. Das in § 57 Abs.1 Satz1 HS 2 SGG geregelte Wahlrecht
aufgrund des von ihm geltend gemachten Beschäftigungsortes hat der Kläger zu 1) nicht. Mit
Beschäftigungsverhältnis ist jede abhängige Berufstätigkeit gemeint, jedoch keine selbständige Tätigkeit, wie sie der
Kläger zumindest seit Oktober 2007 ausübt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, 2008, § 57 RdNr. 11).
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Unter § 58 Abs. 1 Nr. 5 SGG fallen jedoch nicht Klagen mehrerer
Personen, die nicht notwendige Streitgenossen sind (vgl. BSG, Beschluss vom 25.09.1998, B 1 SF 4/98 S unter
Aufgabe der bisherigen Rechtssprechung und Beschluss vom 12.09.2002, B 7 SF 52/02 S). Der Kläger zu 1) und die
Klägerin zu 2) sind keine notwenigen Streitgenossen im Sinne von § 74 SGG iVm § 62 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Entstehung einer notwendigen Streitgenossenschaft setzt nämlich voraus, dass entweder eine gemeinschaftliche
Klage erhoben worden ist oder aber mehrere zunächst gesondert erhobene Klagen im Verlauf des Verfahrens zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden (vgl. BSG a.a.O. B 7 SF 52/02 S). Beide
Voraussetzungen liegen nicht vor, so dass eine Bestimmung des Gerichtsstandes nicht erfolgen kann. Die Gefahr
abweichender Entscheidungen rechtfertigt nicht, dass das nächsthöhere Gericht gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5 SGG ein
Gericht als für alle Klagen zuständig bestimmt (vgl. BSG Beschluss vom 12.08.1992, 1 S 10/92). Dieser Beschluss
ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.