Urteil des LSG Bayern vom 12.03.2008

LSG Bayern: körperpflege, ernährung, spina bifida, rollstuhl, versorgung, wohnung, aufstehen, minderung, nahrungsaufnahme, verwaltungsakt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 1 P 89/05
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 48/06
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. November 2006 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III über den 31.
Dezember 2004 hinaus, hilfsweise die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II ab 1. Januar 2005.
Bei dem 1985 geborenen Kläger besteht ein Selbstversorgungsdefizit bei angeborener Spaltbildung der Wirbelsäule
(Spina bifida) mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Er hatte zunächst bis einschließlich März 1995 Leistungen nach
den §§ 53 ff des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) alter Fassung (a.F.) bezogen; zuletzt gewährte die
Beklagte mit Bescheid vom 22. April 1998 seit 1. September 1997 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach
der Pflegestufe III. Dem lagen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 20. April
1998 und 20. November 2001 zugrunde, wonach der Zeitbedarf für die Grundpflege mit 263 bzw. 242 Minuten und für
die hauswirtschaftliche Versorgung mit 60 Minuten geschätzt wurde.
Im Rahmen einer Nachuntersuchung gelangte der MDK in einem Gutachten vom 16. November 2004 nach
Hausbesuch zu dem Ergebnis, dass sich der Zeitbedarf für die Grundpflege auf 70 Minuten (Körperpflege: 44 Minuten;
Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 26 Minuten) reduziert habe. Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage
der Zeitbedarf 40 Minuten. Einige Verrichtungen der Grundpflege wie z.B. Zahnpflege, Kämmen, Rasieren,
Katheterisieren, mundgerechte Zubereitung der Nahrung, Nahrungsaufnahme oral oder Gehen und Fortbewegen in der
Wohnung könne der Kläger nun selbst tätigen. Da die oberen Extremitäten durch jahrelange Fortbewegung im
Rollstuhl gut ausgebildet seien und keine Funktionsdefizite auswiesen, seien statt voller Übernahme von
grundpflegerischen Maßnahmen überwiegende Teilübernahmen ausreichend.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 den Bescheid vom 22. April 1998
auf, stellte die Pflegegeldleistungen nach der Pflegestufe III zum 31. Dezember 2004 ein und gewährte ab 1. Januar
2005 Pflegegeldleistungen nach der Pflegestufe I.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte ein erneutes Gutachten des MDK vom 4. Mai 2005 nach
Hausbesuch ein, das ebenfalls nur zum Vorliegen der Pflegestufe I gelangte. Den Zeitbedarf für die Grundpflege
schätzte der Gutachter auf 93 Minuten (Körperpflege: 55 Minuten; Ernährung: 3 Minuten; Mobilität: 35 Minuten), für
Hauswirtschaft auf 45 Minuten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. September
2005 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Bayreuth begehrte der Kläger die Fortgewährung der
Leistungen der Pflegestufe III über den 31. Dezember 2004 hinaus, hilfsweise die Gewährung von Leistungen der
Pflegestufe II. Das Sozialgericht holte eine Auskunft der Arbeitgeberin, der R. Zentral AG, vom 2. Januar 2006 sowie
einen Befundbericht des behandelnden Allgemeinarztes Dr. R. vom 20. Dezember 2005 ein und zog die Akten des
Bezirks Oberfranken - Sozialverwaltung -, des Zentrums Bayern Familie und Soziales sowie der Bayerischen
Landesschule für Körperbehinderte bei. Es beauftragte den Internisten und Sozialmediziner Dr. G. mit der Erstellung
eines Gutachtens. Nach dem Gutachten vom 5. Mai 2006 besteht bei dem Kläger ein thorako-lumbaler
Rückenmarkvorfall (Meningomyelozele) mit Querschnittssymptomatik, eine hochgradige Wirbelsäulenverkrümmung,
eine neurogene Blasen- und Darmentleerungsstörung, ein versorgter Wasserkopf (Hydrozephalus) sowie eine
Anfallsbereitschaft, die jedoch seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten sei. Es sei eindeutig aufgrund einer
Minderung der Fähigkeitsstörungen zu einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes gekommen, die
auch entsprechend zu einer Minderung des Pflegebedarfs geführt habe. Die motorischen Fähigkeiten der oberen
Körperhälfte seien als normal einzuschätzen. Auch hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten ergäben sich keine stärkeren
Einschränkungen mehr. Er besitze den Führerschein und könne ein umgebautes Kfz selbst steuern. Mit dem Rollstuhl
könne er sich innerhalb des Wohnbereichs weitgehend selbst fortbewegen. Die Technik des Selbstkatheterisierens
habe er erlernt. Für den Bereich der Grundpflege seien nur mehr 100 Minuten (Körperpflege: 75 Min.; Ernährung: 0
Minuten; Mobilität: 25 Minuten), für Hauswirtschaft weiterhin 60 Minuten anzusetzen.
Zu den klägerischen Einwendungen führte der Sachverständige am 13. August 2006 aus, der Zeitbedarf im Bereich
der Grundpflege erhöhe sich um lediglich zwei Minuten für Hilfen beim zeitweiligen Umkleiden an der Arbeitsstelle.
Mit Gerichtsbescheid vom 17. November 2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es sei in den Verhältnissen, die
für die Einordnung der Pflegestufe III maßgeblich waren, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 des Zehnten
Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten. Der Bestandsschutz nach Art. 45 Pflegeversicherungsgesetz
(PflegeVG) stehe einer Herabsetzung nicht entgegen, da der Wegfall wenigstens der Pflegestufe II auf einer Änderung
der tatsächlichen Verhältnisse nach dem 31. März 1995 beruhe. Das Sozialgericht folgte weitgehend dem Gutachten
des Dr. G ...
Mit der Berufung hat sich der Kläger auf die bestandschützende Regelung des Art. 45 PflegeVG berufen. Eine
Besserung des gesundheitlichen Zustands sei nicht eingetreten. Er müsse immer wieder an die Notwendigkeit des
Katheterisierens erinnert werden. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass eine wesentliche Verbesserung
der Fähigkeiten und der Selbstversorgung eingetreten sei. Er erfülle zumindest die Anforderungen der Pflegestufe II.
Der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege liege bei etwa 150 Minuten. Im Rahmen der Blasen- und
Darmentleerung, beim Richten der Bekleidung, beim Windelwechsel, bei der Ernährung, beim An- und Entkleiden des
Unterkörpers und beim Treppensteigen sei ein höherer Hilfebedarf erforderlich.
Die gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Gesundheitswissenschaftlerin C. B. hat in ihrem Gutachten
vom 21. August 2007 den Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege auf 143 Minuten (Körperpflege: 105 Minuten;
Ernährung: 3 Minuten; Mobilität: 35 Minuten) eingeschätzt. Allein der Hilfebedarf für die Blasenentleerung betrage
insgesamt 60 Minuten.
Der Senat hat ein Gutachten des Internisten Dr. S. vom 5. November 2007 eingeholt, nach dessen Einschätzung eine
wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse und des Pflegebedarfs seit 1. Januar 2005 nicht
festzustellen sei. Allerdings sei eine Verbesserung der Fähigkeiten und der anzunehmenden Selbstständigkeit im
Rahmen des natürlichen Entwicklungsprozesses zu verzeichnen. So sei z.B. 1995 eine Selbstkatheterisierung noch
nicht vorgenommen worden. Auch habe der Kläger im Bereich der Körperpflege eine zunehmende Selbstständigkeit
erlangt. Zunehmende Fähigkeiten habe er auch im Rahmen der Mobilität erlangt: Auch dies wirke sich Pflegezeit
vermindernd aus. Der Zeitbedarf im Bereich Grundpflege betrage 58,5 Minuten (Körperpflege: 46 Minuten; Ernährung:
0 Minuten; Mobilität: 12,5 Minuten).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. November 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7.
Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2005 aufzuheben, hilfsweise, ihm ab
1. Januar 2005 Leistungen nach der Pflegestufe II unter Anrechnung des gewährten Pflegegeldes nach der
Pflegestufe I zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Die Klage ist im Hauptantrag, mit dem die Weitergewährung von Pflegegeldleistungen nach der Pflegestufe III über
den 31. Dezember 2004 hinaus begehrt wird, als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zulässig. Durch die
beantragte Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 7. Dezember 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. September 2005 kann der Kläger sein Klageziel erreichen. Der Hilfsantrag auf
Leistungen nach der Pflegestufe II ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig.
Die Klage ist jedoch im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der
Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf
des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und
Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4)
aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar
versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine
abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten
Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die
erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 3
SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen, hierbei müssen
auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen - für die Pflegestufe II mindestens drei Stunden, hierbei
müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen.
Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das
Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung; 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder
die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und
Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass
eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Soweit Art. 45 PflegeV, der krankenversicherungsrechtliche
Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff SGB V a.F. ab 1. April 1995 pauschal in die
Pflegestufe II übergeführt hat, die Folgen der Rechtsänderung speziell regelte, ist § 48 SGB X insoweit unanwendbar
(BSG vom 13.03.2001, Az.: B 3 P 20/00 R). Allerdings handelt es sich insoweit nur um einen partiellen
Bestandsschutz, d.h. eine Herabstufung in die Pflegestufe I ist möglich, wenn sich der Pflegebedarf nach dem 31.
März 1995 aufgrund tatsächlicher Umstände in solchem Maße verringert hat, dass nur noch ein Pflegebedarf in den
sachlichen und zeitlichen Grenzen der Pflegestufe I (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGB XI) vorhanden ist
(BSG a.a.O.). Eine derartige Änderung des Pflegebedarfs ist für die Zeit nach dem 31. März 1995 vorgetragen und im
Ergebnis nachgewiesen. Das Sozialgericht hat zu einer Verringerung des Hilfebedarfs im Vergleich zum Zeitpunkt der
Vergleichsuntersuchung vom 9. Mai 1995 vor allem unter Bezugnahme auf die gutachterlichen Äußerungen des Dr. G.
umfassende und zutreffende Ausführungen gemacht. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG sieht der Senat von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als
unbegründet zurückweist.
Entsprechendes gilt auch für den Zeitpunkt der Einstellung von Leistungen der Pflegestufe III zum 31. Dezember
2004 und Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I ab 1. Januar 2005 gemäß Bescheid vom 7. Dezember 2004 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004, dem das Gutachten des MDK vom 16. November
2004 zugrunde lag. Insoweit ist vorliegend - neben dem Zeitpunkt der pauschalen Überführung am 31. März 1995 in
die Pflegestufe II - abzustellen auf den Zeitpunkt der Bewilligung der Pflegestufe III mit Bescheid vom 22. April 1998,
dem das Gutachten des MDK vom 20. April 1998 zugrunde lag und mit Gutachten vom 20. November 2001 bestätigt
wurde, und der Einstellung der Leistungen nach der Pflegestufe III zum 31. Dezember 2004. Gegenüber der letzten
Begutachtung durch den MDK vom November 2001 reduzierte sich der Grundpflegebedarf von 242 Minuten auf 70
Minuten. Das vom Senat im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. S. gelangt zu dem Ergebnis, dass der
Grundpflegebedarf auf lediglich 58,5 bzw. aufgerundet 59 Minuten gesunken ist.
Zu Recht weist allerdings der Kläger darauf hin, dass eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes nicht
eingetreten ist, da insoweit von einem Dauerzustand auszugehen ist. Entscheidend ist jedoch, ob sich der aus den
körperlichen Behinderungen ergebende Pflegebedarf geändert hat. Der Pflegebedarf kann sich nach den
Gesamtumständen auch ändern, wenn zwar der Gesundheitszustand gleichbleibend war, jedoch z.B.
pflegeerleichternde Maßnahmen greifen. Auch Dr. S. bestätigte eine derartige Veränderung. Wie bereits Dr. G. und der
MDK stellte auch er fest, dass eine Verbesserung der Fähigkeiten eingetreten ist. Im Rahmen des
Entwicklungsprozesses wurde der Kläger deutlich selbstständiger und somit weniger auf Fremdhilfe angewiesen. Dies
ist zum einen auf eine Altersentwicklung zurückzuführen; in diese Zeit fällt auch der Beginn einer Ausbildung zum
Bürokaufmann am 1. November 2004 sowie die Erlangung des Führerscheins. Zum anderen ist die deutliche
Reduzierung des Grundpflegebedarf mit dem Lerneffekt im Umgang mit der Erkrankung bzw. den Beeinträchtigungen
zu begründen. Exemplarisch wirkte sich die Selbstkatheterisierung pflegevermindernd aus. Diese Fertigkeiten
bestanden weder 1995 noch 1998, so dass der MDK z.B. im Jahre 1998 noch 100 Minuten für Darm- und
Blasenentleerung ansetzte, während sich dies nach dem Gutachten des Dr. S. ab 1. Januar 2005 auf insgesamt 16
Minuten reduzierte. Aus medizinischer Sicht ergibt sich keine Notwendigkeit für eine pflegerische Hilfestellung bei der
Selbstkatheterisierung - auch wenn die Mutter den Kläger aus Sorge um seine Gesundheit tatsächlich noch zu Hause
beim Katheterisieren unterstützt. Beispielsweise bei der Arbeit nimmt der Kläger dies selbstständig vor. Auch für den
Windelwechsel selbst benötigt der Kläger keine Hilfe; dies wird von ihm selbstständig ausgeführt.
Allgemein ist der Kläger regelmäßig in der Lage, bei der Körperpflege selbst zumindest mitzuhelfen. Dies gilt
beispielsweise auch für das Duschen/Baden und Haarewaschen. Die Notwendigkeit einer abendlichen Körperhygiene
wird dabei nicht bestritten. Der Senat kann dabei aber offen lassen, ob die Notwendigkeit des Badens statt des
Duschens anzunehmen ist, da sich dadurch der zeitliche Hilfebedarf nicht erhöhen würde: Dr. S. nahm für das
Duschen insgesamt 30 Minuten an, die Sachverständige B. für Duschen und Baden jeweils 15 Minuten.
Fremdhilfe bei der Nahrungs- bzw. Getränkeaufnahme und bei der Zubereitung der Nahrung (bislang 15 Minuten) ist
nicht notwendig, da keine Einschränkungen der oberen Extremitäten bestehen. Soweit der Kläger auf eine notwendige
Motivation zum Essen und Trinken verweist, handelt es sich um Zeiten der allgemeinen Aufsicht, die nicht
berücksichtigungsfähig sind. Das BSG (hier zitierte aus: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001, Az.: B 3 P 4/01 B) hat
bereits mehrfach entschieden, dass eine allgemeine Aufsicht, die darin besteht zu überwachen, ob die erforderlichen
Verrichtungen des täglichen Lebens von dem Pflegebedürftigen ordnungsgemäß ausgeführt werden, und dazu führt,
dass dieser gelegentlich - auch wiederholt - zu bestimmten Handlungen aufgefordert werden muss, nicht ausreicht,
weil eine nennenswerte Beanspruchung der Pflegeperson damit nicht verbunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist
nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die
notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise
gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde
bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung
nicht bestünde (Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97
R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). Dementsprechend wurde eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme
als berücksichtigungsfähige Hilfe eingestuft, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie
beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur
kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-
Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (Urteil
des 10. Senats vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 7). Dies ist vorliegend nicht
vorgetragen und nicht ersichtlich.
Hilfen beim An- und Entkleiden des Unterkörpers hat der Sachverständige ausreichend mit 9 Minuten berücksichtigt.
Die Vorgaben der Pflegerichtlinien, die zwar für das Gericht nicht bindend sind, jedoch einen wichtigen Anhaltspunkt
für die Einschätzung des Pflegebedarfs darstellen, sind damit ausgeschöpft.
Ein weiteres Beispiel für eine pflegerelevante Veränderung ist der Zeitaufwand für das Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung. Der Kläger kann mit dem Rollstuhl selbstständig das Haus verlassen; er besitzt den
Führerschein und ist mit einem eigenen Pkw mobil. Arztbesuche erfolgen nur in größeren Abständen. Innerhalb der
Wohnung kann er sich ebenfalls mit dem Rollstuhl weitgehend selbstständig bewegen. Ein bislang angesetzter
Hilfebedarf von 10 Minuten ist damit nicht mehr zu rechtfertigen. Ein Schieben des Rollstuhls (Hilfebedarf beim Gehen
im Gutachten des MDK von 2001: 10 Minuten) ist damit ebenfalls nicht mehr erforderlich.
Auch die Transfers haben sich deutlich reduziert; der Hilfebedarf beim Stehen, der bislang mit 14 Minuten
berücksichtig war, beträgt nur mehr drei Minuten.
Insgesamt hat sich damit der Hilfebedarf im Bereich Körperpflege und Mobilität bei zahlreichen Verrichtungen
verringert. Überwiegend ist keine vollständige Übernahme mehr erforderlich.
Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung der Gutachterin B. nicht nachvollziehbar, die im Ergebnis zum Vorliegen
der Pflegestufe II gelangt. Für Hilfe bei der Blasenentleerung setzte die Gutachterin 60 Minuten an. Dies ist, wie
dargelegt, im Hinblick auf die weitgehende Selbstständigkeit des Klägers nicht nachvollziehbar. Eine Vergesslichkeit
des Klägers bei der Vor- und Nachbereitung ist nicht glaubhaft, da die Katheterisierung zur Alltagsroutine des Klägers
gehört und dieser auch im Arbeitsleben offensichtlich gut damit zurecht kommt. Ein Zeitbedarf von 15 Minuten für die
Darmentleerung berücksichtigt nicht, dass die Darmentleerung tatsächlich abends vor dem Baden stattfindet und
somit gesonderte Hilfestellungen beim Säubern weitgehend entfallen. Beim Baden selbst benötigt der Kläger keine
Hilfe mehr, nur für das Abtrocknen und die Hautpflege. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist aus den dargelegten
Gründen der Hilfebedarf im Bereich Ernährung. Der teilweise Einsatz einer zweiten Pflegeperson, angenommen z.B.
beim Treppensteigen, ist bei einem Gewicht des Klägers von ca. 50 kg nicht gerechtfertigt.
Bereits im Hinblick auf die anzunehmende Selbstständigkeit bei der Blasenentleerung reduziert sich der von der
Sachverständigen B. angenommene Grundpflegebedarf von 143 Minuten auf deutlich unter 120 Minuten, so dass
auch die Voraussetzungen der Pflegestufe II nicht vorliegen. Der Senat kann daher offenlassen, ob bei einzelnen
grundpflegerischen Bereichen wie beim Aufstehen und Zubettgehen oder beim Treppensteigen, aber auch beim An-
und Auskleiden oder bei der Darmentleerung, ein höherer zeitlicher Bedarf als von Dr. S. angenommen zugrunde zu
legen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.