Urteil des LSG Bayern vom 20.07.2007

LSG Bayern: asthma bronchiale, ärztliche behandlung, therapie, krankenkasse, zahl, klinik, befangenheit, versorgung, behandlungskosten, krankenversicherung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.07.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 3 KR 35/96 LW
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 271/04
Bundessozialgericht B 10 KR 5/07 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23. Juni 2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung für eine Neuraltherapie in Höhe von 3.854,49 Euro.
Der 1927 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger leidet u.a. an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis, die
von dem praktischen Arzt Dr. S. (W.) und dem Pneumologen und Allergologen Dr. F. (Bad K.) 1994 und 1995
behandelt wurde. Außerdem unterzog sich der Kläger vom 11.01. bis 08.02.1995 einer stationären Behandlung in der
A.-Klinik (Fachklinik für Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, K./Schwarzwald); er wurde nach dem
Abschlussbericht der Klinik mit gebesserter Lungenfunktion entlassen.
Er ließ am 07.12.1995 über seinen Sohn telefonisch und am 22.12.1995 auch schriftlich die Kostenübernahme für eine
nichtvertragsärztliche Neuraltherapie bei Dr. W. (D.) beantragen, der er sich dann in der Zeit vom 08.01.1996 bis
23.02.1996 unterzog. Die Gesamtbehandlung des Asthma bronchiale fand in 10 Behandlungssitzungen am 08., 09.,
10., 11., 12., 29., 30. und 31.01. sowie am 22. und 23.02.1996 statt. Nach Auskunft des Arztes, der nach seinen
Angaben als einziger die von ihm entwickelte regulative Neuraltherapie durchführt, sei mit dieser Zahl von
Behandlungssitzungen die Gesamtbehandlung abgeschlossen, ohne dass Folgebehandlungen notwendig seien. Der
Kläger zahlte die Behandlungskosten jeweils im Anschluss an die Sitzungen (zwischen 480,00 und 860,00 DM).
Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) kam im Gutachten vom
08.02.1996 zum Ergebnis, die Behandlung der Bronchitis mit den therapeutischen Möglichkeiten der Schulmedizin sei
bisher sehr erfolgreich gewesen, es bestehe keinerlei Bedarf nach einer Ausweitung der Therapie.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15.02.1996 unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK die
Kostenübernahme ab. Ärztliche Behandlung durch Vertragsärzte werde durch die Landwirtschaftliche Krankenkasse
als Sachleistung gewährt. Der Widerspruch des Klägers vom 17.02.1996, dem ein Schreiben des Dr. W. beigefügt
war, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.03. 1996 zurückgewiesen.
Der Kläger hat mit der Klage vom 26.04.1996 beim Sozialgericht Würzburg (SG) Kosten für die ärztliche Behandlung,
Bahnfahrten und Hotelaufenthalte von insgesamt 7.538,72 DM geltend gemacht. Dr. W. hat hierzu angegeben, die seit
18 Jahren von ihm durchgeführte Therapie habe in ungezählt vielen Fällen erfolgreich gewirkt, einen statistischen
Wirksamkeitsnachweis bzw. klinische bzw. wissenschaftliche Studien hierzu gebe es allerdings nicht.
Der Klägerbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung des SG vom 01.09.2003 die Vorsitzende Richterin
wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt; das Bayerische Landessozialgericht hat mit Beschluss mit 03.11.2003
(L 5 AR 160/03 KR) die Ablehnung als unbegründet bezeichnet. In der zweiten mündlichen Verhandlung am
23.02.2004 hat er erneut die Vorsitzende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt; auch dieses
Ablehnungsgesuch wurde vom Bayerischen Landessozialgerichts als unbegründet zurückgewiesen (Beschluss vom
29.03.2004 (L 5 KR 37/04 KR)).
Das SG hat mit Urteil vom 23.06.2004 die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zur Kostenerstattung der
außervertraglichen Therapie zur Behandlung der chronischen Bronchitis nicht verpflichtet. Es habe sich weder um
eine Notfallbehandlung gehandelt noch liege ein Systemmangel im Sachleistungssystem vor. Die von Dr. W.
praktizierte regulative Neuraltherapie sei nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, d.h. eine neue
Behandlungsmethode, für die der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den damals geltenden
Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Behandlungs- und Untersuchungsmethoden eine Empfehlung zum Nutzen
und zur medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht abgegeben hat. Die Wirksamkeit dieser
Behandlungsmethode sei auch nicht in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen
aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt. Dr. W. habe derartige Studien nicht durchgeführt.
Es komme auch nicht darauf an, dass der Kläger mit der streitigen Therapie etwaige Kosten der Beklagten erspart
habe. Da die Behandlungskosten von der Beklagten nicht zu tragen sind, scheide auch eine Erstattung von Fahr- und
Hotelkosten aus.
Der Kläger hat hiergegen am 01.12.2004 beim SG Berufung eingelegt. Die Behandlung sei erfolgreich gewesen, das
von der Beklagten eingeholte Gutachten des MDK sei in mehreren Punkten unzutreffend. Er hat mit Schreiben vom
07.07.2007 und am 17.07. und 19.07.2007 die Verlegung des Termins beantragt, um einen Rechtsanwalt beauftragen
zu können.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass der Kläger auch nach der streitigen Behandlung stets Leistungen für seine
Atemwegserkrankungen bezogen hat.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Eine Verlegung des Termins um mehrere Monate, um dem Kläger die Beauftragung eines Rechtsanwalts zu
ermöglichen, kam nicht in Betracht. Eine Verlegung ist nur aus erheblichen Gründen möglich (§ 292 SGG i.V.m. § 227
Abs. 1 ZPO). Der Käger hatte zur Mandatierung eines Rechtsanwalts seit Verkündung des angefochtenen Urteils am
23.06.2004 ausreichend Zeit. Diese Möglichkeit bestand auch noch bei der erstmaligen Beantragung einer Verlegung
des Termins am 07.07.2007, also fast zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung.
Die Berufung ist unbegründet; das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die nichtvertragsärztliche Behandlung durch Dr. W.
sowie für die Fahr- und Übernachtungskosten. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes über
die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) i.V.m. § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V (SGB V). Danach gilt für
Leistungen nach dem KVLG das 3. Kapitel des SGB V, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Der allgemeine
Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3 SGB V setzt voraus, dass die Krankenkasse entweder eine
unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch
Versicherten für die selbstbeschaffte Leistungs Kosten entstanden sind. An diesen Voraussetzungen fehlt es.
Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, spricht nichts für die Unaufschiebbarkeit der Leistung. Dies ergibt sich zum
einen aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der ersten Antragstellung Anfang Dezember 1995 und dem
Behandlungsbeginn etwa vier Wochen später sowie der Tatsache, dass der Kläger sich bei zahlreichen zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten in (erfolgreicher) Behandlung befunden hat.
§ 13 Abs. 3 SGB V setzt außerdem einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der nicht rechtzeitigen Leistung der
Kasse bzw. rechtswidrigen Ablehnung der Leistung durch die Kasse und dem Entstehen von Kosten für die
selbstbeschaffte Leistung voraus. Dies bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG), dass im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung einem Versicherten Kosten einer
selbstbeschafften Leistung nur zu erstatten sind, wenn er die Leistung vor der Beschaffung bei der Krankenkasse
beantragt und diese die Gewährung zu Unrecht abgelehnt hatte. Von einer vorherigen Entscheidung der
Krankenkassen kann auch dann nicht abgesehen werden, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa
aufgrund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht. Es ist weder zumutbar noch bloßer
Formalismus, wenn eine Kostenerstattung in der Art des zwingenden Verfahrenserfordernisses davon abhängig
gemacht wird, dass die Krankenkasse zuvor Gelegenheit hatte, über die Berechtigung der außervertraglichen
Behandlung zu befinden (BSG vom 20.05.2003 SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 m.w.N.; BSG vom 25.09.2000 SozR 3-2500 §
13 Nr. 22; BSG vom 19.06.2001, Die Sozialgerichtsbarkeit 2001, 549; BSG vom 24.09.1996, BSGE 79, 125; BSG
vom 16.12. 1993 SozR 3-2500 § 12 Nr. 4; BSG vom 10.02.1993 SozR 3-2200 § 182 Nr. 15). Danach sind also Kosten
für eine selbstbeschaffte Leistung nicht zu erstatten, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne die
Entscheidung der Kasse abzuwarten.
Der Kläger hat die außervertragliche Therapie am 08.01.1996 beginnen lassen, ohne dass eine Entscheidung der
Beklagten (Bescheid vom 15.02.1996) vorgelegen hat. Es war ihm zuzumuten, die Entscheidung der Beklagten
abzuwarten, zumal eine Notfallsituation auf Grund der Sicherstellung der spezifischen Behandlung durch
Vertragsärzte nicht ersichtlich war. Etwas anderes gilt auch nicht für die am 22. und 23.02.1996 durchgeführten
letzten Behandlungen. Denn die einzelnen Sitzungen sind Teil eines Gesamtkomplexes. Auf Grund der Ausführungen
von Dr. W. vom 05.06.2003 muss davon ausgegangen werden, dass die 10 Sitzungen die gesamte Behandlung
darstellen, dass also der Behandlungserfolg von der Therapie von der vorgesehenen Zahl von Sitzungen abhing.
Die Beklagte ist überdies nicht zur Übernahme der Fahrkosten (§ 60 Abs. 1 SGB V) verpflichtet, da die Hauptleistung
(medizinische Behandlung) nicht notwendig war. Dies gilt auch für die Übernachtungskosten als akzessorische
Nebenleistung zur Behandlung.
Rechtlich unerheblich sind hier die vom Kläger geltend gemachten Umstände, wie mangelnde Kenntnis der
Verpflichtung, eine Entscheidung der Krankenkasse über die Kostenübernahme einer außervertraglichen Behandlung
abzuwarten, der angebliche Behandlungserfolg und die Einsparung von Kosten sowie die geltend gemachte
Zeugeneinvernahme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2).