Urteil des LSG Bayern vom 19.02.2009

LSG Bayern: wiedereinsetzung in den vorigen stand, öffentliche urkunde, ablauf der frist, psychiatrische behandlung, zustellung, nachfrist, krankheit, beschwerdefrist, verkehrsunfall, verschulden

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 19.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 11 R 556/05
Bayerisches Landessozialgericht L 2 B 486/08 R
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 29. Oktober 2007 wird verworfen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I. Im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht München begehrt die dortige Klägerin von dem beklagten
Rentenversicherungsträger Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung. Am 12.09.2006 beauftragte das
Sozialgericht die von der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) benannte Beschwerdeführerin als Ärztin
deren Vertrauens, ein Gutachten zu deren verbliebenem Leistungsvermögen zu erstatten. Eine Anfrage vom
30.01.2007, bis wann mit dem Eingang des Gutachtens zu rechnen sei, ließ die Beschwerdeführerin unbeantwortet.
Das Sozialgericht setzte ihr am 20.03.2007 Frist zur Übersendung des Gutachtens bis spätestens 20.04.2007 und mit
Schreiben vom 22.05.2007 eine Nachfrist bis 15.06.2007. Am 02.07.2007 setzte das Sozialgericht eine weitere
Nachfrist und wies zugleich darauf hin, es könne Ordnungsgeld verhängt werden, falls das Gutachten nicht
fristgerecht vorgelegt werde. Auf Drängen der Verfahrensbeteiligten setzte das Sozialgericht eine letzte Nachfrist bis
25.10.2007 und drohte erneut Ordnungsgeld im Falle des erfolglosen Fristablaufs an. Auf die vorgenannten
Mahnungen und Fristsetzungen reagierte die Beschwerdeführerin nicht. Mit Beschluss vom 29.10.2007 legte das
Sozialgericht der Beschwerdeführerin Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 Euro auf. Der Beschluss wurde der
Beschwerdeführerin mit Postzustellungsurkunde vom 05.11.2007 zugestellt. Das Schriftstück wurde nach Angaben
des Zustellers in der Zustellungsurkunde der Beschwerdeführerin selbst ausgehändigt. Da das Gutachten auch in der
Folgezeit nicht einging, setzte das Sozialgericht der Beschwerdeführerin am 15.01.2008 eine Nachfrist bis 14.02.2008
und drohte ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro an. Mit bei Gericht am 06.02.2008 eingegangenem
Schreiben erklärte die Beschwerdeführerin, sie werde das Ordnungsgeld nicht bezahlen. Das Schreiben vom
05.11.2007 habe sie erst am 05.02.2008 erhalten, so dass sie nicht rechtzeitig habe widersprechen können. Sie habe
am 26.07.2007 einen Verkehrsunfall erlitten, sei bis Ende Oktober arbeitsunfähig gewesen und erst seit November
2007 teilweise arbeitsfähig. Ihre rechte Schulter sei verletzt und am 10.08.2007 operiert worden. Es sei zu
postoperativen Komplikationen gekommen. Wegen einer posttraumatischen Belastungsreaktion sei sie lediglich zu
einer reduzierten Patientenbetreuung fähig gewesen, aber nicht zur Erledigung behördlicher, bürokratischer oder
gutachtlicher Stellungnahmen. Den Schriftverkehr könne sie jetzt erst langsam aufarbeiten. Sie bitte daher, von
Ordnungsgeld abzusehen. Am 25.02.2008 ging beim Sozialgericht das in Auftrag gegebene Gutachten ein. Die
Beklagte erkannte daraufhin einen Leistungsfall voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit an. Das Sozialgericht
fasste das Schreiben der Klägerin vom 06.02.2008 als Beschwerde auf, half dieser nicht ab und legte sie dem Bayer.
Landessozialgericht zur Entscheidung vor. Zur weiteren Begründung ihrer Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin
am 30.05.2008 und 09.06.2008 vor, mittlerweile sei bei ihr durch den Unfall eine Depression ausgelöst worden,
deretwegen sie arbeitsunfähig sei. Zunächst habe sie sich diese Erkrankung nicht eingestehen können, habe versucht
zu arbeiten, allerdings auf Kosten ihrer Gesundheit. Sie erklärte zudem, da der rechte Arm vom Unfall betroffen
gewesen sei, habe sie keine Schreibarbeiten erledigen können. Der Senat wies am 25.06.2008 darauf hin, dass die
Beschwerdefrist am 05.12.2007 geendet habe, die Beschwerde aber erst am 06.02.2008 beim Sozialgericht und damit
verspätet eingegangen sei. Es könnten Gründe, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten,
vorgebracht werden. Unter anderem wurde genannt, dass Krankheit nur dann Grund für eine Wiedereinsetzung sei,
wenn infolge der Erkrankung die Willens- oder Handlungsfähigkeit derart eingeschränkt war, dass der Betroffene
außerstande war, die Beschwerde selbst einzulegen oder einen Dritten damit zu beauftragen. Die Beschwerdeführerin
verwies nochmals auf ihren Unfall vom 26.07.2007 und ihre in der Folge eingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Sie sei zwar
nicht bettlägerig, aber in großen Bereichen ihres Lebens wie gelähmt gewesen. Erst als im Mai 2008 zusätzlich
körperliche Symptome aufgetreten waren, habe sie sich in psychiatrische Behandlung begeben und sei seit Juni
wegen einer Depression krankgeschrieben. Sie bitte daher, von Ordnungsgeld abzusehen.
II. Die Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht eingelegt wurde und Gründe, die die Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand rechtfertigen, nicht vorliegen. Gemäß § 173 Abs. 1 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats
nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Diese Frist hat die Beschwerdeführerin nicht eingehalten. Die
Behauptung der Beschwerdeführerin, der Beschluss vom 29.10.2007 sei ihr erst am 05.02.2008 zur Kenntnis gegeben
worden, wird durch die Postzustellungsurkunde vom 05.11.2007 widerlegt. Die Zustellung entspricht den gesetzlichen
Bestimmungen des § 63 Abs. 2 SGG i. V. m. den §§ 178 f. Zivilprozessordnung (ZPO). Danach kann der Post gemäß
§ 176 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25.06.2001 ein Zustellungsauftrag erteilt
werden. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
Diesen Voraussetzungen entspricht die Zustellung vom 05.11.2007. Die Beschwerdefrist endete daher mit Ablauf des
05.12.2007. Die erst am 06.02.2008 beim Sozialgericht eingegangene Beschwerde ist verspätet. Der Vortrag der
Beschwerdeführerin, sie habe erst am 05.02.2008 von dem Ordnungsgeldbeschluss erfahren, wird durch die
Postzustellungsurkunde vom 05.11.2007 widerlegt. Als öffentliche Urkunde begründet sie gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2
ZPO i. V. m. § 418 ZPO als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, hier der
persönlichen Zustellung an die Beschwerdeführerin am 05.11.2007. Die Unrichtigkeit dieser öffentlichen Urkunde kann
nur dadurch bewiesen werden, dass substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht wird, dass ein anderer
Geschehensablauf stattfand. Zudem muss zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der
Postzustellungsurkunde ausgeschlossen sein. Bloßes Bestreiten der in der Postzustellungsurkunde bezeugten
Tatsachen genügt nicht (Thomas-Putzo, ZPO, Kommentar, 29. Auflage, § 418 Rdnr. 5, Bundesverfassungsgericht
vom 03.06.1991 - 2 BvR 511/89 in NJW 1992, 224). Daraus folgt, dass allein die Behauptung der Beschwerdeführerin,
sie habe keine Kenntnis von der Zustellung des Ordnungsgeldbeschlusses erlangt, nicht ausreicht, um die Richtigkeit
der Postzustellungsurkunde zu widerlegen. Gründe, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG
rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine
gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Vortrag
der Beschwerdeführerin, sie habe am 26.07.2007 einen Verkehrsunfall erlitten und sei bis Ende Oktober arbeitsunfähig
und im November 2007 nur teilweise arbeitsfähig gewesen, rechtfertigt nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand. Krankheit schließt Verschulden nur aus, wenn der Betroffene so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst
handeln und auch nicht einen Anderen beauftragen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9.
Auflage, § 67 Rdnr. 7 c m. w. N.). Bereits der Vortrag der Beschwerdeführerin, sie habe im November 2007 zwar ihre
Patienten betreuen, jedoch behördliche, bürokratische oder gutachterliche Erledigungen von Arbeiten aufgeschoben,
macht deutlich, dass bei ihr kein Krankheitszustand vorgelegen hat, der es ihr unmöglich gemacht hätte, zumindest
einen Anderen zu beauftragen, die Beschwerde noch vor Ablauf der Frist, also vor dem 05.12.2007, einzulegen. Die
Beschwerde ist damit nicht fristgerecht eingelegt worden; sie war als unzulässig zu verwerfen. Auf die Frage, ob das
Ordnungsgeld zu Recht verhängt wurde, ob insoweit insbesondere das Versäumen, das in Auftrag gegebene
Gutachten rechtzeitig vorzulegen, von der Beschwerdeführerin zu vertreten war, kommt es nicht an. Die Entscheidung
über die Kosten beruht auf analoger Anwendung des § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 und 2
Verwaltungsgerichtsordnung. Die Klägerin gehört nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG, so
dass § 197 a SGG Anwendung findet mit der Folge, dass das Beschwerdeverfahren kostenpflichtig ist. Dieser
Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).