Urteil des LSG Bayern vom 03.05.2005

LSG Bayern: psychotherapeutische behandlung, arbeitsmarkt, erwerbsfähigkeit, heimat, nikotinabusus, schule, zustand, dokumentation, wechsel, bluthochdruck

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 03.05.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 RJ 574/02 A
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 255/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1949 im vormaligen Jugoslawien geborene Klägerin ist Angehörige des Staates Serbien/Montenegro mit dortigem
Wohnsitz. Sie ist nach ihren Angaben ohne Berufsausbildung. In Deutschland war sie als ungelernte
Arbeiterin/Hilfsarbeiterin beschäftigt und hat in der Zeit von 1970 bis 1976 insgesamt 71 Pflichtbeitragsmonate
zurückgelegt (Versicherungsverlauf vom 06.03.2001). In ihrer Heimat sind Versicherungszeiten gemäß Formblatt JU-D
205 vom 04.10.2000 von 1983 bis 1986 festgestellt. Dort ist sie als invalid seit 31.08.2000 anerkannt und bezieht die
entsprechende Pension.
Einen Formblattantrag JU-D 201 vom 28.07.2000 wies die Beklagte mit Bescheid vom
04.12.2000/Widerspruchsbescheid vom 23.01.2002 mit der Begründung zurück, die Klägerin könne trotz festgestellter
gesundheitlicher Einschränkungen insbesondere der Wirbelsäule und des Herzkreislaufsystems auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt vollschichtig mit nur qualitativen Einschränkungen tätig sein. Dorthin könne sie als unqualifizierte
Arbeiterin sozial zumutbar verwiesen werden. Grundlage der Entscheidung waren das Formblattgutachten des Dr.P.
vom 31.08.2000, Befund- und Behandlungsberichte aus der Heimat sowie eine klinisch-stationäre Begutachtung der
Klägerin in der Ärztlichen Gutachterstelle R. vom 26.11. bis 28.11.2001. Dort waren die Diagnosen depressive
Entwicklung, wirbelsäulenabhängige Beschwerden bei Abnutzungserscheinungen sowie Bluthochdruck bei
Übergewicht ohne Auswirkungen auf den Herzmuskel gestellt worden und daraus folgend ein positives Leistungsbild
für eine Tätigkeit als Schneiderin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von sechs Stunden und mehr für leichte,
zeitweise im Stehen, Gehen und Sitzen ausgeübte Tätigkeiten ohne Akkord und Nachtschicht.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat die Klägerin beantragt, ihr Rente wegen
Erwerbsminderung zu gewähren. Das SG hat unter Berücksichtigung der medizinischen Dokumentation ein
neurologisch/psychiatrisches Sachverständigengutachten des Dr.Dr.W. und ein Gutachten der Sozialmedizinerin Dr.T.
eingeholt (28./29.01.2004).
Dr.Dr.W. hat diagnostiziert:
- Chronisch rezidivierende Migräne,
- Wirbelaufbrauchsyndrom der BWS ohne Nervenwurzelreizerschei nungen, wirbelsäulenabhängige Beschwerden der
LWS ohne Ner venwurzelreizerscheinungen,
- Verdacht auf Carpaltunnelsyndrom beidseits,
- reaktiv-depressive Entwicklung mit Grübelneigung sowie Ein- und Durchschlafstörungen.
Er hat die Klägerin für in der Lage gesehen, noch vollschichtig leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen
und Sitzen auszuüben ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne Zeitdruck, Akkord, Schicht- oder Nachtarbeit.
Dr.T. hat diagnostiziert:
- Bluthochdruck mit beginnender Rückwirkung auf das Herz und Augenhintergrundveränderungen,
- chronische Bronchitis bei Nikotinabusus ohne Lungenfunktions einschränkung,
- wirbelsäulenabhängige Beschwerden bei Fehl- und Überlastung ohne Nervenwurzelreizerscheinung,
- Schmerzsyndrom der Gelenke mit Impingement rechter Schulter, Epicondylopathie rechter Ellenbogen, Varikosis,
endgradige Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke,
- reaktiv-depressive Entwicklung sowie klimakterische Beschwer den bei Zustand nach Unterleibstotaloperation 1997.
Die Klägerin könne trotz dieser Einschränkungen noch vollschichtig leichte Arbeiten ohne Haltungskonstanz, ohne
Überkopfarbeit, in geschlossenen wohltemperierten Räumen und ohne besondere Anforderungen an die nervliche
Belastbarkeit ausüben.
Mit Urteil vom 30.01.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten
Rente verneint. Es hat sich hinsichtlich der gesundheitlichen Defizite und der Leistungsbeurteilung den
Sachverständigen Dr.Dr.W. und Dr.T. angeschlossen und die Klägerin als vollschichtig einsatzfähig unter nur
qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angesehen. Dorthin könne die Klägerin sozial
zumutbar verwiesen werden, weil sie dem Leitberuf der ungelernten Arbeiterin zuzuordnen sei.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, nicht alle Diagnosen seien vollständig erfasst und ihr
Zustand habe sich verschlechtert. Hierzu hat die Klägerin Entlassungsscheine stationärer Behandlungen vom 20.02.
bis 04.03.2004, 31.03. bis 20.04.2004 sowie 31.05. bis 04.08.2004 vorgelegt.
Der Senat hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten des Dr.S. (18.12.2004) unter Berücksichtigung der
neueren von der Klägerin vorgelegten medizinischen Dokumentation eingeholt. Dr.S. hat diagnostiziert:
Reaktive ängstlich gefärbte depressive Störung mit einer zusätzlich endogenen Komponente, gegenwärtig leichte
Episode, Analgetika-, Benzodiazepin- und Nikotinabusus.
Er hat die Klägerin für fähig erachtet, acht Stunden täglich leichte Arbeiten ohne besondere Belastung der
Wirbelsäule, abwechselnd im Sitzen, Stehen und Gehen, ohne schweres Heben und Tragen, ohne Arbeiten im Bücken
und dergleichen zu erbringen. Die Umstellungsfähigkeit hat er nicht für eingeschränkt angesehen und ausgeführt, dass
die Klägerin während seiner - in der Muttersprache geführten - Untersuchung nicht ausgeprägt depressiv verstimmt
oder in ihrem Antrieb massiv beeinträchtigt gewesen sei. Hinweise für eine psychotische oder schwere depressive
Symptomatik hätten sich nicht ergeben.
Bei dem Krankheitsbild der Klägerin handele es sich nicht um einen Dauerzustand, bei dem die therapeutischen
Möglichkeiten insgesamt ausgeschöpft seien; auch eine längerfristige psychotherapeutische Behandlung könne eine
weitere Verbesserung ergeben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Landshut vom 30.01.2004 sowie
des Bescheides vom 04.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2002 zu verurteilen, ihr eine
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß Antrags vom 28.07.2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Landshut vom 30.01.2004
zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch
nicht begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 04.12.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.01. 2002, mit welchem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin gemäß Antrags
vom 28.07.2000 eine Rente wegen Erwerbs-/Berufsunfähigkeit sowie Erwerbsminderung zu gewähren. Die dagegen
gerichtete Klage hat das SG Landshut mit Urteil vom 30.01.2004 zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum
31.12.2000 geltenden alten Fassung (a.F.), weil sie den Rentenantrag vor dem 01.01. 2001 gestellt und Rente (auch)
für Zeiten vor diesem Datum begehrt hat (§ 300 Abs.2 SGB VI). Soweit (erstmals) ein Rentenanspruch ab dem
01.01.2001 in Betracht kommt, richtet sich der Anspruch der Klägerin nach dem SGB VI in der ab 01.01.2001 gültigen
neuen Fassung (n.F.).
Der Senat weist die Berufung der Klägerin aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Landshut
als unbegründet zurück und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs.2
SGG).
Ergänzend ist im Hinblick auf die im Berufungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme und insbesondere im
Hinblick auf das Gutachten des Dr.S. vom 18.12.2004 lediglich auszuführen:
Die Klägerin hat ihren beruflichen Werdegang gegenüber Dr.S. dahin geschildert, dass sie lediglich acht Jahre
Grundschule besucht, die folgende Wirtschaftschule nach zwei Jahren wegen schlechter Zeugnisse abgebrochen
habe. Sie habe nur einen Lehrgang als Näherin absolviert und sei in Deutschland ca. fünf bis sechs Monate am
Fließband beschäftigt gewesen, danach als Küchenhilfe in einer Schule, sodann 15 Monate als Fabrikarbeiterin bei
der Firma C. in B ... Nach der Geburt ihres Kindes sei sie 15 Monate lang als Küchenhilfe in einer Schule tätig
gewesen, anschließend als Saaltochter in einer Fachklinik. Hieraus ergibt sich übereinstimmend mit dem bisher
festgestellten Sachverhalt, dass die Klägerin als ungelernte Arbeiterin einzustufen ist, so dass sie sozial zumutbar
auch auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden kann, die der allgemeine Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt,
ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf.
Nach den überzeugenden Gutachten des Dr.Dr.W. , der Dr.T. sowie des Dr.S. , welcher als beeideter Dolmetscher
und Mediziner auch die neueren von der Klägerin vorgelegten und in serbischer Sprache ausgestellten medizinischen
Befund- und Behandlungsberichte ausführlich gewürdigt hat, liegen bei der Klägerin internistische, orthopädische
sowie psychiatrische Erkrankungen vor. Nach den Ausführungen des Dr.S. , denen sich der Senat anschließt, sind
jedoch die psychischen Erkrankungen nicht so stark ausgeprägt, dass sie über eine depressive Störung leichten
Grades hinausgehen würden. Dadurch sowie durch den Analgetika-, Benzodiazepin- und Nikotinabusus ist die
Klägerin in ihrer Leistungsbreite nicht so weit eingeschränkt, dass ihr das Ausüben leichter Tätigkeiten ohne schweres
Heben und Tragen, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne besonderen Zeitdruck sowie ohne
Akkordarbeit unmöglich wäre. Die weiteren Erkrankungen sind erstinstanzlich zutreffend erfasst und gewürdigt
worden, Erkenntnisse über neuere Erkrankungen oder zu einer Verschlechterung das Krankheitszustandes hat Dr.S.
den übersandten Befunden nicht entnehmen können. Bei einem festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen ist
die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig noch teilweise oder ganz erwerbsgemindert. Die Klägerin hat somit
keinen Anspruch auf die begehrte Rente.
Weil die gesundheitlichen Voraussetzungen der Rente nicht erfüllt sind, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu,
dass die Klägerin, welche zuletzt in ihrer Heimat 1986 Versicherungszeiten zurückgelegt hat, die besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht erfüllt.
Insbesondere hat sie in der jüngsten Vergangenheit nicht wenigstens drei Jahre Pflichtbeitragsmonate aufzuweisen.
Der Berufung musste damit in vollem Umfang der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 SGG).