Urteil des LSG Bayern vom 08.10.2008

LSG Bayern: hauptsache, mitwirkungshandlungen, rechtsschutz, stadt, erlass, zivilprozessordnung, obsiegen, rechtsgrundlage, ergänzung, alter

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 08.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 10 SO 85/08 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 791/08 SO ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 01.09.2008 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Feststellung der Rechtmäßigkeit der von der
Antragsgegnerin geforderten Mitwirkungshandlungen. Die Antragstellerin, die in Vermögensangelegenheiten betreut
wird, bezog zuletzt Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen)
nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom Landkreis Zwickauer Land. Am 01.08.2008 zog sie in den
Zuständigkeitsbereich der Stadt A-Stadt und beantragte dort entsprechende Leistungen. Die Antragsgegnerin forderte
die Antragstellerin auf, u.a. Kontoauszüge ab 01.06.2008 und Nachweise über Mietzahlungen für August 2008 bis
spätestens 30.08.2008 vorzulegen, ansonsten werde die Leistung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)
versagt. Der Betreuer der Antragstellerin verweigerte dies. Mit Schreiben vom 02.09.2008 legte er die geforderten
Unterlagen vor. Die Antragsgegnerin bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 05.09.2008 idF des Bescheides vom
26.09.2008 Grundsicherungsleistungen ab 01.08.2008 bis 30.06.2009. Bereits am 18.08.2008 hat die Antragstellerin
einstweiligen Rechtsschutz dahingehend begehrt, die Forderungen nach der Vorlage von Kontoauszügen und
Quittungen sowie die Frage, weshalb sie nicht in ein Heim oder eine Wohngemeinschaft gehe, für unzulässig zu
erklären. Das SG hat mit Beschluss vom 01.09.2008 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ein
Anordnungsgrund sei nicht gegeben, da Geldleistungen immer nachzahlbar seien. Eilbedürftigkeit liege daher nicht
vor. Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Eine Vorlage der
Kontoauszüge und der Quittungen dürfe nicht gefordert werden. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die
beigezogene Akte der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber
nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG den Antrag abgelehnt. Eine Feststellung der Unzulässigkeit der
von der Antragsgegnerin geforderten Mitwirkungshandlungen ist im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens nicht zu treffen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003,
1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs
2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927,
NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache
erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den
Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer
Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom
12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).
In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und
Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die
Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom
12.05.2005 aaO).
Dies zugrunde gelegt fehlt es vorliegend an einem Anordnungsgrund. Eine Eilbedürftigkeit der gewünschten
Feststellung ist für den Senat nicht mehr ersichtlich, insbesondere nachdem zwischenzeitlich Leistungen an die ASt
nach Vorlage der geforderten Unterlagen bewilligt worden sind und die ASt nunmehr auch ein eigenes Konto besitzt.
Die Eilbedürftigkeit scheitert hingegen nicht daran, dass es sich um - nachzahlbare - Geldleistungen handelt, zumal
wenn es um existenzsichernde Leistungen geht. Auch eine lediglich summarische Prüfung des
Anordnungsanspruches würde bei existenzsichernden Leistungen nicht ausreichen.
Mangels Vorliegens eines Anordnungsgrundes war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).